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Sachverständiger – Besorgnis der Befangenheit

Oberlandesgericht Rostock, Az: 22 RR 108/14, Beschluss vom 06.01.2015


Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 08.07.2014 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte schuldig gesprochen worden ist.

II. Die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Schwerin zurückverwiesen.


Gründe

I.

Das Amtsgericht Schwerin hat den Angeklagten am 27.09.2013 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Schwerin den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen schuldig gesprochen und gegen ihn eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten verhängt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 10.07.2014 Revision eingelegt. Mit der Revisionsbegründung vom 09.10.2014 rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Sachrüge ist mit Verteidigerschreiben vom 15.10.2014 weiter ausgeführt worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Stellungnahme vom 25.11.2014 die Revision des Angeklagten kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen. Der Angeklagte hat hierzu mit Schreiben seines Verteidigers vom 09.12.2014 eine Gegenerklärung abgegeben.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge umfassenden Erfolg, weshalb es eines Eingehens auf die übrigen Beanstandungen der Revision nicht bedarf.

1. Der Angeklagte beanstandet zu Recht, dass das Landgericht seinen Befangenheitsantrag gegen die Sachverständige Dr. W. mit rechtsfehlerhafter Begründung zurückgewiesen hat.

Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 StPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Danach ist der Rechtsbegriff der Besorgnis der Befangenheit beim Sachverständigen nicht anders auszulegen als beim Richter. Anders als bei einer Richterablehnung prüft indes das Revisionsgericht nicht nach Beschwerdegrundsätzen, sondern nach revisionsrechtlichen Grundsätzen, ob das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit zureichender Begründung zurückgewiesen worden ist. Zu prüfen ist nur, ob das Tatgericht bei seiner Entscheidung über Rechtsfragen geirrt hat (BGHSt 8, 226, 233). Das ist vorliegend der Fall.

Die Zeugin D. W. ist als Tochter des Angeklagten nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses und demzufolge nach § 81c Abs. 3 Satz 1 StPO auch zur Verweigerung ihrer (aussagepsychologischen) Begutachtung berechtigt. Während die Weigerung eines – wie hier vom Gericht festgestellt (UA S. 6) – verstandesunreifen Kindes, sich überhaupt explorieren zu lassen, durch die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters überstimmt werden kann (§ 81c Abs. 3 Satz 2 StPO), weil insoweit gerade nicht auf § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO verwiesen wird (BGHSt 40, 336, Rdz. 13 in juris), gilt dies für das Aussageverweigerungsrecht eines solchen Zeugen nicht. Er darf als Angehöriger ungeachtet einer Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nur vernommen werden, wenn auch er selbst zur Aussage bereit ist (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StPO). Auch der verstandesunreife Zeuge entscheidet mithin autonom darüber, ob er aussagen will (BGH NJW 1979, 1722; 91, 2432). Dabei darf weder durch das Gericht noch durch andere Verfahrensbeteiligte auf die Entschließungsfreiheit des Zeugen eingewirkt werden (Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO 57. Aufl. § 52 Rdz. 26 m.w.N.). Unzulässig ist es auch, die Motive des Zeugen für die Verweigerung des Zeugnisses auszuforschen (BGH NStZ 1989, 440). Selbst wenn dieser seine Aussageverweigerung nicht mit der durch § 52 StPO geschützten persönlichen Nähe zu dem Angeklagten, sondern nur damit begründet, er könne sich an die fraglichen Vorgänge nicht mehr erinnern, darf nicht versucht werden, ihm etwa durch das Angebot, ihm frühere Aussagen zur Auffrischung seines Gedächtnisses vorzuhalten, doch noch zu Angaben zu bewegen (BGH a.a.O.). Der Zeuge kann auch nicht etwa nur pauschal die gesamte Aussage verweigern, sondern er kann von seinem Zeugnisverweigerungsrecht auch hinsichtlich einzelner Aussageteile oder gar einzelner Fragen Gebrauch machen. Er kann seine Aussagebereitschaft schließlich auch noch während einer laufenden Vernehmung widerrufen oder einschränken.

Gemessen daran, war das Vorgehen der Gutachterin in vorliegender Sache nicht korrekt. Sie hat die wiederholte Weigerung der kindlichen Zeugin, zu dem angeklagten Geschehen keine (weiteren) Angaben machen zu wollen, einfach negiert, indem sie das Kind unter Hinweis darauf, seine Aussage sei für das Verfahren aber „wichtig“, zumal es um die „Aufklärung von etwas Verbotenem“ gehe, und durch hartnäckiges Nachfragen sowie durch Kitzeln dazu gebracht hat, doch weitere Aussagen zu machen. Dabei ist es egal, ob das Kind deswegen nichts mehr sagen wollte, weil es den Vater nicht weiter belasten wollte, oder aber ob die Zeugin zum Zeitpunkt der Untersuchung einfach nur unlustig („bockig“) und möglicherweise auch „genervt“ war, weil sie zum wiederholten Mal gegenüber Erwachsenen von dem verfahrensgegenständlichen Geschehen berichten sollte. Auch eine derart motivierte Weigerungshaltung ist bei einer zeugnisverweigerungsberechtigten Person uneingeschränkt zu respektieren.

Steht danach fest, dass die Sachverständige bei der Untersuchung des Kindes deren Zeugnisverweigerungsrecht zumindest objektiv grob missachtet hat, ist dies ein Umstand, der aus Sicht des Angeklagten die Besorgnis ihrer Befangenheit zu begründen vermag (vgl. BGH StraFo 2011, 274, Rdz. 8 in juris unter Hinweis auf KK-Fischer, StPO 6. Aufl. § 24 Rn. 14). Dabei kommt erschwerend hinzu, dass die Sachverständige das Kind sogar selbst – wenn auch rechtlich unwirksam (vgl. BGH NJW 1991, 2432; NJW 1996, 206; NStZ 1997, 349) – vor Beginn der Untersuchung noch auf sein Recht hingewiesen hat, keine Angaben machen zu müssen, was belegt, dass der Gutachterin das Zeugnisverweigerungsrecht ihrer Probandin sehr wohl bewusst gewesen ist. Gleichwohl hat sie es nachfolgend im Interesse der Erledigung ihres Auftrags nicht respektiert.

Das verkennt die Strafkammer, wenn sie in dem das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluss ausführt, es sei gerade die Aufgabe der Sachverständigen gewesen, die Zeugin in kindgerechter Weise zu einer Aussage zu bewegen, weil nur so eine Begutachtung auf ihre Glaubwürdigkeit möglich gewesen sei. Es bestehe geradezu eine Verpflichtung der Sachverständigen, soweit möglich alle Anknüpfungstatsachen für ihr Gutachten zu ermitteln (UA S. 7). Denn das kann in dieser Absolutheit nur gelten, wenn der zu untersuchenden Person kein Aussage-, Untersuchungs- und/oder Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Andernfalls gilt, dass auch ein Sachverständiger, zumal wenn er im Auftrag der Strafverfolgungsbehörden oder eines Gericht tätig wird, bei der Befragung von Personen nicht mehr darf, als die originär zur Aufklärung des Sachverhalts zuständigen Stellen. Andernfalls könnten die prozessualen Rechte der Probanden durch gezielte Beauftragung von Sachverständigen umgangen werden.

Ebenso ist das Argument des Landgerichts verfehlt, es sei nicht erkennbar, dass die Sachverständige bei der Untersuchung und mit ihren Fragestellungen Einfluss auf den Inhalt der Aussage der Zeugin genommen habe, denn darum geht es hier nicht. Entscheidend und für die Besorgnis der Befangenheit ausreichend ist allein, dass die Sachverständige in rechtswidriger Weise das erklärter-maßen aussageunwillige Kind ungeachtet der ihm zuvor erteilten Belehrung doch zu einer Aussage veranlasst hat. Richtigerweise hätte die Sachverständige die Begutachtung nach der – wiederholten (!) – Erklärung der Zeugin, keine Angaben machen zu wollen, abbrechen und die den Auftrag erteilende Staatsanwaltschaft hiervon in Kenntnis setzen müssen.

2. Ist die Sachverständige somit vom Angeklagten zu Recht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden, durfte das von ihr erstattete Gutachten zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin nicht als Beweismittel verwendet werden. Das ist vorliegend jedoch geschehen, wobei die Urteilsgründe zeigen, dass dem Gutachten – zwangsläufig – eine zentrale Bedeutung bei der gesamten Beweiserhebung und -würdigung zugekommen ist (UA S. 7 ff. [8 ff.]). Das Urteil beruht deshalb auch auf diesem Fehler (§ 337 Abs. 1 StPO).

3. Auf die Revision des Angeklagten hin war daher das angefochtene Urteil, soweit er verurteilt worden ist, mit den zugrunde liegenden Feststellungen (§ 349 Abs. 4, § 353 Abs. 1 StPO) aufzuheben.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

1. Die erfolgreiche Ablehnung der Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit hindert grundsätzlich nicht, diese über die von ihr im Rahmen der Exploration erhobenen Zusatztatsachen, mithin über das, was das Kind ihr vom angeklagten Geschehen geschildert hat, als Zeugin zu vernehmen (BGH, Beschluss vom 18. März 2010 – 3 StR 426/09 -, juris). Dabei wird im vorliegenden Fall jedoch zu bedenken sein, dass die Sachverständige nach dem Vorgesagten in unzulässiger Weise auf das Aussageverhalten der Zeugin eingewirkt hat, was nach dem Regelungsgedanken des § 136a StPO nicht nur zu einem Beweiserhebungs-, sondern sogar zu einem Beweisverwertungs-verbot führen könnte, zumal das Kind vor der Exploration auch nicht prozessordnungsgemäß über sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO belehrt worden ist. Die eventuelle Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur Verwertung dieser Angaben kann zwar noch den Belehrungsmangel heilen (BGHSt 45, 203, Rdz. 24 in juris m.w.N.). Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob dies auch für die Missachtung des Zeugnisverweigerungsrechts gilt.

2. Vor einer erneuten aussagepsychologischen Begutachtung werden die Zeugin und ihr gesetzlicher Vertreter durch das den Auftrag erteilende Gericht, und zwar durch den/die Vorsitzende(n), in kindgerechter Weise über ihr Zeugnisverweigerungsrecht und zusätzlich „qualifiziert“ darüber zu belehren sein, dass seine bisherigen Angaben gegenüber der Sachverständigen Dr. X wohl nicht verwertet werden dürfen und dass die Zeugin auch dann von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht eigenständig Gebrauch machen kann, wenn ihr gesetzlicher Vertreter der Untersuchung und Befragung zugestimmt hat. Sollte die Zeugin daraufhin erklären, sie wolle nicht (erneut) gegenüber einem Sachverständigen aussagen, dürfte eine Begutachtung jedenfalls außerhalb der Haupt-verhandlung nicht in Betracht kommen.

3. So lange der Beschlusses des Amtsgerichts Schwerin – Familiengericht – vom 17.03.2014 – nicht aufgehoben ist, ruht die elterliche Sorge des Angeklagten mit der Folge, dass die Kindesmutter diese über ihre Tochter D. allein ausübt (§ 1678 Abs. 1 BGB), während der Angeklagte sie nicht ausüben darf (§ 1675 BGB). Der nach § 1674 BGB ergangene Feststellungsbeschluss hat entgegen der Ansicht der Revision nicht lediglich deklaratorischen und damit rechtlich unverbindlichen Charakter, sondern ihm kommt aus Gründen der erforderlichen Rechtsklarheit und -sicherheit gestaltungs-ähnliche Wirkung zu und zwar auch dann, wenn die Feststellung sachlich unzutreffend sein sollte (BayObLG FamRZ 88, 867, Rdz. 23 in juris). Der Beschluss ist mit seiner Bekanntgabe an beide Elternteile wirksam geworden. Die elterliche Sorge des Angeklagten könnte deshalb, auch wenn ihr Ruhen zu Unrecht angeordnet worden sein sollte, erst wieder durch einen Beschluss nach § 1674 Abs. 2 BGB und dessen Mitteilung an beide Elternteile aufleben. Bis dahin konnte und kann die Kindesmutter allein die nach § 52 Abs. 2, § 81c Abs. 3 Satz 2 StPO erforderlichen Erklärungen abgeben.

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