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Fällt Prostitution unter die Niederlassungsfreiheit des Art. 18 EG?

BVerwG – 1. Senat

Az.: 1 C 17/00

Beschluss vom 18.09.2001

Vorinstanzen:

I. VG Freiburg Az.: VG 1 K 1085/97 – Urteil vom 19.08.1998

II. VGH Mannheim – Az.: VGH 11 S 1387/99 – Urteil vom 19.04.2000


Leitsatz:

Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung der Frage, ob die von einer Angehörigen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübte Prostitution durch die Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit erfasst wird oder ob ein Aufenthaltsrecht unmittelbar nach Art. 8 a EG-Vertrag (jetzt Art. 18 EG) oder der Richtlinie Nr. 90/364 des Rats der EWG besteht.


In der Verwaltungsstreitsache hat der l. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 18. September 2001 beschlossen:

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 234 Abs. 1 und 3 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu folgenden Fragen eingeholt:

1. Wurde die durch eine Staatsangehörige des Mitgliedstaats A im Mitgliedstaat B selbständig ausgeübte Prostitution bezogen auf die Rechtslage vom 16. Mai 1997 durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 52 EG-Vertrag) bzw. den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 59 EG-Vertrag) erfasst? Kommt es insoweit darauf an, ob die Prostitution zu dem genannten Zeitpunkt innerstaatlich als sitten- und sozialwidrig angesehen wurde?

2. Für den Fall der Verneinung der ersten Frage: Hatte die Staatsangehörige des Mitgliedstaats A nach der Rechtslage vom 16. Mai 1997 im Mitgliedstaat B ein Aufenthaltsrecht unmittelbar nach Art. 8 a EG-Vertrag?

3. Für den Fall der Verneinung der zweiten Frage: Hatte sie nach der Rechtslage vom 16. Mai 1997 ein Aufenthaltsrecht unter den Voraussetzungen von Art. 1 der Richtlinie Nr. 90/364 des Rats der EWG über das Aufenthaltsrecht vom 28.Juni 1990 (ABl Nr. L 180 S. 26), obwohl der Mitgliedstaat B diese

Richtlinie zu dem genannten Zeitpunkt noch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt hatte?

4. Für den Fall der Bejahung der dritten Frage: Musste sie zum Zeitpunkt der Einreise über ausreichende Existenzmittel verfügen und dies gegenüber der zuständigen Behörde nachweisen oder genügt es, wenn sie während ihres Aufenthalts im Mitgliedstaat B keine Sozialhilfe in Anspruch genommen hat?

Die 1955 geborene Klägerin ist Staatsangehörige der Niederlande. Sie hat ihren Wohnsitz in Amsterdam, wo sie mit ihren minderjährigen Kindern lebt.

Aus einem Bericht der Landespolizeidirektion Stuttgart II – Fachdienst Prostitution – an die Beklagte vom 2. Januar 1997 ergibt sich, dass die Klägerin – nach ihren Angaben – zu Beginn des Jahres 1996 in Essen für etwa zwei Wochen und ab 26. Februar 1996 bis 16. Mai 1996 in Stuttgart in dem „Prostitutionsobjekt Casanova“ der Prostitution nachgegangen ist. Ermittlungen beim Gesundheitsamt der Landeshauptstadt Stuttgart hätten ergeben, dass die Klägerin den Untersuchungsterminen regelmäßig nachgekommen sei; letztmals sei sie dort am 4. Juni 1996 erschienen.

Bei einer Überprüfung des Bordells „Panorama“ in Villingen-Schwenningen durch die Kriminalpolizei wurde die Klägerin dort am 17. Oktober 1996 angetroffen. Anlässlich einer Kontrolle dieses Bordells am 5. Dezember 1996 durch Bedienstete des Gesundheitsamts und der Ortspolizeibehörde der Beklagten wurde festgestellt, dass die Klägerin dort als Prostituierte tätig war. Nach Unterlagen des Gesundheitsamts beim Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis hielt sich die Klägerin seit dem 26. August 1996 in diesem Bordell auf. Sie war im Besitz eines am 14. Oktober 1996 in Amsterdam ausgestellten niederländischen Reisepasses.

Mit Verfügung vom 6. Dezember 1996 ordnete die Ausländerbehörde der Beklagten die Ausweisung der Klägerin an, da sie sich ohne erforderliche Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhalte. Damit seien die Voraussetzungen des § 46 Nr. 2 AuslG erfüllt. Die Klägerin reiste am gleichen Tag aus dem Bundesgebiet aus.

Das Regierungspräsidium Freiburg wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1997 zurück und legte zur Begründung ergänzend dar, dass Ausländer aus einem EG-Mitgliedstaat, die ins Bundesgebiet zur Ausübung der Prostitution einreisen wollten, sich nicht auf die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit berufen könnten. Zu den Zielsetzungen des EG-Vertrages gehöre es nicht, eine sittenwidrige und in verschiedener Hinsicht sozialwidrige Tätigkeit wie die Erwerbsprostitution unter die Freizügigkeitsregeln fallen zu lassen.

Das Verwaltungsgericht hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. Die Beklagte hat zur Begründung ihrer Berufung u.a. geltend gemacht, die Eigenschaft der Klägerin als niederländische Staatsangehörige ändere am Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 Nr. 2 AuslG nichts, weil § 9 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 DVAuslG ihr nicht zugute komme; denn sie habe sich mindestens zwei Mal länger als drei Monate im Bundesgebiet aufgehalten, ohne eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen dargelegt: Die auf § 46 Nr. 2 AuslG gestützte Ausweisung sei jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil ihr ein gemeinschaftsrechtliches Freizügigkeitsrecht der Klägerin entgegengestanden habe, das Unionsbürgern ein Aufenthaltsrecht vermittle. Die Klägerin habe mit der von ihr gewählten Art und Weise der Ausübung der Prostitution eine selbständige wirtschaftliche Erwerbstätigkeit erbracht. Offen bleiben könne, ob für sie die Personenverkehrsfreiheit in der Form der Niederlassungsfreiheit (Art. 52 ff. EG-Vertrag) oder die Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 ff. EG-Vertrag) zu beachten gewesen wäre. Auch wenn man vom Fehlen einer ständigen Niederlassung der Klägerin in Deutschland ausgehe, komme ihr die Dienstleistungsfreiheit zugute. Bei der Erwerbsprostitution in der von der Klägerin ausgeübten Form habe es sich nämlich um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung im Sinne von Art. 60 EG-Vertrag gehandelt. Zwar fielen verbotene, insbesondere strafbare Tätigkeiten nicht unter den gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Erwerbstätigkeit. Zu diesen Tätigkeiten gehöre die Prostitution jedoch nicht. Für die Beurteilung nach dem Europäischen Gemeinschaftsrecht könnten entgegen der vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 15. Juli 1980 (- BVerwG 1 C 45.77 – BVerwGE 60, 284, 288 f.) vertretenen Auffassung soziale, sittliche oder moralische Wertungen nicht maßgeblich sein. Vielmehr komme es allein auf den Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Betätigung an. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften habe zwar bisher nicht ausdrücklich festgestellt, dass Unionsbürger zur Ausübung der Prostitution Niederlassungsfreiheit genössen. Er sei aber schon inzident von einem Freizügigkeitsrecht von Prostituierten ausgegangen. Eine Beschränkung der Freizügigkeit könne zwar aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein. Derartige Gründe hätten im Zeitpunkt der Ausweisung der Klägerin aber nicht vorgelegen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Der Verwaltungsgerichtshof habe unter Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juli 1980 verkannt, dass die Klägerin, obwohl sie Staatsangehörige eines EG-Mitgliedstaats sei, weder Niederlassungs- noch Dienstleistungsfreiheit genieße. Die von ihr ausgeübte Prostitution sei nämlich nicht Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Art. 2 EG-Vertrag, da sie als gegen die Menschenwürde verstoßende Tätigkeit sittenwidrig und in verschiedener Hinsicht sozialwidrig sei. Da die Klägerin mithin nach Europäischem Gemeinschaftsrecht nicht freizügigkeitsberechtigt sei, sei die angegriffene Ausweisungsverfügung zu Recht ergangen.

Die Klägerin tritt der Revision entgegen. Sie macht u.a. geltend, sie sei auch aufgrund der Richtlinie Nr. 90/364 des Rats vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht freizügigkeitsberechtigt. Nach ihren Angaben war sie während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland krankenversichert und verfügte über ausreichende Existenzmittel. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin damals keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen hat.

Das Verfahren ist auszusetzen, weil von dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eine Vorabentscheidung einzuholen ist.

1. Die Revision ist begründet, wenn man mit der Beklagten annimmt, dass die Klägerin am 16. Mai 1997, dem für die Beurteilung der von ihr erhobenen Anfechtungsklage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids, nicht nach Europäischem Gemeinschaftsrecht freizügigkeitsberechtigt war. Die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ausweisungsverfügung vom 6. Dezember 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. Mai 1997 ist dann ausschließlich nach nationalem Recht zu beurteilen. Danach kann die Klägerin nicht die Aufhebung dieser Verfügung beanspruchen. Die Voraussetzungen der Ausweisungsbestimmung des § 46 Nr. 2 des Ausländergesetzes – AuslG – vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) sind nämlich unter den vorliegenden Umständen erfüllt, weil sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Einreise die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung beantragt und damit gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 6 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes – DVAuslG – vom 18. Dezember 1990 (BGBl I S. 2983) in der hier maßgeblichen Fassung der Verordnung vom 2. April 1997 (BGBl I S. 751) verstoßen hat.

Die Revision hat hingegen keinen Erfolg, wenn die Klägerin am 16. Mai 1997 ein gemeinschaftsrechtliches Freizügigkeitsrecht genoss. Denn ein Verstoß gegen die für Einreise und Aufenthalt bestehenden gesetzlichen Formalitäten kann dann für sich allein nicht als eine die Ausweisung eines Unionsbürgers rechtfertigende Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinne des Art. 56 EG-Vertrag bzw. der Richtlinie 64/221 vom 25. Februar 1964 (ABl S. 850) angesehen werden (vgl. EuGH, Urteil vom B. April 1976 – Rs. 48/75 – Royer – Slg. 1976, 497 Rn. 38/40).

Es kommt mithin für die Entscheidung des Falles darauf an, ob der Klägerin bezogen auf die Rechtslage vom 16. Mai 1997 ein gemeinschaftsrechtliches Freizügigkeitsrecht zustand. Dies ist der Fall, wenn die von der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat selbständig ausgeübte Prostitution nach der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtslage durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 52 EG-Vertrag; jetzt: Art. 43 EG) bzw. den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 59 EG-Vertrag; jetzt: Art. 49 EG) erfasst war (unten 2.) oder wenn ihr ein Aufenthaltsrecht unmittelbar nach Art. 8 a EG-Vertrag (jetzt:Art. 18 EG; unten 3.) oder nach Art. 1 der Richtlinie Nr. 90/364 (unten 4.) zustand.

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2. Die wirtschaftlichen Grundfreiheiten nach Art. 52 und 59 EG-Vertrag beziehen sich ebenso wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 48 EG Vertrag (jetzt: Art. 39 EG) nur auf Betätigungen, die einen Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Art. 2 EG-Vertrag ausmachen (EuGH, Urteil vom 12. Dezember 1974 – Rs. 36/74 – Walrave – Slg. S. 1405, 1418). Ob hierzu die von einer Unionsbürgerin in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihrer Staatsangehörigkeit ausgeübte Prostitution gehört, bedarf der Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.

Der beschließende Senat hat im Urteil vom 15. Juli 1980 (- BVerwG 1 C 45.77 – BVerwGE 60, 284, 288 f.) dargelegt, die Prostitution sei als sittenwidrige und in verschiedener Hinsicht sozialwidrige Tätigkeit nicht Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Art. 2 EG-Vertrag. An der in diesem Urteil vertretenen Ansicht, hieran sei ein vernünftiger Zweifel nicht möglich, hält der Senat nicht fest. Im Hinblick auf die seitherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften könnte vielmehr einiges für die Zugehörigkeit der Prostitution zum Wirtschaftsleben sprechen (vgl. auch Generalanwalt Leger, Schlussanträge vom B. Mai 2001 – Rs. C-268/99 – Jany e.a. – unter VI.). Allerdings ist nicht klar, dass der Gerichtshof hiervon, wie das Berufungsgericht (Urteilsabdruck S. 16 f.) meint, im Urteil vom 18. Mai 1982 – Rs. 115 und 116/81 – Adoui und Cornuaille – Slg. S. 1665, 1706 ff.) ausgegangen ist, indem er die damals vorgelegten Fragen als rechtserheblich angesehen hat. Die Antragstellerinnen jenes Verfahrens genossen nämlich bereits als Serviererinnen und damit als Arbeitnehmerinnen Freizügigkeit nach Art. 48 EG-Vertrag (vgl. auch die Schlussanträge von Generalanwalt Capotorti, a.a.O., S. 1715).

Bei der Prostitution handelt es sich nicht um eine in allen Mitgliedstaaten verbotene bzw. strafbare Tätigkeit, so dass es auf die insoweit geltenden Grundsätze nicht ankommt (vgl. auch EuGH, Urteil vom 24. März 1994 – Rs. C-275/92 – Schindler – Slg. I-1039, 1090). Auch nach innerstaatlichem deutschem Recht ist die Prostitution – auch soweit sie von Ausländern ausgeübt wird – nicht strafbar oder sonst verboten. Die Ausübung der Prostitution kann allerdings für In- und Ausländer besonderen Beschränkungen unterworfen werden (vgl. Berufungsurteil S. 14 mit Hinweis u.a. auf Sperrbezirksverordnungen). Anders als nach der noch für das erwähnte Urteil des Senats vom 15. Juli 1980 maßgeblichen Rechtslage war zum Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids eine Ausweisung wegen Ausübung der Prostitution nicht mehr generell, sondern nur noch dann möglich, wenn der Ausländer gegen eine für deren Ausübung geltende Rechtsvorschrift oder behördliche Verfügung verstieß (vgl. 46 Nr. 3 AuslG).

Nicht abschließend geklärt ist dagegen, ob es für die Frage der Zugehörigkeit der Prostitution zum Wirtschaftsleben darauf ankommt, ob sie innerstaatlich als sitten- und sozialwidrig angesehen wird. Für andere Tätigkeiten hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften dies verneint. So hat er die Auffassung vertreten, dass die nach den Gesetzen eines Mitgliedstaats legale Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs unabhängig von der Bewertung als „höchst unmoralisch“ (durch die damals klagende Society for the Protection of Unborn Children) unter die Dienstleistungsfreiheit – und damit unter Art. 2 EG-Vertrag – fällt (Urteil vom 4. Oktober 1991 – Rs. C-159/90 – SPUC – Slg. I-4685, 4739 Rn. 19 f.). Denn es sei nicht Sache des Gerichtshofs, die Beurteilung, die vom Gesetzgeber in den Mitgliedstaaten vorgenommen worden sei, durch eine eigene Beurteilung zu ersetzen. In einer weiteren Entscheidung hat der Gerichtshof dargelegt, dass Lotterien für „sittlich zumindest fragwürdig“ gehalten werden mögen, dass aber die Einfuhr von entsprechendem Werbematerial und Losen in einen Mitgliedstaat, um die in diesem Mitgliedstaat wohnenden Personen an einer in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten Lotterie teilnehmen zu lassen, zu den „Dienstleistungen“ im Sinne des Art. 60 EG-Vertrag gehört (Urteil vom 24. März 1994 – Rs. C-275/92 a.a.O., S. 1086 ff., 1090; vgl. auch Urteil vom 21. September 1999 – Rs. C-124/97 – Läärä – Slg. I-6067, 6116). Sittliche, religiöse oder kulturelle Erwägungen, die in allen Mitgliedstaaten angestellt würden, könnten es zusammen mit anderen Besonderheiten rechtfertigen, dass staatliche Stellen über ein nur durch das Diskriminierungsverbot begrenztes „ausreichendes Ermessen“ verfügen, um festzulegen, welche Erfordernisse,sich bezüglich der Art und Weise der soziokulturellen Besonderheiten jeSchutz der Sozialordnung ergeben a.a.O., S. 1096 f.). Damit ist in Ordnung angesprochen, Ausweisung hier nicht recht Tätigkeit nach Maßgabe der des Mitgliedstaats aus dem (Urteil vom 24. März 1994, dessen der Vorbehalt der öffentlichen der – wie oben 1. dargelegt – die fertigen kann.

In der bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheids ergangenen deutschen Rechtsprechung zum innerstaatlichen Recht wurde die Prostitution grundsätzlich als sittenwidrig angesehen (vgl. hierzu und zum Folgenden die Nachweise im Berufungsurteil S. 14 f.). So verstößt eine Prostituierte durch ihre Tätigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zumindest im Regelfall im Sinne von § 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB – gegen die guten Sitten (Urteil vom 6. Juli 1976 – VI ZR 122/75 – BGHZ 67, 119, 122). Unabhängig hiervon unterliegen die Einkünfte aus Prostitution der Steuerpflicht (vgl. 23. Juni 1964 – GrS l/64 S – NJW 1965, 79 und – V R 9/79 – NJW 1988, 935). Weiter stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts12. Juni 1990 – 5 StR 614/89 – NJW 1990,

BFH, Urteile vom vom 4. Juni 1987 die Prostitution hofs (Urteil vom 2207) eine Erwerbstätigkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 DVAuslG dar, ohne dass es darauf ankomme, wie sie in anderen Rechtsbereichen behandelt werde. Im Übrigen bestehen bereits einen Wandel der gesellschaftlichen Auffassungen zur Prostitution (anknüpfend daran neuerdings VG Berlin, Urteil vom 1. Dezember 2000 – VG 35 A 570/99 – NJW 2001, 983, 987 f.; vgl. auch BFH, Urteil vom 23. Februar 2000 – X R 142/95 – NJW 2000, 2919).

3. Sollte ein wirtschaftlich bedingtes Freizügigkeitsrecht zu verneinen sein, ist die Frage erheblich, ob einer die Prostitution in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihrer Staatsangehörigkeit ausübenden Unionsbürgerin am 16. Mai 1997 ein Aufenthaltsrecht unmittelbar nach Art. 8 a Abs. 1 EG-Vertrag zustand, der an die Unionsbürgerschaft anknüpft und nicht auf eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit abstellt. Die Beantwortung dieser Frage ist zweifelhaft und bedarf der Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat sich bisher zur Rechtsnatur des Art. 8 a EG-Vertrag nicht näher geäußert. Nach Auffassung des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 10. November 1999 – BVerwG 6 C 30.98 – BVerwGE 110, 40, 53) begründet die – mit dem Art. 8 a EG-Vertrag wortgleiche – Vorschrift des Art. 18 Abs. 1 EG ein subjektiv-öffentliches Recht, das dem Unionsbürger unabhängig vom Zweck seiner Inanspruchnahme unmittelbar zusteht. Es handle sich um eine politische Grundfreiheit, welche das aus den wirtschaftlich motivierten Verkehrsfreiheiten folgende Aufenthaltsrecht überlagere. Die Vorschrift gewährleiste das Recht, aus einem Mitgliedstaat auszureisen, in einen anderen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort ohne zeitliche und grundsätzlich ohne inhaltliche Begrenzung aufzuhalten. Andererseits wird auch die Auffassung vertreten, Art. 8 a Abs. 1 EG-Vertrag wiederhole und bündle deklaratorisch nur die Rechte, die einzelnen Personen bereits vor In-Kraft-Treten dieser Bestimmung nach Maßgabe der „Beschränkungen und Bedingungen“ des übrigen Primärrechts zuerkannt gewesen seien bzw. die Vorschrift formuliere nur ein Rechtsprinzip, das ohne anderweitige gemeinschaftsrechtliche Konkretisierung nicht anwendbar sei (ablehnend Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge vom 5. Juli 2001 – Rs. C-413/99 – Baumbast und R – Rn. 101 ff.).

Sollte Art. 8 a Abs. 1 EG-Vertrag grundsätzlich unmittelbar ein Aufenthaltsrecht vermittelt haben, so ist zweifelhaft und bedarf der Klärung, ob es auch dann bestand, wenn die Unionsbürgerin – wie für die zweite Vorlagefrage unterstellt wird – eine nicht dem Wirtschaftsleben im Sinne von Art. 2 EG-Vertrag zuzurechnende Erwerbstätigkeit ausübte. Ebenso stellt sich die Frage, ob es sonst für die Anwendung des Art. 8 a Abs. 1 EG-Vertrag von Bedeutung ist, ob die Prostitution innerstaatlich als sitten- und sozialwidrig angesehen wurde. Darüber hinaus ist zu klären, ob Art. 8 a Abs. 1 EG-Vertrag unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie Nr. 90/364 anwendbar war (vgl. auch Generalanwalt Geelhoed, a.a.O.).

4. Falls die Unionsbürgerin am 16. Mai 1997 kein Aufenthaltsrecht nach Art. 8 a Abs. 1 EG-Vertrag hatte, ist klärungsbedürftig, ob ihr ein solches Recht unter den Voraussetzungen von Art. 1 der Richtlinie Nr. 90/364 zustand. Diese Richtlinie war in der Bundesrepublik Deutschland entgegen der in ihrem Art. 5 ausgesprochenen Verpflichtung zu dem genannten Zeitpunkt noch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt worden (vgl. auch das im Vertragsverletzungsverfahren ergangene Urteil des EuGH vom 20. März 1997 – Rs. C-96/95 – Slg. I-1668). Die Umsetzung erfolgte vielmehr erst durch die Freizügigkeitsverordnung/EG vom 17. Juli 1997 (BGBl I S. 1810).

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften können sich Unionsbürger in Ermangelung von fristgemäß erlassenen Durchführungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, berufen (vgl. z.B. Urteil vom 22. Februar 1990 – Rs. C-221/88 – Busseni – Slg. 1990, 496, 525). Ob diese Voraussetzungen am 16. Mai 1997 hinsichtlich der Richtlinie Nr. 90/364 vorlagen, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften noch nicht geklärt.

Falls diese Richtlinie unmittelbar anwendbar ist, so ist – ebenso wie bei Annahme der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 8 a EG-Vertrag (vgl. oben 3.) – klärungsbedürftig, ob es insoweit darauf ankommt, ob die Prostitution zum maßgeblichen Zeitpunkt dem Wirtschaftsleben im Sinne von Art. 2 EG-Vertrag zuzurechnen war und ob sie innerstaatlich als sitten- und sozialwidrig angesehen wurde. Hiergegen könnte der im Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 zum Ausdruck kommende Zweck der Richtlinie sprechen, den Angehörigen der Mitgliedstaaten, denen das Aufenthaltsrecht nicht aufgrund anderer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zuerkannt ist, unter den dort genannten Voraussetzungen das Aufenthaltsrecht zu gewähren. Andererseits vertritt Generalanwalt Geelhoed in der Sache Baumbast und R (a.a.O. Rn. 116 f.) die Auffassung, die Richtlinie Nr. 90/364 sei auf eine erwerbstätige, aber – aus anderen Gründen als gegebenenfalls im vorliegenden Fall – nicht nach Gemeinschaftsrecht freizügigkeitsberechtigte Person nicht anwendbar.

Schließlich bestehen hinsichtlich des Erfordernisses ausreichender Existenzmittel nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie Nr. 90/364 in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften noch nicht geklärte Fragen. Insoweit bedarf es der Klärung, ob diesem Erfordernis, durch das zusätzliche Belastungen des Aufnahmemitgliedstaats verhindert werden sollen, bereits genügt wird, wenn die Unionsbürgerin während ihres dortigen Aufenthalts keine Sozialhilfe bezieht. Sollte dies zu verneinen sein, so ist klärungsbedürftig, ob sie zum Zeitpunkt der Einreise in einen anderen Mitgliedstaat über ausreichende Existenzmittel verfügen und dies gegenüber der zuständigen Behörde nachweisen muss (vgl. dazu § 8 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 der oben erwähnten Freizügigkeitsverordnung/EG vom 17. Juli 1997).

Zur Klarstellung sei auf Folgendes hingewiesen: Sollte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Auffassung vertreten, die dritte Vorlagefrage könne unabhängig von der Beantwortung der ersten und zweiten Vorlagefrage bejaht werden, so ist eine Beantwortung dieser beiden Fragen aufgrund der Fallkonstellation dennoch nicht entbehrlich. Es ist nämlich bisher nicht gerichtlich festgestellt – und hängt teilweise von der Beantwortung der vierten Vorlagefrage ab -, ob die Klägerin entsprechend ihren Angaben die Voraussetzungen von Art. 1 der Richtlinie Nr. 90/364 erfüllt hat.

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