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Arbeitslosengeldablehnung wegen Sperrzeit

BUNDESSOZIALGERICHT

Az: B 11a/7a AL 52/06 R

Urteil vom 17.10.2007

Vorinstanz:

SG Gelsenkirchen, Az.: S 20 AL 56/05

LSG Nordrhein-Westfalen, Az.: L 19 AL 193/05


In dem Rechtsstreit hat der 11a. Senat des Bundessozialgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2007 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen

des Eintritts einer Sperrzeit ab 1. September 2004.

Die 1960 geborene Klägerin kündigte am 15. März 2004 ihr Arbeitsverhältnis als Verkäuferin bei der K. GmbH N. in H. zum 31. August 2004. Als Kündigungsgrund gab sie ihren geplanten Umzug nach Gladbeck an, wo ihre am 8. April 1990 geborene Tochter zum neuen Schuljahr die Schule besuchen sollte.

Auf die am 27. August 2004 erfolgte Arbeitslosmeldung und Antragstellung lehnte die Beklagte mit dem Bescheid vom 5. Oktober 2004 die Gewährung von Alg ab, weil der Anspruch wegen einer vom 1. September bis 23. November 2004 eingetretenen Sperrzeit ruhe. Auch nach Ablauf der Sperrzeit würden keine Leistungen gezahlt, weil die Klägerin am 29. September 2004 eine Beschäftigung aufgenommen habe und somit nicht mehr arbeitslos sei. Mit dem Widerspruch gegen den Sperrzeitbescheid machte die Klägerin geltend, sie sei zu ihrem Verlobten, Herrn Bernhard Ehrenreich (E.), nach Gladbeck gezogen. Bereits vor ihrem Umzug habe sie sich im Raum Gladbeck um Arbeit bemüht. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2005 zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klägerin angehört und E. als Zeugen vernommen. Es hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 1. September 2004 Alg zu gewähren (Urteil vom 26. September 2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 22. Mai 2006): Die Klägerin habe einen wichtigen Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zur Fortsetzung einer eheähnlichen Gemeinschaft und Herstellung einer Erziehungsgemeinschaft könne die Belange der Versichertengemeinschaft zurücktreten lassen. Angesichts der Entfernung zwischen Gladbeck und Heidenheim sei ein tägliches Pendeln unzumutbar. Die Klägerin habe auch hinreichende Bemühungen unternommen, einen Anschlussarbeitsplatz zu finden. Zwar sei nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, dass sie sich schon vor der Kündigung bei der für Gladbeck zuständigen Arbeitsagentur (AA) arbeitsuchend gemeldet habe. Sie habe dies aber jedenfalls im April 2004 zeitnah nachgeholt. Darüber hinaus habe sich die Klägerin bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber im Raum Gladbeck um eine Beschäftigungsalternative bemüht. Schließlich habe sie sich schon vor der Kündigung bei verschiedenen Handelsunternehmen beworben. Zum Zeitpunkt der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses habe zwischen der Klägerin und E. bereits eine eheähnliche Gemeinschaft bestanden. Zwar sei davon auszugehen, dass die Verfestigung einer Beziehung erst nach einem Bestand von drei Jahren anzunehmen sei. Hier lägen jedoch Besonderheiten vor, die die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft schon zum Zeitpunkt der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigten. Die Klägerin und E. hätten sich im Dezember 2003 verlobt. Auch wenn ein konkreter Hochzeitstermin bislang nicht absehbar sei, sei nach der Gestaltung der weiteren Lebensverhältnisse davon auszugehen, dass sie schon ab diesem Zeitpunkt wie Eheleute füreinander hätten einstehen wollen. Dies zeige sich an dem wirtschaftlichen Einstehen füreinander und daran, dass sie so weit wie möglich ihre Freizeit gemeinsam verbracht hätten. Dagegen sei eine gemeinsame Wohnung keine zwingende Voraussetzung für eine eheähnliche Gemeinschaft. Die Fortsetzung der eheähnlichen Gemeinschaft unter den bisherigen Bedingungen über den Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses hinaus sei für die Klägerin nicht zumutbar gewesen. Insoweit komme dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass der Umzug auch der Herstellung einer Erziehungsgemeinschaft gedient habe. Die Entscheidung der Klägerin, den Zeitpunkt des Umzugs so zu legen, dass er sich mit dem Beginn des neuen Schuljahres gedeckt habe, diene im Besonderen dem Wohl des Kindes.

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – (SGB III). Es könne dahinstehen, ob der Annahme des LSG, es habe bereits vor dem Umzug eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bestanden, nach den getroffenen Feststellungen gefolgt werden könne. Denn der wichtige Grund müsse sich mit dem konkreten Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses decken. Das LSG habe festgestellt, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses des Urteils nicht verheiratet gewesen und auch noch kein konkreter Hochzeitstermin absehbar gewesen sei. Die Rechtsauffassung verstoße daher eklatant gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) beim Zuzug zum eheähnlichen Lebenspartner. Es sei weder die Voraussetzung einer Eltern-Kind-Beziehung noch die Voraussetzung der Vorwirkung einer eheähnlichen Gemeinschaft erfüllt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2006 sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26. September 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das LSG habe in Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend festgestellt, dass für ihre Kündigung zur Fortsetzung der eheähnlichen Gemeinschaft und Herstellung einer Erziehungsgemeinschaft auch unter Berücksichtigung der Belange der Versichertengemeinschaft ein wichtiger Grund bestanden habe.

II.

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Anhand der bisher getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob sich die Klägerin auf einen wichtigen Grund im Sinne des Sperrzeitrechts im Hinblick auf die Begründung einer Erziehungsgemeinschaft berufen kann.

Gegenstand des Rechtsstreits ist hier allein der so genannte Sperrzeitbescheid vom 5. Oktober 2004 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2005, mit dem die Beklagte die Zahlung von Alg ab 1. September 2004 abgelehnt und eine Minderung der Anspruchsdauer von 90 Tagen verfügt hat.

Nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III (in der hier maßgebenden Fassung durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002, BGBl I 4607) tritt eine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben.

Die Dauer der Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe beträgt nach § 144 Abs 3 Satz 1 SGB III zwölf Wochen.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Klägerin durch die Kündigung vom 15. März 2004 zum 31. August 2004 ihr Beschäftigungsverhältnis gelöst hat. Hierdurch hat sie ihre Arbeitslosigkeit grob fahrlässig herbeigeführt, denn es lagen nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG keine konkreten Anhaltspunkte für einen sicheren Anschlussarbeitsplatz vor, die über bloße Hoffnungen und Erwartungen hinausgegangen wären (vgl zu den insoweit zu stellenden Anforderungen BSG SozR 4100 § 119 Nr 28).

Entgegen der Auffassung des LSG kann sich die Klägerin auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses nicht auf einen wichtigen Grund berufen, denn es greift keine der in diesem Zusammenhang vom BSG entwickelten Fallgruppen zum wichtigen Grund ein (s hierzu unter 1). Jedoch führt der Senat die bisherige Rechtsprechung in der Weise fort, dass auch die Herstellung einer Erziehungsgemeinschaft ein wichtiger Grund iS des § 144 Abs 1 SGB III sein kann (s hierzu unter 2).

1.1

Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines wichtigen Grundes wegen einer geplanten Eheschließung und eines Zuzugs zum Ehegatten liegen nicht vor. Nach den hierzu entwickelten Grundsätzen ist der Zuzug zum Ehegatten als wichtiger Grund für die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses anzuerkennen, wenn der Arbeitslose seine Arbeitsstelle von der gemeinsamen Wohnung aus nicht zumutbar erreichen kann (BSGE 43, 269, 273 = SozR 4100 § 119 Nr 2). Der Zuzug zum Partner bildet auch schon dann einen wichtigen Grund, wenn die Ehe noch nicht geschlossen ist, jedoch der Arbeitnehmer bei Ausspruch seiner Kündigung davon ausgehen kann, dass die Eheschließung bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt (BSGE 64, 202, 204 = SozR 4100 § 119 Nr 34; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 14). Im Hinblick auf die Entfernung zwischen dem bisherigen Beschäftigungsort der Klägerin und der gemeinsamen Wohnung unterliegt es keinem Zweifel, dass eine zumutbare Erreichbarkeit nicht gegeben ist.

Allerdings kann ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses wegen Zuzugs zum Ehepartner nur anerkannt werden, wenn dieser sich mit dem konkreten Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses deckt (BSGE 52, 276, 277 = SozR 4100 § 119 Nr 17). Dies bedeutet für den Zuzug zum Verlobten, dass die Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses zum gewählten Zeitpunkt notwendig gewesen sein muss, um ab dem beabsichtigten Heiratstermin die eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen (BSGE 64, 202, 204 = SozR 4100 § 119 Nr 34). Der Arbeitslose muss also zum Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses davon ausgehen können, dass die Eheschließung bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen werde. Hieran fehlt es.

1.2

Auch die vom Senat mit Urteil vom 7. November 2005 (B 11a/11 AL 49/04 R = SozR 4-4300 § 144 Nr 10, zustimmend Radüge in jurisPR-SozR 7/2006 Anm 3) vorgenommene Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung zum wichtigen Grund auf die Fallgestaltung, dass ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz aufgibt, um zu seinem künftigen Ehepartner zu ziehen, wenn die Eheschließung in absehbarer Zeit beabsichtigt ist und der Umzug zum Wohl des minderjährigen Kindes auf den Schuljahreswechsel vorgezogen wird, greift folglich nicht ein.

Denn diese Rechtsprechung verzichtet nicht auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Beendigungszeitpunkt und dem Zeitpunkt der beabsichtigten Eheschließung, sondern lässt lediglich im Interesse des Kindeswohls ein begrenztes Auseinanderfallen zu, wenn die Eheschließung in absehbarer Zeit erfolgt. Die genannten Grundsätze greifen folglich nicht ein, wenn – wie im vorliegenden Fall – zum Zeitpunkt der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses noch kein Termin für die Eheschließung in Aussicht genommen worden ist.

1.3

Die Klägerin kann sich ferner auch nicht auf die Rechtsprechung des BSG berufen, wonach der Umzug zum Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft als wichtiger Grund dem Eintritt einer Sperrzeit entgegenstehen kann, wenn bereits bei Lösung des Beschäftigungsverhältnisses eine derartige Gemeinschaft (Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft) bestanden hat (BSGE 90, 90 = SozR 3-4100 § 119 Nr 26; kritisch gegenüber dieser Rechtsprechung Eichenhofer, SGb 1999, 167, 171; Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, 2000, S 524; Kühl, Die Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe, 2007, S 171). Eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne der Rechtsprechung des BSG liegt nur vor, wenn die Verbindung auf Dauer angelegt ist, daneben eine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sie sich durch innere Bindung auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner in den Not- und Wechselfällen des Lebens begründen, also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (BSGE aaO S 100). Ob die genannten Voraussetzungen vorliegen, ist anhand des Vorliegens von Hilfstatsachen festzustellen, wobei als Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung insbesondere deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität und eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft heranzuziehen sind.

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Auf der Grundlage dieser Anforderungen kann der Auffassung des LSG, es sei bereits vor dem Umzug der Klägerin eine eheähnliche Gemeinschaft begründet worden, nicht gefolgt werden.

Allerdings hat der 7. Senat seine zunächst vertretene Auffassung, wonach zur Anerkennung einer eheähnlichen Gemeinschaft in jedem Fall eine „Dreijahresgrenze“ des Zusammenlebens einzuhalten sei (BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 15 S 70), insofern modifiziert, als nach den Umständen des Einzelfalles auch eine geringere Dauer als ausreichend angesehen werden kann (BSGE 90, 90, 101 = SozR 3-4300 § 144 Nr 11). Das LSG hat der Rechtsprechung allerdings zu Unrecht entnommen, dass eine gemeinsame Wohnung nicht zu den zwingenden Voraussetzungen

für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft rechnet. Eine derartige Sichtweise ist schon deshalb ausgeschlossen, weil ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen notwendige Voraussetzung für die Feststellung der Ernsthaftigkeit der Beziehung ist.

Zudem steht auch die Herleitung der Rechtsprechung zum wichtigen Grund beim Umzug zum Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft der Auffassung des LSG entgegen. Denn der 7. Senat des BSG hatte seine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung auch damit begründet, dass im SGB III an das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft nachteilige Folgerungen bei der Bedürftigkeitsprüfung gezogen worden waren. Diese Parallele verdeutlicht, dass ein gemeinsamer Wohnsitz zu den notwendigen Voraussetzungen der eheähnlichen Gemeinschaft im

Sinne der Rechtsprechung zu § 144 SGB III gehört (vgl zur derzeitigen Rechtslage etwa § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c und Abs 3a Sozialgesetzbuch – Zweites Buch).

Folglich kann sich die Klägerin auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellung, die Klägerin und E. hätten zu keinem Zeitpunkt vor dem Zuzug zum 1. September 2004 eine gemeinsame Wohnung innegehabt, allein wegen der erst herzustellenden eheähnlichen Gemeinschaft nicht auf einen wichtigen Grund iS des Sperrzeitrechts berufen. Es genügt insoweit nicht, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Voraussetzungen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen erfüllt sind. Denn der Senat hat mit Urteil vom 5. November 1998 (B 11 AL 5/98 R = SozR 3-4100 § 119 Nr 16) entschieden, dass die erstmalige Herstellung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft allein noch nicht einen wichtigen Grund darstellt, der die Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigt. Dieser Rechtsprechung hat sich der 7. Senat des BSG ausdrücklich angeschlossen (BSGE 90, 90, 94 = SozR 3-4100 § 119 Nr 26).

2.

Nicht beurteilt werden kann jedoch auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen, ob für die Klägerin ein wichtiger Grund mit Rücksicht darauf anzuerkennen ist, dass sie durch den Zuzug zu E. mit diesem eine Erziehungsgemeinschaft herstellen wollte. Denn der erkennende Senat erweitert insoweit die bisherige Rechtsprechung des BSG, die einen wichtigen Grund im Sinne des Sperrzeitrechts bisher nur beim Zuzug zum Vater des gemeinsamen Kindes und dem Hinzutreten weiterer Gründe anerkannt hat (BSGE 52, 276 ff = SozR 4100 § 119 Nr 17). Über die bisher vom BSG entwickelten Grundsätze hinaus bildet die erstmalige Herstellung einer ernsthaften und auf Dauer angelegten Erziehungsgemeinschaft, dh der Zuzug der Klägerin mit dem minderjährigen Kind zum nichtehelichen Partner, unabhängig davon, ob es sich beim Partner um einen leiblichen Elternteil handelt, einen wichtigen Grund iS des Sperrzeitrechts, wenn Gründe des Kindeswohls dies erfordern. Diese Bewertung der Interessen der Klägerin und ihrer Tochter, die das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Aufrechterhaltung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zurücktreten lässt, folgt jedenfalls aus Art 6 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG). Unabhängig von der Definition der „Familie“ iS des Art 6 Abs 1 GG (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 10. Dezember 2004 – 1 BvR 2320/98 – BverfGK 4, 267, 270 f zum „faktischen Stiefkindverhältnis“) ist die Klägerin als leibliche Mutter Trägerin des Elterngrundrechts aus Art 6 Abs 2 Satz 1 GG. Hierdurch wird sie in ihrer Entscheidung darüber geschützt, in welcher Weise sie ihrer natürlichen Verantwortung für die Erziehung des Kindes gerecht werden will (BVerfGE 56, 363, 381 f; 108, 82, 102). Dabei entspricht es der aus dem Grundrecht herzuleitenden Elternverantwortung, dass das Kindeswohl letztlich für die Ausübung des Erziehungsrechts bestimmend sein muss (BVerfGE 68, 176, 188; 72, 155, 172; 79, 203, 210). Die verfassungsrechtliche Wertentscheidung ist bei der Auslegung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs wichtiger Grund zu beachten. Sie lässt das Interesse der Versichertengemeinschaft zurücktreten, wenn die Herstellung einer ernsthaften und auf Dauer angelegten Erziehungsgemeinschaft dem Wohl des Kindes dient.

Der bisherige Rechtsprechung des BSG steht diese Auffassung des Senats nicht entgegen.

Der 7. Senat des BSG hatte sich bereits in einem Urteil vom 12. November 1981 (= BSGE 52, 276 ff = SozR 4100 § 119 Nr 17) ua mit der Frage befasst, ob eine „nichteheliche Erziehungsgemeinschaft“ als wichtiger Grund iS der Sperrzeitvorschrift anzusehen ist. In dieser Entscheidung ist der 7. Senat bereits davon ausgegangen, dass der Schutz des Art 6 Abs 2 GG greife, wenn der (leibliche) Vater mit Kind und Mutter tatsächlich zusammenlebe und damit die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der elterlichen Gewalt durch beide Eltern gegeben seien (BSGE aaO 278). Zwar geht der 7. Senat davon aus, dass Art 6 Abs 2 GG weder für die Mutter noch für den Vater ein Recht oder eine Pflicht begründeten, eine Erziehungsgemeinschaft herzustellen, jedoch soll die mit der selbst herbeigeführten Arbeitslosigkeit eines Elternteils verbundene Belastung der Versichertengemeinschaft dann gerechtfertigt sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Herstellung der Erziehungsgemeinschaft im Interesse des Kindeswohls zu dem beabsichtigten Zeitpunkt erfordern. Insoweit sind nach dem Urteil des 7. Senats alle Gründe beachtlich, die dem Wohl des Kindes Rechnung tragen, insbesondere eine Verbesserung seiner Unterbringung, seiner Verpflegung und Betreuung gewährleistet ist.

Die vorstehenden Anforderungen sind auf den Zuzug zu einem Partner, der nicht leiblicher Vater des Kindes ist, jedoch bereit ist, Verantwortung für seine Erziehung zu übernehmen, zu übertragen. Der Senat bejaht nunmehr die ausdrücklich offen gelassene Frage (vgl BSGE 64, 202, 207 = SozR 4100 § 119 Nr 34; SozR 3-4300 § 144 Nr 10 S 27; SozR 4-4300 § 144 Nr 10 S 45), ob die dem Wohl des minderjährigen Kindes dienende Herstellung einer Erziehungsgemeinschaft allein einen wichtigen Grund darstellt. Ausgehend davon, dass für die Ausgestaltung und Reichweite des Elternrechts das Kindeswohl die maßgebende Richtgröße bildet, besteht für eine abweichende Behandlung gegenüber der bereits vom BSG entschiedenen Fallgruppe der von leiblichen Eltern gebildeten nichtehelichen Erziehungsgemeinschaft keine Veranlassung und sachliche Rechtfertigung.

Der Senat stimmt dem LSG darin zu, dass der Annahme eines wichtigen Grundes nicht die Rechtsprechung des BSG entgegensteht, wonach derjenige sich nicht auf einen wichtigen Grund berufen kann, der seinerseits seine aus dem Versicherungsverhältnis herrührende Obliegenheit, den Eintritt von Arbeitslosigkeit zu vermeiden, verletzt (vgl BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 14). Die ernsthaften Bemühungen der Klägerin um die Erlangung eines Anschlussarbeitsplatzes genügen insoweit den nicht zu überspannenden Anforderungen.

Das LSG hat – von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend – keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin mit ihrem Verlobten eine ernsthafte und auf Dauer angelegte Erziehungsgemeinschaft herstellen wollte, die dem Wohl ihrer Tochter dienen sollte. Dies wird nachzuholen sein, wobei auf die maßgebenden inneren Umstände auf Grund von Hilfstatsachen geschlossen werden kann. Hierzu gehört auch die nachfolgende tatsächliche Entwicklung.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

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