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Betrachten eines Videostreams keine Urheberrechtsverletzung ? Stellungnahme der Bundesregierung


Deutscher Bundestag 18. Wahlperiode

Drucksache 18/246 – 02.01.2014


Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 30. Dezember 2013 übermittelt.

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.

– Drucksache 18/195 –

Konsequenzen aus der Abmahnwelle gegen Nutzerinnen und Nutzer des Videostream-Portals Redtube.com

Vorbemerkung der Fragesteller

Anfang Dezember 2013 wurde bekannt, dass die U+C Rechtsanwälte URMANN + COLLEGEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (U+C) im Auftrag der „The Archive AG“ massenhaft Abmahnungen an Nutzerinnen und Nutzer des Videostreaming-Dienstes Redtube.com verschickt hat und sie darin wegen einer Urheberrechtsverletzung zu einer Zahlung von 250 Euro (169,50 Euro Anwaltskosten, 65 Euro Ermittlungskosten und 15,50 Euro Schadensersatz für die Urheberrechtsverletzung) und der Abgabe einer Unterlassungserklärung aufforderte (www.lawblog.de/index.php/archives/2013/12/06/streamingabmahnung-mit-vielen-fragezeichen/). Schätzungen gehen davon aus, dass eine fünfstellige Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern eine solche Abmahnung erhalten haben (https://netzpolitik.org/2013/der-dreifache-skandal-der-uc-streamingabmahnungen/). Trotz des im Oktober 2013 in Kraft getretenen Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken kommt es also wieder zu einer Abmahnwelle. Beachtenswert an dieser Abmahnwelle ist auch, dass zum ersten Mal Nutzerinnen und Nutzer eines Videostream-Portals massenhaft abgemahnt werden. Ob das reine Betrachten eines Videostreams eine urheberrechtsrelevante Vervielfältigung ist, ist rechtlich allerdings umstritten und nicht abschließend geklärt. Einige Juristen argumentieren, dass die Zwischenspeicherung im Cache des Internetbrowsers eine Vervielfältigung darstellt. Dem wird entgegengehalten, dass sich das Betrachten eines Videostreams nicht vom Betrachten einer DVD unterscheidet. Das Abspielen von DVDs stellt keine Urheberrechtsverletzung dar, auch wenn die Nutzerin oder der Nutzer weiß, dass es sich um eine Raubkopie handelt. Doch selbst wenn das reine Betrachten eines Videostreams als Vervielfältigung angesehen wird, könnten Schrankenregelungen, wie beispielsweise in § 44a des Urhebergesetzes (UrhG) vorgesehen, greifen. Trotz der rechtlichen Unklarheit hat das Landgericht Köln angeordnet, dass der Internet Service Provider der Nutzerinnen und Nutzer die Nutzerdaten herauszugeben hat. In der Begründung heißt es: „Durch das öffentliche Zugänglichmachen des geschützten Werkes zu den aus der Anlage ersichtlichen Zeitpunkten über eine sogenannte Tauschbörse liegt zudem eine Rechtsverletzung im Sinne vom Paragraf 19a Urheberrechtsgesetz vor.“ (www.golem.de/news/uc-abmahnung-gericht-hat-streaming-und-p2p-verwechselt-1312-103257.html).

Vermutlich ging das Gericht fälschlicherweise davon aus, dass es sich nicht um einen Videostreaming-Dienst handele, sondern um eine Tauschbörse. Es kann berechtigt davon ausgegangen werden, dass der Fall ungeprüft durchgewinkt wurde (www.internet-law.de/2013/12/warum-die-streaming-abmahnungen-der-rechtsanwaelte-uc-unwirksam-sind.html).

Wie „The Archive AG“ an die IP-Adressen der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer gelangen konnte, ist derzeit noch unklar. Da es sich um einen Videostream-Portal handelt, sind die bei Tauschbörsen üblichen Methoden zur Ermittlung einer IP-Adresse nicht wirksam. Dass Redtube.com die Daten selbst herausgegeben hat, erscheint eher unwahrscheinlich, da das Unternehmen seinen Sitz in den USA hat. Es gibt daher die Vermutung, dass sich „The Archive AG“ zum Beispiel über einen Computervirus oder über die Weiterleitung ähnlich lautender Domains die IP-Adressen beschafft hat. Es steht also zu befürchten, dass auf rechtlich fragwürdige Methoden zurückgegriffen wurde (www.golem.de/news/redtube-com-von-u-c-streaming-abmahnung-sind-ueber-10-000-betroffen-1312-103226.html).

1. Hält die Bundesregierung das reine Betrachten eines Videostreams für eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigung? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen hält die Bundesregierung dies für illegal und damit abmahnwürdig?

Das deutsche Urheberrechtsgesetz setzt sowohl bei der Ausgestaltung der Rechte, die es Urhebern und Leistungsschutzberechtigten gewährt (§§ 15 ff. des Urheberrechtsgesetzes – UrhG), als auch bei der Regelung der Schranken, die den Umfang der ausschließlichen Rechte der Rechtsinhaber einschränken (§§ 44a ff. UrhG), die Vorgaben der EU-Richtlinie 2001/29/EG (so genannte Info-Richtlinie) um. Es ist dementsprechend richtlinienkonform auszulegen. Nach den §§ 15 ff. UrhG hat grundsätzlich der Urheber das alleinige Recht, sein

Werk zu verwerten, es also insbesondere zu verbreiten, zu vervielfältigen oder der Öffentlichkeit im Internet zugänglich zu machen. Das Urheberrechtsgesetz schützt darüber hinaus auch andere Leistungsschutzberechtigte, wie z. B. den Filmhersteller, § 94 UrhG. Eine Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Filme ist daher nur mit Zustimmung der jeweiligen Rechtsinhaber oder aufgrund einer gesetzlichen Nutzungserlaubnis – d. h. aufgrund einer so genannten Schrankenregelung – zulässig.

Nach § 44a UrhG ist eine Vervielfältigung ohne Zustimmung des Rechtsinhabers zulässig, wenn es sich um vorübergehende Vervielfältigungshandlungen handelt, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist, eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder eine rechtmäßige Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben. Diese Regelung des § 44a UrhG setzt wortgleich Artikel 5 Absatz 1 der Info-Richtlinie um.

Aber auch soweit die Voraussetzungen von § 44a UrhG im Einzelfall nicht gegeben sein sollten, wäre eine Vervielfältigung, die bei Betrachten eines Videostreams erfolgt, unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 1 UrhG (so genannte Privatkopie-Schranke) zulässig. Nach § 53 Absatz 1 UrhG sind nämlich einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch erlaubt, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen. Allerdings darf zur Vervielfältigung keine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet werden. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit der öffentlichen Zugänglichmachung muss für den jeweiligen Nutzer erkennbar sein. Dies gewährleistet, dass der Nutzer nicht mit unerfüllbaren Prüfpflichten belastet wird. Es obliegt dem Rechtsinhaber zu beweisen, dass die vervielfältigte Vorlage offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder unerlaubt öffentlich zugänglich gemacht worden ist (Bundestagsdrucksache 16/1828, S. 26). Vor diesem Hintergrund hält die Bundesregierung das reine Betrachten eines Videostreams nicht für eine Urheberrechtsverletzung. Ob die Nutzung von Streaming-Angeboten eine Vervielfältigung darstellt, die Rechte von Urhebern oder Leistungsschutzberechtigten verletzt, ist allerdings bislang noch nicht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt worden. Letztlich kann diese Frage nur vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden werden.

2. Sieht die Bundesregierung Bedarf, rechtlich verbindlich zu regeln, ob das reine Betrachten eines Videostreams eine Vervielfältigung darstellt? Wenn ja, gibt es dafür bereits konkrete Pläne?

Die Bundesregierung will das Urheberrecht den Erfordernissen und Herausforderungen des digitalen Zeitalters anpassen und dabei die digitalen Nutzungspraktiken berücksichtigen. Ergänzend wird darauf verwiesen, dass die Europäische Kommission gegenwärtig den gemeinschaftlichen urheberrechtlichen Acquis u. a. dahingehend überprüft, ob die temporären Vervielfältigungen, die mit dem Betrachten urheberrechtlich geschützter Inhalte auf Webseiten einhergehen, nach Artikel 5 Absatz 1 der Info-Richtlinie zulässig sind.

3. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Vorgehen der Anwaltskanzlei U+C vor dem Hintergrund, dass das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, Massenabmahnungen eigentlich unterbinden sollte und eine Deckelung der Anwaltskosten zum Ziel hatte?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherigen Auswirkungen des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken, insbesondere in Bezug auf Massenabmahnungen bei Urheberrechtsverletzungen im Internet?

5. Sieht die Bundesregierung Bedarf, weitergehende Regelungen einzuführen, um Massenabmahnungen, wie die der Anwaltskanzlei U+C, zu unterbinden? Wenn ja, welche Regelungen wären dies? Die Fragen 3 bis 5 werden zusammen beantwortet.

Ganz generell beurteilt die Bundesregierung keine Einzelfälle. Die Regelungen des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken, die den Bereich der urheberrechtlichen Abmahnungen betreffen, sind am 9. Oktober 2013 in Kraft getreten. Eine Aussage über die Auswirkungen des Gesetzes kann nach so kurzer Zeit noch nicht getroffen werden. Die Bundesregierung wird das Gesetz zwei Jahre nach dem Inkrafttreten, also im Jahr 2015, evaluieren, um möglichen weiteren Änderungsbedarf festzustellen.

Bereits jetzt sind jedoch durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken Verbesserungen für Verbraucher erzielt worden. Die Regelungen des Gesetzes gelten auch für die von der Anwaltskanzlei URMANN + COLLEGEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ausgesprochenen Abmahnungen, sofern sie sich an Privatpersonen richten und nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgten. So gilt bei der Kostenerstattung eine neue Begrenzung. Auch müssen spätere gerichtliche Verfahren gegen wegen Urheberrechtsverletzungen abgemahnte Privatpersonen bei dem Gericht an deren Wohnsitz geführt werden. Der „fliegende Gerichtstand“, der Verfahren vor Gerichten an anderen, möglicherweise weit entfernt liegenden Orten ermöglichte, wurde in diesem Bereich für Klagen gegen Verbraucher, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben, abgeschafft.

6. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der möglicherweise rechtlich fragwürdigen Beschaffung der IP-Adressen der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer durch „The Archive AG“?

Die Bundesregierung verfügt über keine eigenen Erkenntnisse, wie „The Archive AG“ die IP-Adressen von Nutzerinnen und Nutzern ermittelt hat.

7. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Anordnung des Landgerichts Köln, Nutzerdaten herauszugeben, obwohl die rechtliche Frage, ob das reine Betrachten eines Videostreams eine Urheberrechtsverletzung darstellen kann, rechtlich nicht abschließend geklärt ist?

Die Bundesregierung nimmt zu Entscheidungen der unabhängigen Gerichte nicht Stellung.

8. Sieht die Bundesregierung Bedarf, Gerichten eine Einzelfallprüfung bei Auskunftserteilungen unter Verwendung der Verkehrsdaten vorzuschreiben, um ungerechtfertigte Abmahnungen zu vermeiden?

Für die Anordnung von Auskunftserteilungen unter Verwendung von Verkehrsdaten sind nach § 101 Absatz 9 UrhG die Landgerichte zuständig. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) entsprechend. Ein verfahrenseinleitender Antrag soll nach § 23 Absatz 1 FamFG begründet werden. In dem Antrag sollen die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben werden. Das Verfahren wird von einem unabhängigen Gericht geführt, das das Vorliegen der Auskunftsvoraussetzungen zu prüfen hat.

9. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, sich gegen eine unberechtigte Abmahnung zur Wehr zu setzen, vor dem Hintergrund, dass der Auftraggeber der Anwaltskanzlei U+C die „The Archive AG“ seinen Sitz in der Schweiz hat?

Das am 9. Oktober 2013 in Kraft getretene Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken enthält im neuen § 97 a Absatz 4 UrhG einen Gegenanspruch missbräuchlich Abgemahnter auf Ersatz der ihnen entstandenen Kosten. Außerdem hat der Abgemahnte auch gegenüber einem im Ausland ansässigen Abmahner die Möglichkeit, im Wege der negativen Feststellungsklage gerichtlich klären zu lassen, ob die Abmahnung berechtigt ist oder nicht. Ziel dieser Klage ist die Feststellung, dass die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nicht bestehen. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist regelmäßig gegeben, da sich der Abmahner eines Unterlassungsanspruchs berühmt. Zuständig ist grundsätzlich jedes Gericht, bei dem auch der Abmahner seine Unterlassungsansprüche geltend machen kann. Dazu gehören also auch Gerichte in Deutschland.

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