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Lebensakte – Akteneinsichtsrecht

Amtsgericht Erfurt

Az: 64 OWi 624/10

Beschluss vom 25.03.2010


In der Bußgeldsache gegen pp. wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat das Amtsgericht Erfurt am 25 03.2010 durch den Richter am Amtsgericht ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

Auf den Antrag der Verteidigung vom 09.03.2010 hin wird die Verwaltungsbehörde verpflichtet, der Verteidigung Akteneinsicht im von ihr beantragten Umfang zu gewähren.

GRÜNDE:

Soweit die Verwaltungsbehörde meint, der Verteidigung Akteneinsicht nur im vorhandenen Umfang gewähren zu brauchen, so verkennt sie das Wesen des Rechts auf Akteneinsicht.

Das Recht auf Akteneinsicht ist ein zentraler Bestandteil des verfassungsrechtlich garantierten Rechts eines Betroffenen auf rechtliches Gehör in einem Verfahren (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 18,399 ff.) mit dem überhaupt der Anspruch eines Betroffenen gegenüber der strukturell überlegenen Verwaltung auf Einhaltung eines fairen Verfahrensablaufs materiell verwirklicht werden kann.

Jede Möglichkeit der Verfahrenseinflussnahme wäre überhaupt von vornherein zum Scheitern verurteilt, könnte der Bürger nicht die Erwägungen der Verwaltungsbehörde, die zu einer bestimmten Entscheidung hin führen sollen oder schon geführt haben, an Hand der Aktenführung genau nachvollziehen und gegebenenfalls kontrollieren.

Insbesondere dann, wenn sich der Bürger wie hier der Betroffene eines Verteidigers als Wahrer seiner rechtlichen Interessen bedient, umfasst dieses Recht auf Akteneinsicht alle Akten und Aktenteile, auf welche der Schuldvorwurf tatsächlich oder rechtlich gestützt wird und die zur Begründung des Ausspruchs über die Rechtsfolgen herangezogen werden (KK-OWiG/Kurz § 60 Randnr. 97 m.w.N.).

Es kann vorliegend unerörtert bleiben, ob die Verwaltungsbehörde grundsätzlich zur Vorlage der Verfahrensakte mit allen Bestandteilen, die irgendwie für die Bewertung des Vorwurfs von Bedeutung sein können, im Rahmen der Akteneinsicht als verpflichtet anzusehen ist, jedenfalls ist sie dann zu einer spezifizierten Vorlage verpflichtet, wenn es die Verteidigung verlangt.

Der Verteidiger hat im Rahmen seines Akteneinsichtsgesuchs mit Schriftsatz vom 26.02.2010 konkret dargelegt, was er von der Verwaltungsbehörde mit der Verfahrensakte vorgelegt bekommen möchte.

Die Verwaltungsbehörde ist aufgrund dieses Antrags nicht berechtigt, den Verteidiger auf die Möglichkeit der Beiziehung dieser Unterlagen im gerichtlichen Verfahren zu verweisen.

Dies ergibt sich neben der verfassungsrechtlichen Vorgabe, an die sich auch die Verwaltung zu halten hat aus dem Gesichtspunkt, dass es in vielen Fällen aus den unterschiedlichsten Gründen überhaupt nicht zu einem gerichtlichen Verfahren kommt.

Wäre das vollständige Akteneinsichtsrecht nur im Wege des stattfindenden gerichtlichen Verfahren zu verwirklichen, würden die Rechte des mit einem Vorwurf konfrontierten Bürgers verkürzt, was nicht hingenommen werden kann. Es gibt unter der Herrschaft des Grundgesetzes keine behördliche Maßnahme, die vom Bürger nicht kontrolliert werden kann. Kontrolle verlangt daher u.a. auch umfängliche Akteneinsicht, da es sich hierbei nicht um einen Akt handelt, den die Verwaltungsbehörde nach eigener Ermessen gewähren kann, sondern auf den die Verteidigung auf ihren Antrag hin einen Anspruch hat.

Schließlich führt die Verweisung der Verwaltungsbehörde im Hinblick auf die von der Verteidigung angeforderten Unterlagen auf das Gericht dazu, dass umfangreiche und Kostentreibende Mehrarbeiten anfallen, die durch entsprechendes Tätigwerden der Verwaltungsbehörde leicht vermieten werden könnten und die angesichts der vorherrschenden Kostenreduktionsstrategie im öffentlichen Dienst mit zunehmender Mehrbelastung des vorhandenen Personals auch in der Justiz vom Gericht nicht hingenommen werden.

Soweit die Verwaltungsbehörde in Bezug auf die Beschränkung auf die Akteneinsicht meint, auch die Verwaltungsvorschrift zur Verfolgung und Ahndung von Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten durch die Polizei und die Gemeinden (VwVVA-StVOVVi) stehe ihre restriktiven Praxis keineswegs entgegen, so verkennt sie hierbei schon, dass gerade die im vorliegendem Fall angeforderte Lebensakte des Messgeräts eben nicht in der Verfahrensakte hinreichend dokumentiert ist.

Ein klassischer Angriffspunkt der Verteidigung ist von jeher die Behauptung, an dem Messgerät sei trotz Eichung eine Reparatur vorgenommen worden.

Diese Behauptung oder ihre Widerlegung lässt sich nur anhand der sogenannten Lebensakte des Geräts nachweisen, die indessen bei Verkehrsordnungswidrigkeitsvorwürfen, die eine behauptete Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand haben, bislang nicht Gegenstand der Verfahrensakte ist und folglich immer zeitaufwendig angefordert werden muss.

Die Nebenentscheidung erfolgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. mit § 476 Abs. 1 StPO.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 62 Abs. 1 Satz 2 OWiG).

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