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Schwerhöriger Patient – keine Arglist beim Abschluss einer Zusatzversicherung


Oberlandesgericht Karlsruhe

Az: 12 U 159/13

Urteil vom 29.07.2014


Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand eines Zusatzkrankenversicherungsvertrags sowie um die Leistungspflicht der Beklagten auf dessen Grundlage.

Am 11.11.2008 nahm der Kläger einen Behandlungstermin bei seinem damaligen Zahnarzt, dem Zeugen Dr. H., wahr. In dessen Patientenkartei findet sich insoweit unter dem 11.11.2008 u. a. folgender Eintrag:

„Eingehende Untersuchung, Röntgen, Beratung, Anamnese; (…)
22 Lockerung II; Knochenabbau etwas bis zur Wurzelmitte, Lockerung voraussichtlich durch apik.PA verstärkt, Ber über notwendige PA-Beh., Info mitgegeben, will sich im Januar melden“

Der sehr schwerhörige Kläger beantragte am 10.12.2008 unter Zuhilfenahme einer selbständigen Versicherungsmaklerin gegenüber der Beklagten für sich den Abschluss eines privaten Zusatzkrankenversicherungsvertrages zu den Tarifen C-maxi und C-clinic2. Unter Ziffer 6 der im Antragsformular aufgeführten Fragen zu den „Gesundheitsverhältnissen und Zusatzfragen“ heißt es:

„Findet zur Zeit eine Zahnbehandlung, die Anfertigung oder Erneuerung von Zahnersatz, eine Parodontosebehandlung oder eine Kiefer-(Zahn-)Regulierung statt, oder sind solche Maßnahmen beabsichtigt oder angeraten worden?“

Hierauf antwortete der Kläger mit „nein“. Daraufhin nahm die Beklagte den Antrag an und übersandte dem Kläger den Versicherungsschein vom 22.01.2009. Versicherungsbeginn war der 01.01.2009. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), die Zusatzbedingungen für den Tarif C..maxi und die Zusatzbedingungen für den Tarif C-clinic2 zugrunde.

Seit 01.11.2007 bestand für den Kläger eine Zahn-Zusatzkrankenversicherung bei der H. Krankenversicherung AG zu den dortigen Tarifen EZ und EZE, wobei insoweit eine Erstattung von 50 % der Aufwendungen für Zahnersatz in Ergänzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung vereinbart war. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den vorgelegten Versicherungsschein und die Tarifbedingungen Bezug genommen. Mit Schreiben vom 24.06.2009 kündigte der Kläger die Zahn-Zusatzversicherung bei der H-Versicherung; der dortige Versicherungsvertrag endete zum 31.12.2009.

Anfang 2009 erkrankte der Kläger schwer und befand sich in der Folge mehrfach in stationärer Krankenhausbehandlung. Die Beklagte erbrachte insoweit auf der Grundlage des streitgegenständlichen Zusatzkrankenversicherungsvertrages Leistungen in Höhe von 21.369,76 €.

Die nächste Behandlung bei Dr. H. fand am 08.12.2009 wegen eines abgebrochenen Zahnes statt.

Im Januar 2011 stellte Dr. S., der derzeitige Zahnarzt des Klägers, eine chronische Parodontitis fest und riet dem Kläger zu einer Parodontosebehandlung, die der Kläger in der Folgezeit auch durchführen ließ. Hierfür entstanden Kosten in Höhe von 2.484,97 €, welche der Kläger gegenüber der Beklagten geltend machte. Zum Zwecke der Feststellung des Versicherungsfalls und zur Überprüfung ihrer Leistungspflicht befragte die Beklagte den Zahnarzt Dr. H., der den Kläger bis Ende 2010 versorgt hatte. Dr. H. erteilte mit Schreiben vom 14.02.2011 die erbetenen Auskünfte unter Übersendung eines Auszuges aus der Patientenkartei, der u. a. die Eintragungen zum Termin am 11.11.2008 enthielt.

Mit Schreiben vom 08.07.2011 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Anfechtung des Zusatzkrankenversicherungsvertrages wegen vorsätzlicher arglistiger Täuschung. Mit weiterem Schreiben vom 05.10.2011 forderte die Beklagte im Hinblick auf die erklärte Anfechtung bereits erbrachte Leistungen zu dem Tarif C-clinic.2 in Höhe von 21.369,76 € zurück.

Zwischenzeitlich erhielt der Kläger umfassenden neuen Zahnersatz. Nach Abzug der Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse belief sich der Eigenanteil des Klägers auf 4.924,02 €.

Der Kläger hat behauptet, seine Angaben im Fragebogen nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben. Ein Behandlungsbedarf sei ihm zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht bekannt gewesen. Die Behandlung am 11.11.2008 habe lediglich die jährliche Routineuntersuchung umfasst. Er sei von Dr. H. nicht über das Vorliegen einer chronischen Parodontitis aufgeklärt worden. Auch sei ihm keine entsprechende Behandlung angeraten oder Informationen mitgegeben worden. Er habe auch nicht erklärt, sich im Januar des folgenden Jahres wegen einer Behandlung melden zu wollen. Aufgrund seiner Schwerhörigkeit sei es ihm auch nicht möglich gewesen, Hinweise des Zahnarztes wahrzunehmen, zumal er während der Behandlung die Hörgeräte ablege. Er habe Anspruch auf Erstattung von 90 % der ihm durch die Zahnersatzbehandlung entstandenen Kosten entsprechend 4.431,62 €. Ein Fall der Vorvertraglichkeit liege nicht vor. Die von der Beklagten erklärte Anfechtung – ihre Rechtswirksamkeit unterstellt – erfasse allenfalls den Zusatzkrankenversicherungsvertrag bezüglich Zahnersatz. Es handle sich im Hinblick auf den Tarif C-clinic2 einerseits und den Tarif C-maxi andererseits um zwei rechtlich selbständige Verträge.

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.431,67 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der private Krankenversicherungsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten mit der Versicherungsnummer … zum Tarif C-clinic2 und C-maxi rechtswirksam zustande gekommen ist, unverändert Bestand hat und nicht durch Rücktritt, Kündigung oder sonstiges Gestaltungsrecht der Beklagten wieder aufgehoben wurde und der Kläger daher nicht verpflichtet ist, an die Beklagte 21.369,76 € zurückzuzahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die außergerichtlichen Anwaltsgebühren der Anwaltskanzlei H. in Höhe von 961,28 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, beim Kläger sei am 11.11.2008 eine massive Parodontoseerkrankung mit fortgeschrittenem Knochenabbau bis zur Wurzelmitte diagnostiziert und der Kläger hierüber auch ausdrücklich durch seinen damaligen Zahnarzt Dr. H. aufgeklärt worden. Er sei wegen einer entsprechenden Behandlung durch Dr. H. beraten worden und ihm sei entsprechendes Informationsmaterial übergeben worden. Der Täuschungswille des Klägers ergebe sich aus der zeitlichen Abfolge und den Eintragungen in der Patientenkartei. Jedenfalls bestehe kein Leistungsanspruch wegen Vorvertraglichkeit gem. § 2 Abs. 1 AVB. (…)

Mit Urteil vom 19.11.2013, auf dessen Feststellungen im Übrigen verwiesen wird, soweit sie zu den vorliegend getroffenen nicht in Widerspruch stehen, hat das Landgericht das rechtswirksame Zustandekommen und den Fortbestand des Versicherungsvertrages sowie das Nichtbestehen eines Rückforderungsanspruchs der Beklagten in Höhe von 21.369,76 € festgestellt, die Beklagte zur anteiligen Freistellung hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Die Beklagte habe den Versicherungsvertrag nicht wirksam angefochten. Sie habe eine arglistige Täuschung durch den Kläger bei Vertragsabschluss nicht zur Überzeugung des Landgerichts bewiesen. Zweifelhaft sei bereits eine objektiv falsche Beantwortung der Gesundheitsfragen. Der Zeuge Dr. H., der an den Behandlungstermin vom 11.11.2008 keine Erinnerung mehr gehabt habe, habe lediglich allgemeine Angaben mit Verweis auf die Patientenkartei machen können. Der Kläger, dessen Angaben sehr konkret und glaubwürdig gewesen seien, habe demgegenüber angegeben, dass er von Dr. H. nicht auf Parodontose hingewiesen und ihm ein Informationsblatt nicht ausgehändigt worden sei. Selbst eine objektiv falsche Beantwortung der Gesundheitsfragen unterstellt, habe die Beklagte ein arglistiges Handeln des Klägers, der angesichts seines bisherigen Krankenversicherungsschutzes keinen nachvollziehbaren Grund für ein Verschweigen des Befundes gehabt habe, nicht dargetan. Die geltend gemachten Zahnarztkosten seien von der Beklagten demgegenüber gem. § 2 Nr. 1 AVB nicht zu erstatten, da die entsprechende Heilbehandlung bereits am 11.11.2008 und damit vor Abschluss des Versicherungsvertrages begonnen habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Begehren um Klageabweisung weiterverfolgt. Die objektive Falschbeantwortung einer deutlich gestellten Gesundheitsfrage stehe nach der durchgeführten Beweisaufnahme außer Frage. Aus der Patientenkartei des Zeugen Dr. H. ergebe sich, dass der Kläger weniger als einen Monat vor dem Antrag auf Abschluss des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages nicht nur über den Befund einer schweren Parodontose aufgeklärt, sondern überdies über die Notwendigkeit einer weitergehenden Behandlung mündlich sowie schriftlich durch Aushändigung von Informationsmaterial beraten worden sei. Nach der in sich nachvollziehbaren und sehr glaubwürdigen Aussage des Zeugen Dr. H. stehe der in der Kartei niedergelegte Behandlungsstatus fest; so habe der Zeuge – wenngleich er sich in Anbetracht des Zeitablaufs nachvollziehbar an den konkreten Termin nicht erinnern konnte – insbesondere dargelegt, dass er Eintragungen immer zeitnah und persönlich vornehme. Indem das Landgericht den Kläger für glaubwürdiger erachtet habe als den ohne Eigeninteresse aussagenden Zeugen Dr. H., habe es gegen § 286 ZPO verstoßen. Das Erstgericht habe die Anforderungen an die Annahme von Arglist überspannt und einseitig die insoweit vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte berücksichtigt, ohne diese kritisch zu hinterfragen. Der Hinweis auf einen – zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits gekündigten – Krankenversicherungsschutz bei der H-Versicherung könne den Kläger nicht entlasten. Unter Berücksichtigung der zeitlichen Zusammenhänge habe der Kläger die Unrichtigkeit seiner Angaben im Antragsformular gekannt und zumindest für möglich gehalten, dass die Beklagte den Antrag bei wahrheitsgemäßer Beantwortung in Anbetracht der Diagnose des Zeugen Dr. Zeugen H. abgelehnt hätte.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19.11.2013 (2 O 92/13) wird abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung. Insbesondere der bei H-Versicherung zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehende Krankenversicherungsschutz belege, dass der Kläger nicht arglistig gehandelt habe. (…)


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. (…)

2. Die Klage ist auch begründet. Der streitgegenständliche Zusatzkrankenversicherungsvertrag besteht fort und ist nicht aufgrund der von der Beklagten erklärten Anfechtung nichtig. Ein Rückerstattungsanspruch in Höhe von 21.396,76 € im Hinblick auf die von der Beklagten im Jahr 2009 erbrachten Versicherungsleistungen steht ihr nicht zu.

a. Zutreffend ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der streitgegenständliche Zusatzkrankenversicherungsvertrag – dessen wirksames Zustandekommen die Beklagte nicht in Abrede stellt – fortbesteht. Insbesondere ist die auf den Abschluss des Versicherungsvertrages gerichtete Willenserklärung der Beklagten nicht aufgrund der mit Schreiben vom 08.07.2011 erklärten Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB nichtig.

Insoweit fehlt es bereits an einem Anfechtungsgrund. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ist von einer arglistigen Täuschung durch den Kläger (§§ 123 Abs. 1 BGB, 22 VVG) durch Beantwortung der Gesundheitsfragen im Antragsformular nicht auszugehen.

(1) Ein arglistiges Verhalten ist anzunehmen, wenn der Täuschende weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass er unzutreffende Angaben macht, und dass dadurch bei dem Empfänger seiner Erklärung eine falsche Vorstellung entsteht und diese ihn zu einer Erklärung veranlasst, die er bei richtiger Kenntnis der Dinge nicht oder nicht so abgegeben hätte. Das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfasst nicht nur ein Handeln, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines „Fürmöglichhaltens“ reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sei muss (BGH, NJW 2001, 2326; Senat, Urteil v. 07.04.2005 – 12 U 391/04, juris, Tz. 27). Auf Arglist als innere Tatsache kann regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Voraussetzung für die Annahme einer arglistigen Täuschung ist somit, dass der Versicherungsnehmer mit wissentlich falschen Angaben von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeige- und offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben macht. Arglistig täuscht im Sinne von § 123 BGB damit nur derjenige, dem bei der Beantwortung der Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früherer Behandlungen auch bewusst ist, dass die Nichterwähnung der nachgefragten Umstände geeignet ist, die Entschließung des Versicherers über die Annahme des Versicherungsangebots zu beeinflussen (Senat, Urteil v. 07.04.2005 – 12 U 391/04, juris, Tz. 27; Urteil v. 05.02.2013 – 12 U 140/12 – juris, Tz. 37).

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Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bzw. durchgeführten Behandlungen bedeutungslos seien. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur unter erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann der Beweis in der Praxis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden. Liegen objektive Falschangaben vor, ist es Sache des Versicherungsnehmers, substantiiert plausibel zu machen, warum und wie es zu diesen objektiv falschen Angaben gekommen ist (Senat, Urteil v. 05.02.2013 – 12 U 140/12 – juris, Tz. 38 ff.; OLG Saarbrücken, VersR 2007, 96).

(2) Nach diesem Maßstab hat die Beklagte vorliegend den ihr obliegenden Beweis eines arglistigen Verhaltens des Klägers nicht zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) geführt. Erforderlich ist insoweit nicht eine über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewissheit. Vielmehr genügt eine „persönliche Gewissheit“, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (Zöller – Greger, 30. Aufl. 2014, § 286 ZPO, Rn. 19 m.w.N.). Eine solche Gewissheit konnte der Senat auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme bei Würdigung des bei der Anhörung des Klägers gewonnenen unmittelbaren persönlichen Eindrucks von diesem nicht gewinnen.

(a) Auf der Grundlage der Vernehmung des Zeugen Dr. H. ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger von diesem im Rahmen des Behandlungstermins am 11.11.2008 in einer Weise über die Notwendigkeit einer Parodontosebehandlung beraten wurde, dass dem Kläger hierdurch bewusst war, dass bei ihm eine solche Behandlung durchzuführen ist.

Zwar ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass der Zeuge Dr. H. gegenüber dem Kläger tatsächlich die Notwendigkeit einer Parodontosebehandlung erläutert hat. Der Zeuge hat insoweit – bereits aufgrund des Zeitablaufes ohne weiteres nachvollziehbar – dargelegt, er habe keine aktuelle Erinnerung mehr an die Behandlung des Klägers. Seiner Dokumentation entnehme er, dass er den Kläger über die Erforderlichkeit einer Zahnfleischbehandlung informiert habe. Entsprechend findet sich in der Patientenkartei zu der Behandlung vom 11.11.2008 die Eintragung, dass eine Beratung über eine notwendige Parodontosebehandlung erfolgt sei. Im Hinblick auf die Eintragungen in der Kartei hat der Zeuge – ohne dass sich insoweit Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben ergeben hätten – geschildert, er fertige diese regelmäßig selbst und unmittelbar nach der entsprechenden Behandlung. Der Senat sieht keinen Anlass, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen und seine Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen, zumal bei ihm keinerlei Tendenz ersichtlich wurde, den Sachverhalt unzutreffend zum Nachteil des Klägers darzustellen. Vielmehr ergibt sich aus dem im Senatstermin übergebenen Schreiben des Zeugen Dr. H. an den Kläger vom 21.07.2011 eine wohlwollende Einstellung des Zeugen gegenüber dem Kläger. So hat Dr. H. in diesem Schreiben, in welchem er dem Kläger mitteilt, dass er ihn am 11.11.2008 über eine notwendige Parodontosebehandlung aufgeklärt habe, zugleich darauf hingewiesen, dass er keine Angaben dazu machen könne, ob der Kläger die Notwendigkeit der Behandlung vor dem Hintergrund seiner sonstigen Erkrankungen wirklich realisiert habe.

Die Überzeugung, dass der Kläger – der eine entsprechende Beratung durch Dr. H. in Abrede stellt – sich aufgrund der Erläuterungen des Zeugen des Umstandes bewusst wurde, dass bei ihm die Durchführung einer Parodontosebehandlung erforderlich ist, konnte der Senat allerdings nicht gewinnen. Unstreitig leidet der Kläger von Geburt an unter einer ausgeprägten Schwerhörigkeit; er hat eine Schwerhörigenschule besucht und nutzt zur Verständigung seine Fähigkeit, teilweise von den Lippen seines Gesprächspartners abzulesen. Die Möglichkeit der Verständigung mit dem Kläger ist – was bei seiner Anhörung durch den Senat eindrucksvoll deutlich wurde – infolge der Schwerhörigkeit in hohem Maße eingeschränkt. So hat der Kläger, obwohl er Hörgeräte trug, auf an ihn gerichtete Fragen teilweise mehrfach nachgefragt und um laute Wiederholung von Fragen gebeten, wobei erkennbar wurde, dass er versuchte, durch angestrengte Beobachtung seines Gegenüber die Verständigung durch Ablesen von den Lippen zu erleichtern.

Der Zeuge Dr. H. hatte zum Zeitpunkt der Behandlung des Klägers im November 2008 keine Kenntnis von dessen Schwerhörigkeit; hiervon hat er vielmehr nach seinen Bekundungen im Senatstermin erst im Rahmen seiner erstinstanzlichen Vernehmung durch das Landgericht erfahren. Vor diesem Hintergrund ist keineswegs auszuschließen, sondern erscheint vielmehr durchaus naheliegend, dass der Kläger Erläuterungen des Zeugen Dr. H. zur Parodontosebehandlung in der konkreten Behandlungssituation schon akustisch nicht verstanden hat. Dabei geht der Senat aufgrund der nachvollziehbaren Angaben des Klägers davon aus, dass dieser während der zahnärztlichen Behandlung seine Hörgeräte nicht getragen hat und vor diesem Hintergrund seine Verständnismöglichkeiten noch erheblich eingeschränkter waren als bei seiner Anhörung durch den Senat. Bereits hierbei war allerdings eine Verständigung mit der Kläger – wie ausgeführt – nur unter entsprechender Rücksichtnahme auf seine ausgeprägte Schwerhörigkeit möglich.

Soweit der Zeuge Dr. H. erklärt hat, er gehe davon aus, dass ein Patient nach einem – regelmäßig ausführlichen – Erstgespräch verstanden habe, was er ihm habe erläutern wollen, zumal im Hinblick auf gestellte bzw. nicht gestellte Rückfragen eine gewisse Kontrolle bestehe, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Zum einen beziehen sich diese Angaben nicht konkret auf die Behandlung des Klägers und das Gespräch mit ihm, zumal der Zeuge hieran gerade keine konkrete Erinnerung mehr hatte. Zum anderen kann gerade im Hinblick auf die Schwerhörigkeit – wenn etwa keinerlei Nachfragen erfolgen – durchaus der Eindruck entstehen, der Kläger habe die Erläuterungen verstanden, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist.

Der Senat verkennt nicht, dass sich in der Patientenkartei nicht nur die Eintragung zur Beratung über die Parodontosebehandlung, sondern auch der Vermerk findet, der Kläger wolle sich „im Januar melden“. Unter Berücksichtigung der erheblich erschwerten Verständigung mit dem Kläger aufgrund seiner Schwerhörigkeit kann nach Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Kläger insoweit in Kenntnis der Notwendigkeit einer Parodontosebehandlung seine Wiedervorstellung im Januar 2009 angekündigt hat, zumal es zu einer solchen unstreitig nicht kam. Es ist ohne weiteres denkbar, dass es zu der Eintragung in der Kartei gerade aufgrund der – dem Zeugen Dr. H. bei Unkenntnis von der Schwerhörigkeit nicht bewussten – Verständigungsschwierigkeiten mit dem Kläger kam.

(b) Ob der Kläger – wovon unter Zugrundelegung der nachvollziehbaren Angaben des Zeugen Dr. H. und unter Berücksichtigung der Eintragungen in der Patientenkartei allerdings auszugehen sein dürfte – vom Zeugen Dr. H. das Merkblatt „Information zur Parodontitisbehandlung“ ausgehändigt erhielt, kann für die Entscheidung dahinstehen. Selbst eine solche Aushändigung unterstellt, konnte der Senat nach dem persönlichen Eindruck vom Kläger bei seiner Anhörung nicht die Überzeugung gewinnen, dass er den Inhalt des Informationsblattes – sollte es ihm ausgehändigt worden sein – tatsächlich auch zur Kenntnis genommen hat. Der Kläger hat nachvollziehbar geschildert, Anlass für den Zahnarztbesuch sei eine Routineuntersuchung gewesen, um die Eintragung in das Bonusheft hinsichtlich der Erstattung von Kosten für Zahnersatz durch die gesetzliche Krankenversicherung zu erhalten. Hat der Kläger aber im Hinblick auf seine ausgeprägte Schwerhörigkeit die Erläuterungen des Zeugen Dr. H. zur Notwendigkeit der Parodontosebehandlung während des Behandlungstermins am 11.11.2008 – was dem Senat durchaus naheliegend erscheint – nicht verstanden, so bestand für ihn auch keine besondere Veranlassung, ein ihm ausgehändigtes Merkblatt zu lesen.

Lediglich ergänzend – ohne dass es hierauf entscheidend ankäme – ist darauf hinzuweisen, dass sich selbst im Falle der Lektüre des Merkblattes dem Kläger nicht ohne weiteres erschlossen hätte, dass gerade bei ihm eine behandlungsbedürftige Parodontitis festgestellt wurde. Ohne Kenntnis der eigenen Behandlungsbedürftigkeit aufgrund vorangegangener persönlicher Beratung durch den Zahnarzt – von einer solchen Kenntnis ist, wie ausgeführt, beim Kläger gerade nicht auszugehen – lässt sich das Merkblatt vielmehr auch – seiner Überschrift entsprechend – als allgemeine „Information zur Parodontitisbehandlung“ verstehen.

Bei der gebotenen Gesamtwürdigung konnte der Senat – auch unter Berücksichtigung des zeitlichen Ablaufes, der Antragstellung gegenüber der Beklagten nur etwa einen Monat nach der Behandlung am 11.11.2008 – nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung gegenüber der Beklagten Kenntnis von der Notwendigkeit einer Parodontosebehandlung hatte. Soweit er – eine Aushändigung des Merkblattes unterstellt – die Möglichkeit hatte, sich eine entsprechende Kenntnis zu verschaffen, begründet eine objektiv fehlerhafte Beantwortung der Gesundheitsfrage trotz entsprechender Kenntnismöglichkeit – und damit eine fahrlässige Falschbeantwortung – nicht den Vorwurf der Arglist.

(c) Soweit die Beklagte im Hinblick auf den Einwand eines arglistigen Handelns des Klägers auf den Zeitpunkt der Durchführung der Parodontosebehandlung beim Kläger nach Ablauf der im streitgegenständlichen Versicherungsvertrag vereinbarten Wartezeit hinweist, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Die Wartezeit beträgt gemäß § 3 Ziffer 3 AVB acht Monate, die Parodontosebehandlung erfolgte erst im Januar 2011 und damit – bei Versicherungsbeginn am 01.01.2009 – in einigem zeitlichen Abstand zum Ablauf der Wartezeit. Insoweit ist auch zu sehen, dass der Kläger Anfang des Jahres 2009 schwer erkrankte und mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte durchlief, was die Behandlung nach Ablauf der Wartezeit überdies nachvollziehbar erscheinen ließe.

Im Hinblick auf den Umfang des Versicherungsschutzes bei der H.-Versicherung weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass dieser deutlich hinter dem Versicherungsschutz auf der Grundlage des streitgegenständlichen Vertrages zurückbleibt, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass für den Kläger schon im Hinblick auf die Versicherung bei der H. von vornherein keine Veranlassung zu einem Täuschungsverhalten gegenüber der Beklagten bestanden hätte, um die Annahme des streitgegenständlichen Versicherungsantrages zu erreichen. Diesem Umstand kommt allerdings für die Entscheidung des Rechtsstreits keine Bedeutung zu, nachdem bereits eine Kenntnis des Klägers von der Notwendigkeit der Parodontosebehandlung nicht zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) bewiesen ist. (…)


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