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Geschwindigkeitsmessung durch privates Unternehmen – Beweisverwertungsverbot


Geschwindigkeit

Zusammenfassung:

Eine Geschwindigkeitsmessung, welche im Auftrag einer öffentliche Stelle durch ein privates Unternehmen selbstständig durchgeführt wurde, unterliegt einem Beweisverwertungsverbot. Das Ergebnis der Messung ist nicht verwertbar und der Betroffene freizusprechen. Dies entschied kürzlich das Amtsgerichts Parchim. Im konkreten Fall hatte das private Unternehmen die Rohmessdaten vollständig selbst ausgewertet.


Amtsgericht Parchim

Az: 5 OWi 2215/14

Urteil vom 01.04.2015


Tenor

Der Betroffene M. wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Angewendete Vorschriften:

§§ 467 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG


Gründe

I.

Mit dem Bußgeldbescheid vom 06.05.2014 zum Aktenzeichen 8000251728 AN hat der Landkreis L.-P. dem Betroffenen vorgeworfen, am 28.01.2014 um 07.06 Uhr als Führer des Pkw VW mit dem amtlichen Kennzeichen … auf der Bundesstraße … im Abschnitt 300 in Höhe des Kilometers 0,360 in Fahrtrichtung G. die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft von 70 km/h um 27 km/h überschritten zu haben.

Bei der Geschwindigkeitsmessung kam das Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan Speed der Bauvariante M 1 mit der Identifikationsnummer 623742 zum Einsatz, das auf Antrag der V. Verkehrselektronik W. GmbH taut Eichschein Nr. 1-065/2013 vom 25.02.2013 bis zum 31.12.2014, und damit über den Zeitpunkt der stattgefundenen Messung hinaus, ordnungsgemäß geeicht gewesen ist.

Dem in der Hauptverhandlung verlesenen Messprotokoll vom 28.01.2014 ist zu entnehmen, dass die Geschwindigkeitsüberwachung vom 22.01.2014 durch den Leiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung beim Landkreis L.-P. angeordnet und durch den Messbeauftragten …mit dem Bediensteten der V. GmbH, Herrn …, als technischen Begleiter durchgeführt worden ist.

Das zum Einsatz gekommene Messgerät des Herstellers Vitronic Wiesbaden war dem Landkreis L.-P. im Rahmen eines Miet- und Dienstleistungsvertrages vermietet und zur Nutzung überlassen.

Auf dem Messgerät war die für die Geschwindigkeitserfassung die hierzu erforderliche aktuelle Software der Version 3.2.4 installiert. Die Messdatenauswertung findet darauf unter Einsatz eines sogenannten Poliscan TUFFViewers in der dazugehörigen Softwareversion 3.45-1 statt. Nach Durchführung der Messung wurden die an der betreffenden Messstelle erlangten Daten auf einen Datenstick überspielt und mit dem Messprotokoll schließlich der Stabsstelle Verkehrsüberwachung bei dem Landkreis L.-P. zur weiteren Bearbeitung zugeleitet. Die Stabsstelle Verkehrsüberwachung hat die auf dem Stick befindlichen Messrohdaten auf dem Zentralrechner des Landkreises L.-P. abgelegt. Im Rahmen ihrer Dienstleistungsverpflichtung hat sodann die V. GmbH W. online auf den Zentralrechner des Landkreises L.-P. zugegriffen und die Rohdaten auf den eigenen Datenserver überspielt. Unter Einsatz des dort installierten vorbezeichneten TUFFViewers hat die V. GmbH die Rohdaten sodann im Rahmen einer sog. Konvertierung ausgewertet und das in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Messfoto mit Messort- und Zeitangabe, Messergebnis, Fahrzeug-, Fahrer- und Kennzeichenabbildung erstellt und sodann abermals online dem Landkreis L.-P. als Datenpaket im sogenannten jpeg-Format zur weiteren Bearbeitung im Bußgeldverfahren übermittelt.

II.

Der Betroffene war freizusprechen, da die ihm vorgeworfene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft mittels des erlangten Messergebnisses nicht festzustellen war. Vielmehr bestand hier ein Beweisverwertungsverbot.

Der Landkreis L.-P. hat als Ordnungsbehörde im Bußgeldverfahren die (V. GmbH W. als Privatfirma mit der Auswertung von Messdatenergebnissen beauftragt.

Das Bestehen eines entsprechenden Miet- und Dienstleistungsvertrages und die oben unter I. dargestellte Vorgehensweise bei der Durchführung des Mess- und Auswertungsverfahrens haben die im Rahmen der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen … und … als Informatiker bzw. dortiger Geschäftsführer bestätigt.

Demnach hat der Landkreis L.-P. die Auswertung der Rohmessdaten, deren Ergebnis schließlich zur Einleitung des Bußgeldverfahrens gegen den Betroffenen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung geführt hat, in vollem Umfang in die Hände eines privaten Unternehmen gegeben. Dies ist nicht zulässig.

Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns. Eine Mitwirkung von Privatpersonen ist nur möglich, wenn die Verwaltungsbehörde „Herrin des Verfahrens“ bleibt. Bei Geschwindigkeitsmessungen muss die Behörde nicht nur Ort, Zeit und Häufigkeit der Messungen vorgeben, sondern auch den eigentlichen Messvorgang durch eigene ausgebildete Mitarbeiter kontrollieren, um gegebenenfalls einschreiten zu können. Schließlich muss die Auswertung des Messergebnisses der Ordnungsbehörde vorbehalten bleiben (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.07.2003 – 2 Ss Owi 388/02).

Auch der Erlass des Wirtschaftministeriums zur Geschwindigkeitsüberwachung im öffentlichen Straßenverkehr in Mecklenburg Vorpommern in der Fassung vom 01.03.2003 regelt in Nummer 6.4, dass „die Auswertung der Beweismittel nur von den Behörden vorzunehmen“ ist. Zwar sieht der Erlass in Ziffer 6.3 die Möglichkeit, die „Behandlung und Übergabe der Beweismittel“ bei Hinzuziehung privater Anbieter zu vereinbaren, vor, wobei sicherzustellen sei, dass sämtliche Beweismittel der Behörde übergeben werden. Diese Regelung sieht aber gerade diese der voran zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung vor, dass der Landkreis L.-P. sich vollumfänglich der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel im Rahmen des Auswertungsverfahrens begibt und letztlich nicht festgestellt werden kann, dass er diese zur weiteren Bearbeitung vollumfänglich zurück erhält. Diese Kontrolle ist dem Landkreis L.-P. bei dieser Verfahrensweise schlichtweg entzogen. Vielmehr erhält der Landkreis L.-P. bei der dargestellten Verfahrensweise die ermittelten Messdaten mit Fahrzeug-, Fahrer- und Kennzeichenabbildung extrahiert aus verschlüsseltem Rohdatenmaterial zur Verfügung gestellt, woraus dann das weitere Bußgeldverfahren betrieben wird. Die Auswertung der Messdaten ist dadurch bereits durch den privaten Dienstleistungsanbieter V. GmbH erfolgt und gerade nicht von der Behörde, wie dies in Ziffer 6.4 Satz 1 des vorbezeichneten Erlasses geregelt ist.

Diese Verfahrensweise führt im vorliegenden Fall zur Annahme nicht nur eines Beweiserhebungs-, sondern auch Beweisverwertungsverbotes.

Der Landkreis L.-P. hat nicht nur bei Missachtung der Vorgaben aus dem vorbezeichneten Erlass die Datenauswertung exclusiv der V. GmbH als privaten Dienstleistungsanbieter übertragen, sondern dies auch in Kenntnis der Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens zu vertuschen versucht.

Bereits in den vorangegangenen Verfahren 5 OWi 1913/14 und 5 OWi 1633/14 hat das Gericht am 9.12.2014 bei Durchführung eines Ortstermins in den Geschäftsräumen der Stabsstelle Verkehrsüberwachung bei dem Landkreis L.-P. sich von dem tatsachlichen Einsatz eines dort installierten TUFFViewers im Rahmen der Datenauswertung zu überzeugen versucht. Dort ist dem Gericht durch den Leiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung, Herrn … die Auskunft erteilt worden, dass es wegen seiner fehlenden Sachkenntnis nicht möglich sei, das dortige Messdatenauswertungsverfahren zu demonstrieren. Auch die zuständigen Sachgebietsleiter stünden hierfür nicht zur Verfügung. Aus der dem Gericht vorliegenden, in der Hauptverhandlung verlesenen, von der Zeugin A. an die Mitarbeiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung übersandten E-Mail vom 21.11.2014 ist zu entnehmen, dass anfragenden Rechtsanwälten die Auskunft zu erteilen sei, dass seit dem 15.10.2013 die Umstellung auf den neuen TUFFViewer 3.45-1 abgeschlossen worden sei und dieser seither für die ausschließliche Auswertung durch die Mitarbeiter des Landkreises L.-P. verwendet werde. Weiterführende Auskünfte an Rechtsanwälte sollten nicht erteilt werden. In seiner ebenfalls dem Gericht vorliegenden und in der Hauptverhandlung verlesenen weiteren E-Mail vom 02.02.2015 beklagt der vorgenannte Leiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung gegenüber den dortigen Mitarbeitern den Umstand, dass die interne E-Mail vom 21.11.2014 dem Amtsgericht Parchim vorläge und er prüfen lasse, wer für die Weitergabe der betreffenden E-Mail an „unbefugte Dritte“ verantwortlich sei.

Dem ist zu entnehmen, dass die Stabsstelle Verkehrsüberwachung in Kenntnis der ihr bereits in vorangegangenen Verfahren mitgeteilten oben bezeichneten obergerichtlichen Rechtsprechung bewusst auch der Erlasslage zuwiderhandelnd die Datenauswertung ausschließlich in private Hände ohne eigene Kontrollmöglichkeit übertragen hat. Auch hat der Landkreis L.-P. dem Gericht die Einsichtnahme in die mit der V. W. GmbH bestehende Dienstleistungsvereinbarung trotz in der Hauptverhandlung verlesenen schriftlichen Ersuchens mit Fristsetzung zum 28.3.2015, 12.00 Uhr, verweigert.

Dieses Verhalten des Landkreises L.-P. als Ordnungsbehörde muss im vorliegenden Fall dazu führen, dass das Verfolgungsinteresse hinsichtlich Verkehrsordnungswidrigkeiten hinter dem persönlichen Rechtschutzinteresse des Betroffenen zurückzustehen hat und zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes führen (vgl auch OLG Naumburg, Beschluss vom 7.5.2012 – 2 Ss (Bz) 25/12).

Die hier festgestellten bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstöße, bei denen letztlich auch grundrechtliche Sicherungen hoheitlichen Handelns planmäßig oder systematisch außer acht gelassen wurden, gebieten die Annahme eine Beweisverwertungsverbotes (BVerfG, Beschluss vom 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09), weshalb der Betroffene aus rechtlichen Gründen freizusprechen war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.


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