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Naturteich – Haftung einer Tagesmutter


Oberlandesgericht Oldenburg

Az: 5 U 161/93

Urteil vom 12.04.1994


Anmerkung des Bearbeiters

Beachten Sie auch unsere Informationsseite zu Haftungsproblemen rund um den Gartenteich.


Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 19. November 1993 geändert: Die Klage wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten. Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000,– DM.


Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Gesundheitsschäden, die sie bei einem Sturz in einen Teich erlitten hat, auf Schmerzensgeld in Anspruch. Die Mutter der Klägerin hatte ihre Tochter am 21. März 1991 zur Beklagten gebracht. Dort sollte die Klägerin wie regelmäßig betreut werden, während ihre Mutter arbeitete. Die Beklagte erhielt dafür eine monatliche Vergütung in Höhe von 600 DM. Im Laufe des Vormittags ließ die Beklagte die zum damaligen Zeitpunkt zwei Jahre und drei Monate alte Klägerin zusammen mit ihren eigenen drei, fünf und sieben Jahre alten Kindern vor dem Haus spielen. Sie behielt die Kinder dabei bis auf kurze Augenblicke im Auge. Die Kinder verließen sodann diesen Bereich und bewegten sich in Richtung des Endes der Sachgasse. Dort bestand für sie eine Spielmöglichkeit mit Beaufsichtigung durch eine andere Mutter. Diese suchten die Kinder jedoch nicht auf. Sie gingen vielmehr über einen kleinen Weg auf ein Privatgrundstück, wo die Klägerin in einen Gartenteich fiel. Durch eines ihrer Kinder alarmiert holte die Beklagte die Klägerin aus dem Wasser. Als Folge einer Sauerstoffunterversorgung leidet die Klägerin seitdem unter einem schweren hypoxischen Hirnschaden und ist zu 100 % schwerbehindert.

Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe sich vertraglich verpflichtet, sie gegen Zahlung einer Vergütung zu versorgen und zu betreuen. Als Folge der unzureichenden Beaufsichtigung sei sie im jetzigen Alter noch nicht in der Lage, zu gehen, zu stehen und zu krabbeln. Sie könne auch nicht selbständig essen und sprechen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe sie in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes stellt, sowie ihr ab Rechtskraft des angestrebten Urteils eine monatliche Schmerzensgeldrente zu zahlen, dessen Höhe sie ebenfalls in das Ermessen des Gerichtes stellt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe die Klägerin nicht unzureichend beaufsichtigt.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe das Maß an Umsicht und Sorgfalt erfüllt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Aufsichtspersonen zu beachten gewesen sei. Nach dem Kenntnisstand der Beklagten hätten den Kindern keine erheblichen Gefahren gedroht, so daß sie es für wenige Minuten habe hinnehmen dürfen, daß die Kinder sich in Richtung Wendeplatz entfernten. Bereits nach drei bis fünf Minuten sei sie den Kindern gefolgt. Die Existenz des Naturteiches der Beklagten nicht bekannt gewesen und habe es auch nicht sein müssen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel weiter und rügt, daß der vom Landgericht zugrundegelegte Sachverhalt von der Beklagten so nicht vorgetragen worden sei. Es habe der Strafakte entnommen, daß die Beklagte die Kinder nur drei bis fünf Minuten unbeaufsichtigt gelassen haben. Der Zeitraum müsse aber länger gewesen sein. Denn die Entfernung zwischen dem Wohnhaus der Beklagten und dem Wendeplatz betrage etwas mehr als 100 m. Von dort seien es noch einmal 180 m bis zum Unfallort. Für eine solche Strecke hätten die Kinder mehr als fünf Minuten an Zeit benötigt. Sie behauptet ferner, die Beklagte habe die Beschaffenheit des Nachbargrundstückes ebenso gekannt wie das Vorhandensein von Gräben und damit rechnen müssen, daß die Kinder zum Wasser gingen. Sie hätte sie daher bereits vom Wendeplatz in ihren unmittelbaren Einflußbereich zurückholen müssen.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie

a) ein angemessenes Schmerzensgeld, b) eine monatliche Schmerzensgeldrente ab dem Unfalltag, dessen und deren Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt werden, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie stützt sich auf die landgerichtliche Entscheidung und behauptet, sie habe die Kinder ein paar Häuser weiter zunächst noch auf der Straße spielen gesehen. Die Kinder hätten sich bereits in der Nähe des Wendeplatzes befunden. Sie habe den Gartenteich auf dem Privatgrundstück G. nicht gekannt und deshalb die Klägerin zunächst in den Gräben am Wendeplatz und am alten Hof „Am Kolkplatz“ gesucht. Sie meint, es sei undurchführbar, ein Kind von zwei Jahren und drei Monaten nicht für nur fünf Minuten allein zu lassen. Zudem hätten ihre eigenen älteren Kinder für ein gewisses Maß an Sicherheit gesorgt.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld und einer monatlichen Schmerzensgeldrente dem Grunde nach gemäß § 847 BGB zu. Die Beklagte hat aufgrund einer aus einer vertraglichen Beziehung resultierenden Garantenstellung für die unterlassene Handlung, durch die die Klägerin schwere gesundheitliche Schäden erlitten hat, einzustehen. Die Beklagte hatte vertraglich die Verpflichtung übernommen, die Klägerin während der Zeiträume zu betreuen und zu versorgen, während derer ihre Mutter berufstätig war. Dafür erhielt sie eine monatliche Vergütung von 600 DM. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie die Aufgaben gegenüber der Klägerin, deren Mutter oder dem Landkreis A. übernahm. In jedem dieser Fälle resultierte aus der übernommenen Beaufsichtigung eine Aufsichtspflicht, die der Beklagten gebot, die Klägerin vor Schäden zu bewahren, die ihr gerade wegen ihres Alters drohen konnten (vgl. BGH VersR 1993, 585; OLG Celle, VersR 1986, 972). Gegen diese Verpflichtung hat die Beklagte am Morgen des 21. März 1991 verstoßen. Nachdem die Klägerin zusammen mit den drei Kindern der Beklagten das Hausgrundstück verlassen und sich auf der Straße Am G. hof in Richtung Wendeplatz entfernt hatte, hätte die Klägerin sie sogleich zurück in ihren unmittelbaren Einflußbereich holen und nicht für kürzere Zeit unbeaufsichtigt lassen dürfen. Das Ausmaß der erforderlichen Aufsicht bestimmt sich nach dem Alter, der Einsichtsfähigkeit und dem Charakter des Kindes sowie danach, was dem Aufsichtspflichtigen nach den jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann (vgl. BGH VersR 1988, 82, 84). Unter Zugrundelegung diese Grundsatzes hätte die Beklagte es nicht zulassen dürfen, daß die Klägerin zusammen mit den Kindern der Beklagten das Grundstück verließ, zunächst vor Nachbarhäusern auf der Straße und sodann in der Nähe des (wie aus der in der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte enthaltenen Grundkarte ersichtlich) etwa 100 m von ihrem Wohnhaus entfernten Wendeplatz spielte, ohne daß sie die Kinder jederzeit im Auge behielt. Anders als bei einem Spielen in der Wohnung oder auf dem Grundstück ihres Hauses bestand in einer solchen Entfernung nicht mehr die Möglichkeit, Gefahrensituationen in kürzester Zeit zu erkennen und einzugreifen. Die Beklagte hätte die Kinder daher entweder in ihren unmittelbaren Einflußbereich zurückholen oder sie beobachten müssen, so daß sie bei einem Weiterlaufen sofort hätte hinterhereilen können. Stattdessen ließ sie die Kinder – so ihr eigener Vortrag – etwa drei bis fünf Minuten unbeaufsichtigt, so daß diese den vom Wendeplatz etwa 180 m entfernt liegenden Gartenteich der Familie G. erreichen konnten, in den die Klägerin dann hineinfiel.

Die dargestellten Anforderungen waren der Beklagten auch zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin zum Vorfallszeitpunkt erst zwei Jahre und drei Monate alt und nicht in der Lage war, Gefahrensituationen einzuschätzen und zu vermeiden. Die Beklagte hatte die Klägerin allein deshalb zwar nicht den ganzen Tag ohne Unterbrechung zu beobachten. Sie hätte aber in dem Augenblick andere Tätigkeiten zurückstellen müssen, als sie die Kinder – entsprechend ihres Vortrages in der Berufungserwiderung – in der Nähe des Wendeplatzes erkannte, ohne die Gewißheit zu haben, daß sie sich von dort nicht in Gefahrensituationen begeben konnten.

Die dargestellten Umstände mußte die Beklagte, die bereits drei ältere Kinder hatte, bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt auch erkennen. Sie hatte wahrgenommen, daß die Kinder nicht mehr auf ihrem Grundstück, sondern auf der Straße nahe des Wendeplatzes spielten. Sie mußte damit rechnen, daß die Kinder sich mangels geeigneter Spielmöglichkeiten oder aus Neugierde weiter entfernen würden, nachdem sie den Bereich des Wohnhauses einmal verlassen hatten, und durfte nicht darauf vertrauen, daß die Klägerin zu einem befreundeten Kind gehen sowie von dessen Mutter beaufsichtigt werden würde. Die Beklagte hatte daher die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß die Klägerin Gefahren, dessen sie infolge ihres Alters nicht begegnen konnte, ausgesetzt war. Auch wenn sie den Teich auf dem Grundstück G. nicht gekannt hat – wofür die Tatsache spricht, daß sie zunächst dort nicht nach der Klägerin gesucht hat – so war ihr unter Zugrundelegung ihres eigenen Vortrages doch bekannt, daß in der Nähe des Wendeplatzes mehrere mit Wasser gefüllte Gräben verliefen. Die Beklagte suchte die Klägerin zunächst auch in diesen Gräben und wußte somit, daß diese nicht nur an der rückwärtigen Seite der Nachbarhäuser, sondern ebenso am nicht mehr bewirtschaften Hof „Am …“ verliefen. Auch dorthin war sie geeilt, bevor sie die Klägerin schließlich im Gartenteich auf dem Grundstück G. fand. Der Haftung der Beklagten steht nicht entgegen, daß die Klägerin das Hausgrundstück zusammen mit den älteren Kindern verließ. Die Beklagte konnte nicht davon ausgehen, daß ihre fünf- und siebenjährigen Kinder die Klägerin ausreichend beaufsichtigen würden (vgl. KG DAR 1974. 49 f.). Zum einen ist dabei zu berücksichtigen, daß Kinder in diesem Alter beim Spielen mit der Wahrnehmung von Aufsichtspflichten zumindest dann überfordert sind, wenn ihnen entsprechende Aufgaben nicht konkret übertragen worden sind. Für letzteres bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte, insbesondere hat die Beklagte nicht vorgetragen, daß sie ihren älteren Kindern besondere Weisungen erteilt hat. Zum anderen war nicht sichergestellt, daß die Kinder zusammenblieben. Der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte ist zu entnehmen, daß sie sich tatsächlich getrennt hatten und die Klägerin mit dem drei Jahre alten Kind der Beklagten allein zum Gartenteich gelaufen ist.

Die Beklagte hat demnach dem Grunde nach Schmerzensgeldzahlungen an der Klägerin zu leisten. Eine Entscheidung des Rechtsstreites im Ganzen ist derzeit nicht möglich, da zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche eine Beweisaufnahme durchzuführen ist. In erster Instanz hat die Beklagte die behaupteten Folgen des Unfalls bestritten. Beide Parteien haben in den zweitinstanzlichen Schriftsätzen auf die Ausführungen in erster Instanz Bezug genommen. Zum Umfang der Unfallfolgen ist daher, nachdem, die Parteien Gelegenheit hatten, ihren Vortrag dazu zu erweitern, die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich.

Die Nebenentscheidung folgt aus § 546 Abs. 2 ZPO.


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