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Leichtkraftrad – Fahren ohne Fahrerlaubnis bei über 50 km/h!

OLG Karlsruhe

Az: 1 Ss 73/02

Beschluss vom: 25.11.2002


Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts S. vom 04. Februar 2002 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.
Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Angeklagte unter anderem am 18.05.2001 gegen 19 Uhr mit einem von ihm am 15.01.2001 erworbenen Leichtkraftrad der Marke A. auf der Bundesstraße von Al. kommend in Richtung L., wobei er zwei Polizeibeamten aufgrund seines Fahrverhaltens auffiel. Bei der daraufhin eingeleiteten Nachfahrt wies der ungeeichte Tacho des Polizeifahrzeugs über eine Strecke von ca. einem Kilometer bei gleichbleibendem Abstand eine Geschwindigkeit von etwa 90 km/h auf.

Das Amtsgericht S. hat das Verhalten des Angeklagten als strafbar angesehen, weil dieser lediglich im Besitz der Fahrerlaubnis der (früheren) Klassen 3, 4 und 5 gewesen sei und deshalb nur ein Leichtkraftrad habe fahren dürfen, welches eine Geschwindigkeit von nicht mehr 50 km/h erreiche. Es hat ihn deshalb wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in mindestens fünf Fällen im Zeitraum vom 15.01.2001 bis 18.05.2001 zu einer Gesamtgeldstrafe von 20 Tagessätzen zu je € 35 verurteilt.

Mit seiner Revision erhebt der Angeklagte mehrere Verfahrensrügen und beanstandet die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft K. hat auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung angetragen.

II.
Der Revision hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, welche zur Aufhebung des Urteils und zur Freisprechung des Angeklagten führt.

1. Allerdings teilt der Senat nicht die Auffassung der Revision, dass allein das Vorhandensein einer der Fahrerlaubnisklasse 4 entsprechenden Betriebserlaubnis für das Leichtkraftrad dazu führe, dass ein Vergehen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ausscheide. So ist anerkannt, dass fahrzeugbezogene technische Veränderungen, welche eine Erhöhung der Geschwindigkeit bewirken, zu einem Erlöschen der Betriebserlaubnis des Fahrzeugs führen können, so dass ein Vergehen des § 21 StGB dann vorliegt, wenn der Führer nicht über die dann notwendige Fahrerlaubnis verfügt (OLG Hamm DAR 1982, 336 f.; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, 4. Auflage. 1994, Rz. 619; zur Verfassungsmäßigkeit der Führerscheinspflicht bei einem Mofa 25, vgl. BVerfGE 51, 60 ff.). Eine Teilnahme am öffentlichen Verkehr kann aber auch dann nach § 21 Abs. 1 StVG strafbewehrt sein, wenn ein Kraftfahrzeug – wie hier – auch ohne Vornahme technischer Veränderungen eine Geschwindigkeit erreicht, welche wesentlich über der durch seine Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit liegt.

a. Entschieden wurde dies bereits durch das OLG Hamm (NJW 1978, 332 f.) in einem Fall eines für eine Geschwindigkeit von 25 km/h zugelassenen Fahrrades mit Hilfsmotor (Mofa 25), welches unabhängig von an ihm vorgenommenen technischen Veränderungen bis zu 40 km/h schnell fuhr. Der dortige Senat ist davon ausgegangen, dass der Mofafahrer dieses nur mit einer Fahrerlaubnis hätte benutzen dürfen, weil es mehr als die bauartmäßig konkret zugelassene Geschwindigkeit von 25 km/h erreichen konnte.

b. Dieser Ansicht schließt sich der Senat auch für Kleinkrafträder mit einem Hubraum von nicht mehr als 50 Kubikzentimetern und einer durch die Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 50 km/h grundsätzlich an, welche mit der (früheren) Fahrerlaubnis der Klasse 4 betrieben werden dürfen. Dabei kommt es auf den Fortbestand der erteilten Betriebserlaubnis – § 19 Abs.2 Satz 2 StVZO sieht ein Erlöschen grundsätzlich nur bei Vornahme von spezifischen Änderungen vor – nicht an, denn eine bestehende Betriebserlaubnis hat in solchen Fällen keinen konstitutiven Charakter für die Notwendigkeit einer Fahrerlaubnis bzw. deren Einordnung in bestimmte Klassen (ebenso OLG Hamm a.a.O).

c. Nach Auffassung des Senats reicht es aber bereits für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes nicht aus (Einschränkungen im subj. Bereich bejahend: OLG Hamm a.a.O), wenn ein Fahrzeug – möglicherweise allein aufgrund Zeitablaufs eingetretener Verschleißerscheinungen – nur un-wesentlich schneller als erlaubt fährt. Die Sicherheit des Straßenverkehrs, welche der Gesetzgeber durch die Notwendigkeit einer Fahrerlaubnis gewährleisten will, wird hierdurch nämlich nicht nennenswert beeinträchtigt. Zudem bedarf es – auch wegen der unklaren Gesetzeslage – klarer und eindeutiger Regelungen, aus welchen der Betroffene erkennen kann, unter welchen Vorraussetzungen er sich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar macht (vgl. BVerfG a.a.O). Bei nur geringfügigen Überschreitungen der bauartmäßig zugelassenen Geschwindigkeit ist dies nicht möglich, zumal solche für den Betroffenen zumeist nicht erkennbar sein dürften. Kann das Leichtkraftradrad aber erheblich höhere Geschwindigkeiten als erlaubt erreichen, so liegt für den Fahrzeugführer nahe, dass am Fahrzeug entweder geschwindigkeitsrelevante Änderungen vorgenommen wurden oder aber sonstige technische Mängel vorhanden sind, die eine Einschränkung bzw. Entziehung der Zulassung bedingen können (§ 17 StVZO; Hessischer Verwaltungsgerichtshof ESVGH 52, 102 ff.); auch drängt sich für ihn die Frage auf, ob er dieses mit der ihm erteilten Fahrerlaubnis noch benutzen darf. Die Grenze, ab welcher solche ohne äußere Eingriffe aufgetretene Veränderungen als wesentlich anzusehen sind, bemisst der Senat vorliegend mit 20 %, so dass bei einem geringeren Anstieg der bauartmäßig zugelassenen Höchstgeschwindigkeit die Fahrerlaubnis und damit der Tatbestand des § 21 Abs.1 StVG nicht betroffen ist.

Auch genügt ein „einmaliges“ Überschreiten dieses Limits nicht, vielmehr muss es sich um dauerhafte Veränderungen des Fahrverhaltens des Leichtkraftrades handeln, so dass eine über diesem Grenzwert liegende Geschwindigkeit bei ebener Fahrstrecke wieder erreichbar ist.

2. Solche Feststellungen sind dem angefochtenen Urteil aber nicht zu entnehmen. Selbst wenn man daher davon ausgeht, die Geschwindigkeit des Leichtkraftrades des Angeklagten habe am 18.05.2001 über 60 km/h (nach Zulassung erlaubte Geschwindigkeit 50 km/h + 20 % Zuschlag) gelegen (zu den notwendigen Abschlägen beim Nachfahren mit ungeeichtem Tachometer, vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.07.2000, 3 Ss 92/00 – 20 % -, Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Auflage 2001, StVO, § 3 Rn. 62), besagt dies nichts über deren Wiederholbarkeit, zumal das Urteil keine Feststellungen zu den näheren Begleitumständen der Fahrt enthält, so dass der Senat nicht beurteilen kann, ob die Fahrtgeschwindigkeit durch äußere Einwirkungen, wie etwa Gefälle oder Rückenwind beeinflusst wurde.

3. Ob ein Nachweis einer durch bloße Verschleißerscheinungen eingetretenen technischen Veränderung heute überhaupt noch möglich ist – eine Untersuchung des Leichtkraftrades durch einen Sachverständigen wurde durch die Ermittlungsbehörden nicht veranlasst – braucht der Senat vorliegend aber nicht zu entscheiden, denn eine Ahndung scheidet schon aus subjektiven Gründen aus. Der Angeklagte befand sich nämlich in einem seine Strafbarkeit ausschließenden Irrtum.

a. Soweit er glaubte, sein erworbener Führerschein der Klasse 4 berechtige ihn unabhängig von der erreichbaren Höchstgeschwindigkeit zur Benutzung des Leichtkraftrades, befand er sich nämlich in einem Irrtum über den rechtlichen Geltungsumfang seiner Fahrerlaubnis, welcher als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln ist (vgl. Brandenburgisches OLG VRS 101, 299 ff.; NZV 2002, 146 ff.; vgl. auch BayObLG NStZ-RR 2000, 122 f.). Dieser war unvermeidbar, denn der Angeklagte hätte auch unter Anspannung seines Gewissens und Einholung einer sachkundigen Auskunft bei Fachbehörden keine verlässliche Beurteilung der Rechtslage erhalten und damit das Unrechtmäßige seines Tuns erkennen können (vgl. LK-Schroeder, 11. Auflage 1994, §§ 17 Rn. 42, 45 m.w.N.).

b. Die Frage, ob die Benutzung eines Kleinkraftrades mit einem Hubraum von nicht mehr als 50 Kubikzentimetern und einer durch die Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 50 km/h, noch mit der (vormaligen) Fahrerlaubnis der Klasse 4 erlaubt ist, wenn das Leichtkraftrad auch ohne Vornahme technischer Veränderungen wesentlich höhere Geschwindigkeiten als zulässig erreicht, war bislang nicht geklärt. Die Entscheidung des OLG Hamm (NJW 1978, 323 f.; vgl. auch AG Geilenkirchen NZV 1993, 125) betraf eine andere und nicht unmittelbar vergleichbare Fallgestaltung, nämlich die Frage, ob bei einem an sich fahrerlaubnisfreien Betrieb eines sog. Mofa 25 eine Führerscheinspflicht überhaupt besteht. Auch vermittelt der Wortlaut des dem Angeklagten ausgehändigten Führerscheins eher den Eindruck, dass eine etwa durch Verschleiß eingetretene geschwindigkeitsrelevante Veränderung des Fahrverhaltens lediglich dazu führt, dass die Verwaltungsbehörde dem Eigentümer oder Halter nach § 17 Abs.1 StVZO eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels setzen und nötigenfalls den Betrieb des Fahrzeug untersagen oder beschränken kann, die Fahrerlaubnis aber hierdurch nicht betroffen wird.

c. Insoweit kann auch offen bleiben, ob der Angeklagte mit solchen Anordnungen der Verwaltungsbehörde rechnete, denn dies würde die Annahme eines Verbotsirrtums i.S.d. § 17 StGB nicht beeinflussen. Zwar kann das Unrechtsbewusstsein nicht mit dem Bewusstsein der Strafbarkeit eines Tuns gleichgesetzt werden, weshalb es nicht erforderlich ist, dass ein Täter um die Existenz einer Strafnorm weiß. Andererseits reicht aber auch die Erkenntnis nicht aus, ein Verhalten widerspreche der Gesamtrechtsordnung. Denn die Bestimmung des § 17 StGB stellt auf das „Unrecht“ und nicht die bloße „Rechtswidrigkeit“ eines Verhaltens ab und bezieht dieses zudem auf eine konkrete Tat. Erforderlich ist daher, dass sich die „Unrechtseinsicht“ auf eine „spezifische Rechtsgutsverletzung“ bezieht, mithin sich der Täter gerade des straftatbestandlich vertypten Unrechts bewusst sein muss (vgl. BGHSt 15, 376 ff, 382; OLG Stuttgart NStZ 1993, 344 f.; LK-Schroeder, a.a.O., Rn. 7). An einem solchen Tatbestandsbezug fehlt es aber vorliegend. Eine etwaige Kenntnis des Angeklagten von der „Mangelhaftigkeit des Leichtkraftrades“ wäre nämlich nicht mit dem Wissen um die Reichweite seiner Fahrerlaubnis vergleichbar. Die Vorschrift des § 21 Abs.1 StVG will nämlich gewährleisten, dass Kraftfahrzeuge nur von solchen Personen geführt werden, welche die hierfür unter Erteilung einer behördlichen Erlaubnis jeweils erforderliche Eignung und Befähigung besitzen, und dient nicht zur Verhinderung der Teilnahme mängelbehafteter Fahrzeuge am öffentlichen Straßenverkehr.

III.
Der Angeklagte war somit aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Die Kostentscheidung folgt aus § 467 StPO.

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