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Pflegeversicherung: Beitragszuschlag für Kinderlose ist rechtmäßig

Hessisches Landessozialgericht

Az.: L 8 P 19/06

Urteil vom 19.03.2007

Vorinstanz: Sozialgericht Gießen, Az.: S 21 P 9/05, Urteil vom 01.06.2006


Entscheidung:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 1. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zum Beitragszuschlag für Kinderlose in der gesetzlichen Pflegeversicherung.

Der bei der Beklagten pflegeversicherte Kläger (geb. 1950) ist kinderlos.

Mit Bescheid vom 27. Dezember 2004 hob die Beklagte – im Hinblick auf die Einführung eines Beitragszuschlages für Kinderlose durch die Einführung der Regelung des § 55 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) mit Gesetz vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I 3448) – den Pflegeversicherungsbeitrag des Klägers mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 um 0,25 % auf 38,77 Euro an. Den Widerspruch des Klägers vom 7. Dezember 2004 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2005 zurück.

Der Kläger hat am 11. März 2005 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben und die Aufhebung der Beitragssatzanhebung begehrt. Durch die Beitragserhöhung für Kinderlose sehe er sich in dem Gleichheitsgrundrecht des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt.

Mit Urteil vom 1. Juni 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung in Höhe von 1,7 % (§ 55 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) erhöhe sich nach § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet hätten, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Ausgenommen hiervon seien nach § 55 Abs. 3 Satz 2 SGB XI Eltern im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nrn. 2 und 3 SGB I. Zum Personenkreis der Eltern gehöre der Kläger nicht, weshalb bei ihm der allgemeine Beitragssatz um 0,25 % zu erhöhen gewesen sei. Diese Vorschrift sei auch verfassungsgemäß. Mit dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94 – E 103, 242) reagiert. Der Gesetzgeber sei berechtigt gewesen, dem Auftrag des BVerfG durch eine Erhöhung des Beitragssatzes mittels eines Beitragszuschlags für Mitglieder ohne Kinder statt durch eine Beitragsermäßigung für Mitglieder mit Kindern Rechnung zu tragen. Das BVerfG habe in seinem Urteil ausgeführt, dass der Gesetzgeber über einen großen Spielraum bei der Ausgestaltung eines dem GG entsprechenden Beitragsrechts in der sozialen Pflegeversicherung habe; das GG verpflichte ihn lediglich dazu, beitragspflichtigen Versicherten mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten. Es bleibt dem Gesetzgeber überlassen, wie er die Betreuungs- und Erziehungsleistung bei der Beitragsbemessung von beitragspflichtigen mit Kindern berücksichtige. Allerdings sei er von Verfassungs wegen verpflichtet, eine Lösung zu wählen, die Unterhaltsverpflichtete bereits ab dem ersten Kind relativ entlaste. Eine solche relative Entlastung Erziehender habe der Gesetzgeber durch den Beitragszuschlag für Kinderlose vorgenommen. Dabei habe der Gesetzgeber im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG auch sachgerecht zwischen den Gruppen der Kinderlosen und der Erziehenden unterscheiden dürfen, so dass dies nicht gleichheitswidrig im Sinne von Artikel 3 Abs. 1 GG sei. Nicht relevant sei, aus welchem Grund Versicherte kinderlos geblieben seien. Der Gesetzgeber habe hierzu in der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 15/3671 vom 3. September 2004) ausgeführt, dass die Gründe, warum jemand keine Kinder habe, für die Zuschlagspflicht keine Rolle spielen sollten. Es gehe auch nicht darum, Kinderlose zu bestrafen, sondern bei der Neuregelung gehe es nach den Vorgaben des BVerfG ausschließlich um ein höheres Maß an Solidarität mit den Kindererziehenden, die mit der Kindererziehung neben ihrem monetären Beitrag einen entscheidenden zusätzlichen Beitrag zum Erhalt des umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisteten, von dem auch die Kinderlosen profitierten. Insgesamt werde der Vorteil, den Kinderlose durch das Aufziehen der nächsten Generation durch kindererziehende Mitglieder erlangten, durch die Umlage für die Familienversicherten nicht aufgezehrt. Dies rechtfertige es, von den beitragspflichtigen Versicherten, die keine Erziehungsleistung erbrächten, einen Ausgleich einzufordern. Vor diesem Hintergrund sei eine fehlende Differenzierung nach dem Grund der Kinderlosigkeit gerechtfertigt, da unabhängig von dem Grund der Kinderlosigkeit später jeder Kinderlose – auch der ungewollt kinderlos gebliebene Kläger – von den Beiträgen der heutigen Kindergeneration profitieren werde.

Gegen das ihm am 10. Juli 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. August 2006 Berufung eingelegt.

Er führt aus, mit dem Urteil des BVerfG vom 3. April 2001 sei er einverstanden, nicht aber mit der Umsetzung durch den Gesetzgeber. Statt endlich nachhaltige Strukturreformen auf den Weg zu bringen, würden ab Januar 2005 kinderlose Pflegekassenmitglieder mit einem Zusatzbeitrag belegt. Ziel sei also lediglich neue Geldquellen zu erschließen, um den finanziellen Kollaps der sozialen Pflegeversicherung nach hinten zu verschieben. Das Urteil des BVerfG spreche klar davon, dass das GG den Gesetzgeber lediglich dazu verpflichte, beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten. Eine solche Entlastung sei etwas anderes als die einseitige Belastung des Personenkreises ohne Kinder. Die getroffene Regelung stelle quasi eine Strafsteuer für Kinderlose dar. Das Urteil des BVerfG hätte z.B. durch ein höheres Kindergeld, einen höheren Freibetrag bzw. besondere Entlastungsbeträge bei der Einkommenssteuer oder eine höhere Anrechnung in der Rentenversicherung geschehen können.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 1. Juni 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2005 hinsichtlich der Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung um 0,25 Beitragssatzpunkte aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung durch die Berufsrichter des Senats gehört worden.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung durch Beschluss der Berufsrichter des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zu Recht ergangen. Die Heranziehung des Klägers zur Zahlung eines zusätzlichen Pflegeversicherungsbeitrags von 0,25 % ab dem 1. Januar 2005 gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI ist rechtmäßig.

Der Kläger hat das 23. Lebensjahr vor dem 1. Januar 2005 vollendet und ist kinderlos. Er ist weder vor dem 1. Januar 1940 geboren noch hat er seit dem 1. Januar 2005 Wehr- oder Zivildienst geleistet oder Arbeitslosengeld II bezogen. Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI erfüllt.

Das Sozialgericht hat überzeugend dargelegt, dass diese Vorschrift mit der Verfassung im Einklang steht. Das entspricht auch der einhelligen Auffassung der Rechtsprechung (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22. November 2006, L 2 R 386/06; SG Stuttgart, Urteil vom 20. März 2006, S 8 KR 3035/05; SG Münster, Urteil vom 10. März 2006, S 6 P 136/05). Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Bezug und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Ergänzend ist lediglich auf folgendes hinzuweisen:

Der Kläger irrt in seiner Auffassung, dem Urteil des BVerfG vom 3. April 2001 sei zu entnehmen, dass lediglich eine Entlastung der Versicherten mit einem oder mehreren Kindern bei der Bemessung der Beiträge, nicht aber die einseitige Belastung des Personenkreises ohne Kinder zulässig sei. Das BVerfG hat vielmehr festgestellt, dass die zu prüfenden Regelungen des SGB XI mit dem GG nicht vereinbar sind, soweit Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie solche Mitglieder belastet werden, die keine Kinder betreuen und erziehen. Ausdrücklich verlangt wird mithin nur eine beitragsrechtliche Besserstellung der Versicherten, die Kinder betreuen und erziehen, im Vergleich zu Mitgliedern ohne Kinder. Die danach erforderliche beitragsrechtliche Differenzierung zwischen diesen beiden Personenkreisen konnte der Gesetzgeber jedoch sowohl durch eine beitragsrechtliche Entlastung der Eltern als auch – wie geschehen – durch eine Belastung der Versicherten ohne Kinder vornehmen. Insoweit ist es von vorneherein unbedenklich, dass sich der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der steigenden Kosten und der Finanzierungsprobleme der sozialen Pflegeversicherung für die Anhebung des Beitragssatzes für kinderlose Versicherte entschieden hat. In einem umlagefinanzierten Versicherungssystem, welches die erforderlichen Finanzmittel aus den Beiträgen der Versicherten erhebt, bedeutet die zusätzliche Belastung eines Teils der Versicherten mit einem Beitragszuschlag im Ergebnis nämlich nichts anderes als die Entlastung der hiervon nicht betroffenen Gruppe von Versicherten, im vorliegenden Fall also der in der gesetzlichen Pflegeversicherung versicherten Eltern.

Soweit der Kläger weiter einwendet, die vom BVerfG geforderte relative Entlastung der Erziehenden hätte auch durch andere Maßnahmen – z.B. höheres Kindergeld, einen höheren Freibetrag bei der Einkommenssteuer oder eine höhere Anrechnung in der Rentenversicherung – geschehen können, übersieht er, dass das BVerfG ausdrücklich eine Berücksichtigung der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Eltern bei der Beitragsbemessung in der gesetzlichen Pflegeversicherung gefordert hat, weshalb die Frage, ob staatliche Familienförderung auch an anderer Stelle anzusetzen hat, sich in diesem Zusammenhang nicht stellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.

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