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Steuersünder: Anspruch auf Nennung des ihn belastenden Informanten

BUNDESFINANZHOF

Az.: V B 163/05

Beschluss vom 07.12.2006


Leitsätze:

1. Seit dem 1. April 2005 ist ausschließlich der BFH für eine gerichtliche Entscheidung darüber zuständig, ob die Weigerung des FA, einem Beteiligten Akteneinsicht im finanzgerichtlichen Verfahren zu gewähren, rechtmäßig ist.

2. Hat das FG nach dem 31. März 2005 über einen Antrag eines Beteiligten auf Akteneinsicht entschieden, ist diese Entscheidung auf Beschwerde hin aufzuheben; der BFH trifft über die Frage der Akteneinsicht eine eigene Entscheidung.

3. Die Identität eines Anzeigeerstatters kann gegenüber dem Steuerpflichtigen dem Steuergeheimnis unterliegen; im Einzelfall ist eine Abwägung vorzunehmen. Dabei kommt dem Informantenschutz regelmäßig ein höheres Gewicht gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen zu, wenn sich die vertraulich mitgeteilten Informationen im Wesentlichen als zutreffend erweisen und zu Steuernachforderungen führen (Bestätigung der Rechtsprechung).


Tatbestand:

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer/Antragsteller (Kläger) hat im Verfahren vor dem essischen Finanzgericht (FG) wegen Umsatzsteuer 1992 bis 1994 Einsicht in die Akten des Beklagten und Beschwerdegegners/Antragsgegners (Finanzamt –FA–) beantragt. Das FA hat die Einsichtnahme in bestimmte Aktenteile, die zwei Anzeigen gegen den Kläger (vom 14. Juli 1995 und vom 25. April 1994) betreffen, unter Hinweis auf das Steuergeheimnis mit Verfügungen vom 4. März 2002 und 22. April 2002 verweigert.

Mit Beschluss vom 27. Januar 2003 hat das FG diese Verfügungen des FA aufgehoben und das FA verpflichtet, den Antrag des Klägers im Rahmen einer Ermessensentscheidung und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Mit Schreiben vom 9. April 2003 hat das FA den Antrag auf Akteneinsicht erneut abgelehnt.

Das FG hat daraufhin das Hauptsacheverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag des Klägers vom 26. Mai 2003 auf weitere Akteneinsicht ausgesetzt. Mit Beschluss vom 25. Juli 2005 lehnte das FG in einem Zwischenverfahren nach § 86 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den Antrag des Klägers vom 26. Mai 2003 auf weitere Akteneinsicht ab. Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 3. August 2005 Beschwerde erhoben, der das FG nicht abhalf (Beschluss vom 27. September 2005) und die Beschwerde dem Bundesfinanzhof (BFH) vorlegte. Trotz Aufforderungen vom 10. Oktober 2005 und 17. November 2005 wurde die Beschwerde nicht begründet.

Entscheidungsgründe:

II.

Die Beschwerde als solche hat zwar Erfolg, weil das FG zur Entscheidung über den Antrag auf weitere Akteneinsicht nicht mehr befugt war; gleichwohl ist der Antrag auf weitere Akteneinsicht unbegründet.

1.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 62a Abs. 1 Satz 2, 128 Abs. 1 FGO) und begründet.

Nach der seit dem 1. April 2005 geltenden Fassung des § 86 Abs. 3 FGO war das FG über die Frage der Rechtmäßigkeit der Verweigerung von Akteneinsicht nicht mehr entscheidungsbefugt.

a) Das im Hauptsacheverfahren beteiligte FA hat nach § 71 Abs. 2 FGO die den Streitfall betreffenden Akten an das Gericht zu übermitteln; es ist –wie jede Behörde– außerdem nach § 86 Abs. 1 FGO zur Vorlage von Akten verpflichtet, soweit nicht durch das Steuergeheimnis (§ 30 der Abgabenordnung –AO 1977–) geschützte Verhältnisse Dritter unbefugt offenbart werden. Weigerte sich das FA, Akten oder Aktenteile vorzulegen, konnte das Gericht –wenn und soweit es die Akten oder Aktenteile für das Hauptsacheverfahren für relevant hielt– bislang nach § 86 Abs. 3 FGO alter Fassung verfahren (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Dezember 1972 VII B 71/72, BFHE 107, 560, BStBl II 1973, 253).

b) § 86 Abs. 3 FGO wurde durch das Justizkommunikationsgesetz (JKomG) vom 22. März 2005 (BGBl I 2005, 837, 845, erschienen am 29. März 2005) mit Wirkung vom 1. April 2005 (vgl. Art. 16 JKomG) ohne weitere Übergangs- oder Anpassungsregelungen geändert, so dass für alle Verfahrenshandlungen, die ab dem 1. April 2005 vorgenommen werden, die gesetzliche Neuregelung gilt. Danach stellt auf Antrag eines Beteiligten (ausschließlich) der BFH in den Fällen des § 86 Abs. 1 und 2 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Aktenvorlage oder die der Erteilung von Auskünften rechtmäßig ist.

c) Am 25. Juli 2005 war deshalb das FG nicht mehr zur Entscheidung über den Antrag des Klägers vom 26. Mai 2003 befugt. Aus diesem Grund war der Beschluss vom 25. Juli 2005 auf die Beschwerde vom 3. August 2005 aufzuheben.

2.

Nach § 86 Abs. 3 FGO neuer Fassung ist daher der BFH für die Entscheidung über den Antrag des Klägers vom 26. Mai 2003 zuständig. Dieser Antrag ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen. Die Verweigerung der Akteneinsicht durch das FA war rechtmäßig.

a) Die Verpflichtung zur Vorlage von Akten und zur Erteilung von Auskünften ist nach § 86 Abs. 1 FGO durch das Steuergeheimnis nach § 30 AO 1977 eingeschränkt. Hiervon hat das FA zutreffend Gebrauch gemacht.

b) Dem Steuergeheimnis unterliegt grundsätzlich auch die Identität eines Anzeigeerstatters (BFH-Urteile vom 7. Mai 1985 VII R 25/82, BFHE 143, 503, BStBl II 1985, 571; vom 8. Februar 1994 VII R 88/92, BFHE 174, 197, BStBl II 1994, 552, und vom 25. Juli 1994 X B 333/93, BFHE 174, 491, BStBl II 1994, 802). Soweit es nach § 30 Abs. 4 AO 1977 zulässig ist, dem Steuergeheimnis unterliegende Kenntnisse zu offenbaren, folgt daraus grundsätzlich keine Pflicht; es muss vielmehr unter Abwägung der gegenseitigen Interessen eine sachgerechte Ermessensentscheidung getroffen werden. Dabei sind im Einzelfall das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen –wie auch das des Informanten– gegen den Zweck des Steuergeheimnisses –die möglichst vollständige Erschließung der Steuerquellen– abzuwägen; dieser Zweck kann es auch erfordern, die Auskunftsbereitschaft Dritter zu erhalten. In der Abwägung des Einzelfalles bedeutet dies, dass dem Informantenschutz dann ein höheres Gewicht als dem Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen zukommt, wenn sich die vertraulich mitgeteilten Informationen im Wesentlichen als zutreffend erweisen und zu Steuernachforderungen führen (vgl. insbesondere BFH-Urteil in BFHE 174, 491, BStBl II 1994, 802).

c) Die Anzeigen gegen den Kläger vom 14. Juli 1995 und vom 25. April 1994 haben sich in wesentlichen Teilen als zutreffend erwiesen; auf ihrer Grundlage haben sich nach einer Außenprüfung gegen den Kläger Steuernachforderungen ergeben. Warum in dieser Situation gleichwohl dem Persönlichkeitsrecht des Klägers ein höheres Gewicht zukommen sollte als dem Zweck des Steuergeheimnisses, hat der Kläger weder vorgetragen noch sind Gründe hierfür ersichtlich. Die Begründung des Antrags vom 26. Mai 2003 enthält dazu keine konkreten Aussagen und erschöpft sich vielmehr in einer Kritik angeblich unlogischer Rechtsanwendung durch das FA; die Beschwerde vom 3. August 2005 wurde –trotz Aufforderung– nicht begründet, so dass sich auch daraus keine konkreten Hinweise auf ein ggf. individuell höher einzuschätzendes Persönlichkeitsrecht des Klägers ergeben.

d) Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes vom 5. September 2005 (BGBl I 2005, 2722 „Informationsfreiheitsgesetz“ –IFG–). Dieses gilt nach § 1 Abs. 1 IFG zum einen nur gegenüber Behörden des Bundes –während das FA eine Landesbehörde ist–, zum anderen besteht ein Anspruch auf Informationszugang nach § 3 Nr. 4 IFG dann nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht unterliegt; eine solche Rechtsvorschrift stellt § 30 AO 1977 dar.

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