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Beschwerde gegen Polizeigewahrsam

Landgericht München I.

Az.: 1 T 7088/01

Beschluss vom 16.08.2001

Vorinstanz: AG München – Az.: 872 XIV B 967/00


BESCHLUSS

Die 1. Zivilkammer hat am 16. August 2001 in der Freiheitsentziehungssache wegen Polizeiaufgabengesetz auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluß des Amtsgerichts München vom..22.03.2001 beschlossen:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

GRÜNDE

Der Betroffene befand sich am 07.10.2000 von 9.20 Uhr bis 12.00 Uhr in Polizeigewahrsam und verlangt Feststellung, daß diese Freiheitsentziehung rechtswidrig war.

Für Samstag, den 07.10.2000, hatte die NPD beim – Kreisverwaltungsreferat der Landeshauptstadt München eine Sondernutzungsgenehmigung für die Errichtung eines Informationsstandes am Karlsplatz in München in der Zeit, von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr erhalten.

Gegen 9.15 Uhr wurde der Betroffene, der sich mit einigen weiteren Personen in Sichtweite des Infostandes der NPD aufhielt, von einem Zivilpolizisten aufgefordert, den Platz zu verlassen. Dieser Aufforderung leistete er keine Folge. Er wurde um 9.20 Uhr in Polizeigewahrsam genommen und um 12.00 Uhr wieder entlassen.

Der Betroffene hat mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 06.11.2000 beantragt, die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung festzustellen. Zur Begründung hat er ausgeführt, seine Mitgliedschaft in der PDS und seine frühere Teilnahme an Protesten gegen die NPD könnten.nicht der Anlaß für einen Platzverweis und eine Gewahrsamnahme sein.

Das Amtsgericht München, hat Stellungnahmen der beteiligten Polizeibeamten eingeholt. Darin wird ausgeführt, der Betroffene sei in der Demonstrationsszene einschlägig bekannt und der linksextremistischen Szene zuzuordnen. Er sei am 30.09.2000 bei einer Demonstration auf dem Marienplatz am Wesend gewesen und habe sich in einer Menschenmenge aufgehalten, die die ordnungsgemäß angemeldete Versammlung der NPD verbal gestört habe. Nach Beendigung der NPD-Versammlung sei er zeitweise beteiligt gewesen, als ein Teil der Menschenmenge den Abmarsch der NPD-Versammlungsteilnehmer und des Lautsprecherfahrzeugs der NPD verhindern habe wollen. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen; daß er das Betreiben des Infostandes durch die NPD zu verhindern bzw. zu stören versuchen würde und es dabei zu Straftaten etwa in Form von Beleidigung, Nötigung, Sachbeschädigung, Körperverletzung und Landfriedensbruch kommen könnte. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahmen vom 29.01.2001 (B1. 8 – 11 d.A:) verwiesen.

Mit Beschluß vom 22:03.2001 hat das Amtsgericht München festgestellt, daß die Ingewahrsamnahme des Betroffenen am 07.10.200,0 von 9.20 Uhr bis 12.00 Uhr rechtmäßig gewesen. Sie sei das einzige und zugleich mildeste Mittel gewesen, um eine Begehung von Straftaten durch den. Betroffenen zu verhindern;. nachdem der Betroffene bereits bei früheren Demonstrationen als Störer aufgefallen sei, habe die Vermutung nahegelegen, daß er auch an diesem Tag den planmäßigen Ablauf der Veranstaltung der NPD stören würde. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf den Beschluß des Amtsgerichts Bezug genommen (B1. 20.- .22 d.A.).

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Betroffenen mit der Begründung, seine Mitgliedschaft in der PDS – einer im Bundestag vertretenen Partei – könne nicht als Begründung für eine Ingewahrsamnahme dienen, er sei auch nicht der linksextremistischen Szene zuzuordnen, die Teilnahme an Demonstrationen sei ein, Grundrecht, er sei auch am 30.09.2000 nicht direkt als Störer aufgetreten. Auf die Schriftsätze vom 03.04.2001 und 09.05.2001 wird verwiesen.

Die Kammer hat den Betroffenen angehört; auf das Protokoll vom 23.07.2001 wird Bezug genommen.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet; die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG rechtmäßig. Diese Maßnahme. war unerläßlich zur Durchsetzung der Platzverweisung, mit der eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abgewehrt werden. sollte.

l. Die Polizei hat die Aufgabe, die allgemein oder im Einzelfall bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Art. 2 Abs. 1 PAG). Gemäß dem Begriff der öffentlichen Sicherheit hat sie den Schutz der zentralen Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des einzelnen, so wie der Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerfGE 69, 315/352) zu gewährleisten. Verletzt werden kann die öffentliche Sicherheit vornehmlich durch Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten.

Um solche zu verhüten (vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PAG), ist die Polizei.u.a. befugt, eine Person. vorübergehend von einem Ort zu verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes zu verbieten (Art. 11 Abs. 1, Art. 16 Abs. l PAG) Zur Durchsetzung einer Platzverweisung kann die Polizei die Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerläßlich ist (Art. 17 Abs. 1-Nr.-3 PAG).

Die Polizei trifft ihre Maßnahmen auf der Grundlage der jeweils gegebenen Verhältnisse und Erkenntnismöglichkeiten (vgl. BVerfGE 45, 51/60) nach pflichtgemäßem Ermessen (Art. 5 Abs. l PAG). Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt (Art. 4 Abs. 1 PAG). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei der Prüfung der „Unerläßlichkeit“ der Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung einer Platzverweisung in erhöhtem Maße zu beachten, da die Freiheit. der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, daß sie nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden darf (vgl, BVerfG NJW 1998, 1774/1775; BVerfGH 43, 107/128, 131). Geboten ist eine besonders sorgfältige Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem. öffentlichen Interesse an der Wahrung von Recht und Ordnung (vgl. BayObLGZ 1998, 133/136). Zu berücksichtigen ist hierbei maßgeblich die Bedeutung der Rechtsgüter; deren Schutz die Platzverweisung dient, der Grad der Wahrscheinlichkeit ihrer Verletzung sowie deren Schwere.

Die Polizeibeamten haben zu Recht angenommen, dass die Ansammlung einer Gruppe von vehementen Gegnern der NPD in Sichtweite von deren Infostand hier eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellte.

Der Betroffene hat bei seiner Anhörung vor der Kammer selbst erklärt, er habe die Veranstaltung der NPD „nicht unwidersprochen vor sich gehen lassen“ wollen. Ziel sei es gewesen, soviel Menschen wie möglich aufmerksam zu machen und den Platz zu füllen, um sodann „sich auch mengenmäßig dem Infostand“ zu nähern, während gleichzeitig Sprüche skandiert werden sollten wie „gebt den Faschisten keine Chance“ und „für das Verbot der NPD Ziel des Betroffenen war es somit, den Betrieb des Infostandes zumindest verbal massiv zu stören und ihn nach Möglichkeit durch das Vorrücken einer größeren Menschenmenge ganz zu verhindern.

Es liegt auf der, Hand, daß bei einer derartigen Vorgehensweise die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu erwarten ist, insbesondere von wechselseitigen Beleidigungen der politischen Gegner und von Körperverletzungen beim Vorgehen der Menge gegen den Infostand. Schließlich bestand die Gefahr, daß in diese Auseinandersetzungen auch unbeteiligte Dritte verwickelt würden, da erfahrungsgemäß die Münchner Fußgängerzone, an deren Ende sich der Infotisch befand, am Samstagvormittag sehr belebt ist.

Der gegenüber dem Betroffenen ausgesprochene Platzverweis war ein geeignetes und verhältnismaßiges Mittel, um das Anwachsen der gegen den NPD Infotisch vorgehenden Menschenmenge und damit auch die verbale und tätliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppierungen zu verhindern. Die Maßnahme stellte einen geringfügigen. Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar und war geeignet die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu verhindern.

Die Ingewahrsamnahme war unerläßlich, um die Platzverweisung durchzusetzen, da sich der Betroffene geweigert hat, der Platzverweisung Folge zu leisten, obwohl ihm nach einem Wortwechsel mit dem Polizeibeamten diese Maßnahme auch angedroht wurde. Angesichts der zu befürchtenden massiven Konfrontation einer größeren Menschenmenge mit den Betreibern des NPD-Infostandes.war das öffentliche Interesse an der Wahrung von Recht und Ordnung höher zu bewerten als der verfassungsrechtlich geschützte Freiheitsanspruch des Betroffenen, wobei zu berücksichtigen ist, daß sich die Freiheitsentziehung auf rund zweieinhalb Stunden beschränkt hat. Diese kurze Einschränkung seiner persönlichen Freiheit war vom Betroffenen im Interesse des Schutzes der Rechtsgüter anderer, insbesondere Ehre und körperliche Unversehrtheit, hinzunehmen.

Klarzustellen ist, daß Platzverweis und Ingewahrsamnahme weder eine Stellungnahme zu den politischen Auffassungen des Betroffenen noch eine Einschränkung seines Grund Demonstrationsfreiheit beinhalten. Die Grundrechtrechte Meinungs- und Demonstrationsfreiheit geben dem Betroffenen jedoch nicht das Recht, den politischen Gegner auf jede erdenkliche Art mundtot zu machen. Ein Verbotsverfahren gegen die NPD ist vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig, eine Entscheidung ist noch nicht ergangen. Solange das Verbot nicht ausgesprochen ist, kann sich auch die NPD auf die Grundrechte berufen (vgl. OVG Berlin, NJW 2000, 3586-LS.).

Die vom Betroffenen beabsichtigte Vorgehensweise gegen den NPD-Infotisch am Stachus am 07.10.2000 stellt nichts anderes als eine Form der Selbstjustiz dar, zu der er nicht berechtigt ist.

1. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt, da der Betroffene Kraft Gesetzes die Gerichtskosten seiner erfolglosen Beschwerde zu tragen hat, §§ 131 KostO, 14 FEVG.

2. Die sofortige weitere Beschwerde war nicht zuzulassen, da keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung stehen, § 18 Abs. 2 Satz 4 PAG.

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