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Fiktive Abrechnung auf Gutachtenbasis – Welche Werkstattpreise?

LANDGERICHT KASSEL

Az.: 1 S 657/00

Verkündet am 03.05.2001

Vorinstanz: AG Kassel – Az.: 430 C 4351/00


In dem Rechtsstreit hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Kassel aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 03. Mai. 2001 für Recht erkannt:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 05.10.2000 verkündete Urteil des Amtsgerichts Kassel – 430 C 4351100 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Ersatz des ihm aufgrund des Unfalles vom 13.12.1999 entstandenen Schadens aus § 3 PflVG i.V.m. §§ 7,17 StVG, § 823 BGB. Der Anspruchsgrund der Klage ist unstreitig.

Der Ersatzanspruch des Klägers besteht auch in der von ihm geltend gemachten Höhe von 1.585,23 DM.

Die Höhe des von der Beklagten zu leistenden Schadensersatzes bestimmt sich nach §§ 249 ff BGB. Nach § 249 S. 2 BGB kann der Geschädigte den zur Wiederherstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der zum Ersatze verpflichtetende Umstand nicht eingetreten wäre, erforderlichen Geldbetrag verlangen. Erforderlich ist der Geldbetrag, den ein verständiger und wirtschaftlich denkender Eigentümer nach Art und Umfang als angemessenes Mittel zur Schadensbehebung aufgewandt hätte (vgl. BGH NJW 1970, 1454, 1455). Der Zahlungsanspruch besteht auch, wenn der Geschädigte von vornherein nicht die Absicht hat, die Herstellung des Fahrzeuges zu veranlassen, vielmehr sich anderweit behelfen und den Schadensbetrag einem anderen Zweck zuführen will (BGH VersR 1989, 1056, 1057 m.w.N.). Wegen dieses Grundsatzes der Dispositionsfreiheit des Geschädigten stand es dem Kläger insbesondere frei, sich zu entscheiden, ob er sein Fahrzeug reparieren lassen will oder das Geld aus der Schadensersatzforderung zur Beschaffung eines anderen Fahrzeuges einsetzt. Nach dem Schadensereignis hat der Kläger sein Fahrzeug nicht reparieren lassen. Er hat den Pkw in unrepariertem Zustand zeitnah verkauft, sich dafür ein anderes Fahrzeug angeschafft und seinen Schadensersatzanspruch auf Gutachtenbasis berechnet. Unstreitig wurden am 15.12.1999 zwei Gutachten erstellt, wobei dem einen die Stundensätze der Kasseler BMW-Vertragswerkstätten und dem anderen die durchschnittlichen Stundensätze der regionalen Fachwerkstätten zugrunde lag. Diese beiden Gutachten differieren um den Klagebetrag von 1.585,23 DM. Die in den Gutachten angegebenen Stundensätze als solche sind ebenfalls unstreitig.

Nach Auffassung der Kammer hat der Geschädigte auch bei fiktiver Reparaturabrechnung auf Gutachtenbasis Anspruch auf Ersatz der Kosten, die in einer dem Fahrzeugtyp entsprechenden Vertragswerkstatt anfallen würden (so auch AG Schweinfurt, DAR 1998, 478; AG Augsburg DAR 1995, 163, 164; AG Mainz DAR 1996, 322 für Ersatzteil-Preisaufschlag).

Dies folgt in erster Linie aus dem Grundsatz der Dispositionsfreiheit. Die Ersatzpflicht der Reparaturkosten einer Vertragswerkstatt wird bei tatsächlicher Vornahme der Reparatur in einer solchen Werkstatt nicht in Frage gestellt. Zum einen ergäbe sich eine dem Gesetz nicht entnehmbare Beschränkung des „Wahlrechts“ des Geschädigten zwischen Wiederherstellung nach § 249 S. 1 BGB oder Geldersatz nach § 249 S. 2 BGB, wenn er bei Wiederherstellung grundsätzlich den vollen Reparaturbetrag erhalten würde, während der Ersatz des Geldbetrages ohne tatsächlich durchgeführte Reparatur nur in Höhe des geringeren Mittel-Stundensatzes verlangt werden könnte. Darüber hinaus würde dies in der Konsequenz zu einer unangemessenen Benachteiligung eines weniger finanzkräftigen Geschädigten führen, wenn er die Reparatur aus finanziellen Gründen erst nach Erhalt des Schadensersatzes durchführen kann. Denn er könnte zunächst nur gekürzte Schadensersatzleistungen im Klageweg erreichen, aber damit nach Erhalt eine vollständige Reparatur in einer Vertragswerkstatt nicht bewirken (so auch AG Schweinfurt DAR 1998, 478). Zwar wäre es im Falle einer späteren Reparatur möglich, die tatsächlich in einer Vertragswerkstatt angefallenen Kosten von dem Schädiger nachzufordern, was möglicherweise jedoch dazu führen würde, dass der Geschädigte zwei Rechtsstreite führen müßte, um letztlich Schadensersatz in Höhe der insgesamt angefallenen Reparaturkosten zu erhalten. Dies erscheint jedenfalls dann für den Geschädigten unzumutbar, wenn die vom Gutachter berechneten Reparaturkosten wegen der unter= schiedlichen Stundensätze nur geringfügig differieren. Dies ist hier der Fall. Vorliegend stehen die Kosten einer Vertragswerkstattreparatur nicht außer Verhältnis zu einer Reparatur in einer freien Fachwerkstatt, weil der Kostenunterschied gerade 7,3 beträgt.

Hierdurch wird auch der Schädiger nicht unangemessen belastet. Gerade bei einem Fahrzeug, das erst ca. 1,5 Jahre alt ist, kann der Schädiger nicht erwarten, dass sich der Geschädigte mit einer Reparatur in einer nicht seinem Fahrzeugtyp entsprechenden Werkstatt zufrieden gibt. Eine Vertragswerkstatt genießt regelmäßig ein höheres Vertrauen und es ist von einer zügigeren Durchführung der Reparatur, auszugehen, weil solche Werkstätten in der Regel die passenden Ersatzteile vorrätig haben sowie über entsprechendes Fachpersonal verfügen. Der Schädiger ist. jedoch wegen der Dispositionsfreiheit des Geschädigten nicht besserzustellen, wenn der Geschädigte von einer Reparatur seines Fahrzeuges Abstand nimmt.

Deshalb sind im vorliegenden Fall auch die Kosten einer Fahrzeugreparatur in einer Vertragswerkstatt zu ersetzen. Die vorstehenden Ausführungen gelten auch im Hinblick auf die vom Geschädigten zu beachtende Schadensminderungspflicht, weil im vorliegenden Fall keine zumutbar vermeidbaren Kosten entstehen.

Dagegen wird in der Rechtsprechung auch die Ansicht vertreten, dass bei fiktiver Abrechnung lediglich Reparaturkosten unter Zugrundelegung mittlerer Stundenverrechnungssätze als notwendige Reparaturkosten anzusehen sind (vgl. AG Pforzheim DAR 1996, 501) Nach OLG Hamm (DAR 1996, 400, 401) soll dies zumindest dann der Fall sein, wenn der Geschädigte den Schaden tatsächlich in einer kleineren Werkstatt und nur behelfsmäßig hat beheben lassen und nicht darlegt, dass er sonst üblicherweise eine Vertragswerkstatt aufzusuchen pflegt. Zur Begründung führt das OLG Hamm an, dass derjenige, der sein Fahrzeug in einer freien Fachwerkstatt gekauft hat und dort regelmäßig warten läßt, diese Werkstatt auch als seine „Kundendienstwerkstatt“ bezeichne. Nach § 249 S. 2 BGB bemesse sich der erforderliche Geldbetrag grundsätzlich nach objektiven Kriterien, woraus sich schließlich die Abrechnung nur des mittleren Stundensatzes rechtfertige.

Dieser Argumentation vermag die Kammer nicht zu folgen, denn zum einen stellen die Stundensätze einer dem Fahrzeugtyp entsprechenden Vertragswerkstatt ein nicht weniger objektives Kriterium zur Schadensberechnung dar. Zum anderen ist das, was der Geschädigte als seine Kundendienstwerkstatt ansehen darf, kein taugliches Kriterium zur Bestimmung der „notwendigen“ Reparaturkosten. Dies wird besonders deutlich, wenn das Fahrzeug – wie hier – noch relativ neu ist. Es liegt zwar nahe, dass ein „Neuwagen“ in den ersten Jahren in der Vertragswerkstatt gewartet wird, zwingend ist dies aber nicht. Andererseits kann auch eine freie Fachwerkstatt ein nur wenige Monate altes Fahrzeug verkaufen und anschließend warten. Gleichwohl muss dann diese Werkstatt nicht unbedingt als Kundendienstwerkstatt anzusehen sein. Immerhin dürfte. die Vornahme von Wartungsarbeiten wie Ölwechsel, Scheinwerfereinstellung, Zündkerzenwechsel usw. nicht ohne weiteres vergleichbar sein mit Reparaturarbeiten, die unter Umständen kompliziert oder an schwer zugänglichen Stellen vorzunehmen sind. Völlig unerheblich ist auch, ob der Kläger sonst eine Vertagswerkstatt aufzusuchen pflegt. Dieser Gesichtspunkt könnte allenfalls bei älteren Fahrzeugen eine Rolle spielen.

Hinzu kommt, dass man dem Geschädigten nach dieser Ansicht eine umfassende Pflicht zum Preisvergleich hinsichtlich der zahlreichen Autowerkstätten auferlegen würde, um so einen Mittelwert zu erhalten, den er seinem Schadensersatzbegehren zugrunde legen könnte. Dies kann aber von dem Geschädigten nicht verlangt werden.

Dem Kläger steht auch der geltend gemachte Zinsanspruch zu, § 284; 286 BGB. Soweit die Beklagte nunmehr die Höhe der geltend gemachten Zinsen bestreitet, ist dieses Bestreiten unsubstantiiert, weil nach dem Vortrag des Klägers die Beklaqte im Besitz der Kreditbelege ist, was von dieser auch nicht in Abrede gestellt wird.

In diesem Falle hätte die Beklagte schon ausführen müssen, was genau bestritten werden soll.

Nach alledem ist das amtsgerichtliche Urteil im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.

 

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