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Inlineskates – Schadensersatzpflicht bei Unfall, wenn man die gesamte Straßenbreite zum skaten benutzt und den entgegenkommenden Verkehr nicht beachtet

OLG Hamm

Az.: 6 U 63/00

Verkündet am 30. Oktober 2000

Vorinstanz: LG Münster – Az.: 2 O 520/99


In dem Rechtsstreit hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2000 für R e c h t erkannt:

Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin gegen das am 16. Dezember 1999 verkündete Urteil der z. Zivilkammer des Landgerichts Münster werden zurückgewiesen.

Die Kosten der 1. Instanz werden der Beklagten auferlegt. Die Kosten der z. Instanz tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Parteien: unter 60.000,00 DM.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Parteien streiten um-die Verantwortlichkeit für einen Unfall, der sich am 19.07.1998 gegen 19:30 Uhr auf einem ca. 2,90 m breiten Wirtschaftsweg zwischen A und B ereignete. Die Klägerin befuhr diesen Weg zusammen mit ihrem Ehemann auf Fahrrädern. Im Gegenverkehr näherten sich die Beklagte mit ihrer Freundin und ihrem Sohn auf Inlineskates. Unstreitig fuhren die Beklagte und ihre Freundin nebeneinander, beide waren intensiv in ein Gespräch vertieft.

Der Sohn der Beklagten war vorausgefahren. Durch das Gespräch abgelenkt, bemerkte die Beklagte die entgegenkommenden Radfahrer erst recht spät und kollidierte dann, als sie zur Fahrbahnmitte auszuweichen versuchte, mit der Klägerin, die ebenfalls zur Fahrbahnmitte hin auswich.

Einzelheiten des Hergangs sind zwischen den Parteien streitig.

Beide Parteien wurden bei dem Unfall verletzt, die Klägerin allerdings schwerer. Sie zog sich ein Schädelhirntrauma dritten Grades mit multiplen Kontusionen zu, die einen Krankenhausaufenthalt in der Zeit vom 19.07. bis zum 13.08.1998 in der Universitätsklinik und anschließende Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich machten.

Der hinter der Beklagten stehende Haftpflichtversicherer hat an die Klägerin 25.000,00 DM gezahlt und später auf den Schmerzensgeldanspruch der Klägerin verrechnet.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin ein weitergehendes Schmerzensgeld verlangt und sich hierbei eine Größenordnung von insgesamt ca. 60.000,00 DM vorgestellt. Darüber hinaus hat sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche künftigen Schäden begehrt.

Mit ihrer Widerklage hat die Beklagte ihrerseits auf der Grundlage einer 50 %igen Haftung ein angemessenes Schmerzensgeld, Ersatz materieller Schäden und ebenfalls die Feststellung der Ersatzpflicht sämtlicher künftigen Schäden auf der Grundlage eurer hälftigen Haftung begehrt.

Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien und Vernehmung von Zeugen der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe schon nach ihren eigenen Erklärungen zu sorglos gehandelt, indem sie nicht auf den ihr entgegenkommenden Verkehr geachtet und den Unfall infolge ihrer Unachtsamkeit verschuldet habe. Ein Mitverschulden der Klägerin sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellbar; insbesondere sei nicht bewiesen, dass die Klägerin ihrerseits neben dem Fahrrad ihres Ehemannes hergefahren ist und deshalb die Durchfahrt ebenfalls versperrt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Ziel einer lediglich hälftigen Haftung. Die Beklagte ist der Auffassung, auf hälftiger Grundlage ein Schmerzensgeld in Höhe von nicht mehr als 30.000,00 DM und eine entsprechend auf 50 %, reduzierte Ersatzpflicht hinsichtlich der Zukunftsschäden zu schulden. Entsprechend ihren erstinstanzlichen Anträgen macht sie auch die Widerklage erneut geltend.

Die Klägerin verlangt mit ihrer Anschlussberufung ein weiteres Schmerzensgeld und stellt sich nunmehr eine Größenordnung in Höhe von insgesamt mindestens 80.000, 00 DM vor.

Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung und der gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen. Der Senat hat die Parteien erneut angehört und den Zeugen Wienert nochmals vernommen:

III.

Die zulässigen Berufungen beider Parteien sind nicht begründet. Zum Grund der Haftung ist auch der Senat der Auffassung, dass die Beklagte den Unfall verschuldet und deshalb gemäß den §§ 823, 847 BGB zum Ersatz der materiellen und immateriellen. Schäden verpflichtet ist. Es kann dahinstehen, ob es sich bei den Inlineskates der Beklagten um „besondere Fortbewegungsmittel im Sinne des § 24 StVO (so OLG Karlsruhe NZV 99, 44 = VersR 99, 590 = MDR 99, 94 ; ebenso OLG Celle l l e NJW-RR 99, 118’7) handelt oder aber um „Fahrzeuge“ (so etwas Grams NZV 97, 65; vgl. ferner Schmidt, DAR 98, 8 ff; ferner Hentschel NJW 2000, 696).

In jedem Falle galt für sämtliche Verkehrsteilnehmer § 1 Abs. 1 StVO, also das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme, gegen das die Beklagte hier schuldhaft verstoßen hat.

Nach eigenem Vortrag, den sich die Klägerin jedenfalls hilfsweise zu eigen gemacht hat, fuhr die Beklagte auf der linken Seite des Wirtschaftsweges, ihre Freundin, die Zeugin auf der rechten Seite. Zwar hat der Zeuge auch vor dem Senat erneut bekundet, die Beklagte sei auf der für sie rechten Seite gefahren und von dieser Position aus flach links mir Fahrbahnmitte hin ausgewichen. Der Senat geht jedoch davon aus, dass der Zeuge sich hinsichtlich der Position der ihm entgegenkommenden Inlineskater aus nachvollziehbaren Gründen geirrt hat. Denn der Unfallhergang ist Letztlich nur plausibel, wenn die Beklagte, ihren eigenen Angaben und auch den Aussagen der Zeugin insoweit folgend – von der Linken Seite des Wirtschaftsweges aus versucht hat, der ihr entgegenkommenden Klägerin nach rechts hin zur Fahrbahnmitte auszuweichen. Dies entspricht den in derartigen Situationen typischen Ausweichversuchen „weg von der Gefahr“. Auch entspricht der in dieser Weise rekonstruierbare Unfallhergang den Endpositionen der nach dem Sturz verletzt auf der Fahrbahn liegenden Parteien, wie sie in der polizeilichen Unfallskizze eingetragen sind. Dass der Zeuge sich in diesem Punkt geirrt haben muss, ist nicht weiter verwunderlich, da nach seiner eigenen Aussage zum Schluss alles „unheimlich schnell ging“.

Wenn aber die Beklagte schon die linke Fahrbahnseite benutzte, musste sie in besonderem Maße damit rechnen, dass ihr auf dieser Seite andere Verkehrsteilnehmer, auch Fahrräder entgegen kamen. Sie war deshalb in jedem Falle zu gesteigerter Aufmerksam verpflichtet, zumal in dieser Situation klar war, dass sie

zusammen mit ihrer neben ihr fahrenden Freundin praktisch die gesamte Breite des 2,90m in schmalen Weges in Anspruch nahm und deshalb bei Gegenverkehr gehalten war, rechtzeitig Platz zu machen und sich entweder vor oder hinter ihrer Freundin am Fahrbahnrand einzuordnen. Denn genau diese Ausweichreaktion auf die rechte Fahrbahnseite entspricht den berechtigten Erwartungen des Gegenverkehrs, der auf seiner – ebenfalls rechten – Fahrbahnseite ungehindert vorbeifahren will. Zu Recht hat das Landgericht das Verschulden der Beklagten aus ihren eigenen Erklärungen abgeleitet. Danach hat sie die Radfahrer erst ganz spät in einem Abstand von etwa 8 m oder 9 m Entfernung bemerkt und demnach praktisch im letzten Moment erst versucht, zur Fahrbahnmitte hin auszuweichen. Hätte sie aber – wozu sie verpflichtet war – dem weiteren Verlauf des Wirtschaftsweges vor ihr die nötige Aufmerksamkeit gewidmet, so hätte sie die Klägerin und ihren Ehemann viel früher gesehen und deshalb rechtzeitig die von ihr versperrte Fahrbahn freimachen können. Diese Unaufmerksamkeit war die entscheidende Unfallursache. Ein Mitverschulden der Klägerin ist dagegen nicht festzustellen. Ihr ist insbesondere nicht vorzuwerfen, dass sie im letzten Augenblick ebenfalls versucht hat, zur Fahrbahnmitte auszuweichen. Abgesehen davon, dass diese Entscheidung in Bruchteilen von Sekunden zu treffen war, nachdem deutlich wurde, (dass die Beklagte ihrerseits erst viel zu spät reagierte, war auch ein Ausweichversuch zur anderen Seite wegen der dort befindlichen Grünfläche mit anschließendem Zaun nicht ohne weiteres zumutbar. Die Behauptung der Beklagten aber, die Klägerin und ihr Ehemann seien auf den Fahrrädern nicht, hintereinander, sondern nebeneinander gefahren, ist schon erstinstanzlich wegen der hierzu widersprechenden Zeugenaussagen unbewiesen geblieben. Im übrigen erscheint auch hier die Darstellung der Klägerin, bestätigt durch die Aussage ihres Ehemannes plausibler, dass beide inzwischen nicht mehr nebeneinander, sondern leicht versetzt hintereinander gefahren sind. Dies entspricht der natürlichen Reaktion eines Verkehrsteilnehmers, der – wie hier bei der Klägerin und ihrem Ehemann – schon von weitem Gegenverkehr wahr nimmt, von dem klar ist, dass er ohne Gefahr nur dann passieren kann, wenn man sich mit seinen Fahrzeugen möglichst weit rechts bewegt. Im übrigen ist der Sohn der Beklagten zuvor bereits an der Klägerin und ihrem Ehemann vorbeigefahren, offenbar ohne jede Behinderung oder Gefährdung. Auch dies zeigt, dass die Darstellung der Klägerin, sie und ihr Ehemann seien hintereinander gefahren, wahrscheinlicher ist als die gegenteilige Darstellung der Beklagten.

Die Anschlussberufung der Klägerin, mit der sie ein über 60.000, 00 DM hinausgehendes Schmerzensgeld begehrt, ist unbegründet.

Gewiss ist die Klägerin durch ihren Sturz auf den Hinterkopf schwer verletzt worden. Sie erlitt ein Schädelhirntrauma dritten Grades und war 5 Minuten bewusstlos. Ein subdurales Hematon ist dann nach sofortiger stationärer Einweisung am 05.08.1998 operativ entlastet worden. Postoperativ stellte sich nach den vorgelegten Unterlagern eine Recurrensparese mit „organischer Dysphonie“ bei Stimmlippenstillstand heraus. Dies ist der Grund dafür, dass die Klägerin auch heute nur recht leise, schwach und leicht belegt sprechen kann. Richtig ist auch, dass die Klägerin ihrem früheren Beruf als Chefsekretärin seit dem Unfall nicht mehr ausüben kann und inzwischen eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht. Bei besonderen Belastungen ist sie schnell erschöpft und leidet unter Kopfschmerzen und Schwindel. Auch kann sie ihre früheren sportlichen Aktivitäten, insbesondere Bergsteigen, nicht mehr ausüben. Flugreisen sind ihr nicht mehr möglich, der Besuch von Konzerten u.ä. führt schnell zu Kopfschmerzen.

Andererseits ist nicht zu übersehen, dass sich der Zustand der Klägerin trotz aller – auch dauerhafter – Beeinträchtigungen während ihres Krankenhausaufenthaltes und der anschließenden Rehabilitationsmaßnahmen zunehmend gebessert hat. Schon der Entlassungsbericht der Klinik vom 12.10.1998 bestätigt eine erfreuliche Besserung des allgemeinen körperlichen Befindens und der Leistungsfähigkeit der Klägerin. Auch haben sich die Koordinationsstörungen zurückgebildet, ebenso die neuropsychologischen Defizite in Form vorn Verlangsamung und Aufmerksamkeitsstörungen Die anschließende Rehabilitation in Hagen (14.10. – 25.11.1998) brachte nochmals eine Verbesserung der neuropsychologischen Defizite mit Steigerung der Belastbarkeit auf 30 Minuten. Schließlich waren auch die logopädischen Behandlungen frei der Klägerin insoweit erfolgreich, als sie durch Erlernen bestimmter Atemtechniken in die Lage versetzt worden ist, normale Gespräche – wenn auch mit etwas leiserer Stimme – zumindest für eine bestimmte Zeitlang zu führen, bevor dann eine Erholungsphase notwendig wird. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist der Senat deshalb mit dem Landgericht der Auffassung, dass das Schmerzensgeld in der Gesamtgrößenordnung von 60.000,00 DM zur Genugtuung und zum Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigungen angemessen ist.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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