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Abschleppkosten: Parken auf Behindertenparkplatz – Ausweis im Fahrzeugboden

VERWALTUNGSGERICHT NEUSTADT AN DER WEINSTRASSE

Az.: 7 K 693/04.NW

Urteil vom 02.07.2004


In dem Verwaltungsrechtsstreit wegen Erstattung von Abschleppkosten hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2004 für Recht erkannt:

Der Kostenbescheid der Beklagten vom 23. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2003/ 6. Februar 2004 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger ist Halter des Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen ………………. Dieses Fahrzeug war am 10. Juni 2003 gegen 8.30 Uhr in der …………straße in ………………… auf dem ihm selbst zugeteilten Schwerbehindertenparkplatz abgestellt.

Nachdem in dem Fahrzeug kein Schwerbehindertenausweis sichtbar ausgelegt war, ließ die Beklagte das Fahrzeug auf den daneben befindlichen öffentlichen Parkplatz von einem Abschleppunternehmen versetzen.

Mit Bescheid vom 23. Juni 2003 forderte die Beklagte vom Kläger Erstattung der Abschleppkosten in Höhe von 80,67 € sowie weitere 38,20 € Gebühren und 5,62 € Auslagen. Gegen den Bescheid legte der Kläger rechtzeitig Widerspruch mit der Begründung ein, das Auto habe auf dem ihm zugewiesenen Parkplatz mit der Nr. ………. gestanden. Am Tag zuvor seien sie in der Dunkelheit angekommen und hätten nicht bemerkt, dass der Behindertenparkausweis auf den Boden vor dem Beifahrersitz gerutscht gewesen sei. Am nächsten Tag habe das Auto auf dem öffentlichen Parkplatz daneben gestanden. An der Windschutzscheibe habe sich ein Strafzettel mit einem Verwarnungsgeld von 35,00 € und einem handgeschriebenen Vermerk befunden, dass das Fahrzeug von einer beauftragten Firma versetzt worden sei. Das Verwarnungsgeld sei bei der zuständigen Behörde bezahlt worden. Da von dem abgeschleppten Fahrzeug jedoch keine Behinderung oder Gefahr ausgegangen sei, sei die Abschleppmaßnahme unverhältnismäßig und daher rechtswidrig gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2003/6. Februar 2004 wies der Stadtrechtsausschuss bei der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei zwar selbst der Inhaber des Parkausweises mit der ihm zugeteilten Nummer und habe damit auf dem ihm zugeteilten Parkplatz gestanden. Der Parkausweis habe jedoch nicht sichtbar ausgelegen, so dass die Ausnahmegenehmigung für das Parken nicht gegolten habe. Auch habe von dem Fahrzeug des Klägers auf dessen Parkberechtigung kein Rückschluss genommen werden können, da der Schwerbehindertenparkausweis gerade nicht fahrzeugbezogen, sondern personenbezogen erteilt werde. Die Beklagte sei auch nicht gehalten gewesen, den Kläger als Halter des Fahrzeugs zu ermitteln und diesen aufzufordern, das Fahrzeug selbst zu entfernen. Nachforschungsversuche dieser Art stünden die ungewissen Erfolgsaussichten und nicht abzusehende weitere Verzögerungen entgegen. Zu Gunsten der Schwerbehinderten bestehe an der Freihaltung von Behindertenparkplätzen für Kraftfahrzeuge, die nicht diesem Personenkreis zuzuordnen seien, in aller Regel ein erhebliches öffentliches Interesse, das den privaten Belangen der nichtparkberechtigten Fahrer, auch wenn sie durch das Abschleppen erhebliche Nachteile hinzunehmen hätten, vorgehe.

Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 10. Februar 2004 zugestellt. Am 9. März 2004 hat der Kläger Klage erhoben. Zu deren Begründung wird vorgetragen: Der Parkplatz sei ihm seit 10 Jahren zugewiesen und es sei hin und wieder passiert, dass der Behindertenparkausweis auf den Boden gefallen sei. Dies habe aber bisher lediglich zu Strafzetteln geführt, die nach Vorlage des Behindertenparkausweises immer zurückgenommen worden seien. Die Abschleppmaßnahme in Form des Versetzens auf einen daneben liegenden Parkplatz sei unverhältnismäßig und daher rechtswidrig.

Der Kläger beantragt, den Kostenbescheid der Beklagten vom 23. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2003/6. Februar 2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid und im Widerspruchsbescheid. Die vorgenommene Umsetzungsmaßnahme des Pkws sei erforderlich gewesen, da der Berechtigungsschein nicht erkennbar ausgelegen habe. Die Berechtigung, einen personenbezogenen Behindertenparkplatz zu nutzen, werde nicht an einem bestimmten Kraftfahrzeug, sondern an der Person des Berechtigten festgemacht. Dieser könne den Parkplatz nutzen, unabhängig davon, welches Fahrzeug er mit sich führe. Es sei zwar eine Nachfrage nach dem Halter versucht worden, infolge eines „technischen Fehlers“ an diesem Tag aber nicht zustande gekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat Erfolg. Dem Klagebegehren ist stattzugeben, denn der Kostenbescheid der Beklagten vom 23. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2003/6. Februar 2004 ist rechtswidrig, weil die Beklagte das ihr zustehende Ermessen nicht sachgerecht betätigt hat (§ 114 VwGO).

Als Rechtsgrundlage für die Erstattung der Abschleppkosten kommt hier allein § 63 des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes – LVwVG – in Betracht. Die danach mögliche Ersatzvornahme setzt eine Grundverfügung voraus, die eine Verpflichtung zur Vornahme einer vertretbaren Handlung beinhaltet und die bestandskräftig oder nach § 80 Abs. 2 VwGO sofort vollziehbar ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 63 VwVG liegen zwar vor, denn als Grundverfügung, die eine Verpflichtung zur Vornahme einer vertretbaren Handlung beinhalten konnte, war das hier vor dem Behindertenparkplatz aufgestellte Vorschriftzeichen 314 zu § 42 Abs. 4 StVO gegeben. Dieses Zeichen verpflichtet auch nicht berechtigte Personen, ein auf einem Behindertenparkplatz verbotenerweise geparktes Kraftfahrzeug zu entfernen. Dieses Gebot ist im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar (vgl.: OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ 1988, 659).

Lagen damit zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 63 VwVG vor, weil die Parkerlaubnis zugunsten eines Schwerbehinderten auf diesem Parkplatz nur galt, wenn der entsprechende Parkausweis in dem darauf abgestellten Fahrzeug gut lesbar ausgelegt war (vgl. § 42 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 StVO), und stand damit die Anordnung der Ersatzvornahme im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten, so ist die Versetzungsmaßnahme gleichwohl rechtswidrig, weil sie nicht verhältnismäßig war. Es genügt nämlich zur Rechtfertigung einer Abschleppmaßnahme nicht, unter dem Gesichtspunkt einer so genannten „negativen Vorbildwirkung“ auf den Rechtsverstoß als solchen zu verweisen, der sich aus der Zuwiderhandlung gegen die aus § 42 Abs. 4 Nr. 2 StVO i. V. m. Zeichen 314 folgende Regelung ergibt. Hinzu kommen muss vielmehr ein über die Generalprävention hinausgehendes öffentliches Interesse am Abschleppen des Fahrzeuges (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. Dezember 1998, 7 A 10895/98.OVG, BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2002, DVBl. 2002, 1561).

Die unter dem Gesichtspunkt einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung gebotene Interessen- und Rechtsgüterabwägung musste hier zugunsten des Klägers ausfallen. Zwar sind Abschleppmaßnahmen ohne konkrete Behinderungen grundsätzlich nicht ausgeschlossen, den gegenläufigen privaten Interessen kommt in diesen Fällen aber naturgemäß ein größeres Gewicht zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2002, a. a. O.). Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, besteht zwar zugunsten von Schwerbehinderten an der Freihaltung der Behindertenparkplätze von Kraftfahrzeugen, die nicht diesem Personenkreis zuzuordnen sind, in aller Regel ein erhebliches öffentliches Interesse, das den privaten Belangen der hier nicht parkberechtigten Fahrer oder Halter, auch wenn sie durch das Abschleppen ihres Kraftfahrzeugs erhebliche Nachteile hinzunehmen haben, vorgeht (vgl. z. B. VGH München, Urteil vom 29. Januar 1996, NJW 96, 1980, OVG NRW, Urteil vom 21. März 2000, DAR 200, 427, VGH Kassel, Urteil vom 15. Juni 1987, NVwZ 87, 910). Denn die parkbevorrechtigten Benutzerkreise sollen nach der Wertung des Gesetzgebers darauf vertrauen können, dass der gekennzeichnete Parkraum ihnen unbedingt zur Verfügung steht. Diese besondere gesetzgeberische Zielsetzung gilt jedoch nur für Behindertenparkplätze, die allen behinderten Verkehrsteilnehmern mit Sonderausweisen offen stehen. Bei dem Behindertenparkplatz des Klägers handelt es sich jedoch um ein ausschließlich für seine Person reservierten Parkplatz, der der Nutzung durch andere Behinderte und damit einem größeren bevorrechtigten Benutzerkreis gerade nicht freisteht. Die Räumung des individuell dem Kläger zugeteilten Behindertenparkplatzes konnte daher auch nicht dem besonderen öffentlichen Interesse im Lichte der Intention des Gesetzgebers bei der Freihaltung öffentlicher Behindertenparkplätze dienen. Auch war das Abstellen des Pkw des Klägers auf dem ihm zugeteilten Behindertenparkplatz gar nicht geeignet, zu Behinderungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu führen, was die Abschleppmaßnahme ebenfalls unverhältnismäßig macht (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 07.02.2003, NVwZ-RR 2003, 558).

Schließlich war aber auch das Verlangen der Beklagten nach Kostenerstattung durch den Kläger hier ausnahmsweise unverhältnismäßig. So hätte die Beklagte, auch wenn sie von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Versetzungsmaßnahme ausgegangen ist, vor Erlass des Kostenbescheids noch prüfen müssen, ob die Heranziehung zu den Kosten im Falle des Klägers nicht ausnahmsweise unangemessen ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. Oktober 1996,
7 A 11676/95.OVG). Vorliegend entspricht es nicht dem Zweck der Ermächtigung und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn die Beklagte Kosten erhebt, die nicht entstanden wären, wenn die Behörde die ihr gegebenen zumutbaren Möglichkeiten, das Vorhandensein eines Behindertenparkausweises für das abgeschleppte Fahrzeug des Klägers in Erfahrung zu bringen, ausgeschöpft hätte. Die Beklagte hätte mit erheblich geringerem Arbeitsaufwand – wie sie selbst vorträgt – per Handy oder Funk innerhalb weniger Minuten feststellen können, ob eine Parkberechtigung für das betroffene Fahrzeug auf dem Behindertenparkplatz besteht. Dass dies durch technische Probleme im System der Beklagten an diesem Tag ausnahmsweise nicht möglich gewesen sein sollte, ist für das Gericht nicht über-zeugend, kann aber jedenfalls nicht zu Lasten des Klägers gehen. Dies zeigt auch die Kontrollüberlegung, dass das Fahrzeug des Klägers, wenn kein technischer Fehler bei der Beklagten vorgelegen hätte, nicht abgeschleppt worden wäre. Dies hat auch die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Das Verlangen der Beklagten nach Kostenerstattung durch den Kläger wäre hier deshalb auch ausnahmsweise unverhältnismäßig gewesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167 VwGO.

Rechtsmittelbelehrung…

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 124,49 € festgesetzt (§ 13 GKG).

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