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Beleidigung – Voraussetzungen

Oberlandesgericht Hamm

Az.: 2 Ss 589/06

Beschluss vom 06.02.2007

Vorinstanz: Amtsgericht Schwerte, Az.: 5 Ds 765 Js 137/06 – 204/06


Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte auch wegen einer tateinheitlich begangenen versuchten Nötigung (§§ 240, 22, 23, 52 StGB) verurteilt wird.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Schwerte hat den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen in Höhe von jeweils 20, EUR verurteilt. Es hat folgende Feststellungen getroffen:

„Zwischen dem Angeklagten und der Stadt T kam es in der Vergangenheit bereits des öfteren zu Auseinandersetzungen wegen baurechtlicher Maßnahmen der Stadt T. Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen kam es u.a. auch zu einer Beauftragung des Vollziehungsbeamten F der Stadt T, der bei dem Angeklagten am 14.11.2005 einen Betrag in Höhe von 150,00 € für die Stadtkasse eintreiben wollte. Der Angeklagte wies – wohl zu Recht – darauf hin, dass er diesen Betrag nicht schulde, da er Widerspruch gegen die entsprechende Ordnungsverfügung der Stadt T eingelegt habe und dieses nach seiner Überzeugung aufschiebende Wirkung habe. Der Vollziehungsbeamte F wies diesen Vortrag zurück und bestand darauf, in der Folge Zutritt zur Wohnung zu erhalten. Tatsächlich kam es dann jedoch zu einer Vollstreckung an diesem Tage nicht mehr.

Der Angeklagte wandte sich noch am 14.11.2005 hilfesuchend an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und bat um Aussetzung der Vollziehung.

Unter dem 24.11.2005 erstattete er Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hagen wegen des Vorgehens des Vollziehungsbeamten F. In dieser Strafanzeige heißt es u.a.:

„Ein solcher Beamter sollte sich immer an das Gesetzbuch halten und nicht mit solchen verbrecherischen Methoden arbeiten. Solche Menschen gehören eingesperrt und nicht auf die Menschheit losgelassen.“ … „Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal eindringlich davor warnen. Sollte der Mann sich noch einmal auf meinem Grund und Boden begeben, werde ich ihn mit aller massiver Gewalt von meinem Grund und Boden werfen. Ich bin sogar bereit, mich dafür vor einem Gericht zu verantworten.“ … „Ich hoffe, dass dieser „Verbrecher“ aus diesem verantwortungsvollen Beruf entfernt wird, damit er nicht noch länger andere Menschen bedrohen und nötigen kann.“

Unter dem 26. 11. 2005 bedankte sich sodann der Angeklagte beim Verwaltungsgericht für den dort schnell gewährten Rechtsschutz.

Unter dem 08.12.2005 übersandte der Angeklagte sodann per Fax an die Stadt T eine Dienstaufsichtsbeschwerde hinsichtlich des Vorfalls vom 14.11.2005. In diesem Schreiben heißt es wörtlich erneut wie folgt:

„Ein solcher Beamter sollte sich immer an das Gesetzbuch halten und nicht mit solchen verbrecherischen Methoden arbeiten. Solche Menschen gehören eingesperrt und nicht auf die Menschheit losgelassen.“ … „Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal eindringlich davor warnen. Sollte der Mann sich noch einmal auf meinem Grund und Boden begeben, werde ich ihn mit aller massiver Gewalt von meinem Grund und Boden werfen. Ich bin sogar bereit, mich dafür vor einem Gericht zu verantworten.“ … „Ich hoffe, dass dieser „Verbrecher“ aus diesem verantwortungsvollen Beruf entfernt wird, damit er nicht noch länger andere Menschen bedrohen und nötigen kann.““

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten, mit der er seinen Freispruch erstrebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass der Angeklagte auch wegen übler Nachrede verurteilt wird.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Der Angeklagte war vielmehr im Wege der Schuldspruchberichtigung auch wegen einer tateinheitlich begangenen versuchten Nötigung zu verurteilen.

1.

Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung.

Unter einer Beleidigung ist die Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung zu verstehen (vgl. BGHSt 1, 298; 11, 67; 16, 58 f). Dabei kann die Beleidigung durch ehrenrührige Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen sowie durch herabsetzende Werturteile gegenüber dem Betroffenen begangen werden (vgl. OLG Hamm vom 10. Oktober 2005 in 3 Ss 231/05).

Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge ist bei Angriffen auf die Ehre eines anderen dementsprechend zunächst zu untersuchen, ob eine Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe einer Meinung, d.h. eines Werturteils, darstellt. Bei der Tatsachenbehauptung steht die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund, so dass sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich ist. Hingegen sind Meinungen, auf die sich der grundgesetzliche Schutz der Meinungsfreiheit in erster Linie bezieht, durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl. BVerfG, StV 2000, 416; NJW 1994, 1779). Tatsachenbehauptungen können jedoch auch in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen, und zwar dann, wenn sie im Zusammenspiel die Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, weil sich diese in der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen (vgl. BVerfG NJW 1994, 1779). Ob der Tatrichter den Aussagegehalt einer beanstandeten Äußerung zutreffend erfasst und rechtlich einwandfrei zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil unterschieden hat, unterliegt revisionsrechtlicher Nachprüfung (vgl. BGH NJW 1997, 2513). Zu bewerten ist die beanstandete Äußerung in ihrer Gesamtheit; einzelne Elemente dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht herausgelöst und einer vereinzelten Betrachtung zugeführt werden, weil dies den Charakter der Äußerung verfälscht und ihr damit den ihr zustehenden Grundrechtsschutz von vornherein versagen würde (vgl. BGH a.a.O.).

Die Anwendung dieser Grundsätze führt hinsichtlich der beanstandeten Äußerungen des Angeklagten dazu, dass es sich um ein Werturteil in Bezug auf die Person des Zeugen F handelt, da die Aussagen nicht dem Beweis ihrer objektiven Richtigkeit zugänglich sind. Zu Recht hat das Amtsgericht daher festgestellt, dass die Ausführungen des Angeklagten in den beiden Schreiben dem Schutzbereich des Art. 5 Absatz 1 GG unterfallen.

Prüfungsmaßstab für die vorliegenden Darlegungen ist demnach das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Es gewährleistet jedermann grundsätzlich das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (vgl. BVerfG NJW 1976, 1980). Aus diesem Grund sind Werturteile von Art. 5 Absatz 1 GG unabhängig davon geschützt, ob die Äußerung „wertvoll“ oder „wertlos“, „richtig“ oder „falsch“, „emotional“ oder „rational“ begründet ist (vgl. BVerfG NJW 1992, 2815; NJW 1983, 1415; NJW 1972, 811).

Bezieht sich eine Äußerung auf ein tatsächliches Verhalten des Betroffenen, so stellt sie als Werturteil allerdings nur dann keine Beleidigung dar, wenn sie vom fraglichen Sachverhalt getragen wird und keine überschießende Abwertung zum Ausdruck bringt (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2006, 173; SS-Lenckner, StGB, 27. Aufl., § 185 Rn. 7). Sogar eine grundsätzlich zur Ehrverletzung geeignete Bekundung ist aber dann nicht als rechtswidrig anzusehen, wenn der Täter zur Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gehandelt hat (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; BayObLG NJW 2005, 1291; NStZ 2005, 215). Dabei ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, das das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gehört (vgl. BVerfG NJW 1992, 2815). Dies gilt auch, wenn sich das Werturteil auf staatliche Einrichtungen, deren Bedienstete und deren Vorgehensweise bezieht (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2003, 295). Selbst scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen in diesem Zusammenhang in den Schutzbereich des Art. 5 Absatz 1 GG (vgl. BVerfG NJW 1992, 2815).

Im vorliegenden Fall ist weiter zu beachten, dass die der Verurteilung zugrunde liegenden Äußerungen des Angeklagten im Rahmen einer Strafanzeige und einer Dienstaufsichtsbeschwerde abgegeben worden sind (vgl. BVerfG NJW 2005, 3274). Anzeigen von angeblichen Dienstpflichtverletzungen sind selbst bei Nichterweislichkeit der behaupteten Straftat nach § 193 StGB gerechtfertigt (vgl. SS-Lenckner, a.a.O., § 193 Rn. 20). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Anzeige jeder Grundlage entbehrt oder die ehrenrührigen Vorwürfe mit dem Verfahren offensichtlich nichts zu tun haben (vgl. OLG Düsseldorf, NVwZ 1983, 502). Selbst wenn man vorliegend davon ausgeht, dass die Anzeige bzw. die Dienstaufsichtsbeschwerde nicht von vornherein grundlos eingelegt worden sind, ist eine ehrverletzende Äußerung dementsprechend jedenfalls dann nicht mehr hinzunehmen, wenn die Äußerung sich als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder als Schmähung darstellt (vgl. BVerfG NJW 1999, 2262). In diesem Fall tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig vor dem Recht der persönlichen Ehre zurück (vgl. BVerfG a.a.O.).

Das Amtsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Schmähung handelt, die weder von § 193 StGB noch von Art. 5 Absatz 1 GG gedeckt ist. Dabei ist allerdings im Rahmen der Begründung zu Unrecht zwischen der Strafanzeige vom 24. November 2005 und der Dienstaufsichtbeschwerde vom 08. Dezember 2005 differenziert worden. Die wortgleiche Äußerung des Angeklagten kann nicht im Rahmen der Strafanzeige von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sein und im Rahmen der nachfolgenden Dienstaufsichtsbeschwerde nicht mehr. Dem Betroffenen einer hoheitlichen

Maßnahme ist es vor dem Hintergrund des Geltungsbereiches des Art. 5 Absatz 1 GG grundsätzlich auch dann nicht verwehrt, gegen den Hoheitsakt im Wege einer Dienstaufsichtsbeschwerde vorzugehen, wenn er auf andere Weise bereits Rechtsschutz erlangt hat. Er muss sich allerdings – wie bereits dargelegt – im Rahmen des nach § 193 StGB i.V.m. Art. 5 Absatz 1 GG Zulässigen bewegen.

Demzufolge sind beide Schreiben des Angeklagten als eine Handlung im Rechtssinne zu sehen, die sich als Angriff auf die Ehre des Zeugen F darstellen.

Die Einschätzung des Amtsgerichts, dass der Angeklagte mit seinen auf den Zeugen F bezogenen Äußerungen die Grenze zur Schmähung überschritten hat, ist hingegen – auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Begriff eng auszulegen ist (vgl. BVerfG NJW 2003, 3760) – im Ergebnis nicht zu beanstanden. Merkmal der Schmähung ist die das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Sie muss jenseits auch polemischer und überspritzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen (vgl. BVerfGE 82, 272). Ob eine Äußerung einen solch abwertenden Charakter hat und damit eine strafbewehrte Persönlichkeitsverletzung darstellt, hat der Tatrichter unter umfassender Auslegung des tatsächlichen Gehalts der Äußerung, ihrer Zielsetzung und der von ihr ausgehenden Wirkungen zu bewerten. Die tatrichterliche Auslegung unterliegt dabei nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung (vgl. BVerfG NJW 2000, 199). Das Revisionsgericht darf nur überprüfen, ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht oder gegen Sprach- und Denkgesetze verstößt (vgl. BGHSt 21, 371) oder ob sie lückenhaft ist, also ob im Rahmen der Auslegung alle Begleitumstände berücksichtigt worden sind (vgl. BGHSt 40, 97). Das Revisionsgericht hat zudem zu berücksichtigen, ob der Tatrichter bei der Anwendung von §§ 185 ff. StGB die Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit, die durch § 185 StGB eingeschränkt wird, auf der anderen Seite droht, gesehen und richtig gewertet hat. Urteile, die den Sinn der mündlichen Äußerung erkennbar verfehlen und deren rechtliche Würdigung darauf gestützt wird, halten den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht stand. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt auch dann vor, wenn das Strafgericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. BVerfG NJW 1990, 980 und 1995, 3303; OLG Hamm vom 10 .Oktober 2005 in 3 Ss 231/05). Hält ein Gericht eine Äußerung fälschlicherweise für eine Schmähung oder Formalbeleidigung, mit der Folge, dass eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles unterlassen wird, so liegt darin ein erheblicher Fehler, der zur Aufhebung des Urteils führt (vgl. OLG Hamm a.a.O.).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund lässt das Urteil des Amtsgerichts Schwerte im Ergebnis keinen Rechtsfehler erkennen. Das Amtsgericht hat die Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 GG erkannt und die Äußerungen des Angeklagten in diesem Zusammenhang zutreffend gewichtet. Es hat erkannt, dass die Äußerungen im Rahmen der laufenden Auseinandersetzungen mit der Stadt T erfolgten und die Schreiben im Zuge dieser Auseinandersetzung zu bewerten sind. Dabei hat der Amtsrichter zutreffend darauf abgestellt, dass die Bezeichnung des Vollzugsbeamten als „Verbrecher“ nicht mehr von Art. 5 Abs. 1 GG und § 193 StGB gedeckt ist. Denn mit dieser Wertung hat der Angeklagte den Bereich der Auseinandersetzung in der Sache bzw. des sachlichen Anliegens verlassen, indem er den Zeugen uneingeschränkt mit einem gefährlichen Kriminellen gleichgesetzt hat. Dies gilt auch dann, wenn man die Herabwürdigung des Zeugen als „Verbrecher“ im Gesamtkontext betrachtet und berücksichtigt, dass sie im Rahmen einer Strafanzeige bzw. Dienstaufsichtbeschwerde erfolgt ist. Selbst bei wohlwollender Auslegung des Inhalts der Schreiben war der Angeklagte nämlich nicht in erster Linie darauf bedacht, die seiner Ansicht nach rechtswidrige Diensthandlung des Zeugen F pointiert darzustellen und diesem die Verletzung eines Straftatbestandes vorzuwerfen. Vielmehr hat er dem Zeugen losgelöst von der Sache und unabhängig von der Rechtmäßigkeit künftiger Handlungen für den Fall des erneuten Betretens seines Grundstücks massive Gewalt angedroht und sich dabei sogar dahingehend verstiegen, diese Handlung anschließend vor einem Gericht verantworten zu wollen. Damit hat er klar zum Ausdruck gebracht, dass er dem Zeugen körperliche Gewalt auch dann antun werde, wenn dieser ihn im Rahmen einer rechtmäßigen Diensthandlung aufsuchen würde. Auf diese Weise hat er klargestellt, dass es ihm auf die zugrunde liegende dienstliche Handlung nicht mehr ankommt. Gleichzeitig hat er durch die Ankündigung von massiver Gewalt das Recht des Zeugen auf dessen körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Absatz 2 GG) bestritten. In diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall entscheidend von der seitens des Revisionsführers zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der übrigen Obergerichte, in denen es den jeweiligen Angeklagten – auch vor dem Hintergrund der diffamierenden Äußerungen – vorrangig um die Verdeutlichung ihres Anliegens ging. Der Angeklagte bezieht sich nämlich vorliegend nicht mehr nur auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten des Zeugen, das er als strafbare Handlung einstuft und zur Anzeige bringen will, sondern er knüpft auch an zukünftiges Handeln des Zeugen an, ohne auf die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme abzustellen. Es handelte sich demnach um eine konkret auf den Zeugen F bezogene Äußerung, mit der es dem Angeklagten in erster Linie um die Herabsetzung der Person des Zeugen und um dessen vorsätzliche und ausschließliche Kränkung ging. In diesem Zusammenhang ist auch der zeitliche Ablauf zu berücksichtigen. Sowohl die Anzeige als auch die Dienstaufsichtsbeschwerde sind mehrere Tage bzw. Wochen nach dem Vorfall vom 14. November 2005 geschrieben worden. Es handelte sich somit auch nicht mehr um verständliche oder zumindest nachvollziehbare Unmutsäußerungen im Rahmen der konkreten und möglicherweise noch erregten Auseinandersetzung mit dem Zeugen (vgl. insoweit auch OLG Hamm vom 10. Oktober 2006 in 4 Ss 442/06).

Selbst wenn man die Äußerungen des Angeklagten jedoch nicht als Schmähung auffasst und entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine konkrete Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Ehrenschutz vornimmt (vgl. BVerfG NJW 2003, 3760), ergibt sich kein anderes Ergebnis. Im Rahmen der Abwägung, bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt und deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist (vgl. BVerfG NJW 2000, 199), sind alle wesentlichen Umstände des Falles zu berücksichtigen (vgl. BVerfG NJW 1996, 1529; NJW 1999, 2262). Für den Angeklagten streitet zwar, dass er seine Meinungsäußerung nicht als unbeteiligter Dritter, sondern als Partei einer rechtlichen Auseinandersetzung im Kampf um Rechtspositionen gemacht hat (vgl. OLG Hamm vom 03. Juni 2004 in 4 Ss 138/04). Dabei kommt es grundsätzlich auch nicht darauf an, dass er seine Kritik anders hätte formulieren können (vgl. BVerfG StV 1991, 458). Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Angeklagte juristischer Laie ist, für den der zugrunde liegende (Vollstreckungs-) Vorgang möglicherweise unverständlich war und er an diesen Vorgängen deutliche Kritik üben wollte.

Dieser grundgesetzlich geschützten Position des Angeklagten steht aber die Schwere der Ehrkränkung des angegriffenen Zeugen und sein Anspruch auf Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte gegenüber. Der Vorwurf des „verbrecherischen“ Vorgehens und die generelle Titulierung als „Verbrecher“ bedeutet für jeden Vollstreckungsbeamten eine inakzeptable Kränkung, insbesondere wenn die Vorwürfe wiederholt erhoben werden. Unter Abwägung sämtlicher – auch bereits erwähnter – Umstände ist hier der verletzten Rechtsposition des angegriffenen Vollstreckungsbeamten ein höheres Gewicht beizumessen als der Meinungsfreiheit. Bei der Abwägung ist zwar zu berücksichtigen, dass der Betroffene einer hoheitlichen Maßnahme Kritik üben können muss und angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen darf, ohne sogleich befürchten zu müssen, der Strafverfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. OLG Hamm vom 03. Juni 2004 in 4 Ss 138/04; KG StV 1997, 485; BayObLG NStZRR 2002, 41), er muss aber die aufgezeigten Grenzen eingehalten. Der Ehrenschutz kann in Fällen wie dem vorliegenden schon deshalb nicht zurücktreten, weil der Vollstreckungsbeamte den inakzeptablen Angriffen des Angeklagten wegen der gleichzeitig erhobenen Drohungen kaum anders wird begegnen können als auf der Ebene der strafrechtlichen Verfolgung, sofern er sich nicht im Falle künftiger Vollstreckungsmaßnahmen der konkreten Gefahr eines Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit ausgesetzt sehen will.

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2.

Eine Verurteilung wegen einer tateinheitlich begangenen üblen Nachrede (§ 186 StGB) scheidet aus, da es sich bei den Äußerungen des Angeklagten – wie bereits dargelegt – nicht um Tatsachenbehauptungen handelt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., § 186 Rn. 2 ff.).

3.

In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO war der Angeklagte jedoch – unter Berichtigung des Schuldspruchs – auch wegen einer tateinheitlich begangenen versuchten Nötigung gemäß §§ 240, 22, 23, 52 StGB zu verurteilen.

Der Angeklagte hat dem Zeugen pauschal und undifferenziert mit einem empfindlichen Übel in Form von massiver Gewalt gedroht, sofern er sich noch einmal auf dessen Grund und Boden begebe. Auf diese Weise hat er versucht, den Zeugen von dem Betreten des Grundstücks zum Zwecke weiterer Zwangsvollstreckungsmaßen abzuhalten und auch rechtmäßige Vollstreckungshandlungen eingeschlossen. Dabei hat er es zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass der Zeuge die Ankündigung der Gewalt ernst nehmen und sich hiervon beeinflussen lassen würde. Angesichts des Inhalts der Drohung und dem zeitlichen Ablauf zwischen dem Vorfall und den Schreiben besteht auch kein Zweifel daran, dass es dem Angeklagten nicht nur um die Überprüfung des Sachverhaltes durch die Staatsanwaltschaft und die Dienstvorgesetzten des Zeugen ankam; denn ihm war klar, dass der Zeuge vom Inhalt der Schreiben und damit vom Inhalt der Drohung Kenntnis erlangen würde.

Zu einer Vollendung ist es allerdings nicht gekommen, da keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen erforderlich wurden und der Zeuge bzw. dessen Vorgesetzte sich dem Willen des Angeklagten nicht gebeugt, sondern Anzeige erstattet und Strafantrag gestellt haben.

Allgemeine Rechtfertigungsgründe liegen nicht vor. Eine Rechtfertigung bei Wahrnehmung berechtigter Interessen durch analoge Anwendung des § 193 stopp kommt nicht in Betracht (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 240 Rn. 39 m.w.N.).

Die Verwerflichkeit gemäß § 240 Abs. 2 StGB ist schon allein dadurch indiziert, dass das angekündigte Übel eine nach § 223 StGB strafbare Handlung darstellt, die ihrerseits unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt wäre (vgl. SSEser, StGB, 27. Aufl., § 240 Rn. 19). Die Verwerflichkeit ergibt sich außerdem aus dem Vorrang staatlicher Zwangsmittel. Der Angeklagte ist auf die Beschreitung des Rechtsweges zu verweisen und darf – auch bei vermeintlich rechtswidrigen Vollstreckungsmaßnahmen – nicht unter Ausschaltung des Gewaltmonopols des Staates zur Selbsthilfe greifen (vgl. BGHSt 39, 133). Das rechtmäßige Alternativverhalten war dem Angeklagten bei Abfassung der Schreiben vom 24. November und 08. Dezember 2005 auch bekannt, denn nach dem Inhalt der Feststellungen hat er am 14. November zunächst beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einstweiligen Rechtsschutz beantragt und schließlich auch erhalten.

4.

Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Der Schuldspruchberichtigung stehen keine prozessualen Gründe entgegen. Die Schuldspruchberichtigung dient der Verfahrensvereinfachung und ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG wistra 2000, 216). Die Voraussetzungen für die Schuldspruchberichtigung liegen vor.

Dass es sich vorliegend nicht um eine weitere Tat im Sinne des § 266 StPO handelt, die zu einer Nachtragsanklage genötigt hätte, liegt auf der Hand (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 266 Rn. 2). In dem Schreiben ist sowohl eine Beleidigung als auch eine Drohung im Sinne des § 240 StGB enthalten, weshalb gemäß § 52 StGB eine Tat gegeben ist.

Der Schuldspruchänderung steht auch § 265 StPO nicht entgegen. Zwar kommt eine solche grundsätzlich nicht in Betracht, wenn gemäß § 265 Abs. 1 StPO ein rechtlicher Hinweis nachgeholt werden muss (vgl. BGH NJW 1984, 1744), sie ist aber im vorliegenden Fall zulässig, da dem Angeklagten aufgrund des feststehenden Sachverhalts keine anderweitige Verteidigung möglich ist (vgl. BGHSt 34, 375).

5.

Auch die Strafzumessung weist keine Rechtsfehler auf, die zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils nötigen würden. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des tatrichterlichen Ermessens und daher vom Revisionsgericht nur darauf zu prüfen, ob Rechtsfehler vorliegen. Das Revisionsgericht darf daher nur eingreifen, wenn die Strafzumessungserwägrungen des Urteils in sich rechtsfehlerhaft sind oder wenn der Tatrichter die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verletzt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 337 Rn. 34 m.w.N.).

Solche Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten weist das Urteil nicht auf. Entgegen der Auffassung der Revision begegnet die Strafzumessung auch insoweit keinen durchgreifenden Bedenken, als der Tatrichter zu Lasten des Angeklagten die wiederholte Diskreditierung des Zeugen F sowie den Umstand strafschärfend berücksichtigt hat, dass die Anlass gebende – beanstandete – Diensthandlung bezogen auf den Zeitpunkt längere Zeit zurück lag. Soweit das Amtsgericht der festgestellten Tat im Hinblick auf die „Wiederholung“ einen höheren Unrechtsgehalt beigemessen hat, ist hiergegen ebenfalls nichts zu erinnern, zumal sich die Strafe ohnehin im untersten Bereich des Strafrahmens bewegt.

Abgesehen davon würde ein angenommener Rechtsfehler in diesem Punkt der Strafzumessung dennoch nicht zur Aufhebung des Urteils nötigen. Gemäß § 354 Abs. 1 a StPO kann das Revisionsgericht wegen einer Verletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Dies wäre vorliegend der Fall. Die vom Amtsgericht ausgeurteilte Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20,00 € erscheint angesichts der ausführlich dargestellten Gesamtumstände auch in Anbetracht der tateinheitlich begangenen versuchten Nötigung angemessen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

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