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Aufklärungsobliegenheiten verletzt, wenn man bei Unfall einen falschen Fahrer angibt

Landgericht Saarbrücken

Az.: 10 O 184/01

Verkündet am 01.10.2001


In dem Rechtsstreit hat die 12. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2001 für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.300,- DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Der Streitwert wird auf 18.200,- DM festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten für das Fahrzeug Renault Megan Scenic, amtl. Kennz. XX eine Vollkaskoversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 1.000,- DM. Am 22. Januar 2000 überfuhr der Kläger am Ortseingang Schmelz – aus Lebach kommend – einen Verkehrskreisel, kam dann von der Fahrbahn ab und stieß auf dem Verkaufsgelände der Fa. Honda Müller gegen mehrere dort abgestellte Fahrzeuge. Dabei entstand am versicherten Fahrzeug (wirtschaftlicher) Totalschaden; der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs belief sich auf 27.000,- DM, der Restwert auf 7.800,-DM.

Gegenüber den Polizeibeamten, die den Unfall aufnahmen, wurde als Fahrerin des Fahrzeugs die Beifahrerin und Lebensgefährtin des Klägers, angegeben. Ihr wurde daraufhin eine Blutprobe entnommen, die eine Blutalkoholkonzentration von über 1,1 Promille ergab.

Mit Schadensanzeige vom 25. Januar 2000 (Bl. 5 d. A.), in der er sich selbst als Fahrer aufführte, zeigte der Kläger der Beklagten den Unfall an.

Der Kläger hatte das Fahrzeug bei der Fa. Renault Leasing GmbH & Co. OHG geleast. Dieser gegenüber verweigerte die Beklagte die Erbringung von Versicherungsleistungen. Daraufhin nahm die Fa. Renault Leasing den Kläger persönlich in Anspruch, titulierte ihre Ansprüche und traf dann mit dem Kläger eine Ratenzahlungsvereinbarung. Nach dem Leasingvertrag ist der Kläger verpflichtet, Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in eigenem Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen.

Der Kläger macht mit der Klage den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs (27.000,- DM) abzüglich Restwert (7.800,- DM) und Selbstbeteiligung (1.000,- DM) geltend. Er behauptet, dass er vor dem Unfall keine alkoholischen Getränke zu sich genommen habe. Bei der Unfallaufnahme habe Frau erklärt, dass sie gefahren sei, weil sie gewusst habe, dass er in Flensburg bereits mehrere Punkte gehabt habe und deswegen mit Schwierigkeiten für seine Fahrerlaubnis habe rechnen müssen. Aus der gleichen Motivation heraus habe er den Angaben von Frau bei der Unfallaufnahme nicht widersprochen und die Polizeibeamten in dem Glauben gelassen, dass Frau A gefahren sei.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.200,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Januar 2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie behauptet, dass der Kläger bei der Unfallaufnahme seine Lebensgefährtin als Fahrerin angegeben habe. Er habe seine Lebensgefährtin im übrigen auch dazu gebracht, diese Angaben zu bestätigen. Dieses Verhalten habe den Zweck gehabt, die Polizeibeamten davon abzuhalten, beim alkoholisierten Kläger eine Blutprobe zu entnehmen.

Gegen Frau A fand ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung statt, das mit einem Freispruch endete, da sich nicht feststellen ließ, ob Frau A das Fahrzeug tatsächlich gefahren hatte. Die Akten des Strafverfahrens (Az. 67 Js 359/00, Staatsanwaltschaft Saarbrücken) waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Im übrigen wird auf die Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Dem Kläger steht der mit der Klage geltend gemachte Anspruch nicht zu. Er ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 1, 49 VVG, §§ 12, 13 AKB. Die Beklagte ist nämlich gem. § 7 Ziff. I Nr. 2 Satz 3, Ziff. V Nr. 4 AKB, § 6 Abs. 3 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei, weil der Kläger seine Aufklärungsobliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls verletzt hat.

1. Gern. § 7 Ziff. I Nr. 2 Satz 3 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann. Gegen diese Obliegenheit hat der Kläger selbst nach seinem eigenen Vortrag verstoßen, weil er die Angabe seiner Lebensgefährtin gegenüber den den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten, dass sie das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt gefahren sei, nicht richtig gestellt hat.

Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass der Kläger selbst das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt fuhr. Allerdings hat der Kläger insoweit der Beklagten gegenüber keine Falschangaben gemacht. Er hat sich nämlich in der Schadensanzeige vom 25. Januar 2000 (B1. 5 d. A.) nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien zutreffend als Fahrer bezeichnet. Daraus folgt indes noch nicht, dass der Kläger seinen Aufklärungsobliegenheiten genügt hat. Denn der Versicherungsnehmer kann auch durch Falschangaben gegenüber den Strafverfolgungsbehörden seine Aufklärungsobliegenheiten verletzen, wenn die Falschangaben zugleich das Aufklärungsinteresse des Versicherers berühren (vgl. BGH VersR 1969, 269, 270; BGH VersR 1995, 1043; Prölss/ Martin/Knappmann, Rdnr. 9 zu § 7 AKB, jew. m. w. Nachw.). Falschangaben zur Person des Fahrers berühren in der Regel das Aufklärungsinteresse des Versicherers, weil sie die Ermittlungsbehörden von Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration des tatsächlichen Fahrers abhalten können (vgl. Stiefel/Hoffmann, Rdnr. 67 zu § 7 AKB; vgl. auch BGH VersR 1983, 383). Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes. Bei der als Fahrerin ausgegebenen Lebensgefährtin des Klägers wurde eine Blutprobe entnommen. Es liegt nicht fern, dass die Blutalkoholkonzentration des Klägers, hätte er sich als Fahrer zu erkennen gegeben, ebenfalls geprüft worden wäre, zumal einer der den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten, der POM Schorr, beim Kläger ebenfalls Alkoholkonsum wahrgenommen hatte, wie er in der Strafverhandlung vor dem Amtsgericht am 4. Mai 2000 bekundete (S. 3 des Protokolls, Bl. 88 d. BA.).

Nach dem (streitigen) Vortrag des Klägers hat dieser selbst allerdings keine Falschangaben gegenüber der Polizei gemacht. Der Kläger behauptet, dass sich seine Lebensgefährtin von sich aus selbst als Fahrerin bezeichnet und er dieser Angabe lediglich nicht widersprochen habe. Auch nach diesem Vortrag hat der Kläger jedoch nach Auffassung des Gerichts Aufklärungsobliegenheiten verletzt. Zwar ist der Versicherungsnehmer nicht verpflichtet, sich gegenüber den Strafverfolgungsbehörden selbst zu belasten. Die Aufklärungsobliegenheit zwingt ihn nicht, von seinem strafprozessualen Schweigerecht keinen Gebrauch zu machen (vgl. BGH VersR 1983, 258; Prölss/Martin/Knappmann, Rdnr. 10 zu § 7 AKB). Daraus folgt indes nicht, dass der Versicherungsnehmer zur Verschleierung des Tatbestands beitragen darf. Dies hat der Kläger hier aber jedenfalls getan, indem er wider besseres Wissen die Angaben seiner Lebensgefährtin unwidersprochen stehen ließ. Es macht insoweit nach Auffassung des Gerichts nach den Umständen des vorliegenden Falles keinen entscheidenden Unterschied, ob der Kläger die Angaben seiner Lebensgefährtin positiv bestätigte oder sie lediglich nicht richtig stellte.

2. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger die Aufklärungsobliegenheit wenigstens grob fahrlässig verletzte. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten muss (Prölss/Martin/Prölss, Rdnr. 117 zu § 6 VVG m. Nachw.). Es kann jedenfalls bei Verkehrsteilnehmern als allgemein bekannt gelten, dass die zuverlässige Feststellung der Blutalkoholkonzentration nur relativ kurze Zeit nach dem Alkoholkonsum – durch eine Blutprobe oder eine Atemkontrolle mittels eines Kontrollgeräts – möglich ist. Ebenso wird jeder Versicherungsnehmer wissen, dass Alkohol im Straßenverkehr Auswirkungen auf seinen Versicherungsschutz haben kann. Vor diesem Hintergrund musste dem Kläger einleuchten, dass sein Beitrag zur Verschleierung des tatsächlichen Fahrers die Aufklärungsinteressen seines Versicherers, der Beklagten, in nicht unerheblicher Weise beeinträchtigten. Denn auf diese Weise wurden die Polizeibeamten davon abgehalten, unmittelbar nach dem Unfall zu überprüfen, ob er unter Alkoholeinfluss stand. Dass eine solche Überprüfung – wenigstens durch Nachfrage oder Geruchskontrolle – sonst vorgenommen worden wäre, musste sich dem Kläger schon deswegen aufdrängen, weil seiner Lebensgefährtin eine Blutprobe entnommen wurde. Zwar mag der Zweck des Verhaltens des Klägers nicht die Verschleierung des Tatbestands zu Lasten der Beklagten gewesen sein, sondern allein die Ablenkung von einem eigenen Fehlverhalten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, um seine Fahrerlaubnis zu erhalten. Es kann auch sein, dass sich der Kläger unmittelbar nach dem Unfall gar nicht bewusst war, durch die Verschleierung gegenüber den Polizeibeamten auch Aufklärungsinteressen der Beklagten zu verletzen, etwa weil bei seinem Verhalten der Wille, seine Fahrerlaubnis zu erhalten – nicht aber, seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden – ganz im Vordergrund stand. Beides spricht aber nur gegen eine absichtliche bzw. bedingt vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit. Soweit der Kläger verkannte, dass er durch seinen Beitrag zur Verschleierung des Fahrers auch Aufklärungsinteressen der Beklagten beeinträchtigte, handelte er in hohem Maße sorgfaltswidrig.

3. Die jedenfalls grob fahrlässige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ist nicht ohne Einfluss auf die Feststellung der der Beklagten obliegenden Leistung geblieben, so dass die Beklagte gern. § 7 Zif£ V Nr. 4 AKB, § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei ist. Täuschungen über die Person des Fahrers im Rahmen der Unfallaufnahme führen in der Regel zu einem irreparablem Beweismittelverlust zu Lasten des Versicherers (Stiefel/Hoffmann, Rdnr. 67 zu § 7 AKB). Steht der Fahrer unter Alkoholeinfluss, so kann der Kaskoversicherer gern. § 61 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei sein, weil der Unfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Die Prüfung dieser Frage wird dem Versicherer ganz erheblich erschwert, wenn nicht zeitnah zum Unfall zuverlässige Feststellungen zum Grad der Alkoholbeeinflussung getroffen werden; im nachhinein wird sich kaum noch mit ausreichender Sicherheit feststellen lassen, ob und inwieweit ein Unfall auch auf Alkoholkonsum zurückzuführen ist; dies geht zu Lasten des insoweit beweisbelasteten Versicherers. Daher hat eine Täuschung über die Person des Fahrers jedenfalls dann Einfluss auf die Feststellung der Leistung, die dem Versicherer obliegt, wenn nicht von vornherein eine Alkoholisierung des Fahrers nicht in Betracht kommt. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass auch der Kläger zum Unfallzeitpunkt unter Alkoholeinfluss stand, geben immerhin die Aussagen des Polizeibeamten Schorr und des Rettungssanitäters D. Schmitt in der Strafverhandlung vom 4. Mai 2000 vor dem Amtgericht (S. 3, 4 des Protokolls, Bl. 88, 89 d. BA.). Zuverlässig feststellen oder ausschließen lässt sich die Alkoholisierung heute nicht mehr. Insoweit hatte die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit Auswirkungen auf die Feststellung der der Beklagten obliegenden Leistung.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO, §§ 25 Abs. 2, 12 GKG, § 3 ZPO.

 

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