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Einberufungsbescheid – Zurückstellungsgrund gemäß § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG

Verwaltungsgericht Minden

Az.: 10 K 803/06

Urteil vom 12.06.2006


Es wird festgestellt, dass der Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes I. vom 13. Januar 2006 und der Widerspruchsbescheid der Wehrbereichsverwaltung X. vom 25. Januar 2006 unwirksam sind.

Der Bescheid des Kreiswehrersatzamtes I. vom 21. Februar 2006 und der Widerspruchsbescheid der Wehrbereichsverwaltung X. vom 14. März 2006 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 23. Januar 1984 geborene Kläger wurde mit Musterungsbescheid vom 2. Juni 2005 als wehrdienstfähig und verwendungsfähig mit Einschränkung für bestimmte Tätigkeiten gemustert.

Am 22. Juni 2005 beendete er seine Ausbildung zum Automobilkaufmann bei der Firma „C“, einem Automobilvertragshändler in I..

Mit Einberufungsbescheid vom 13. Januar 2006 wurde der Kläger zum 1. April 2006 zum neunmonatigen Grundwehrdienst einberufen. Hiergegen erhob er am 20. Januar 2006 Widerspruch mit der Begründung, er befinde sich in ungekündigter Stellung und sei für das Jahr 2006 für externe Schulungen bei der C. AG angemeldet, die für seinen weiteren beruflichen Werdegang enorm wichtig seien. Die Wehrbereichsverwaltung X. wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2006 u.a. unter Hinweis auf die Regelungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes zurück.

Der Kläger erhob mit Schreiben vom 1. Februar 2005 „Einspruch“ gegen den Widerspruchsbescheid und führte dazu ergänzend aus, er befinde sich nicht in einem unbefristeten, sondern einem bis zum 30. Juni 2006 befristeten Arbeitsverhältnis. Sein Arbeitsverhältnis werde nur verlängert, wenn er an den von ihm genannten Schulungen bei der C. AG teilnehme.

Unter dem 21. Februar 2006 erließ das Kreiswehrersatzamt I. daraufhin den folgenden, dem Kläger durch Einschreiben zugestellten und mit einer Belehrung über den Rechtsbehelf des Widerspruchs versehenen Bescheid:

„Einberufung zum Grundwehrdienst

Sehr geehrter Herr L. ,

Änderungen an der Ihrer Einberufung zu Grunde liegenden Einplanung machen auf Ihren Antrag vom 01.02.2006 folgende Änderung Ihrer Einplanung erforderlich:

Nach dem Ihnen zugestellten Einberufungsbescheid vom 13.01.2006 sollten Sie am 03.04.2006 Ihren Dienst bei der 2./Q. 215 in B. antreten. Ihre Grundausbildung muss aber zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt werden.

Ich berufe Sie nunmehr zum 9-monatigen Grundwehrdienst ab dem 01.07.2006 ein, Ihren Dienst treten Sie bitte jedoch erst am 03.07.2006 bis 14.00 Uhr an, ebenfalls beim 2./Q. 215 in B. , H. – S. -Kaserne.

Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie mit disziplinar- und strafrechtlichen Folgen rechnen müssen, wenn Sie Ihren Dienst schuldhaft nicht antreten.

Im übrigen bleibt mein Einberufungsbescheid vom 13.01.2006 bestehen. Ich bitte Sie, diesen Bescheid ebenfalls zum Dienstantritt mitzubringen.

Im übrigen verweise ich auf die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides der Wehrbereichsverwaltung X. vom 25.01.2006.

Rechtsgrundlagen: §§ 21 Abs. 1, 5 Abs. 1 Wehrpflichtgesetz, § 2 Soldatengesetz“

Der Kläger erhob am 2. März 2006 Widerspruch „gegen den (…) Einberufungsbescheid“, den die Wehrbereichsverwaltung X. mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2006 zurückwies: Der Dienstantrittsbescheid vom 21. Februar 2006 sei nicht zu beanstanden.

Der Kläger hat am 30. März 2006 Klage erhoben und dabei zunächst den Antrag angekündigt, den Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes I. vom 13. Januar 2006 in der Fassung vom 21. Februar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2006 aufzuheben. Am 26. April 2006 hat er außerdem einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger ergänzend vor, nach Aussage seines Arbeitgebers werde sein bis zum 30. Juni 2006 befristeter Arbeitsvertrag in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt, wenn er an dem vom 27. bis 29. Juni 2006 stattfindenden Lehrgang zum Teilevertriebsleiter und an dem SRD Workshop am 5. Dezember 2006 teilnehme. Er könne nämlich dann als Ersatz für den Ende des Jahres in Rente gehenden derzeitigen Teilevertriebsleiter zur Verfügung stehen. Folge einer Einberufung sei, dass ihm sowohl die berufliche Qualifizierungsmöglichkeit als auch seine berufliche Perspektive verbaut würde. Er würde insoweit eine einmalige Chance verlieren. Dazu legt der Kläger ein vom Zeugen I1. für die Filialleitung unterzeichnetes Schreiben der Firma „C1. & L1 … b.. l..!“ vom 3. April 2006 vor, in dem dem Kläger bestätigt wird, „sein bis zum 30.06.2006 datierten Arbeitsvertrag in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umzuwandeln, aufgrund der Qualifikationen, die durch den im Juni stattfindenden C. Lehrgang zum Teilevertriebsleiter und im Dezember stattfindenden Lehrgang SRD Workshop erworben werden.“ Weiter heißt es: „Herr L. könnte somit als Ersatz für den Ende des Jahres in Rente gehenden Teilevertriebsleiter zur Verfügung stehen. Würde es zu einer Einberufung kommen, müssten wir uns sofort um hochwertigen Ersatz kümmern, dass zur Folge hätte, dass keine freie Stelle mehr in unserem Unternehmen nach Beendigung des Wehrdienstes angeboten werden kann.“

Der Kläger ist des Weiteren der Auffassung, die Klage sei nicht unzulässig. Der Bescheid vom 21. Februar 2006 sei ein sogenannter Zweitbescheid, gegen den der Rechtsweg eröffnet sei. Ein später erlassener Einberufungsbescheid hebe den früher erlassenen Einberufungsbescheid nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. festzustellen, dass der Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes I. vom 13. Januar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2006 erledigt ist, hilfsweise, den Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes I. vom 13. Januar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2006 aufzuheben,

2. den Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes I. vom 21. Februar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Klage gegen den Einberufungsbescheid vom 13. Januar 2006 sei bereits unzulässig, weil die Klagefrist nicht gewahrt sei. Der Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2006 sei bestandskräftig geworden. Die Klage sei daher nur noch gegen den Bescheid vom 21. Februar 2006 zulässig. Sie sei insoweit aber unbegründet, da dem Kläger kein Zurückstellungsgrund zur Seite stehe. Die Qualifizierungslehrgänge im Juni und Dezember 2006 könnten jedenfalls deshalb nicht berücksichtigt werden, weil diese zum Zeitpunkt der Einberufung noch nicht zu einem Drittel absolviert seien. Die Aussicht auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag stelle keine schutzwürdige Härte da, da es dem Kläger nach Beendigung seines Wehrdienstes nicht unmöglich sei, seine berufliche Entwicklung fortzusetzen. Von einer Verzögerung der beruflichen Entwicklung seien viele Wehrpflichtige in vergleichbarer Lage betroffen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer Beweis erhoben zu der Frage, welche Möglichkeiten der Kläger hat, bei dem Unternehmen „C1. & L1. … b.. l..!“ in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen zu werden, durch die Vernehmung des geschäftsführenden Filialleiters I1. als Zeugen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des zugehörigen Eilverfahrens 10 L 282/06 sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat sowohl mit dem unter Ziffer 1. des Klageantrags formulierten Hauptantrag als auch mit dem Antrag zu Ziffer 2. Erfolg.

1.

Die mit dem Hauptantrag zu Ziffer 1. erhobene Feststellungsklage ist zulässig.

Der Kläger ist insoweit in der mündlichen Verhandlung zulässigerweise von einer Anfechtungsklage zu einer Feststellungsklage übergegangen. Darin liegt keine Klageänderung i.S.d. § 91 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); der Kläger hat lediglich seinen Klageantrag unter Beibehaltung des Klagegrundes geändert und damit seiner Rechtsauffassung Rechnung getragen, dass der Einberufungsbescheid vom 13. Januar 2006 durch den neuen Einberufungsbescheid vom 21. Februar 2006 erledigt worden ist. Der bisherige Sachvortrag ist also beibehalten und – gegenüber dem ursprünglich formulierten Anfechtungsantrag – ein Weniger, nämlich die Feststellung der Erledigung des Einberufungsbescheides vom 13. Januar 2006, beantragt worden (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO -). – Im übrigen wäre – unterstellt, es handelte sich doch um eine solche – eine Klageänderung auch zulässig, da sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf sie eingelassen hat, § 91 Abs. 2

VwGO.

Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht des Weiteren die Regelung in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht entgegen. Danach kann ein Feststellungsausspruch nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage hätte verfolgen können. Diese Möglichkeit hat der Kläger vorliegend aber nicht (mehr), weil sich der Einberufungsbescheid vom 13. Januar 2006 durch den Bescheid vom 21. Februar 2006 erledigt hat. Er ist gemäß § 43 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) unwirksam geworden und kann damit – mangels Beschwer – nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Anfechtungsklage gemacht werden.

Durch den Bescheid des Kreiswehrersatzamtes I. vom 21. Februar 2006 ist der Einberufungsbescheid vom 13. Januar 2006 überholt. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 21. Februar 2006 nicht nur zum Dienstantritt (erst) zum 3. Juli 2006 aufgefordert, sondern ausdrücklich erneut einberufen worden.

Unter dem Betreff „Einberufung zum Grundwehrdienst“ heißt es nämlich ausdrücklich: „Ich berufe Sie nunmehr zum 9-monatigen Grundwehrdienst ab dem 01.07.2006 ein, Ihren Dienst treten Sie bitte jedoch erst am 03.07.2006 bis 14.00 Uhr an (…).“ Der Bescheid vom 21. Februar 2006 enthält damit alle für die Annahme eines Einberufungsbescheides erforderlichen Regelungen, nämlich zum einen die rechtsgestaltende Begründung des Wehrdienstverhältnisses und zum anderen den Befehl an den Kläger, sich an dem mitgeteilten Ort und zu dem angegebenen Zeitpunkt zum Dienst zu stellen.

Vgl. nur Johlen, Wehrpflichtrecht in der Praxis, 4. Auflage1996, S. 119 (Rn. 234).

Aus der Sicht eines verständigen Dritten kann diese Regelung gemäß §§ 133, 157 BGB schon deshalb (und wegen der verwendeten Begriffe) nur als neuer Einberufungsbescheid verstanden werden. Auch der Kläger ist, wie sein Widerspruchsschreiben zeigt, dementsprechend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Bescheid vom 21. Februar 2006 um einen Einberufungsbescheid handelt.

Dieses Auslegungsergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass der Bescheid vom 21. Februar 2006 – wie auch derjenige vom 13. Januar 2006 – auf die Rechtsgrundlagen §§ 21 Abs. 1 und 5 Abs. 1 des Wehrpflichtgesetzes (WPflG) sowie § 2 des Soldatengesetzes verweist. §§ 21 Abs. 1 und 5 Abs. 1 WPflG regeln gerade die Einberufung der ungedienten Wehrpflichtigen, und § 2 des Soldatengesetzes legt – u.a. – fest, wann das Wehrdienstverhältnis beginnt und endet. An der Qualifikation des Bescheides vom 21. Februar 2006 als neuer Einberufungsbescheid vermag nichts zu ändern, dass dort weiter ausgeführt wird, der Einberufungsbescheid vom 13. Januar 2006 bleibe „im übrigen“ bestehen, und der Kläger werde gebeten, diesen Bescheid ebenfalls zum Dienstantritt mitzubringen; im übrigen verweise man auf die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides der Wehrbereichsverwaltung X. vom 25. Januar 2006. Diese Äußerungen sind nicht gewichtig genug, um die Wertung tragen zu können, hier sei gleichwohl, nämlich trotz der eindeutig eine andere Bewertung gebietenden genannten Umstände, von der Existenz einer bloßen Dienstantrittsaufforderung auszugehen.

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Liegt damit ein neuer Einberufungsbescheid vor, ist durch diesen der zuvor ergangene Einberufungsbescheid vom 13. Januar 2006 überholt worden und damit gegenstandslos geworden. Dies gilt sowohl für dessen befehlenden Teil als auch, soweit rechtsgestaltend das Wehrdienstverhältnis des Klägers für die Zeit ab dem 1. April 2006 für neun Monate begründet worden ist. Zwei Einberufungsbescheide, die sich in ihrer zeitlichen Wirkung überschneiden, können nicht nebeneinander bestehen, da ansonsten für die Begründung des Wehrdienstverhältnisses und das Gestellungsgebot jeweils verschiedene, widersprüchliche Regelungen gelten würden.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. Februar 1981 – BVerwG 8 C 49,79 -, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Buchholz) 448.0 § 21 WPflG Nr. 30 = juris-Dokument WBRE103808160.

Deshalb macht „der Erlass eines als neuer Einberufungsbescheid zu qualifizierenden Neufestsetzungsbescheides (…), der den Dienstpflichtigen zu einem späteren Zeitpunkt einberuft als ein früher erlassener Einberufungsbescheid, (…) den früher erlassenen Einberufungsbescheid unwiderruflich gegenstandslos.“

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. August 1994 – BVerwG 8 C 85.94 -, Buchholz 448.11 § 19 ZDG Nr. 20 = juris-Dokument WBRE410000288 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1991 – BVerwG 8 C 54.89 -, Buchholz 448.11 § 19 ZDG Nr. 17 = juris-Dokument WBRE310458902.

Angesichts dessen kommt es auf die Frage, ob möglicherweise nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2006 der Verwaltungsakt vom 21. Februar 2006 (nur) als Dienstantrittsbescheid anzusehen ist, weil die Widerspruchsbehörde insoweit eine „Umgestaltung“ (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) vorgenommen hat, nicht mehr an. Grundlage für entsprechende Erwägungen könnte der Umstand sein, dass in dem Widerspruchsbescheid von einem „Dienstantrittsbescheid des Kreiswehrersatzamtes I. vom 21.02.2006“ die Rede ist. Freilich ist dort auch eine „Einberufung zum 01.07.2006 erwähnt. Aber selbst wenn es im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zu einer Umgestaltung des Bescheides vom 21. Februar 2006 in eine bloße Dienstantrittsaufforderung gekommen wäre – was die Kammer hier und im Folgenden nicht annimmt -, würde dies nichts daran ändern, dass durch den jedenfalls ursprünglich vorhandenen Einberufungsbescheid vom 21. Februar 2006 derjenige vom 13. Januar 2006 endgültig gegenstandslos geworden ist.

Das Feststellungsinteresse des Klägers resultiert daraus, dass die Beklagte sich der Bestandskraft des Einberufungsbescheides vom 13. Januar 2006 berühmt.

Die nach allem zulässige Feststellungsklage hat aus den Gründen, die zu ihrer Zulässigkeit führen, auch in der Sache Erfolg. Der Einberufungsbescheid vom 13. Januar 2006 hat sich durch den Einberufungsbescheid vom 21. Februar 2006 gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG „auf andere Weise“ erledigt, sodass entsprechend dem Klageantrag die Unwirksamkeit des Einberufungsbescheides vom 13. Januar 2006 und die Unwirksamkeit des – infolge der Unwirksamkeit des Ausgangsbescheides ins Leere gehenden – Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2006 festzustellen war.

2.

Die gegen den Einberufungsbescheid vom 21. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2006 erhobene Anfechtungsklage ist ebenfalls zulässig und begründet. Der Bescheid vom 21. Februar 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Er kann seiner Einberufung eine Wehrdienstausnahme, nämlich einen Zurückstellungsgrund gemäß § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG, entgegensetzen.

Gemäß § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG soll ein Wehrpflichtiger auf Antrag vom Wehrdienst zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde. Dies ist hier der Fall; die Einberufung des Klägers würde für ihn zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt – nämlich dem im Einberufungsbescheid bestimmten Gestellungstermin, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2005 – BVerwG 6 C 9.04, Buchholz 448.0 § 21 WPflG Nr. 49 = Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2005, 1525 ff. = juris-Dokument WBRE 410011657; st. Rspr. – eine besondere Härte aus beruflichen und wirtschaftlichen Gründen darstellen, da seine Einberufung zum Wehrdienst zum 1. Juli 2006 ihm die Möglichkeit nimmt, in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen zu werden.

Der Rückgriff auf die allgemeine Härteklausel in § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG ist nicht mit Blick auf die Sondertatbestände in Satz 2 der Vorschrift ausgeschlossen. § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG enthält eine Generalklausel, deren Anwendung dann ausgeschlossen ist, wenn die geltend gemachten Zurückstellungsgründe bereits einen der besonderen Tatbestände in Satz 2 der Vorschrift betreffen. Soweit also der Lebenssachverhalt, den der Kläger seiner Einberufung entgegensetzt, bereits in den Anwendungsbereich der Sondertatbestände in § 12 Abs. 4 Satz 2 WPflG fällt, ist diese Regelung abschließend und ein Rückgriff auf die allgemeine Härteklausel nicht möglich. Der vom Kläger behauptete Verlust der Möglichkeit, ein unter der Bedingung der Nichtheranziehung zum Wehrdienst konkret in Aussicht gestelltes, unbefristetes Arbeitsverhältnis einzugehen, unterfällt den Regeltatbeständen des § 12 Abs. 4 Satz 2 WPflG jedoch nicht, sodass eine Anwendung des allgemeinen Tatbestandes der besonderen Härte in Satz 1 der Vorschrift möglich ist.

Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1997 – BVerwG 8 C 21.97 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 105, 276 <279 f.> = Buchholz, 448.0 § 12 WPflG Nr. 202 = juris-Dokument Nr. WBRE410003994.

Die Voraussetzungen des allgemeinen Härtefalltatbestandes liegen vor.

§ 12 Abs. 4 WPflG konkretisiert das Verhältnismäßigkeitsgebot. Der Wehrpflichtige soll durch die Heranziehung zum Wehrdienst keine erheblichen Nachteile erleiden, die durch eine Einberufung zu einem späteren Zeitpunkt vermieden werden könnten. Eine die befristete Zurückstellung rechtfertigende besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 4 WPflG ist gegeben, „wenn die Heranziehung zum Wehrdienst den Wehrpflichtigen anders trifft, als im allgemeinen Wehrpflichtige davon betroffen werden, und zugleich schwerer, als ihnen üblicherweise zugemutet wird“, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2001 – BVerwG 6 C1. 57.01 – , Buchholz, 448.0 § 12 WPflG Nr. 204 = juris-Dokument WBRE410008380, und Urteil vom 15. November 1972 – BVerwG 8 C 139.71 – BVerwGE 41, 160 <165>.

Die nach wie vor angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt allgemein und für kaufmännische Berufe im Bereich des sonstigen Groß- und Einzelhandels, zu denen auch der vom Kläger erlernte Beruf des Automobilkaufmanns zählt, im Besonderen führt dazu, dass der Verlust des dem Kläger für den Fall seiner Nichteinberufung vom geschäftsführenden Filialleiter zugesagten Arbeitsplatzes als besondere Härte im oben dargestellten Sinne zu qualifizieren ist. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger nach Ableistung seines Wehrdienstes mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mittelfristig keinen Arbeitsplatz als Automobilkaufmann finden würde. Die Arbeitsagentur C2. hat mit ihrer e-mail an das Gericht vom 9. Juni 2006 eine Tabelle übersandt, nach der im Bereich der Stadt C2. sowie der Kreise H1. und I. 18 arbeitslose „andere“ Groß- und Einzelhandelskaufleute gemeldet sind und diesen nur eine gemeldete offene Stelle gegenüber steht. Dass sich diese Situation nach Beendigung der Wehrdienstzeit des Klägers Ende März 2007 maßgeblich anders darstellen könnte, ist mit Blick auf die aktuell seit Jahren um 10 % betragende Arbeitslosenquote und darauf, dass jedenfalls eine deutliche Belebung der Konjunktur nicht sicher in Sicht ist, unwahrscheinlich. Insofern führt eine Einberufung des Klägers zum 1. Juli 2006 nach Einschätzung der Kammer nicht nur zu einer Verzögerung seiner beruflichen Entwicklung, sondern dazu, dass sich seine Chancen, sich in seinem Ausbildungsberuf auf dem Arbeitsmarkt etablieren zu können, erheblich verringern. Dieser für den Kläger erhebliche Nachteil ist durch seine Heranziehung erst nach dem Einberufungstermin 1. Juli 2006 ohne Weiteres zu vermeiden.

Zwar ist davon auszugehen, dass infolge der schwierigen Arbeitsmarktlage eine Vielzahl anderer Wehrpflichtiger nach Beendigung ihres Grundwehrdienstes ebenfalls für geraume Zeit arbeitslos sein wird. Im Unterschied zu diesen wird der Kläger aber dadurch anders und schwerwiegender von einer Heranziehung zum Wehrdienst zum 1. Juli 2006 betroffen, als dies bei Wehrpflichtigen allgemein der Fall ist, weil ihm durch den geschäftsführenden Filialleiter seines Ausbildungsbetriebes, den Zeugen I1. , bereits mit hoher Verbindlichkeit zugesagt worden ist, dass er zum 1. Juli 2006 einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten wird, wenn er nicht zu diesem Termin zum Wehrdienst gezogen wird. Dass er den Kläger unbefristet einstellen will, hat der Zeuge bereits in seinem Schreiben vom 6. April 2006 dargelegt; diese Aussage hat er in der mündlichen Verhandlung wiederholt und bestätigt. Er hat des Weiteren hinreichend nachvollziehbar dargelegt, welche Gründe einer (Wieder-)Einstellung des Klägers nach Beendigung des Wehrdienstes entgegenstehen, und in sich schlüssig und plausibel erläutert, dass der sogenannte Brandmanager, der einen Arbeitsvertrag für die Firma „C1. & L1. … b.. l..!“ ebenfalls unterzeichnen muss, seiner Empfehlung für eine übernahme des Klägers nach seinen bisherigen Erfahrungen folgen wird. Die Kammer ist auf der Grundlage der Aussage des Zeugen deshalb davon überzeugt, dass der Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag ab dem 1. Juli 2006 erhalten wird, wenn er nicht ab diesem Zeitpunkt Wehrdienst leisten muss. In dieser atypischen Situation stellt sich der Verlust des dem Kläger bei der Firma „C1. & L1. … b.. l..!“ angebotenen Arbeitsplatzes als besondere Härte dar. Ihm ginge die durch seine bereits mehrjährige Aus- und Fortbildung im Bereich Teilevertrieb und die Zusage des Zeugen I1. bereits erschlossene und angesichts der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt derzeit als außergewöhnlich zu bezeichnende Möglichkeit, einen festen Arbeitsplatz zu erhalten, verloren. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum wehrdienstbedingten Verlust einer Ausbildungsmöglichkeit – vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1997 – BVerwG 8 C 21.97 -, BVerwGE)105, 276 <279 f.> = Buchholz, 448.0 § 12 WPflG Nr. 202 = juris-Dokument Nr. WBRE410003994 – gilt insoweit entsprechend.

§ 1 Abs. 4 des Arbeitsplatzschutzgesetzes (ArbPlSchG) steht der Annahme einer besonderen Härte nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift wird ein befristetes Arbeitsverhältnis durch die Einberufung zum Grundwehrdienst oder zu einer Wehrübung nicht verlängert; das Gleiche gilt, wenn ein Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen während des Wehrdienstes geendet hätte. Vorliegend geht es jedoch nicht um die Verlängerung eines befristeten, sondern um die – erstmalige – Aufnahme eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Letztere wird durch § 1 Abs. 4 ArbPlSchG nicht geschützt.

Es besteht schließlich kein Grund zu der Annahme, es habe zwischen dem Kläger und der Firma „C1. & L1. … b.. l..!“ eine Art kollusives Zusammenwirken mit dem Ziel gegeben, eine Einberufung des Klägers zu verhindern. Wie bereits dargelegt, hat der zuständige Filialleiter seine Absicht, den Kläger nur für den Fall unbefristet weiter zu beschäftigen, wenn dieser nicht zum 1. Juli 2006 einberufen wird, nachvollziehbar damit begründet, dass sich durch eine neunmonatige Abwesenheit Defizite ergäben, die es unmöglich machen würden, den Posten des Teilevertriebsleiters, wie zumindest mittelfristig vorgesehen, mit dem Kläger zu besetzen.

Soweit der Terminsbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung teils wörtlich, teils sinngemäß ausgeführt hat, die Annahme einer besonderen Härte sei vorliegend schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger von einem Verlust der Möglichkeit, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten, wie „Millionen“ Anderer betroffen sei, lässt dies die Klage nicht scheitern. Pauschale Behauptungen dieser Art sind unergiebig. Geboten ist vielmehr eine Betrachtung der individuellen Situation. Auch nach den Ausführungen der Bundesregierung – federführend war das Bundesministerium der Verteidigung – in ihrer Antwort vom 13. Juni 2006 auf eine Kleine Anfrage wird „in jedem Einzelfall das Vorliegen einer besonderen Härte geprüft“, wenn die übernahme eines Wehrpflichtigen in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ansteht.

Vgl. Bundestags-Drucksache 16/1771, S. 10.

Aus welchen Gründen die Beklagte diese Grundsätze, denen die Praxis von Wehrverwaltung und Bundesamt für den Zivildienst entspricht, vgl. Bundestags- Drucksache, a.a.O., im konkreten Fall für unanwendbar hält, bleibt offen.

Ist danach eine Einzelfallprüfung erforderlich und geboten, folgt daraus zugleich, dass auch die in der mündlichen Verhandlung im Anschluss an die Beweisaufnahme vom Vertreter der Beklagten – wohl auf der Grundlage, Klagen der vorliegenden Art seien ohne Weiteres abzuweisen – geäußerte Auffassung, die durchgeführte Zeugenvernehmung sei überflüssig gewesen, nach Ansicht der Kammer fehlgeht.

Klarstellend soll schließlich zum einen noch darauf hingewiesen werden, dass eine besondere Härte für den Kläger nicht dadurch begründet wird, dass er (auch) die Aussicht hat, Nachfolger des derzeitigen Teilevertriebsleiters zu werden. Dies kann schon deshalb nicht als einmalige Chance gewertet werden, weil noch ungewiss ist, ob der derzeitige Teilevertriebsleiter überhaupt zum Jahresende in den Ruhestand treten wird. Zum anderen vermögen die vom Kläger ins Feld geführten Schulungen für sich allein einen Zurückstellungsgrund nicht zu begründen. Die erste Schulung findet vom 27. bis 29. Juni 2006 statt und damit noch vor der vorgesehenen Einberufung. Die Schulung im Dezember dauert lediglich einen Tag, für den der Kläger Urlaub hätte beantragen können. Dass dieser nicht bewilligt worden wäre, ist nicht ersichtlich.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§§ 135, 132 Abs. 2 VwGO).

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