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Fahrverbot untergewissen Umständen nicht sinnvoll

Oberlandesgericht Rostock -1. Strafsenat für Bußgeldsachen –

Az.: 2 Ss (OWi) 23/01 I 58/01

Beschluss vom 27.04.2001

Vorinstanz: AG Bergen/Rügen – Az.: 11 OWiG 417/00;

545 Js 15696/00 OWi StA Stralsund


Leitsatz (vom Verfasser – nicht amtlich):

Wenn zwischen einem Straßenverkehrsvergehen und dem Ausspruch des daraus resultierenden Fahrverbotes zwei Jahre liegen, muss der Sinn eines Fahrverbots gesondert geprüft werden. Dies gilt, wenn der Verkehrssünder in der Zwischenzeit nicht mehr auffällig geworden ist.


Kurzfassung:

Sachverhalt: Ein Mann war wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 77 K/mh innerorts zu einer Geldstrafe von 120 DM und einem Monat Fahrverbot vom Amtsgericht verurteilt worden. Der Betroffene legte hiergegen Beschwerde ein, so dass das OLG Rostock 20 Monate nach dem Vergehen über den Fall zu entscheiden hatte.

Urteilsgründe: Nach Ansicht des OLG Rostock muss die Verhängung eines Fahrverbotes als „Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme“ überdacht werden, wenn der Verkehrssünder in der Zwischenzeit nicht mehr auffällig geworden ist. Weiterhin zu beachten ist, dass der Mann im vorliegenden Fall die Verzögerung im Verfahren nicht zu vertreten hat.


Beschluss

In der Bußgeldsache wegen fahrlässiger Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 1. Strafsenat – Senat für Bußgeldsachen – des Oberlandesgerichtes Rostock auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bergen/Rügen vom 06.12.2000 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft am 27. April 2001 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Bergen/Rügen zurückverwiesen.

Gründe:

Mit dem „angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht Bergen/Rügen den Betroffenen „wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO“ zu einer Geldbuße in Höhe von 120 DM verurteilt und ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt.

Gegen diese in seiner Abwesenheit (§ 73 Abs. 3 OWiG) verkündete Entscheidung richtet sich das Rechtsmittel des Betroffenen, das mit am 12.12.2000 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seiner Verteidiger eingelegt und nach der am 15.01.2001 erfolgten Zustellung des schriftlichen Urteils mit weiterem Anwaltsschreiben vom 14.02.2001, der beim Gericht am selben Tage eingegangen ist, unter Anbringung der Rechtsbeschwerdeanträge mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet worden ist.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) Rechtsbeschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt und auch begründet worden, mithin zulässig.

Sie hat auch einen – vorläufigen – Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, da die Urteilsgründe weder den Schuld- noch den Rechtsfolgenausspruch tragen.

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Bußgeldverfahren nicht der Ahndung kriminellen Unrechts dient, sondern der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung. Es ist auf eine Vereinfachung des Verfahrensganges ausgerichtet. Daher dürfen gerade in Bußgeldsachen an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 28.01.1999 – 2 Ss (OWi) 226/98 1 148/98; BGH St 39, 291 (299); Gähler, OWiG, 12. Aufl., § 71 Rdn. 42 ff.).

Gleichwohl müssen die Feststellungsgrundlagen so klar und eindeutig mitgeteilt werden, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird.

Stützt das Gericht seine Überzeugung, ein Verkehrsteilnehmer habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten, auf das Ergebnis eines – wie hier – standardisierten Messverfahrens, bilden die Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert grundsätzlich die Grundlage einer ausreichenden, nachvollziehbaren Beweiswürdigung. Da die Zuverlässigkeit der beurteilender Beweiswert naturgemäß voneinander abweichen, kann es grundsätzlich nicht mit der Wiedergabe der als erwiesen erachteten Geschwindigkeit sein Bewenden haben. Vielmehr muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht` die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, neben dem angewandten Messverfahren jeweils auch den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betroffene kein uneingeschränktes Geständnis abgelegt hat (vgl. Senatsbeschluss a.a.O.; BGH a.a.O.).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.

Soweit mitgeteilt wird, der Betroffene sei zum Tatzeitpunkt „mit einer Geschwindigkeit von mindestens 77 km/h“ gefahren und die Geschwindigkeitsmessung sei „vorliegend mit dem stationären Geschwindigkeitsmessgerät Traffipax Traffiphot-S (Starenkasten)“ durchgeführt worden, lässt sich den Urteilsgründen schon nicht entnehmen, welche Geschwindigkeit von dem Messgerät tatsächlich gemessen worden ist. Zwar kann die Angabe eines konkreten Toleranzwertes dann entbehrlich sein, wenn bei standardisierten Messverfahren ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es sich bei der zu Grunde gelegten Geschwindigkeit um diejenige nach Abzug des Toleranzwertes handelt (OLG Köln NZV 2000, 430; OLG Hamm NZV 2000, 264). Allein die Angabe der Überschreitung mit „mindestens 77 km/h“ und der Hinweis auf das Messverfahren lassen jedoch nicht ausreichend erkennen, ob das Gericht bei der angegebenen Geschwindigkeit den Toleranzwert bereits in Abzug gebracht, ihn also überhaupt berücksichtigt hat. Bereits dieser Mangel zwingt zur Aufhebung des Urteils.

2.

Darüber hinaus ist auch der Rechtsfolgenausspruch nicht frei

von Rechtsfehlern.

Verhängt der Tatrichter ein Fahrverbot, so befreit ihn die Bußgeldkatalogverordnung nicht von der verfassungsrechtlich gebotenen Einzelfallprüfung. Jedoch ist in den Regelfällen der BKatV der Begründungsaufwand eingeschränkt. Danach genügt es den Anforderungen, wenn die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht sich der Möglichkeit bewusst war, gegen angemessene Erhöhung der Regelgeldbuße von einem eine Fahrverbot abzusehen, jedoch keinen Grund gesehen hat, von der abzuweichen. Nur wenn der Betroffene eine besondere Härte geltend gemacht hat oder mildernde Umstände ersichtlich sind, muss sich der Tatrichter damit auseinandersetzen. Sind Anhaltspunkte für ein Abweichen von der Regel erkennbar, ist der Tatrichter der Verpflichtung enthoben, die Angemessenheit des Fahrverbots besonders zu begründen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. vom 14.04.1999 – 2 Ss (OWi) 28/99 I 13/99; BGHSt 38, 125 und 38, 231).

Auch diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht. Es setzt sich nicht mit der Frage auseinander, ob von der Verhängung des Fahrverbotes bei gleichzeitiger Erhöhung der festgesetzten Geldbuße hätte abgesehen werden können, weil bei diesem Betroffenen der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch auf diese Weise hätte erreicht werden können. Erörterungen zu dieser Frage waren hier insbesondere unter Berücksichtigung der noch ausreichend dokumentierten Vorbelastungen auch nicht entbehrlich. Die abschließende Formulierung: „Auch sonst sind keine Umstände vorhanden, die es gestatten würden,von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen“ lässt auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nur darauf schließen,dass das Amtsgericht ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes nur unter dem Gesichtspunkt geprüft hat, ob wegen Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte oder einer Vielzahl durchschnittlicher Umstände von der Verhängung abgesehen werden könne.

Auch von daher kann das Urteil keinen Bestand haben.

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

Der Umstand, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung zur Nachtzeit erfolgte, steht der Verhängung eines Fahrverbotes wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 2 Abs. 2 BKatV) grundsätzlich nicht entgegen. Dagegen kann dahingestellt bleiben, ob es sich vorliegend um einen Regelfall einer groben Pflichtverletzung nach § 2 Abs. 1 BKatV handelt (vgl. dazu OLG Düsseldorf DAR 2000, 416 und OLG Jena DAR 1997, 455), da eine solche dem Betroffenen hier nicht zur Last gelegt wird.

Allerdings kann das Fahrverbot als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme seinen Sinn verloren haben, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Wirksamwerden einer Anordnung ein erheblicher Zeitraum liegt und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist. Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom an sich verwirkten Fahrverbot rechtfertigen kann, ist dabei eine Frage des Einzelfalls. Diese wird jedenfalls dann zu prüfen sein, wenn seit der Tat mehr als 2 Jahre vergangen sind, der Betroffene in dieser Zeit mit einer hohen Fahrleistung beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat und die Verfahrensverzögerungen nicht vom Betroffenen zu vertreten sind (vgl. dazu OLG Düsseldorf DAR 2001, 133 und DAR 2000, 415; OLG Schleswig DAR 2001, 40; OLG Köln DAR 2000, 484; OLG Zweibrücken DAR 2000, 586; OLG Stuttgart DAR 1999, 180; Aufl., § 25 StVG Rdn. 24). Die in vorliegendem Verfahren dem Betroffenen zur Last gelegte Tat wurde am 14.08.1999 und damit – noch – vor weniger als 2 Jahren begangen. Der Tatrichter wird nach den vorgenannten Grundsätzen daher nicht bereits wegen des Zeitablaufs gehindert sein, ein Fahrverbot zu verhängen. Dabei wird es sich empfehlen, einen aktuellen Auszug aus dem Verkehrszentralregister beizuziehen, um ggf. Feststellungen treffen zu können, ob sich der Betroffene nach der Tat auch weiterhin beanstandungsfrei verhalten hat.

Sollte der neue Tatrichter erneut zu einer Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung gelangen, wird er zu beachten haben, dass auch in Bußgeldsachen die Tat in der Urteilsformel mit Worten anschaulich und verständlich zu bezeichnen ist. Hat ein Bußgeldtatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Die angewendeten Vorschriften sind erst nach der Urteilsformel aufzuführen (§ 71 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 260 Abs. 4 Satz 1 und 2, Abs. 5 Satz 1 StPO; vgl. OLG Düsseldorf DAR 2001, 39 und VRs 98, 362 [363] ; Göhler a. a. O. Rdn. 41).

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