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Allgemeinmediziner – Waffenschein wegen Patienten

Verwaltungsgericht Arnsberg

Az.: 14 K 50/06

Urteil vom 05.11.2007


Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 29. Dezember 2004 sowie des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung B. vom 30. November 2005 verpflichtet, den Kläger auf seinen Antrag, ihm eine Erlaubnis zum Führen einer Pistole mit dem Kaliber 40 S&W oder alternativ mit dem Kaliber 357 SIG oder 9 mm Parabellum zu erteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3.

Tatbestand:

Der im Jahre 1967 geborene Kläger ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Zwei Waffenbesitzkarten vom 13. September 2004 bzw. 6. April 2005 berechtigen ihn als Jagdscheininhaber zum Erwerb und Besitz eines Revolvers, einer Pistole, dreier Wechselsysteme und eines Drillings. Dementsprechend besitzt er u. a. eine Pistole im Kaliber 40 S&W und verfügt über Wechselsysteme für diese Pistole, mit der sie sich mit wenigen Handgriffen in das Kaliber 357 SIG und 9 mm Parabellum umrüsten lässt.

Noch vor Erlangung des Jagdscheins beantragte der Kläger unter dem 24. Mai 2004 (mit dem Eingangsdatum: 22. Juni 2004), ihm gemäß § 19 des Waffengesetzes (WaffG) zu erlauben, einen „Revolver DA/SA .357 Magnum/38 spezial“ und eine Pistole „45 auto“ nebst zugehöriger Munition erwerben, besitzen und auch außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedenen Besitztums führen zu dürfen. Zur Begründung machte er im Wesentlichen Folgendes geltend:

Für Ärzte als Berufsgruppe bestehe bereits ein deutlich erhöhtes Risiko, Opfer von Angriffen auf Leib und Leben zu werden. Unter den Ärzten seien Psychiater und Allgemeinärzte am meisten gefährdet. Dies könne einem beigefügten Zeitschriftenartikel des Universitätsprofessors Dr. med. Q. , Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität I. , entnommen werden. Er, der Kläger, sei als Allgemeinarzt in eigener Praxis niedergelassen und unterscheide sich erheblich von anderen Kollegen seiner Fachgruppe. Er behandele in seiner Praxis einen außergewöhnlich hohen Anteil von Patienten mit psychiatrischem Krankheitsbild.

Weiterhin habe er die Fachkunde „Suchtmedizinische Grundversorgung“ und substituiere mit besonderer Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung bis zu 10-mal so viele Patienten wie üblicherweise mit der Fachkunde substituiert werden dürften. Weitere Patienten würden durch Kollegen substituiert, welche unter seiner Supervision ständen. Insgesamt seien weit über 500 Patienten mit Opiat-Abhängigkeit sowie weitere Patienten mit anderen Abhängigkeitserkrankungen behandelt worden. Auch übe er die Schwangerschaftskonfliktberatung aus. Häufig werde von ihm der ärztliche Notdienst übernommen (bisher etwa 140 Dienste pro Jahr). Eine weitere Besonderheit bestehe darin, dass er für das Ordnungsamt, Gericht und Polizei häufig für Beurteilungen von Haftfähigkeit, Blutproben, Beurteilung von Suchtkranken und Zwangseinweisungen nach dem PsychKG tätig werde. Er könne zu beliebigen Zeitpunkten, so auch nachts, zu beliebigen Orten durch fingierte Hilferufe bestellt werden und müsse unverzüglich an auch zweifelhafte Adressen fahren, ohne den Anrufer überprüfen zu können. Ein Interesse, ihn in eine solche Situation zu locken, könne vielfältige Gründe haben, z. B. an Medikamente (Opiate, Benzodiazepine), Rezepte, Geld, Kreditkarten oder Stempel zu gelangen. Auch gezielte Racheakte gegen seine Person seien zu befürchten. Er habe schon häufig Drohungen von Patienten nach Zwangseinweisungen, Begutachtungen, Blutentnahmen für die Polizei, nach abgelehnten Leistungen wie der Verordnung von Medikamenten oder der Aufnahme ins Methadonprogramm oder der Erteilung eines Beratungsscheins in der Schwangerschaftskonfliktberatung vom Partner erhalten. Es bestehe auch die Gefahr eines Angriffs durch psychisch erkrankte Patienten, welche ihn im Rahmen einer Beurteilung, z. B. bei der Polizei, kennengelernt hätten, wenn diese bei einem erneuten Schub ihrer Psychose auf ihn träfen und ihn in Verkennung der Realität für ihren Gegner hielten. Es habe bereits mehrfach Bedrohungen in seiner Praxis gegeben, auch mit der Schusswaffe. Bisher hätten sich die Situationen zum Glück jedoch noch anders entschärfen lassen. Es habe auch Drohungen gegen ihn oder seine Familie gegeben.

Andere Waffen (kleiner Waffenschein), Pfefferspray etc. seien nicht ausreichend. Es sei davon auszugehen, dass mögliche Angreifer über Schusswaffen verfügten.

In Kreisen Drogenabhängiger und weiterem kriminellen Umfeld seien auch scharfe Waffen durchaus verbreitet. Eine Gaspistole könnte beim Angreifer den Eindruck einer scharfen Waffe vermitteln und seine Situation eher verschlechtern.

Pfefferspray reiche in solchen Situationen dann nicht mehr aus, da man bei Drogen und Alkoholintoxikation keine sichere Wirkung erziele. Dies habe er bereits im Einsatz bei der Polizei miterleben können. Hunde schieden von vornherein aus, da sie nicht mit auf Hausbesuche genommen werden könnten. Elektroschocker und Taser seien ungeeignet, weil beim Elektroschocker nur kurze Distanz möglich sei und der Taser nur einen Angreifer abwehren könne. Eine Schusswaffe im Kaliber 9 mm oder größer könne geeignet sein, eine ausreichende Mannstoppwirkung zu erzielen. Eine Schusswaffe könne auch bei mehreren Angreifern erfolgreich eingesetzt werden. Als ausgebildeter Notarzt sei er trainiert, auch in Extremsituationen Ruhe zu bewahren und die ihm zur Verfügung stehenden Mittel angemessen einzusetzen.

Nach ablehnender behördeninterner Stellungnahme des Abteilungsstabes GS, Dezernat GS 1 (EPHK C. ), in der es u. a. heißt, dass in den Jahren 2003 und 2004 bislang keine Verfahren zum Nachteil des Klägers polizeilich registriert worden seien, hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 20. September 2004 zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrages auf Erteilung eines Waffenscheins an.

Daraufhin machte der Kläger mit anwaltlichen Schreiben vom 14. und 19. Oktober 2004 im Wesentlichen Folgendes geltend: Die Altfassung der Waffenverwaltungsordnung spreche in Ziffer 32.3.2 von der Zugehörigkeit des Antragstellers zu einem Personenkreis und lasse diese Zugehörigkeit schon ausreichen. Hinzu trete, dass Allgemeinärzte, die wie er, der Kläger, auch Hausbesuche machten, allgemein einem erhöhten Risiko ausgesetzt seien, Opfer von Angriffen auf Leib und Leben zu werden. Seine besondere Situation habe er bereits beschrieben. Nur der Einsatz einer Waffe im konkreten Fall des Angriffs ermögliche ihm die angemessene Notwehr, auf welche er im Übrigen nicht verzichten müsse. Auch wenn er kriminellen Forderungen nachgäbe und etwa einen Rezeptblock herausgeben würde, würde ihn dies nicht vor seiner Tötung zur Verdeckung der Straftat schützen.

Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass immer so überraschend angegriffen werde, dass der Einsatz einer Schusswaffe gar nicht möglich sei. Im Übrigen müsse es ausreichen, dass zumindest nicht überraschenden Angriffen mit der Schusswaffe begegnet werden könne. Das Vorzeigen der Schusswaffe sowie ein etwaiger Warnschuss würden hierbei in aller Regel schon ausreichen.

Nächtliche Hausbesuche in zweifelhaften Gegenden erhöhten sein Risiko. Dies gelte insbesondere für die sogenannte „Englische Siedlung“ in T. sowie den L.———-weg , den F. Weg und die I1.——straße . Er werde auch zu Hausbesuchen in Asylbewerberheimen und Campingplätzen am N. gerufen. Mehrfach sei es vorgekommen, dass Anrufe fingiert gewesen seien. Die angegebenen Adressen hätten nicht bestanden. Aufgesuchte Patienten hätten erklärt, ihn nicht gerufen zu haben. In den genannten Gegenden seien häufig Waffen zu sehen, und zwar Schusswaffen, Schwerter und Messer. Immer wieder habe er es mit Patienten und Angehörigen zu tun, die unter Einfluss von Alkohol und Drogen ständen oder psychisch erkrankt seien.

Im Herbst 2003 sei er in der Englischen Siedlung mit einem Samuraischwert bedroht worden. Er sei gerufen worden, um einer angeblich sterbenden Patientin zu helfen. Er habe eine Unterzuckerung diagnostiziert und die Patientin mit einer intravenösen Zuckergabe behandelt. Ein Anwesender, wahrscheinlich Angehöriger, habe ihn aufgefordert, die Behandlung abzubrechen, da die Patientin krebskrank sei und nicht mehr gerettet werden wolle. Man habe versucht, ihn mit einem Samuraischwert von der Behandlung abzuhalten. Im Gespräch sei es ihm

gelungen, die Situation zu entschärfen.

Bei einer anderen Gelegenheit sei er durch eine Axt bedroht worden. Eine Frau habe ihn nachts angerufen und erklärt, er müsse zu ihrem Ehemann kommen, weil es diesem nicht gut gehe. Beim Eintreffen sei die Haustür des Hauses offen gewesen. Die Anruferin sei von ihrem stark alkoholisierten Mann mit der Axt durch das Haus gejagt worden. Es sei ihm, dem Kläger, gelungen, den Ehemann zu überwältigen. Auf Bitten der Ehefrau sei auf eine Anzeige verzichtet worden, um die Karriere des Ehemannes und die Familie nicht zu zerstören.

Im Juli 2000 sei er in der Praxis durch einen Drogenpatienten mit Pistole und Springmesser bedroht worden. Dieser Patient sei u. a. auf seine Mitwirkung hin inzwischen (auch wegen anderer Straftaten) dauerhaft in einer Forensischen Klinik untergebracht, erhalte aber gelegentlich über das Wochenende Ausgang nach T. .

Im November 2002 sei ihm Gewalt durch einen Patienten angedroht worden, falls der Patient ihm später noch einmal alleine begegnen werde. Der Patient sei von ihm über einen längeren Zeitraum substitituiert und ambulant entzogen worden. Er sei rückfällig geworden und habe von einem Kollegen in einer anderen Stadt Suchtmittel erhalten, welche er dem Patienten aber nicht mehr habe geben wollen.

Der Patient habe nun von ihm unverzüglich substituiert werden wollen, und zwar mit einer Kombination aus Opiaten und Benzodiazepinen. Darüber hinaus habe er weiterhin ein wohlwollendes Gutachten für das Gericht erwartet.

Für spätere Zeitpunkte sei ihm Gewalt angedroht worden. Es habe sich um zwei Blutentnahmen und Beurteilungen für Polizei oder Gericht gehandelt. Dies sei in verschiedenen Fällen durchaus ernst zu nehmen, da die „Drohbanden“ (gemeint: Probanden) mehrfach wegen Gewalttaten in Erscheinung getreten seien.

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Ein Patient habe ihm erklärt, er könne einige andere Patienten im Wartezimmer nicht ertragen. Falls er diesen erneut begegnen würde, würden er ihnen „den Kopf weghauen“ oder wahlweise ihm selbst. Der Patient sei nach eigenen Angaben bereits wegen eines Tötungsdelikts und schwerer Körperverletzung bestraft und wegen Haftunfähigkeit entlassen worden. Er habe erklärt, ihm könne sowieso niemand mehr etwas anhaben. Dies sei im Januar 1999 geschehen.

Mitte 2002 habe ein Patient im Wartezimmer eine Automatikpistole gezogen, diese durchgeladen und wieder eingesteckt und sei dann ins Sprechzimmer gekommen.

Im Gespräch mit ihm habe er ihm mit Grinsen im Gesicht erklärt, dass er seine ablehnende Meinung zur gewünschten Behandlung sicher überdenken werde. Er habe diesen Fall der Polizei gemeldet, die jedoch gemeint habe, eine Anzeige sei zwecklos, weil die Pistole zu Hause schon sicher gegen eine Spielzeugpistole ausgetauscht und nicht mehr auffindbar sei. Die Polizei habe geraten, keine Anzeige zu erstatten, weil ohnehin nichts zu beweisen sein werde.

In verschiedenen Fällen sei ihm versteckt in der Praxis gedroht worden. Es seien dann Bemerkungen wie „wir wollen uns doch auch nachts begegnen können“ gefallen. In einem anderen Fall habe es geheißen: „Sie haben doch auch Kinder“ oder „manchmal, wenn ich so wütend bin, könnte ich auch gewalttätig werden“. In einem weiteren Fall sei ihm gesagt worden: „das kann man schon verstehen, wie das den Bankern gehen kann, wenn sich jemand machtlos fühlt“. In diesem Fall sei auf einen Fall angespielt worden, in dem ein Bankkunde einen Bankdirektor in N. erschossen habe, als die Bank Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen diesen Kunden habe vornehmen wollen.

Im Jahre 2003 habe ein Patient von ihm die Diagnose erhalten, krebskrank zu sein. Zuvor sei ihm in der Universitätsklinik gesagt worden, es handele sich um einen gutartigen Tumor. Der Patient habe nun gemeint, die Ärzte seien schuld und habe angekündigt, diese alle erschießen zu wollen.

Zudem sei ihm durch Drogenabhängige im Zusammenhang mit der Substitutionstherapie mehrfach Gewalt angedroht worden.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2004 lehnte der Beklagte die Erteilung des beantragten Waffenscheins ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Es liege kein Bedürfnis zum Führen einer Waffe außerhalb der eigenen Wohnung, den eigenen Geschäftsräumen und dem eigenen befriedeten Besitztum vor. Ärzte würden als Berufsgruppe nicht besonders häufig Opfer von Straftaten.

Insbesondere seien im Kreis T. in den vergangenen Jahren keine entsprechenden Vorfälle bekannt geworden. Bei den vom Kläger zitierten Angriffen handele es sich um Einzelschicksale, die sich im Verlauf von etwa 30 Jahren zugetragen hätten und nicht geeignet seien, eine besondere Gefährdung der Berufsgruppe der Ärzte zu belegen. Soweit der Kläger auf die Möglichkeit verweise, durch fingierte Hilferufe etc. in bedrohliche Situationen gelockt werden zu können, handele es sich um eine subjektive Einschätzung. Ausschlaggebend sei jedoch, dass der Betroffene bei realistischer Betrachtung der gegebenen Verhältnisse überdurchschnittlich gefährdet sei. Der Kläger habe zwar verschiedene Vorfälle angeführt, bei denen er durch Patienten oder deren Angehörige bedroht worden sein solle. In den letzten beiden Jahren seien bei der hiesigen Polizei allerdings keine gegen seine Person gerichteten Straftaten, Bedrohungen oder Ähnliches angezeigt worden. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Kläger die Vorfälle

zum Zeitpunkt des Geschehens selbst als nicht so gravierend eingeschätzt habe.

Selbst wenn man aufgrund der vom Kläger geschilderten Vorfälle eine besondere Gefährdung bejahen sollte, sei das Bedürfnis zu verneinen, wenn sich die Gefährdung auf zumutbare Weise ebenso mindern lasse wie durch das Führen einer Schusswaffe. Dies sei immer dann der Fall, wenn auch eine weniger gefährliche Waffe als die beantragte ausreiche. Eine mögliche Gefährdung in seinen Wohn- und Praxisräumen könnte der Kläger beispielsweise durch die Installation einer Türsprechanlage oder einer Alarmanlage wirksam begegnen.

Darüber hinaus habe er aufgrund seines Jagdscheins bereits einen Revolver erworben. Diesen dürfe er in seinem befriedeten Besitztum auch ohne Waffenschein führen. Auch außerhalb seines befriedeten Besitztums sei eine Schusswaffe nicht erforderlich, um einer Gefährdung wirksam zu begegnen. So setze z. B. die deutsche Polizei in Bedrohungssituationen vorrangig ein Pfefferspray ein. Vergleichbare Reizstoffsprühgeräte mit amtlicher Zulassung (sog. BKA-Raute) seien im Handel erhältlich. Es sei nicht ersichtlich, warum diese Waffen in seinem Fall nicht ausreichen sollten.

Mit Schreiben vom 2. Februar 2005 legte der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten vom 29. Dezember 2004 Widerspruch ein, ohne diesen weiter zu begründen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2005 wies die Bezirksregierung B. den Widerspruch aus den Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.

Am 7. Januar 2006 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen noch Folgendes geltend macht: Über die bereits genannten Fälle hinaus erhalte er regelmäßig fingierte Anrufe, so dass er jederzeit mit Überfällen oder Einbrüchen rechnen müsse. Einmal sei im laufenden Betrieb ein Stempel gestohlen worden, um Gutachten zu fälschen. Mindestens bei zwei verschiedenen Gelegenheiten habe es Versuche gegeben, in die Praxis einzubrechen. In einem Fall sei er in der Praxis gewesen und habe den Täter an der Eingangstür überrascht. In einem anderen Fall habe der Täter den Zugang über den rückwärtigen Garten versucht. Auch dieser Fall sei der Polizei gemeldet worden. Diese habe Spuren im Schnee im Garten festgestellt. Die Spuren seien eingehend betrachtet, jedoch nicht gesichert worden. Die Polizei habe versprochen, besonders aufmerksam zu sein. Bei einem Notruf müsse er helfen.

Er könne nicht aufwendig prüfen, ob der Notruf echt sei. Er könne auch keinen Polizeischutz anfordern. Es sei überdies anzunehmen, dass die Polizei nicht bereit und in der Lage wäre, jeden möglicherweise zweifelhaften Krankenbesuch zu begleiten.

Der Mann, der ihn mit dem Samuraischwert bedroht habe, sei vermutlich Albaner gewesen. Im Fall einer Anzeige hätte er davon ausgehen müssen, dass man alles abgestritten hätte.

Der Drogenpatient sei nach seiner Kenntnis zwischenzeitlich wieder entlassen und solle sich in L1. aufhalten. Die Pistole, mit der er bedroht worden sei, sei eine Schreckschusspistole gewesen. Diese sei ihm direkt an den Kopf gehalten worden.

Außerdem sei ein weiterer bedeutender Zwischenfall anzuführen: Ein türkischer drogenabhängiger Patient habe unter starkem Drogeneinfluss in seiner Praxis damit angegeben, er und weitere Personen spielten eine bedeutende Rolle und planten, jemanden, der bald aus der Haft eines bestimmten Gefängnisses entlassen werde, ermorden zu wollen. Der Betreffende habe den Tod verdient, weil er der Familie des Patienten durch Gewalttaten geschadet und diese der Polizei „verpfiffen“ habe. Der damalige Fall habe sich im Drogen- und Rotlichtmilieu einer bestimmten Großstadt abgespielt. Mit dieser Geschichte habe er, der Kläger, sich seinerzeit an das Bundeskriminalamt in X. gewandt. Man habe ihm zu verstehen gegeben, man werde sich für den Betreffenden aus der Haft zu entlassenden um eine neue Identität und um Entlassung zu einem anderen Zeitpunkt bemühen. Er, der Kläger, möge sich aus allem heraushalten. Auch an diesem Beispiel könne man sehen, dass er aufgrund seines Berufes zwangsläufig mit gewaltbereiten und bewaffneten Personen in Kontakt komme.

Er gehöre immerhin zu den 10 größten Zuweisern der erwähnten psychiatrischen Klinik in M. , welche ihm dies auch bescheinigt habe.

Seit Jahrzehnten sei bekannt, dass Ärzte überdurchschnittlich oft Opfer von Gewalttaten würden, wie sich beispielsweise aus einer Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. November 1970 (III VG 726/69) ergebe. Die damals angelegten Maßstäbe seien auch heute trotz geänderter Gesetzeslage noch gültig.

In einer im Deutschen Ärzteblatt Heft 4 Jahrgang 98 ab Seite A 953 wiedergegebenen Untersuchung werde festgestellt, dass Ärzte, zumal diejenigen, die mit psychisch Auffälligen und Suchtkranken arbeiteten, bei den Berufen, die einer besonderen Gefährdung unterlägen, in der Berufsausübung durch Gewalteinwirkung das Leben zu verlieren, an vierter Stelle in Deutschland

rangierten.

Als im Jahre 2002 ein Patient im Wartezimmer der Praxis eine Automatikpistole gezogen habe, diese durchgeladen habe und wieder eingesteckt habe, habe er dies der zuständigen Vollzugspolizei zur Anzeige gebracht. Dort habe man ihm bedeutet, der Täter sei amtsbekannt, gelte als gefährlich, man könne aber zur Zeit keine Straftaten nachweisen, die zu einer Festnahme führen würden. Man habe ihm deshalb davon abgeraten, eine Anzeige zu Protokoll zu geben, um den Täter nicht noch mehr aufzubringen. Diesem fürsorglichen „Rat“ der zuständigen Polizei sei er gefolgt, weshalb sich beim Beklagten keine Anzeigenvorgänge befänden.

Dies ändere jedoch nichts an einer Gefährdung.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 29. Dezember 2004 sowie des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung B. vom 30. November 2005 zu verpflichten, ihm gemäß § 19 Abs. 2 WaffG eine Erlaubnis zum Führen einer Pistole mit dem Kaliber 40 S&W oder alternativ mit dem Kaliber 357 SIG oder 9 mm Parabellum zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung macht er im Wesentlichen noch Folgendes geltend: Die aufgrund seines Jagdscheines berechtigt erworbene Waffen dürfe der Kläger innerhalb seines befriedeten Besitztums auch ohne Waffenschein führen. Es werde eine Beratung in Sicherheitsfragen durch die Polizei angeboten. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen habe in einer angeforderten Stellungnahme Folgendes ausgeführt: „Straftaten zum Nachteil von Ärzten werden in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht gesondert ausgewiesen. Eine Beurteilung der Gefährdungslage kann von hier nur anhand einer Auswertung von Mitteilungen erfolgen, die dem LKA im Rahmen des kriminalpolizeilichen Meldedienstes durch die Kreispolizeibehörden gemeldet werden. Eine Recherche für die Jahre 2000 bis zum 12. März 2006 in den Bereichen ‚Bedrohung‘ (nicht generell meldepflichtig) und ‚Kapitaldelikte‘ (umfassend meldepflichtig) ergab keine Hinweise darauf, dass Ärzte mit einem hohen Anteil von Patienten mit psychiatrischem Krankheitsbild und Opiatabhängigkeit Opfer solcher Delikte geworden sind.“

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung B. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat (nur) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 29. Dezember 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung B. vom 30. November 2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO, weil der Kläger nach der Überzeugung der Kammer und abweichend von den in den Bescheiden dargelegten Erwägungen grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines Waffenscheins besitzt. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, da es gemäß § 9 WaffG im Ermessen des Beklagten steht, die begehrte Erlaubnis inhaltlich zu beschränken bzw. mit Auflagen und/oder Befristungen zu versehen. Der Beklagte ist deshalb gemäß § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Als Rechtsgrundlage für den mit der Verpflichtungsklage verfolgten Anspruch kommen im vorliegenden Fall allein die Vorschriften der §§ 4 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 4 und 19 Abs. 1, 2 WaffG in Betracht. Von den in § 4 Abs. 1 WaffG bezeichneten Voraussetzungen braucht im gegebenen Zusammenhang lediglich das in Nr. 4 daselbst angesprochene Bedürfnis erörtert zu werden. Sonstige Gründe, die der Erteilung des Waffenscheins entgegenstehen würden, sind auch

nach der Ansicht des Beklagten nicht gegeben; namentlich sind weder die erforderliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG) noch die Sachkunde (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 WaffG) zweifelhaft. Welche Umstände ein Bedürfnis zu begründen imstande sind, ist in § 8 WaffG abschließend aufgezählt.

Von den dort bezeichneten Tatbeständen kommt allein die „gefährdete Person“ in Betracht, bei der ein Bedürfnis nur anzunehmen ist, wenn und soweit die Voraussetzungen des § 19 WaffG erfüllt sind. Danach muss die betreffende Person zunächst wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib oder Leben gefährdet sein (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG); zudem muss die Schusswaffe geeignet und erforderlich sein, diese Gefährdung zu mindern (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 WaffG). Im vorliegenden Fall ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass in der Person des Klägers beide Merkmale des § 19 Abs. 1 WaffG erfüllt sind.

Der Gesetzgeber – nicht die Behörde und auch nicht das Gericht – räumt mit § 19 Abs. 2 WaffG die Möglichkeit ein, dass auch Privatpersonen, die nicht schon kraft ihres Amtes (etwa als Polizeibeamter) oder Berufs (etwa als Mitarbeiter eines Bewachungsunternehmens) befugt sind, eine Schusswaffe zu tragen, derart gefährdet sein können, dass ihnen die Erlaubnis zum Führen einer Schusswaffe erteilt werden muss. Auch wenn es in den Motiven zu § 19 Abs. 2 WaffG heißt, dass hier „im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit des Führens von Schusswaffen im öffentlichen Bereich ein besonders strenger Maßstab bei der Prüfung dieses Bedürfnisses anzulegen“ ist (vgl. BT Drs. 14/7758 S.66 1. Sp. „Zu Absatz 2“) muss es demnach Ausnahmefälle geben, in denen diese Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Auslegung und Anwendung des § 19 WaffG, die diesen „strengen Maßstab“ überspannt und zum Ergebnis hat, dass unter keinen Umständen einer Privatperson eine waffenrechtliche Erlaubnis erteilt werden kann, liefe dem Gesetz ersichtlich zuwider. Unter den vom Kläger geschilderten Umständen jedenfalls ist hier ein Ausnahmefall gegeben. Der Kläger hat grundsätzlich ein Bedürfnis zum Führen einer Schusswaffe i.S.d. § 10 Abs. 4 S. 1, § 8 i.V.m. § 19 Abs. 2 WaffG.

Zunächst ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass das Gesetz lediglich die Glaubhaftmachung und nicht den vollen Beweis einer besonderen Gefährdung verlangt. Insoweit können bereits die eigenen Bekundungen des zur Glaubhaftmachung Verpflichteten ausreichen (vgl. § 294 ZPO), wobei das Gericht bzw. die Behörde selbstverständlich intensiv zu prüfen hat, ob die betreffenden Ausführungen geeignet sind. Der Kläger hat im Sinne von § 19 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 WaffG „glaubhaft gemacht“, dass er auch außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedeten Besitztums wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib oder Leben gefährdet ist. Auch wenn diese Gefährdung an den Beruf des Klägers anknüpft, sind nicht etwa schematisch alle Angehörigen seiner Berufsgruppe betroffen. Vielmehr befindet sich der Kläger auch als Arzt in einer Ausnahmesituation. Hierfür sprechen die eindrucksvoll von ihm geschilderten und im Tatbestand nachzulesenden Beispiele aus der Vergangenheit, wobei die Vorfälle innerhalb seiner Praxis seine Gefährdung außerhalb indizieren bzw. untermauern. Unerheblich ist, dass in jüngster Vergangenheit keine Notwehrlagen mehr eingetreten sind. An der konkreten Gefährdung des Klägers, insbesondere den Besonderheiten seiner Tätigkeit, seines Patientenstamms, den Noteinsätzen, den Örtlichkeiten mit den von ihm beschriebenen Sozialstrukturen und dem insgesamt hiermit verbundenen hohen Risiko hat sich nichts verändert. Statistisch konstruierte Verbesserungen aus letzter Zeit schützen den Kläger nicht. Die Gefahr leib- oder sogar lebensgefährdender Angriffe wird dadurch nicht ausgeräumt. Der „statistische Ausrutscher“ kann den Kläger das Leben kosten. Soweit der Beklagte Zweifel an den Darstellungen des Klägers hegt, weil die von ihm genannten Vorfälle im Wesentlichen nicht aktenkundig seien, vermag die Kammer dem nicht zu folgen.

Auch diesbezüglich hat der Kläger überzeugend dargelegt, warum jeweils kein Vorgang angelegt wurde. Die Erklärungen des Klägers sind auch aus dem Gericht bekannten Gründen plausibel, nämlich offensichtlich auf Personalmangel bei der Polizei, den Staatsanwaltschaften und der Strafgerichtsbarkeit zurückzuführen. Ein überlasteter Polizist, der immer wieder erleben muss, dass seine Ermittlungsarbeit auch dann in Verfahrenseinstellungen mündet, wenn ein hinreichender Tatverdacht besteht, neigt (menschlich nachvollziehbar) dazu, dem Ergebnis durch

entsprechende Hinweise vorzugreifen und sich die Ermittlungsarbeit zu ersparen.

Das Führen der Schusswaffe und Munition ist gemäß § 8, § 19 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 WaffG grundsätzlich auch geeignet und erforderlich, die Gefährdung des Klägers zu mindern. Allerdings steht es im Ermessen des Beklagten, die Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 1 und 2 WaffG inhaltlich zu beschränken bzw. mit Auflagen und Befristungen zu versehen.

Das Führen der Waffe ist i.o.g. Sinne grundsätzlich „geeignet“. Zu diesem Tatbestandsmerkmal heißt es in einer jüngeren obergerichtlichen Entscheidung, der die Kammer ohne weiteres folgt:

„Soll die Waffe – wie hier – der Selbstverteidigung dienen, bedarf es einer Abwägung zwischen dem persönlichen Interesse des Antragstellers an der Verbesserung seiner Sicherheit und dem öffentlichen Interesse daran, die Verbreitung und die Anzahl von Waffen möglichst gering zu halten. Demzufolge besteht ein Bedürfnis nur dann, wenn das Führen einer Waffe zur Verminderung der Gefährdung geeignet ist. Dies ist der Fall, wenn in einer typischen Verteidigungssituation eine erfolgreiche Abwehr zu erwarten ist.“

So zuletzt noch OVG für das Land Rheinland-Pfalz (OVG Rh.-Pf.), Beschluss vom 23. Mai 2007 – 7 A 11492/06 -, nach juris.

Der Kläger hat nachvollziehbar geschildert, die Waffe versteckt unter seiner Kleidung in einem Lederholster am Gürtel tragen zu können. Aus dieser Position heraus ließe sich die Waffe in einer Notwehrlage ähnlich schnell ziehen, wie es Polizeivollzugsbeamten im Einsatz möglich ist. Die Kammer verkennt nicht, dass es Überraschungsangriffe geben kann, die es dem Kläger unmöglich machen würden, die Waffe zu gebrauchen. Das Gesetz sieht jedoch nur vor, dass der Kläger glaubhaft macht, das Führen der Waffe sei geeignet, die Gefährdung zu „mindern“. Eine solche Gefährdungsminderung läge vor. Soweit der Beklagte einwendet, dass ein Täter durch den Einsatz einer Schusswaffe provoziert würde, noch eher anzugreifen, bezweifelt die Kammer dies, weil der Überlebenstrieb des Täters in aller Regel stärker sein dürfte als seine Angriffslust. Mit einer Schusswaffe wäre der Kläger in die Lage versetzt, den entschlossen handelnden Täter zu stoppen. Waffen sollen nicht dem Täter-, sondern dem Opferschutz dienen. Ein Täter, der angreift, obwohl das Opfer sich mit einer Schusswaffe verteidigt, handelt auf eigene Gefahr.

Es spricht auch Überwiegendes dafür, dass der Kläger die Schusswaffe derzeit in einer Notwehrlage sachgerecht einsetzen könnte. Es mag zwar sein, dass die Jagdscheininhaberschaft den Kläger allein noch nicht ausweist, befähigt zu sein, eine Schusswaffe verteidigungsgerecht einsetzen zu können, so OVG Rh.-Pf. aaO. im Falle eines Sportschützen mit dem Ergebnis der Notwendigkeit eines Lehrganges nach §§ 22, 23 AWaffV.

Durch seine besonnenen Reaktionen in der Vergangenheit hat der Kläger indes zur Überzeugung der Kammer bewiesen, dass er in Notwehrlagen Ruhe bewahrt und damit die Hauptvoraussetzung im Umgang mit Waffen zur Verteidigung erfüllt.

Die Kammer geht weiter davon aus, dass der Kläger den Einsatz der mitgeführten Waffe schon aus berufsethischen Gründen lediglich als letztes Mittel begreift und – wie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargestellt – ihn in aller Regel darauf beschränken würde, mit der Waffe zu drohen, notfalls auch durch Abgabe eines Warnschusses. Schließlich tritt hinzu, dass der Kläger als Jäger mit dem Einsatz von Waffen und namentlich ihrer mitunter tödlichen Wirkung vertraut ist, was ihn im Übrigen gerade vom Sportschützen im zitierten Fall des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz unterscheidet. Nicht zuletzt verfügt er als Arzt über genaue Kenntnisse des menschlichen Körpers und weiß deshalb die Wirkung einer Schussverletzung einzuschätzen.

Der Kläger hat auch glaubhaft gemacht, dass das Führen der Schusswaffe außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedeten Besitztums „erforderlich“ i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 WaffG sein kann, seine Gefährdung zu mindern. Er hat überzeugend vorgetragen und durch Beispiele belegt, dass er in nicht wenigen Fällen bei ärztlichen Einsätzen (auch) außerhalb seiner Praxis massiv bedroht wurde. Die Angreifer standen zum Teil unter dem Einfluss berauschender Mittel und waren mehrfach schwer bewaffnet. Die Kammer schreibt es dem psychologischen Geschick des Klägers in Fragen der Deeskalation und nicht zuletzt dem Zufall zu, dass der Kläger bislang bei seinen Einsätzen noch nicht durch einen Angriff verletzt wurde. Die Kammer vermag nicht darauf zu vertrauen, dass der Kläger auch in Zukunft in jedem Falle in der Lage sein wird, die Notwehrlage mit friedlichen Mitteln zu entschärfen. Die vom Kläger glaubhaft geschilderten Fälle sprechen hier für sich.

Der Kläger kann etwaigen Notwehrsituationen auch nicht aus dem Weg gehen. Er ist beruflich gehalten und Kraft seines Gelöbnisses (vgl. http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Genf.pdf: „Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden“) sogar verpflichtet, kranken Menschen ärztliche Hilfe zukommen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn er etwa zur Nachtzeit in soziale Brennpunkte gerufen wird. Eine Wiederholung nach der Art der geschilderten Angriffe mit weiteren Eskalationen steht zu erwarten. Angesichts der anzunehmenden Frequenz derartiger Einsätze mit Gefährdungspotential erscheint es unpraktikabel, wenn nicht unmöglich, jedes Mal Polizeischutz zu erlangen. Insofern unterscheidet sich der Kläger auch von anderen bei ihrer Berufsausübung potentiell gefährdeten Personen, die ihre Tätigkeit auf die Gefährdungslage ausrichten können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa das Urteil vom 24. Juni 1975 – I C 25.73 – Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) Bd. 49 Seite 1 ff) liegt ein Bedürfnis nicht vor, wenn nach den Umständen des einzelnen Falles die Waffe zur Minderung der Gefährdung nicht erforderlich oder nicht geeignet ist. Sie ist nicht erforderlich, wenn sich die Gefährdung auf andere zumutbare Weise verhindern oder ebenso mindern lässt wie durch eine Schusswaffe. Ein Juwelier etwa muss nicht zur Nachtzeit einer potentiellen Kundin kostbarsten Schmuck in deren Privatwohnung präsentieren; er kann für diesen Vorgang auf die hellen Tagesstunden ausweichen oder er kann sich der Hilfe eines Sicherheitsdienstes bedienen (vgl. VG Düsseldorf, Urt. vom 29. September 2004 – 18 K 7576/03 -, zitiert nach „Juris“).

Auch ein in der Sozialabteilung tätiger Beamter, der in Ausübung seines Berufs unterschiedlichsten Gefahren ausgesetzt ist, kann diese durch eine darauf abgestellte Arbeitsweise mindern, sodass er auf eine Schusswaffe nicht angewiesen ist (vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 25. März 2004 – 12 A 11775/03 -, Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland Band 31 Seite 170 ff).

Der Kläger hingegen muss seinem Beruf anlassbezogen und ohne Rücksicht auf Tageszeiten und örtliche Gegebenheiten nachgehen und ist dabei den von ihm geschilderten Gefahren ausgesetzt. Insofern weicht der vorliegende Sachverhalt auch von denjenigen Konstellationen ab, welche die früher für das Waffenrecht zuständigen Kammern des erkennenden Gerichts zu beurteilen hatten: Mit Urteil vom 21. März 1984 – 8 K 1438/83 – hatte die 8. Kammer die Klage einer in einer mittelgroßen Stadt im nördlichen Sauerland ansässigen Allgemeinärztin auf Erteilung eines Waffenscheins abgewiesen, nachdem die Klägerin keine konkrete Gefährdungssituationen darlegen konnte. Die 3. Kammer verneinte in ihrem Urteil vom 8. März 1991 – 3 K 991/90 – die besondere Gefährdung eines im Hochsauerland niedergelassenen Zahnarztes, weil keinerlei konkrete Anhaltspunkte hierfür erkennbar waren. Im vorliegenden Fall hingegen hat der Kläger anhand zahlreicher Begebenheiten seine persönliche Gefährdung in einer für die Kammer in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Weise belegt und glaubhaft gemacht.

Weniger gefährliche Mittel als eine Schusswaffe sind nicht geeignet, die Gefährdung des Klägers zu mindern. Eine Schusswaffe ist erforderlich. Bei einer vom Beklagten angebotenen Beratung durch die Polizei wird der Kläger keine wesentlich gewinnbringenden Erkenntnisse erlangen können, welche seine Gefährdung verringern könnten. Eine Beratung ändert nichts daran, dass sich der Kläger in gefährliche Situationen begeben muss. Mit Pfefferspray und Schutzweste ist er bereits ausgerüstet. Als Arzt kennt er die menschlichen Stärken und Schwächen. Aus vielfacher ganz persönlicher Erfahrung weiß er, wie er deeskalierend eingreifen kann. Eine Gas- oder Schreckschusspistole vermag den entschlossenen Täter nicht aufzuhalten, weil es bei notwendigem Einsatz an der hinreichenden körperlichen Einwirkung mangelt und die Täuschung, es handele sich um eine „scharfe Waffe“, nicht sicher fruchtet.

Die Kammer verkennt nicht, dass der auch von der Polizei verwendete Pfefferspray in einigen Fällen erfolgreich eingesetzt werden könnte. Der Kläger hat indes anschaulich und überzeugend geschildert, dass gerade seine „Patienten“ unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen hierdurch nicht sicher aufzuhalten sind. Sowohl bei der Gaspistole als auch beim Pfefferspray sind verhältnismäßig geringe Distanzen zum Angreifer notwendig, welche den Einsatz unzumutbar erschweren. Entsprechendes gilt beim Elektroschocker. Ein Taser stellt schon deshalb kein geeignetes milderes Mittel der Abwehr dar, weil nur ein Schuss abgegeben werden kann, um den Angreifer über die auf ihn verschossenen Leitungen zu elektrisieren. Die Möglichkeit des bloßen, oft jedoch eindrucksvollen Warnschusses fehlt.

Gleichwohl sieht sich die Kammer außer Stande, dem Begehren des Klägers uneingeschränkt zu entsprechen. Die Abwägung des berechtigten Schutzbedürfnisses des Klägers mit dem Interesse der Allgemeinheit daran, möglichst wenig Waffen ins Volk gelangen zu lassen, verlangt nach einer Ermessensentscheidung des Beklagten gemäß § 9 WaffG, welcher das Gericht nicht vorzugreifen hat. Danach kann eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung inhaltlich beschränkt werden, insbesondere um Leben und Gesundheit von Menschen gegen die aus dem Umgang mit Schusswaffen oder Munition entstehenden Gefahren und erheblichen Nachteile zu schützen. Der vom Kläger begehrte uneingeschränkte Waffenschein würde den notwendigen Schutz unnötig zu Lasten des Allgemeininteresses ausweiten. „Möglichst wenig“ bedeutet hier nämlich, dass die Entscheidung die Waffengröße, den Einsatzort, die Einsatzzeit, die Einsatzumstände und den nachhaltigen Nachweis der persönlichen Befähigung des Klägers zum Einsatz einer Schusswaffe in Notwehrsituationen abzuwägen hat, ohne freilich aus dem Blickfeld zu verlieren, dass der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Waffenscheines hat.

Der Kammer ist es verwehrt, in diesem Urteil inhaltlich auf den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 7. November 2007 einzugehen. In Anwendung von § 104 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat der Vorsitzende die mündliche Verhandlung am 5. November 2007 um 12.36 Uhr geschlossen. Anschließend hat die Kammer in der Besetzung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 VwGO die Sache beraten und wesentliche Bestandteile des Urteils, nämlich die Urteilsformel (§ 117 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie auch die tragenden Entscheidungsgründe (§ 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) festgelegt. Nur diese gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern erörterten Gesichtspunkte können in die Entscheidungsgründe einfließen, nachträgliche Ausführungen der Parteien sind hingegen ausgeschlossen.

In der Besetzung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 VwGO hat die Kammer geprüft, ob auf der Grundlage von § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen ist. Dies ist nicht der Fall. Die mündliche Verhandlung ist unter anderem wieder zu eröffnen, wenn ein in zulässiger Weise nachgereichter Schriftsatz in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht wesentlich neues Vorbringen enthält, das eine Erörterung der Streitsache nach § 104 Abs. 1 VwGO erforderlich macht (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Auflage (2003) § 104 Rand-Nr. 11).

Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 7. November 2007 gerade nicht um einen zulässiger Weise nachgereichten Schriftsatz.

Wenngleich der Schriftsatz vom 7. November 2007 sonach nicht der Bestimmung des § 283 ZPO entspricht, hat das Gericht gleichwohl geprüft, ob die mündliche Verhandlung nach pflichtgemäßem Ermessen wieder aufzunehmen ist. Das Gericht hat diese Frage verneint, weil der Schriftsatz keine Anhaltspunkte für die Annahme enthält, der Sachverhalt sei zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch nicht hinreichend geklärt gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.

Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 S. 1 VwGO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und beruht nicht auf einer Abweichung von Entscheidungen der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte. Einen Rechtssatz, wonach ein Facharzt für Allgemeinmedizin in Ansehung seiner Berufstätigkeit die Erteilung eines Waffenscheins generell nicht beanspruchen kann, hat die ober- und höchstrichterliche Verwaltungsrechtsprechung nicht aufgestellt.

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