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Fahrerlaubnisentziehung – Verstöße in kurzer Abfolge


Führerschein

Zusammenfassung:

Im anliegenden Beschluss hatte sich der Verwaltungsgerichtshof München mit der Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung nach mehreren kurz aufeinander folgenden Verstößen zu befassen, welche dazu geführt hatten, dass das Punktekonto des Betroffenen in Flensburg in hohem Tempo angewachsen war. Setzt die Entziehung der Fahrerlaubnis voraus, dass zeitlich nach der vorausgegangenen Maßnahme eine weitere Zuwiderhandlung begangen wird?


Verwaltungsgerichtshof München

Az: 11 CS 15.745

Beschluss vom 10.06.2015


Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. März 2015 wird geändert und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten beider Rechtszüge.

III. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.


Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, die der Antragsteller gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem erhoben hat.

Der Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, C, CE, M, S und T. Mit Schreiben vom 28. Juni 2011 verwarnte ihn die Fahrerlaubnisbehörde bei Erreichen von acht Punkten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F.. Zum 1. Mai 2014 wurden die bis dahin erreichten 12 Punkte im früheren Punktsystem nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG in fünf Punkte nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem umgerechnet.

Mit Schreiben vom 27. Februar 2014 regte die Polizeiinspektion Bad Kötzting gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde an, aufgrund einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung am 10. Februar 2014 die Fahreignung des Antragstellers nach § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV oder die Anordnung eines Verkehrsunterrichts nach § 48 StVO zu prüfen.

Mit Schreiben vom 17. November 2014 teilte die Staatsanwaltschaft Regensburg der Fahrerlaubnisbehörde mit, das Amtsgericht Cham habe am 8. Oktober 2014 gegen den Antragsteller einen Strafbefehl wegen Beleidigung verhängt. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller zwei Polizeibeamten bei einer Radarmessung während der Vorbeifahrt den ausgestreckten Mittelfinger zeigte. Am 11. Dezember 2014 holte die Fahrerlaubnisbehörde daraufhin eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister ein, die am 22. Dezember 2014 einging und fünf Punkte auswies.

Mit Schreiben vom 8. Januar 2015, eingegangen bei der Fahrerlaubnisbehörde am 19. Januar 2015, teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Fahrerlaubnisbehörde mit, der Antragsteller habe aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung am 10. Februar 2014, geahndet mit Urteil des Amtsgerichts Cham vom 13. November 2014 (Az. 1 OWi 126 Js 9486/14), rechtskräftig seit 19. Dezember 2014, nunmehr sieben Punkte im Fahreignungs-Bewertungssystem erreicht. Die Tat wurde dem Kraftfahrt-Bundesamt am 5. Januar 2015 mitgeteilt und am 6. Januar 2015 eingetragen. Mit Schreiben vom 21. Januar 2015 verwarnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG n.F..

Mit Schreiben vom 22. Januar 2015, eingegangen bei der Fahrerlaubnisbehörde am 2. Februar 2015, teilte das Kraftfahrt-Bundesamt mit, der Antragsteller habe aufgrund einer weiteren Geschwindigkeitsübertretung am 10. März 2014, ebenfalls geahndet mit Urteil des Amtsgerichts Cham vom 13. November 2014 (1 OWi 126 Js 10206/14), rechtskräftig seit 19. Dezember 2014, nunmehr neun Punkte erreicht. Diese Tat wurde dem Kraftfahrt-Bundesamt am 19. Januar 2015 mitgeteilt und am 20. Januar 2015 im Fahreignungsregister gespeichert. Mit Schreiben vom 3. Februar 2015 hörte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Der Antragsteller machte geltend, er könne nicht nachvollziehen, wie die unterschiedlichen Eintragungszeitpunkte der beiden am 19. Dezember 2014 rechtskräftig gewordenen Entscheidungen zustande gekommen seien. Er habe an diesem Tag seine Rechtsbeschwerden zurückgenommen und seinen Führerschein in amtliche Verwahrung gegeben. Er habe zugleich beantragt, beide Fahrverbote parallel zu vollstrecken und vorsorglich Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Er sei davon ausgegangen, die Entscheidungen würden zeitgleich im Fahreignungsregister eingetragen. Darüber hinaus sei die Verwarnung erst ergangen, als die Zuwiderhandlung vom 10. März 2014 schon gespeichert gewesen sei.

Mit Bescheid vom 13. Februar 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1), ordnete die Ablieferung des Führerscheins innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids an (Nr. 2) und drohte bei nicht fristgerechter Erfüllung der Nr. 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro an (Nr. 3). Der Antragsteller habe neun Punkte im Fahreignungsregister erreicht und sei damit unwiderleglich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. In der hier anwendbaren Fassung des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. Dezember 2014 stehe der Erziehungsgedanke nicht mehr im Vordergrund. Die Möglichkeit, in kurzer Zeit zahlreiche schwere Verstöße gegen Verkehrsvorschriften zu begehen, die allein wegen der Stufenfolge nicht zur Entziehung der Fahrerlaubnis führten, sei in Abwägung mit der Sicherheit des Verkehrs nicht hinnehmbar. In diesen Fällen müsse auf eine Chance des Betroffenen, sein Verhalten vor Entzug der Fahrerlaubnis ändern zu können, verzichtet werden. Hier seien alle Maßnahmen nach § 4 StVG ordnungsgemäß durchlaufen worden, bevor es zum Entzug der Fahrerlaubnis gekommen sei.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Klage, der das Verwaltungsgericht mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom 18. März 2015 (Az. RO 8 K 15.249, Berufungsverfahren anhängig unter Az. 11 BV 15.909) stattgegeben hat. Auf den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. März 2015 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Das Ergreifen einer weiteren Maßnahme setze nach Wortlaut und Systematik des § 4 StVG voraus, dass zeitlich nach der vorausgegangenen Maßnahme eine weitere Zuwiderhandlung begangen worden sei. Nur im Sonderfall der hier nicht einschlägigen Punktereduktion könne vom Tattagprinzip abgewichen werden. Nur dann sei eine Entziehung der Fahrerlaubnis auch möglich, wenn sämtliche Verkehrsverstöße vor Zugang der Verwarnung begangen worden seien.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Mit der Rechtsänderung zum 5. Dezember 2014 in § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG solle verdeutlicht werden, dass Verkehrsverstöße auch dann mit Punkten zu bewerten seien, wenn sie vor der Einleitung einer Maßnahme des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden seien, bei dieser Maßnahme aber noch nicht verwertet werden konnten. Ein solcher Fall liege hier vor, da die Fahrerlaubnisbehörde erst nach Erlass der Verwarnung am 21. Januar 2015 mit Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamts vom 22. Januar 2015 von der Tat vom 10. März 2014 erfahren habe.

Der Antragsteller macht demgegenüber geltend, die Staatsanwaltschaft habe die beiden Urteile des Amtsgerichts Cham vom 13. November 2014 rechtsfehlerhaft zu verschiedenen Zeitpunkten an das Kraftfahrt-Bundesamt gemeldet. Diesen Fehler müsse sich die Fahrerlaubnisbehörde zurechnen lassen. Zudem sei die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet gewesen, sich vor Erlass der Verwarnung zu vergewissern, dass tatsächlich keine weiteren Punkte eingetragen worden seien. Dies habe sie pflichtwidrig unterlassen. Es müsse auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Ahndung abgestellt werden, denn die Bearbeitungsdauer bei der Staatsanwaltschaft und die langen Postlaufzeiten bei der Übersendung der Auskünfte durch das Kraftfahrt-Bundesamt könnten nicht zu Lasten des Antragstellers gehen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verwarnung am 21. Januar 2015 seien insgesamt neun Punkte im Fahreignungsregister eingetragen gewesen. Der Punktestand sei deshalb nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG n.F. auf sieben Punkte zu reduzieren gewesen. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis komme nicht in Betracht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat Erfolg. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist abzulehnen, denn bei summarischer Prüfung wird die Berufung voraussichtlich erfolgreich und die Klage abzuweisen sein.

Auf den vorliegenden Fall findet § 4 des Straßenverkehrsgesetzes in der ab 5. Dezember 2014 anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 28. November 2014 (BGBl I S. 1802) Anwendung, da auf den Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 13. Februar 2015 abzustellen ist. Die gerichtliche Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde auszurichten (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.1995 – 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249). In Ermangelung eines Widerspruchsverfahrens ist dies hier der Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Bescheids.

1. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Nach Satz 5 der Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde für das Ergreifen einer Maßnahme auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Damit hat der Gesetzgeber das von der Rechtsprechung zur Rechtslage vor der Gesetzesänderung zum 1. Mai 2014 entwickelte Tattagprinzip normiert. Der Antragsteller hat durch die am 10. März 2014 begangene Ordnungswidrigkeit neun Punkte erreicht, so dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen war.

Der Antragsteller kann auch keine Punktereduzierung beanspruchen. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde eine Maßnahme nach Absatz 5 Satz 1 Nr. 2 oder 3 StVG (Verwarnung oder Fahrerlaubnisentziehung) erst ergreifen, wenn die Maßnahme der jeweils davor liegenden Stufe nach Absatz 5 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StVG bereits ergriffen worden ist. Sofern die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, ist diese zu ergreifen (Satz 2 der Vorschrift). Im Fall des Satzes 2 verringert sich der Punktestand mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der ergriffenen Ermahnung auf fünf Punkte und der Verwarnung auf sieben Punkte, wenn der Punktestand zu diesem Zeitpunkt nicht bereits durch Tilgungen oder Punktabzüge niedriger ist (Satz 3 der Vorschrift). Diese Regelungen wurden (inhaltlich) bereits zum 1. Mai 2014 eingeführt, wenngleich § 4 Abs. 6 StVG mit Gesetz vom 28. November 2014 (a.a.O.) zum 5. Dezember 2014 neu gefasst und durch weitere Regelungen ergänzt wurde.

Der Antragsteller hat das Stufensystem ordnungsgemäß durchlaufen. Er wurde mit Schreiben vom 28. Juni 2011 nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, StVG a.F.), damals zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juni 2011 (BGBl I S.1124), bei einem angenommenen Stand von acht Punkten verwarnt (erste Stufe der Maßnahmen nach dem Punktsystem). Diese Verwarnung war nach Einführung des Fahreignungs-Bewertungssystems zum 1. Mai 2014 nicht zu wiederholen, da die (Neu-) Einordnung nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG allein (Umrechnung der Punkte) nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem führt (§ 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG, vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2015 – 11 CS 14.2653 – juris Rn. 9).

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Der Antragsteller hat auch die zweite Stufe des Punktsystems ordnungsgemäß durchlaufen. Er wurde bei einem auf den Tattag 10. Februar 2014 bezogenen, im Fahreignungsregister eingetragenen Stand von sieben Punkten mit Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde vom 21. Januar 2015 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG verwarnt. Zu diesem Zeitpunkt war zwar die Tat vom 10. März 2014 bereits rechtskräftig geahndet und eingetragen, der Fahrerlaubnisbehörde war aber weder die Tat noch die Eintragung bekannt, sodass dieser Verkehrsverstoß bei der Verwarnung noch keine Berücksichtigung finden konnte.

Die Fahrerlaubnisbehörde hat die Punktezahl, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hat, auch zutreffend berechnet. Nach § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG werden bei der Berechnung des Punktestandes Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind. Die für die Ordnungswidrigkeit vom 10. März 2014 anfallenden zwei Punkte konnten daher den zu diesem Zeitpunkt schon bestehenden sieben Punkten hinzurechnet werden, obwohl die Verwarnung vom 21. Januar 2015 erst nach der Begehung dieser Zuwiderhandlung erfolgte. Als der Fahrerlaubnisbehörde diese Zuwiderhandlung mit Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamts vom 22. Januar 2015 bekannt wurde, hatte der Antragsteller die Maßnahmenstufen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG schon durchlaufen. Die Fahrerlaubnis musste ihm nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG daher zwingend entzogen werden.

Bei der Frage, ob dem Betreffenden eine Punkteverringerung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG zu Gute kommt, ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 6 Sätze 1 und 2 StVG auch nicht auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen Ahndung der letzten zu berücksichtigenden Zuwiderhandlung abzustellen, sondern es kommt allein darauf an, ob bei Ergreifen der Maßnahme die vorherige Maßnahme tatsächlich schon rechtmäßig ergriffen wurde. Diese Auslegung wird auch durch den Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG gestützt, der besagt, dass auch im Falle einer Verringerung der Punktezahl nach Satz 3 der Vorschrift, Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor der Verringerung nach Satz 3 begangen worden sind und von denen die nach Landesrecht zuständige Behörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält, den sich nach Satz 3 ergebenen Punktestand erhöhen.

Eine solche Auslegung entspricht auch dem Zweck der Rechtsänderungen zum 1. Mai 2014 und 5. Dezember 2014. Der Gesetzgeber wollte sich gemäß der Gesetzesbegründung von den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 25. September 2008 (Az. 3 C 3/07) für das ab 1. Mai 2014 geltende neue System mit den Erwägungen zur Punkteentstehung und zum Tattagprinzip bewusst absetzen (BT-Drs. 18/2775, S. 9). Es soll nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf, sondern unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten und für das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, kommt es auf die Effektivität des Fahreignungs-Bewertungssystems an (BT-Drs. 18/2775, S. 9 f.). Insbesondere bei Konstellationen, in denen in kurzer Zeit wiederholt und schwer gegen Verkehrsregeln verstoßen wurde, was ein besonderes Risiko für die Verkehrssicherheit bedeutet, soll nach Ansicht des Gesetzgebers in Abwägung mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit nicht über bestimmte Verkehrsverstöße hinweggesehen werden (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 10). Die Prüfung der Behörde, ob die Maßnahme der vorangehenden Stufe bereits ergriffen worden ist, ist daher vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung zu beurteilen und beeinflusst das Entstehen von Punkten nicht (BT-Drs. 18/2775, S. 10). Mit Absatz 5 Satz 6 Nummer 1 soll nach der Gesetzesbegründung verdeutlicht werden, dass Verkehrsverstöße auch dann mit Punkten zu bewerten sind, wenn sie vor der Einleitung einer Maßnahme des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden sind, bei dieser Maßnahme aber noch nicht verwertet werden konnten, etwa weil deren Ahndung erst später Rechtskraft erlangt hat oder sie erst später im Fahreignungsregister eingetragen worden oder der Behörde zur Kenntnis gelangt sind (BT-Drs. 18/2775, S. 10). Eine solche Konstellation, in der die Behörde erst nach Ergreifen einer Maßnahme von einer weiteren Zuwiderhandlung erfahren hat, liegt hier vor, denn die Fahrerlaubnisbehörde hatte vor dem Eingang der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts am 2. Februar 2015 keine Kenntnis von der rechtskräftig geahndeten Ordnungswidrigkeit vom 10. März 2014.

Soweit der Antragsteller vorträgt, die Staatsanwaltschaft habe die Verfahren fehlerhaft behandelt, denn sie sei verpflichtet gewesen, beide Urteile nach Rechtskraft am 19. Dezember 2014 dem Kraftfahrt-Bundesamt gleichzeitig zu übermitteln und die Fahrerlaubnisbehörde müsse sich diesen Pflichtenverstoß zurechnen lassen, kann dem nicht gefolgt werden. Nach § 28 Abs. 4 StVG teilen die Gerichte, Staatsanwaltschaften und anderen Behörden dem Kraftfahrt-Bundesamt unverzüglich die nach Absatz 3 zu speichernden Daten mit. Die Eintragung von Entscheidungen im Fahreignungsregister stellt keinen Verwaltungsakt dar, sondern dient nur der Sammlung von Informationen (Hentschel/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 28 StVG Rdnr. 17). Nach Aktenlage hat die Staatsanwaltschaft die Mitteilung hinsichtlich der Tat vom 10. März 2014 nicht schuldhaft verzögert. Bezüglich der Vollstreckung von gleichzeitig verhängten Fahrverboten nach § 44 StGB, § 25 Abs. 2 und 2a StVG bestehen nach Auskunft der Staatsanwaltschaft in der Rechtsprechung unterschiedliche Meinungen. Dies war dem Antragsteller offensichtlich auch bekannt, denn er beantragte mit der Rücknahme seiner Rechtsmittel, die Fahrverbote parallel zu vollstrecken und stellte sogar vorsorglich Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Eine Mitteilung hinsichtlich der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die Fahrverbote nacheinander zu vollziehen, erreichte ihn wohl wegen einer Adressänderung nicht. Durch die Urlaubsvertretung der eigentlich zuständigen Rechtspflegerin kam es deshalb zu einer getrennten Datenübertragung an das Kraftfahrt-Bundesamt. Ein schuldhafter Verstoß gegen die Übermittlungspflichten ist dabei nicht ersichtlich. Dass der Antragsteller durch die gleichzeitige Rücknahme seiner Rechtsmittel gegen beide Urteile versucht hat, einen Gleichlauf der Verfahren herzustellen, um eine parallele Vollstreckung der Fahrverbote und ggf. auch eine Punkteverringerung zu erreichen, kann kein schützenswertes Vertrauen darin begründen, dass die Verfahren auch tatsächlich gleichzeitig an des Kraftfahrt-Bundesamt übermittelt werden.

Durchgreifende Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Normen, die im Übrigen von der Beschwerde auch nicht geltend gemacht wird, bestehen bei der in diesem Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht (so nunmehr auch, wenn auch mit Einschränkungen, OVG NW, B.v. 27.4.2015 – 16 B 226/15 – juris Rn. 11 ff.). Die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) der ohne Übergangsregelung geänderten bzw. neu eingeführten Vorschriften (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 18.5.2015 – 11 BV 14.2839 – juris) stellte sich hier auch dann nicht, wenn man die zum 5. Dezember 2014 erfolgte Gesetzesänderung nicht als Klarstellung ansähe, weil die letzte Tat des Antragstellers, die zum Erreichen von neun Punkten geführt hat, hier erst am 19. Dezember 2014, also nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 5. Dezember 2014 rechtskräftig geahndet wurde.

2. Selbst wenn die Erfolgsaussichten der Klage als offen angesehen würden, da die Ordnungswidrigkeit vom 10. März 2014 zum Zeitpunkt des Erlasses der Verwarnung am 21. Januar 2015 schon im Fahreignungsregister eingetragen war und damit bereits ein Stand von neun Punkten erreicht war, ergäbe eine Interessenabwägung das Überwiegen des öffentlichen Interesses am nach § 4 Abs. 9 StVG gesetzlich vorgesehenen Sofortvollzug des streitgegenständlichen Bescheids. Es bestehen keinerlei Zweifel, dass der Antragsteller die abgeurteilten Ordnungswidrigkeiten begangen hat. Die in den Akten dokumentierten Umstände der Ordnungswidrigkeit vom 10. Februar 2014 lassen auch auf erhebliche charakterliche Mängel und Fehleinstellungen beim Antragsteller schließen, die auch unabhängig vom Fahreignungs-Bewertungssystem auf eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen hindeuten. Darüber hinaus brachte der Antragsteller seine Gleichgültigkeit gegenüber Verkehrsvorschriften auch durch die Beleidigung von Polizeibeamten im Zusammenhang mit einer Radarkontrolle zum Ausdruck. Im Übrigen hat der Antragsteller gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde geäußert, er habe die beiden Ordnungswidrigkeitenverfahren bewusst so betrieben, dass am gleichen Tag Rechtskraft eingetreten sei, um eine Punktereduzierung zu erreichen. Angesichts solcher Verhaltensweisen erscheint die Wahrscheinlichkeit einer Verhaltensänderung durch die Verwarnung ohnehin eher gering und der Ausschluss des Antragstellers vom Führen eines Kraftfahrzeugs hinsichtlich der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit am Straßenverkehr bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gerechtfertigt.

3. Auf die Beschwerde war daher der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 und 46.2, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Anh. § 164 Rn. 14).

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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