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Auftauhinweise Fleischerzeugnisse – Unterlassung

VERWALTUNGSGERICHT MAINZ

Az.: 6 K 224/07.MZ

Urteil vom 19.11.2007


In dem Verwaltungsrechtsstreit wegen lebensmittelrechtlicher Verfügung hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2007 für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger ist verantwortlicher Metzgermeister der Fleischabteilung des XXXMarktes in Y-Stadt. Er wendet sich gegen eine lebensmittelrechtliche Verfügung des Beklagten, mit der ihm unter anderem der Verkauf von aufgetauten, gewürzten Schweinesteaks ohne den Hinweis „aufgetaut – sofort verbrauchen“ untersagt wurde.

Anlässlich einer Verbraucherbeschwerde suchten Kontrolleure der Lebensmittelüberwachung des Beklagten am 5. Juli 2006 die Fleischabteilung des Klägers auf und entnahmen zwei gekühlte Warenproben. Es handelte sich zum einen um ein lose angebotenes Produkt mit der Bezeichnung „Schweinenackensteak Puszta“ von der Bedienungstheke und zum anderen um eine eingeschweißte Packung „Schweinenackensteak, gewürzt“ aus dem Selbstbedienungsbereich. Der Kläger bestätigte, die Steaks würden jeweils aus zuvor gefrorenem, aufgetautem Fleisch hergestellt. Dies werde der Kundschaft auf Anfrage selbstverständlich mitgeteilt.

Beide Proben wurden durch das Institut für Lebensmittel tierischer Herkunft des Landesuntersuchungsamtes Rheinland-Pfalz noch am gleichen Tag untersucht.

Ausweislich des Gutachtens vom 28. Juli 2006 war ihr Zustand nicht zu beanstanden.

Das Landesuntersuchungsamt wies jedoch darauf hin, dass zwar die Herstellung als frisch vertriebener Fleischerzeugnisse aus gefrorenem Fleisch erlaubt sei.

Dies werde vom Verbraucher jedoch nicht erwartet. Es bestehe daher eine Pflicht zur Kenntlichmachung.

Mit Bescheid vom 20. Juli 2006 untersagte der Beklagte dem Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, tiefgefrorenes Fleisch aufzutauen und in ganz oder teilweise aufgetautem Zustand ohne den Hinweis „aufgetaut – sofort verbrauchen“ an den Verbraucher abzugeben. Dies gelte insbesondere für tiefgefrorenes Fleisch, das nach vollständigem oder teilweisem Auftauen gewürzt und in dieser Form, z.B. lediglich als „Nacken- oder Rückensteak vom Schwein“ gekennzeichnet, an den Verbraucher abgegeben werde. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,– EUR festgesetzt. Zur Begründung hieß es unter anderem, der Auftauhinweis sei gemäß § 6 Abs. 2 der Fleischverordnung – FlV – erforderlich. Zweck dieser Vorschrift sei es, den Verbraucher darüber aufzuklären, dass er ein aufgetautes Erzeugnis vor sich habe, das für nochmaliges Einfrieren zur Vorratshaltung nicht geeignet sei.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte im Wesentlichen geltend, bei der umstrittenen Ware handle es sich um „Fleischzubereitungen“. Für diese sei nach der gesetzlichen Definition in der Verordnung (EG) 853/2004 frisches Fleisch verwandt worden. Die Verordnung unterscheide zwischen Fleisch, Fleischzubereitungen und Fleischerzeugnissen. Diese Begriffe seien auch der Auslegung des § 6 Abs. 2 FlV zugrunde zu legen, der seinerseits den Begriff „Fleischzubereitung“ gerade nicht enthalte und eine diesbezügliche Untersagungsverfügung daher nicht trage. Die Verbrauchererwartung gehe grundsätzlich dahin, dass im Verkehr mit Lebensmitteln die gesetzlichen Begriffe und Definitionen verwandt würden. Eine von der normativen Begriffsbestimmung abweichende tatsächliche Verbrauchererwartung habe unberücksichtigt zu bleiben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. März 2007 – zugestellt am 8. März 2007 – wies der Kreisrechtsausschuss bei dem Beklagten den Widerspruch zurück. Zur Begründung heißt es, die Verfügung werde von § 39 Lebensmittel-Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB – in Verbindung mit § 6 Abs. 2 FlV und § 11 LFGB getragen. Auch „Fleischzubereitungen“ fielen unter den Begriff „Fleisch“ in § 6 Abs. 2 FlV und seien daher von dieser Vorschrift erfasst. Dieses Verständnis stimme mit der Verordnung (EG) 853/2004 überein. Die Kennzeichnung sei aber auch aufgrund von § 11 LFGB geboten, denn die Herstellung von gekühlt angebotenen Fleischzubereitungen aus (tief-)gefrorenem Fleisch sei zwar nicht verboten, aber unüblich. Sie werde vom Verbraucher nicht erwartet, so dass dieser irregeführt werde. Zutreffend sei, dass eine Irreführung des Verbrauchers durch die Verwendung der gesetzlichen Definition ausgeschlossen sei und es sich bei den streitigen Produkten um „frisches Fleisch“ handle. Gleichwohl sei dieses nicht zur nochmaligen Gefrierlagerung geeignet und müsse deshalb gekennzeichnet werden.

Am 5. April 2007 hat der Kläger Klage erhoben, die sich – wie er in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat – nur auf das Erfordernis des Auftauhinweises für offen an der Bedienungstheke angebotene Fleischzubereitungen bezieht. Zu deren Begründung nimmt er auf sein bisheriges Vorbringen Bezug und ergänzt, er werde in seinem Recht auf freie Berufsausübung verletzt. Darüber hinaus trägt er vor, es entspreche der Auffassung der maßgeblich am Verkehr mit Fleischzubereitungen beteiligten Verkehrskreise, dass ein Auftauhinweis bei Fleischzubereitungen nicht erforderlich sei. Die Frage sei anlässlich des 3. Lemgoer Lebensmittelrechtstages für Fleisch und Feinkost am 2. April 2007 diskutiert und allgemein abgelehnt worden. Etwaige Qualitätsverluste träten nur bei unsachgemäßer Behandlung des Fleisches beim Auftauen auf. Ohnehin seien die hier in Rede stehenden Erzeugnisse zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt. Da die Fleischstücke in Pflanzenölen mariniert würden, diese aber beim Gefrieren eine andere Kristallbildung hätten als Wasser, komme es beim Einfrieren zu Qualitätseinbußen. Das wisse die Hausfrau. Das Erfordernis eines Auftauhinweises lasse sich auch nicht auf den Anhang III der Verordnung (EG) 853/2004 stützen, der ein wiederholtes Einfrieren nach Auftauen und Verarbeitung verbiete. Diese Regelung beziehe sich auf das Wiedereinfrieren fertiger Fleischzubereitungen und solle ausschließlich die betriebliche Hygiene sicherstellen. Auch die Richtlinie 2000/13/EG und die zu deren Umsetzung – jedoch nur für verpackte Ware – erlassene Lebensmittelkennzeichnungsverordnung – LMKV – verlangten keine besonderen Angaben. Art. 5 Abs. 3 der – gleichermaßen für lose wie auch für verpackte Ware geltenden – Richtlinie schreibe zwar vor, dass die Verkehrsbezeichnung eines Lebensmittels gegebenenfalls durch eine Angabe über die besondere Behandlung, die es erfahren habe (z.B. pulverförmig, gefriergetrocknet, tiefgekühlt, konzentriert, geräuchert) zu ergänzen sei, sofern die Unterlassung einer solchen Angabe geeignet sei, beim Käufer einen Irrtum herbeizuführen. Diese Vorschrift beziehe sich aber eindeutig nur auf die Verkehrsbezeichnung des fertig gestellten Lebensmittels. Das Lebensmittel „Schweinenackensteak, gewürzt“ bzw. „Schweinenackensteak Puszta“ sei nicht behandelt worden, behandelt worden seien allenfalls die für die Herstellung erforderlichen Zutaten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides 6. März 2007 insofern aufzuheben, als sich die Bescheide auf unverpackte Ware beziehen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er wiederholt und vertieft die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und trägt ergänzend vor, die Anordnung sei zur Verhütung künftiger Verstöße gegen § 11 LFGB, zum Schutz vor Gefahren für Gesundheit und zum Schutz vor Täuschung erforderlich. Ob sie sich darüber hinaus auf § 6 Abs. 2 FlV stützen lasse, sei unerheblich und müßig zu diskutieren, denn die Vorschrift sei im August 2007 aufgehoben worden. Seine Auffassung werde durchaus durch Anhang III der Verordnung (EG) 853/2004 und die neueste Fassung der tierischen Lebensmittel-Hygiene-Verordnung – Tier-LMHV – gestützt. Danach sei ein wiederholtes Einfrieren von Fleischzubereitungen nach Auftauen und Verarbeitung verboten. Dem verarbeitenden Betrieb sei dies klar, woher aber solle der Verbraucher dies wissen.

Ein erneutes Einfrieren führe zu weiteren Nährstoffverlusten, Konsistenzbeeinträchtigungen, geruchlichen und geschmacklichen Qualitätsabfällen. Gefahren für die Gesundheit seien nicht auszuschließen. Der Kläger wolle der Hausfrau durch Unterlassen des Hinweises vormachen, sie habe nicht ehemals tiefgefrorenes und dann mariniertes Grillsteak vor sich, sondern Fleisch von gleicher Qualität und mit Eigenschaften wie ein aus Frischfleisch zubereitetes Grillsteak. Hintergrund sei die starke Saisonnachfrage: die Grillsteaks würden nur in der sommerlichen Grillsaison gekauft. Der Kläger wolle sich insofern durch Täuschung einen Wettbewerbsvorteil verschaffen und könne letztlich auch nicht juristisch überzeugend darstellen, dass es nach den Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts eine Hinweispflicht nicht geben dürfe. Auch der europäische Gesetzgeber gehe davon aus, dass aufgetautes Fleisch eine niedrigere Qualitätsstufe aufweise.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsakte des Beklagten (1 Heftung) verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist in seinem angefochtenen Teil rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –.

Rechtsgrundlage für die – als Dauerverwaltungsakt fortdauernde – Anordnung des Auftauhinweises für nicht vorverpackte Fleischerzeugnisse ist § 39 Abs. 2 in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Lebensmittel-Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB –, nachdem § 6 Abs. 2 der Fleischverordnung – FlV – aufgrund der Verordnung zur Durchführung von Vorschriften des gemeinschaftlichen Lebebsmittelhygienerechts vom 8. August 2007 außer Kraft getreten ist (BGBl. 2007 I v. 14. August 2007, S. 1816 ff., S. 1894).

Gemäß § 39 Abs. 2 LFGB treffen die zuständigen Behörden unter anderem die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Verhütung künftiger Verstöße gegen dieses Gesetz sowie zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit oder vor Täuschung erforderlich sind. Ob und inwieweit hier tatsächlich – wie der Beklagte andeutet – Gesundheitsgefahren drohen, kann dabei dahinstehen.

Die angefochtene Verfügung ist zur Verhütung künftiger Verstöße des Klägers gegen § 11 Abs. 1 LFGB und damit zugleich zum Schutz vor Täuschung erforderlich.

Gemäß § 11 LFGB – der auszulegen ist im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 109 vom 6. Mai 2000, S. 29 ff.) – ist es unter anderem verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben.

Eine Irreführung liegt dabei gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB insbesondere dann vor, wenn bei einem Lebensmittel zur Täuschung geeignete Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen über Eigenschaften, insbesondere über Art, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung, Herkunft oder Art der Herstellung oder Gewinnung verwendet werden. Eine Aussage über die Beschaffenheit eines Lebensmittels kann dabei auch durch Unterlassen erfolgen, wenn eine Pflicht zu einer bestimmten Handlung besteht (vgl. Zipfel/Rathke, Loseblattkommentar, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, C 102, § 11 Rn. 84 m.w.N.).

So verhält es sich hier.

Das Unterlassen des Zusatzes „aufgetaut – sofort verbrauchen“ ist irreführend und damit zur Täuschung über die Beschaffenheit von lose an der Bedienungstheke angebotenem, zuvor bereits (tief-)gefrorenem und sodann aufgetautem Fleisch geeignet, wenn es sich dabei um gewürztes, eingelegtes Grillfleisch handelt und die Würzstoffe erst während oder nach dem Auftauvorgang hinzugefügt wurden.

Auch ohne ausdrückliche Erwähnung in der Vorschrift selbst ist Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob die Bezeichnung oder sonstige Darbietungsform eines Lebensmittels als „irreführend“ bzw. „zur Täuschung geeignet“ im Sinne des § 11 LFGB anzusehen ist, die allgemeine Verkehrsauffassung.

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Vorrangige gesetzliche Regelungen für deren „normative“ Bestimmung bestehen hier entgegen der Auffassung des Klägers nicht. Insbesondere ist eine Irreführung nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei der in Rede stehenden Ware trotz des Einfrierens um „frisches Fleisch“ im Sinne des Gesetzes handelt. Es geht hier nämlich nicht um eine Täuschung durch die Verwendung des Begriffes „frisches Fleisch“, sondern um die Täuschung durch das Unterlassen einer darüber hinausgehenden, ergänzenden Information dergestalt, dass es sich um frisches Fleisch handelt, welches vor dem Würzen aufgetaut wurde.

In dieser Hinsicht ist die tatsächliche Verkehrsauffassung am Ort der Vermarktung maßgeblich.

Diese schließt die Auffassung aller an dem Verkehr mit dem betreffenden Lebensmittel beteiligten Kreise ein, d.h. der Hersteller, der Händler und der Verbraucher.

Dabei kommt jedoch entsprechend dem Sinn und Zweck des § 1 LFGB, gerade den Verbraucher vor Täuschungen im Verkehr mit Lebensmitteln zu schützen, der Verbrauchererwartung als wesentlichem Bestandteil der allgemeinen Verkehrsauffassung entscheidende Bedeutung zu. Maßgebend ist insoweit, was die Verbraucher berechtigterweise im redlichen Verkehr erwarten (tatsächliche Verbrauchererwartung) oder, sofern sie keine konkreten Vorstellungen von der Beschaffenheit des betreffenden Lebensmittels haben, was sie erwarten dürfen (vgl. statt vieler OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. Juni 1989 – 6 A 38/88 –, RdL 1989, 273 f. zur Vorgängervorschrift des § 17 Abs. 1 LMGB). Insofern ist mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 28. Januar 1999, Rs. C-303/97, Slg. I-00513) von einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen „Durchschnittsverbraucher“ auszugehen.

Dies zugrundegelegt ist die Kammer – deren Mitglieder selbst zu dem angesprochenen Verkehrskreis gehören – überzeugt, dass der Durchschnittsverbraucher gerade auch bei lose angebotenem, gewürztem oder eingelegtem Grillfleisch, welches er offen an der Bedienungstheke erwirbt, davon ausgeht, es handle sich mangels anderweitiger Hinweise um rohes gekühltes (nicht: zuvor gefrorenes und sodann aufgetautes) Fleisch.

Diese örtliche Verkehrserwartung ist auch für den Kaufentschluss des Verbrauchers relevant und damit rechtserheblich (vgl. zu diesem Erfordernis Zipfel/Rathke, a.a.O., § 11, Rn. 75). Der Durchschnittsverbraucher geht mit anderen Worten nicht nur davon aus, dass ein ohne Auftauhinweis verkauftes gewürztes Grillsteak von der „Frischetheke“ nicht aus ehedem gefrorenem Fleisch besteht.

Vielmehr misst er diesem Umstand auch berechtigterweise eine Bedeutung bei.

Die Berechtigung dieser Erwartung folgt bereits daraus, dass der Verbraucher das aufgetaute Fleisch selbst nicht erneut ohne Qualitätsverlust einfrieren kann. Ihm stehen heutzutage mehr denn je technische Mittel zur Verfügung (Gefrierfach, Gefriertruhe), die es ermöglichen, ein Lebensmittel zur Verlängerung der Haltbarkeit einzufrieren. Kann er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen, liegt darin eine Einschränkung der Verwendungsmöglichkeit eines Lebensmittels. Hiernach liegt es nahe, dass von der Verkehrsauffassung Lebensmittel, die der Verbraucher nicht mehr zur Verlängerung ihrer Haltbarkeit einfrieren kann, ohne dass ihre Genießbarkeit beeinträchtigt oder gar beseitigt würde, als in ihrer Brauchbarkeit nicht unerheblich gemindert angesehen werden (so bereits zur Frage des Auftauhinweises bei aus aufgetautem Fleisch hergestelltem Hackfleisch KG, Urteil vom 7. April 1982 – [2] Ss 119/81 [19/81], LER 13, 359 ff., S. 361). Bereits unter Geltung des alten Lebens- und Futtermittelgesetzbuches wurde in dieser Einschränkung eine Wertminderung von Fleisch im Sinne des § 17 Abs. 1 Nr. 2 LMBG a.F gesehen (vgl. KG a.a.O.; im Anschluss daran auch Meyer/Streinz, LFGB – BasisVO, Kommentar, München 2007, LFGB § 11 Rn. 13). Auch unter Geltung des LFGB kann daher insoweit ein rechtserhebliches Auseinanderfallen von berechtigter Verbraucherwartung einerseits und Beschaffenheit des Lebensmittels andererseits angenommen werden (vgl. Zipfel/Rathke, a.a.O.).

Soweit der Kläger dagegen pauschal und unsubstantiiert einwendet, das nochmalige Einfrieren durch den Verbraucher führe nicht zu einem Qualitätsverlust, vermag dies schon aus normativen Gründen nicht zu überzeugen. Der Gesetz- und Verordnungsgeber geht erkennbar im Lebensmittel- und Lebensmittelhygienerecht davon aus, dass ein erneutes Einfrieren von Fleisch nach bereits erfolgtem Auftauen der Qualität abträglich ist. Dies zeigt sich speziell für Fleischzubereitungen etwa in Anhang III, Abschnitt V, Kapitel III Nr. 5 der Verordnung (EG) 853/2004 und der entsprechenden nationalen Regelung in § 24 Abs. 2 Nr. 8 lit. j) und § 7 Satz 1 in Verbindung mit Anlage 5, Kapitel II Nr. 3.4 Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung – Tier-LMHV – (BGBl. 2007 I vom 14. August 2007, S. 1828 ff.), denn nach diesen Regelungen ist das Wiedereinfrieren von Fleischzubereitungen durch den Hersteller sogar ausdrücklich verboten. Auch der nur für vorverpackte Ware geltende, neu eingefügte § 4 Abs. 5 der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung (BGBl. I vom 14. August 2007, S. 1894) belegt, dass der Verordnungsgeber generell von einem verkehrserheblichen Unterschied zwischen aufgetauten Lebensmitteln einerseits und lediglich gekühlten Lebensmitteln andererseits ausgeht.

Dem Einwand des Klägers, die abweichende Erwartung des Verbrauchers hinsichtlich der Beschaffenheit des Fleisches sei ohne Bedeutung, weil dieser speziell das hier in Rede stehende, in Öl eingelegte Grillfleisch prinzipiell schon aufgrund der „Marinade“ nicht mehr einfriere, kann ebenfalls nicht gefolgt werden.

Eine dahingehende Verbraucherpraxis besteht zur Überzeugung der Kammer nicht. Der Kläger hat auch keine chemischen oder physikalischen Gründe gegen ein Einfrieren von „Marinade“ plausibel gemacht. Insbesondere führen etwaige unterschiedliche Gefrierpunkte von Öl und Wasser nicht dazu, dass das daraus bestehende Erzeugnis nicht eingefroren werden könnte. Nur ergänzend sei deshalb darauf hingewiesen, dass dies auch eine stichprobenartige Abfrage einschlägiger Verbraucherforen im Internet bestätigt, deren Teilnehmer offenbar nahezu einhellig annehmen, mariniertes Fleisch könne problemlos einige Monate eingefroren werden. Vereinzelt wird dies wegen des angeblich „intensiven Marinade-Prozesses beim Auftauen“ sogar besonders empfohlen (http://www.chefkoch.de; http://www.webkoch.de; http://www.wer-weiss-was.de; http://forum kijiji.de; http://de.answers.yahoo.com, Zugriff jeweils über die Suchmaschine google, Stichwort „Einfrieren von mariniertem Fleisch“; Stand vom 13.11.2007).

Ist nach alledem von der Irreführung des örtlichen „Durchschnittsverbrauchers“ infolge des fehlenden Auftauhinweises auszugehen, so steht einem entsprechenden Verbot auf der Grundlage der Generalklausel des § 11 Abs. 1 LFGB auch Europäisches Gemeinschaftsrecht nicht entgegen.

Im Gegenteil stützt eine richtlinienkonforme Auslegung das Erfordernis eines Auftauhinweises sogar eher. Während sich die nationale Regelung des neu eingefügten § 4 Abs. 5 LMKV nicht auf offen angebotene Ware von der Bedienungstheke bezieht, verlangt die eingangs erwähnte Richtlinie 2000/13/EG für lose Ware grundsätzlich den gleichen Schutz- und Informationsstandard wie für vorverpackte.

In Art. 14 Satz 1 wird für lose Ware lediglich insoweit eine Ausnahmeregelung getroffen, als es dort heißt, dass die Mitgliedstaaten die Art und Weise regeln, in der die in Artikel 3 und Artikel 4 Abs. 2 genannten Angaben gemacht werden. Artikel 3 wiederum betrifft die Angaben, die die Etikettierung der Lebensmittel „nach Maßgabe der Artikel 4 bis 7″ enthalten muss. Damit ist zugleich auch auf Artikel 5 Abs. 3 verwiesen, wonach die Verkehrsbezeichnung eine Angabe über den physikalischen Zustand des Lebensmittels oder über die besondere Behandlung, die es erfahren hat (z.B. pulverförmig, gefriergetrocknet, tiefgekühlt, konzentriert, geräuchert) enthält oder dadurch ergänzt wird, sofern die Unterlassung einer solchen Angabe geeignet wäre, beim Käufer einen Irrtum herbeizuführen. Überdies fordert Artikel 3 Abs. 1 Nr. 6 gegebenenfalls besondere Anweisungen für Aufbewahrung und Verwendung sowie Nr. 9 eine „Gebrauchsanleitung“, falls der Käufer sonst nicht in der Lage wäre, das Lebensmittel angemessen zu verwenden. Die Richtlinie verlangt also grundsätzlich auch bei loser Ware die genannten Angaben und überlässt den Mitgliedstaaten lediglich in Art. 14 Satz 2 einen gewissen Spielraum, indem die Angaben insgesamt oder teilweise nicht zwingend vorgeschrieben werden müssen, sofern die Unterrichtung des Käufers gewährleistet ist. Die Richtlinie verbietet es im Umkehrschluss also keineswegs, mit Blick auf die örtliche Verkehrsauffassung entsprechende Angaben auch bei offen angebotener Ware zu verlangen.

Die Kammer lässt dahingestellt, ob die Richtlinie dies darüber hinaus nicht sogar zwingend verlangt. Das hängt davon ab, ob man die abstrakte Möglichkeit des Verbrauchers, an der Theke nachzufragen, als ausreichende Gewährleistung seiner „Unterrichtung“ ansieht. Diese Annahme bürdet ihm allerdings die Last des Aktivwerdens auf, wozu er jedoch in der hier in Rede stehenden Konstellation – aufgrund seines stillschweigenden Irrtums über die Verwendungsmöglichkeit des von ihm erworbenen Fleisches – gerade keinen Anlass hat.

Nicht überzeugend ist schließlich der Einwand des Klägers, Artikel 5 Abs. 3 der Richtlinie beziehe sich nur auf das fertig hergestellte Lebensmittel („Schweinenackensteak Puszta“), welches als solches gerade nicht mehr behandelt (tiefgefroren) werde. Der Kammer leuchtet nicht ein, weshalb aus dem Lebensmittel „rohes, aufgetautes Fleisch“ stofflich und begrifflich ein anderes Lebensmittel werden sollte, nur weil Gewürze und oder Öl hinzugefügt werden. Zur Überzeugung der Kammer handelt es sich insoweit lediglich um ein „peius“, nicht um ein „aliud“. Andernfalls könnte die Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie auf aufgetautes Fleisch schon durch die Zugabe einiger Körner Salz nach dem Auftauen ausgehebelt werden, was dem von ihr bezweckten Verbraucherschutz erkennbar zuwiderliefe.

Überdies ist zu beachten, dass „Lebensmittel“ im Sinne des Europarechts ein denkbar weiter Begriff ist, der auch Produkte vor ihrer Zubereitung erfasst. Dies folgt aus dem europarechtlich maßgebenden Lebensmittelbegriff in der Verordnung (EG) 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts.

Dort heißt es in Art. 2 Abs. 1, „Lebensmittel“ sind alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Dazu zählen gemäß Abs. 2 auch Stoffe, die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Veroder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden, und schließlich gehören nach Abs. 3 sogar lebende Tiere und Pflanzen vor dem Ernten zu den Lebensmitteln.

Gegen die Androhung des Zwangsgeldes bestehen nach alledem ebenfalls keine Bedenken.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung.

Beschluss

der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 19. November 2007:

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt. (§ 52 Abs. 1 GKG).

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