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Aufklärungsrüge – Gebrauchsanweisung Geschwindigkeitsmessgerät

Oberlandesgericht Düsseldorf

Az: IV RBs 170/11

Beschluss vom 12.10.2011


In der Bußgeldsache gegen pp. wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin am 12. Oktober 2011 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Geldern vom 26.Mai 2011 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung — auch über die Kosten der Rechtsbeschwerdeinstanz – an eine andere Strafabteilung des Amtsgerichtes Geldern zurückverwiesen. (§§ 79 Abs.3 OWiG, 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Gründe:

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte und entsprechend den § 79 Abs. 3 OWiG, §§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebrachte Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, hat – zumindest vorläufig – Erfolg.

1. Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h gern. §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, §§ 24, 25 Abs. 2a StVG zu einer Geldbuße von 360,- Euro verurteilt und gegen ihn nach § 25 StVG ein Fahrverbot angeordnet.

2. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, das Amtsgericht habe zu Unrecht von der Verlesung des Messprotokolls abgesehen und durch die Nichterhebung des Beweises seine aus § 244 Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 OWiG folgende Aufklärungspflicht verletzt (vgl. BGH NStZ 2011, 471). Das Landgericht hätte die Beweiserhebung von Amts wegen auf das Messprotokoll erstrecken müssen und bezeichnet ausdrücklich § 244 Abs. 2 StPO als verletzt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat in ihrer Antragsschrift vom 28. September 2011 hierzu im Einzelnen ausgeführt:

„Die Erhebung einer zulässigen Aufklärungsrüge setzt voraus, dass der Beschwerdeführer die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel bezeichnet, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen. Ferner sind die Umstände mitzuteilen, aufgrund derer sich der Tatrichter zu der beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen, und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (OLG Düsseldorf, VRS 93, 433 ff; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 244 Rdnr. 81 m.w.N.). Wird beanstandet, dass eine Urkunde nicht verlesen oder im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, so ist es daher in aller Regel erforderlich, dass die Revision den Wortlaut der Urkunde wiedergibt (Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rdnr. 368 m.w.N.); denn nur dann ist das Revisionsgericht in der Lage zu prüfen, ob sich das Tatgericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht zur Beweisaufnahme über den Urkundeninhalt hätte gedrängt sehen müssen (BGH. a.a.O., zit. in. Juris, Rdnr. 10).

Danach entspricht die von dem Betroffenen erhobene Aufklärungsrüge den Anforderungen der § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer teilt die nicht ermittelte Tatsache, die nicht vollständige Ausführung des Funktionstests des Laser-Messgerätes, mit, er benennt auch das zur Ermittlung dieser Tatsache relevante Beweismittel, das Messprotokoll. Darüber hinaus teilt der Betroffene den Wortlaut der Urkunde, deren Verlesung er vermisst, mit. Eine Überprüfung durch den Senat, ob die Verlesung überhaupt zur Sachaufklärung hätte beitragen können, ist daher möglich (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. Rdnr. 81). Der Betroffene führt ferner aus, warum sich das Gericht zu der Verlesung des Messprotokolls hätte gedrängt sehen müssen, und zu welchem Ergebnis die unterbliebene Beweisaufnahme geführt hätte (BI. 47 f. d. A.).

Die Aufklärungsrüge ist auch begründet.

Die aufgrund der Rüge zulässige Überprüfung der Sachakte (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Strafzumessung 1) ergibt folgendes: Dem Messprotokoll (BI. 3 d. A.) ist – wie von der Rechtsbeschwerde zutreffend ausgeführt – zu entnehmen, dass nur drei der vier gemäß Gebrauchsanweisung erforderlichen Funktionstests durchgeführt worden sind. In Anbetracht dieser sich aus den Akten ergebenden, und insoweit im Rahmen der Aufklärungspflicht beachtlichen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. Rdnr. 12) Erkenntnisse musste das Amtsgericht begründete Zweifel an der korrekten Durchführung der Geschwindigkeitsmessung haben und die Möglichkeit nutzen, die Frage nach verwertbaren Messergebnissen weiter aufzuklären. Denn auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG verpflichtet, die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen.

Bei Messgeräten, deren Ergebnisse amtlich verwertet werden sollen, erfolgt eine „Richtigkeitskontrolle“ im Voraus durch eine Eichung. Nach dem Eichrecht gilt ein Messgerät rechtlich als richtig messend, wenn es die Gewähr dafür bietet, über einen längeren Zeitraum Messergebnisse innerhalb der zulässigen Fehlergrenzen zu liefern (§§ 33, 36, 37 EO). Für Geschwindigkeitsmessgeräte sind die in Anlage 18, Abschnitt 11 zu § 33 EO aufgeführten Fehlergrenzen maßgeblich. Sie entsprechen den „Toleranzen“, die immer zugunsten des Betroffenen berücksichtigt werden müssen (vgl. OLG Koblenz VRR 2010, 123).

Die Einhaltung der Gebrauchsanweisung des Geräteherstellers ist bei derartigen Geräten in dem Sinne verbindlich, dass nur durch sie das hierdurch standardisierte Verfahren, das heißt ein bundesweit einheitliches, korrektes und erprobtes Vorgehen, sichergestellt ist. Kommt es im konkreten Einzelfall zu Abweichungen von der Gebrauchsanweisung, so handelt es sich nicht mehr um ein standardisiertes Messverfahren, sondern ein individuelles, das nicht mehr die Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Das Gerät ist dann auch nicht mehr als ein geeichtes anzusehen, weil das im Eichschein verbriefte Prüfergebnis bezüglich der Einhaltung der Verkehrsfehlergrenzen keine Gültigkeit besitzt. Es liegen dann konkrete Anhaltspunkte für die Möglichkeit von Messfehlern vor mit der Folge, dass das Gericht, wenn es die Verurteilung auf ein solches durch den Mangel eines Verstoßes gegen die Gebrauchsanweisung belastetes Messergebnis stützen will, dessen Korrektheit individuell zu überprüfen hat (vgl. OLG Koblenz, DAR 2006, 101; KG Berlin, VRS 116, 446 f.; OLG Celle, NVZ 2010, 414 f.).

Diese Aufklärung durch Zeugen- und/oder Sachverständigenbeweis ist jedoch unterblieben.

Die Aufklärungsrüge scheitert nicht daran, dass der Betroffene nicht schon in der Hauptverhandlung auf eine genauere Überprüfung des Messvorgangs bestanden hat. Denn das Aufklärungsgebot richtet sich an das Gericht; das Verhalten der Verfahrensbeteiligten ist deshalb grundsätzlich ohne Einfluss auf die dem Gericht aus diesem Gebot erwachsenden Pflichten (Herdegen in KK/StPO, 2. Aufl., § 244 Rdnr. 19). Bei der gegebenen Aktenlage bedurfte es also keines Antrags oder einer entsprechenden Anregung des Betroffenen in der Hauptverhandlung, um dem Gericht die Kenntnis derjenigen Umstände zu verschaffen, die zu weiterer Aufklärung Anlass gaben (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Aufdrängen 1).

Auf dem dargelegten Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO beruht das Urteil. Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit uni 39 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt, wobei das Gericht das in Nummer 11.3.6 der BußgeldkatalogVO bestimmte, bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von 31 – 40 km/h anzusetzende Regelbußgeld in Höhe von 160,- EUR zugrunde gelegt hat. Dabei hat es ausdrücklich auf die durch das Laser-Messverfahren ermittelte Geschwindigkeit abgestellt, wobei es von einer technisch fehlerfreien Messung ausgegangen ist.

Zugunsten des Betroffenen ist jedoch nicht auszuschließen, dass es aufgrund des unvollständig durchgeführten Funktionstests zu Fehlmessungen gekommen ist, so dass zu seinen Gunsten ein größerer Toleranzwert in Abzug zu bringen gewesen wäre mit der Folge, dass eine anderer Tatbestandsnummer aus der BußgeldkatalogVO Anwendung gefunden hätte, der zufolge eine geringere Regelbuße anzusetzen gewesen wäre.“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat in jeder Hinsicht an. Die Sache ist daher gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO insgesamt aufzuheben und an das Amtsgericht zurückzuverweisen

Da die Rechtsbeschwerde bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg hat, kommt es auf die ebenfalls erhobene und ausführlich begründete Sachrüge, das Gericht habe zu Unrecht Vorsatz angenommen, nicht mehr an.

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