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Prozesskostenhilfe

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe darf nicht durch eine ausufernde Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage behindert werden!


BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

Az.: 2 BvR 569/01

Beschluss vom 10.8.2001


In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerdeder rumänischen Staatsangehörigen und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 10. August 2001 einstimmig beschlossen:

Die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Februar 2001 – 5 ZC 00.3528 – und des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 20. November 2000 – RN 9 K 00.1518 – verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg zurückverwiesen.

Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren zu erstatten.

Gründe:

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die von Verfassungs wegen zu beachtenden Anforderungen an die Gewährung von Prozesskostenhilfe in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, das auf Feststellung der Eigenschaft als Deutscher im Sinne des Art. 116 GG gerichtet ist.

I.

1. a) Die 1969 und 1972 in Rumänien geborenen Beschwerdeführer sind Geschwister. Ihre 1943 geborene Mutter lebt seit September 1986 im Bundesgebiet; sie wurde nach Anerkennung als Vertriebene mit Wirkung vom 28. Dezember 1987 gemäß § 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (1. StARegG) vom 22. Februar 1955 (BGBl I S. 65) in der Fassung des Gesetzes vom 18. Juli 1979 (BGBl I S. 1061) eingebürgert.

b) Mit Bescheid vom 10. November 1987 teilte die Stadt Straubing der Mutter der Beschwerdeführer mit, dass das Bundesverwaltungsamt die von ihr beantragte Übernahme ihrer in Rumänien verbliebenen fünf Kinder, darunter der beiden Beschwerdeführer, genehmigt habe. Die zuständige Botschaft der Bundesrepublik Deutschland sei ermächtigt worden, die zur Einreise erforderlichen Sichtvermerke zu erteilen. Das Schreiben enthielt folgenden Zusatz:

„Die Übernahmegenehmigung wird unter Vorbehalt des Widerrufs erteilt. Der Widerruf kann erfolgen, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Übernahmegenehmigung nicht erfüllt waren oder nach Erteilung der Übernahmegenehmigung weggefallen sind. Die Übernahmegenehmigungen wurden alle im Wege der Familienzusammenführung gemäß § 94 Abs. 2 Nr. 2 BVFG erteilt, da es sich nach den bisherigen Aussagen um rumänische Volkszugehörige handelt.“

2. Die Beschwerdeführerin zu 1. reiste am 31. Juli 1991, der Beschwerdeführer zu 2. im Oktober 1992 jeweils mit einem Besuchervisum in das Bundesgebiet ein. Ein Antrag der Beschwerdeführerin zu 1. auf Aufnahme als Aussiedlerin wurde vom Bundesverwaltungsamt unter Hinweis auf ihre nicht-deutsche Volkszugehörigkeit abgelehnt. Ein Antrag auf Erteilung eines Vertriebenenausweises sowie ein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte blieben ebenfalls erfolglos.

3. a) Vom 14. Juni 1994 bis 30. November 1995 waren die Beschwerdeführer im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen gemäß §§ 23 Abs. 4, 22 AuslG. Mit Bescheiden vom 28. November 1995 lehnte die Stadt Straubing den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse ab, forderte die Beschwerdeführer zur Ausreise aus dem Bundesgebiet auf und drohte ihnen die Abschiebung nach Rumänien an. Die nach Durchführung des Vorverfahrens gegen diese Bescheide erhobene Klage wurde in erster Instanz abgewiesen.

b) Der Verwaltungsgerichtshof ließ die Berufung wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zu und bewilligte den Beschwerdeführern für das Zulassungs- und das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe.

c) Mit Beschluss vom 22. Oktober 1999 gab der Verwaltungsgerichtshof den Parteien Gelegenheit, sich zu der Frage, ob die Beschwerdeführer als sog. Statusdeutsche im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG anzusehen seien, zu äußern. Der Senat neige der Auffassung zu, dass die Beschwerdeführer als Statusdeutsche anzusehen seien und daher das Ausländergesetz auf sie keine Anwendung finde. Durch die Erteilung der Übernahmegenehmigung im D-1-Verfahren und die Einreise der Beschwerdeführer zum Zwecke des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet hätten sie hier als Abkömmlinge ihrer als Vertriebene anerkannten und zwischenzeitlich eingebürgerten Mutter wohl Aufnahme gefunden. Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen ihrer Aufnahme und ihrer Eigenschaft als Abkömmlinge einer vertriebenen Volksdeutschen scheine gegeben, da die familiäre Verbundenheit den wesentlichen Grund der Aufnahme gebildet habe.

d) Mit Beschluss vom 5. Juli 2000 setzte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren entsprechend § 94 VwGO aus, um den Beschwerdeführern die Möglichkeit zu geben, verbindlich feststellen zu lassen, ob sie die Rechtsstellung von Deutschen im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG besäßen. Diese Frage könne durch Erhebung einer Feststellungsklage gerichtlich geklärt und durch Urteil festgestellt werden. Der erkennende Senat sehe sich gehindert, inzident im (ausländerrechtlichen) Berufungsverfahren über die Eigenschaft als Statusdeutsche zu befinden, weil es ansonsten zu divergierenden Entscheidungen kommen könnte, falls die zuständigen Gerichte außerhalb des ausländerrechtlichen Verfahrens über eine spätere Feststellungsklage entscheiden sollten.

4. a) Zur Begründung der daraufhin erhobenen Feststellungsklage trugen die Beschwerdeführer vor, sie hätten durch die Übernahmeerklärung des Bundesverwaltungsamtes Aufnahme im Bundesgebiet gefunden. Der Grund für die Einreise sei der Wunsch gewesen, wieder mit ihrer Mutter zusammenzuleben. Dabei spiele es keine Rolle, dass seit Ausspruch der Übernahmeerklärung geraume Zeit vergangen sei. Mit Erteilung der Visa seien sie im Bundesgebiet aufgenommen worden. Die Übernahmegenehmigung sei bis heute nicht widerrufen worden. Der Grund für die späte Einreise sei gewesen, dass ihr mittlerweile verstorbener Vater sie nicht früher habe ausreisen lassen.

b) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 20. November 2000 wies das Verwaltungsgericht den zugleich mit der Klageerhebung gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab, da die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Deutscher im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG sei, wer als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling im Bundesgebiet Aufnahme gefunden habe. Dass die Beschwerdeführer Abkömmlinge einer Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit seien, sei unbestritten. Streitig sei hingegen, ob sie in dieser Eigenschaft Aufnahme im Bundesgebiet gefunden hätten. Dies sei nach dem derzeitigen Kenntnisstand zu verneinen. Im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG habe jemand in Deutschland Aufnahme gefunden, der einen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet erstrebt und diesen aufgrund eines Tätigwerdens oder sonstigen Verhaltens der Behörden mit deren Billigung in Deutschland genommen habe. In der Rechtsprechung sei geklärt, dass für die Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG -) in seiner Fassung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) – BVFG n.F. – auch eine im sog. D-1-Verfahren erteilte Übernahmegenehmigung als Aufnahmeakt in Betracht kommen könne. Aufnahme gefunden hätten die Beschwerdeführer aber deshalb nicht, weil ihre Aufenthaltsnahme nicht unter Fortgeltung der 1987 für sie erteilten Übernahmegenehmigung erfolgt sei. Die Übernahmegenehmigung sei allein aufgrund § 94 Abs. 2 Nr. 2 BVFG in seiner Fassung vom 3. September 1971 (BGBl I S. 1565)- BVFG a.F. – erteilt worden, also um minderjährige Kinder mit ihren Eltern zusammenzuführen. Zum Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme im Bundesgebiet seien die Beschwerdeführer aber nicht mehr minderjährig gewesen; der alleinige und ausschließliche Zweck der Übernahmezusage habe daher nicht mehr erfüllt werden können. Die Übernahmegenehmigung sei – auch ohne ausdrücklichen Widerruf – nicht mehr auf die zum Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme bereits volljährigen Beschwerdeführer anwendbar und gelte für sie nicht mehr fort, ohne dass es auf die Gründe für die verspätete Ausreise ankomme. Auch der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Übernahmegenehmigung und Aufenthaltsnahme erscheine durchaus zweifelhaft. Wer eine dauerhafte Übersiedlung zum Zwecke der Zusammenführung mit einem Elternteil anstrebe, reise nicht mit einem – zeitlich befristeten – Besuchervisum ein und stelle auch nicht – wie die Beschwerdeführerin zu 1. – einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte. Er strebe auch keine Aufenthaltserlaubnis als Ausländer an, sondern beantrage einen Ausweis, der ihm seinen Status als Deutscher im Sinne des Art. 116 GG bestätige.

c) Mit – ebenfalls angegriffenem – Beschluss vom 16. Februar 2001 lehnte der Verwaltungsgerichtshof den auf § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO gestützten Antrag auf Zulassung der Beschwerde ab. Die geltend gemachten Zulassungsgründe lägen nicht vor. Weder bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch werfe die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf. Der Verwaltungsgerichtshof teile die Auffassung der Vorinstanz, dass die Beschwerdeführer keine Aufnahme in Deutschland im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG gefunden hätten, weil die ihnen im Jahr 1987 erteilte Übernahmegenehmigung in den Jahren 1991 und 1992, als die Beschwerdeführer als Volljährige mit einem Besuchervisum eingereist seien, keine Geltung mehr gehabt habe. Denn die Übernahmegenehmigung sei ausdrücklich unter Bezugnahme auf § 94 Abs. 2 Nr. 2 BVFG a.F., d.h. zum Zwecke der Zusammenführung von minderjährigen Kindern mit den Eltern, erteilt worden und deshalb auf die Aufenthaltsnahme der inzwischen volljährig gewordenen Beschwerdeführer nicht mehr anwendbar gewesen.

II.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und von Art. 19 Abs. 4 GG. Zugleich beantragen sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren. Die angefochtenen Beschlüsse verneinten zu Unrecht die hinreichenden Erfolgsaussichten der von ihnen erhobenen Feststellungsklage und verletzten damit Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Nachdem ein mit der Sache beschäftigtes Obergericht die Auffassung vertreten habe, dass die Beschwerdeführer Statusdeutsche seien und ihnen zur Erhebung einer entsprechenden Feststellungsklage geraten habe, könne ihnen nicht vorgeworfen werden, sie hätten ihre Prozessaussichten unvernünftig abgewogen und das Kostenrisiko vernachlässigt. Hänge die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen Rechtsfrage ab, so laufe es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Das Hauptsacheverfahren eröffne nämlich dem Unbemittelten ungleich bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung seines eigenen Rechtsstandpunktes. Die vertiefte Erörterung im Hauptsacheverfahren werde nicht selten Anlass bieten, die Rechtsmeinung, die das Gericht sich zunächst gebildet habe, zu überdenken. Dass der vorliegende Rechtsstreit besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweise, ergebe sich bereits daraus, dass der 10. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu einer rechtlich völlig anderen Wertung komme als das Verwaltungsgericht Regensburg und der 5. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Verträten zwei mit der Sache intensiv beschäftigte Gerichte bei ein und demselben Sachverhalt unterschiedliche Rechtsauffassungen, könne nicht von einem rechtlich einfach gelagerten Fall ausgegangen werden, den die Beschwerdeführer auch ohne Hilfe eines Anwalts meistern könnten. Wegen der Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe werde es den Beschwerdeführern nicht möglich sein, durch eine vertiefte Erörterung im Hauptsacheverfahren das Gericht dazu zu bewegen, die Rechtsmeinung, die es sich vorläufig im Prozesskostenhilfe-Verfahren gebildet habe, zu überdenken. Gerade dies sei aber mit ein wesentlicher Grund für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Soweit der Verwaltungsgerichtshof darauf verweise, dass die Übernahmegenehmigung vom 10. November 1987 unter Bezugnahme auf § 94 Abs. 2 Nr. 2 BVFG a.F. zum Zwecke der Zusammenführung von minderjährigen Kindern mit den Eltern erteilt worden sei, übersehe er, dass die Übernahmegenehmigung neben den Beschwerdeführern auch deren 1963, 1965 und 1967 geborene Geschwister umfasse, mithin offensichtlich nicht die Zusammenführung minderjähriger Kinder mit ihren Eltern, sondern auch die Zusammenführung erwachsener Kinder mit ihrer Mutter geregelt habe. Die bestandskräftige Übernahmegenehmigung sei bis heute nicht widerrufen worden. Zudem habe das Bundesverwaltungsamt noch im Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1992 die Gültigkeit der Übernahmegenehmigung ausdrücklich bestätigt, obwohl beide Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig gewesen seien.

Die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage solle nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Auch gegen diesen Grundsatz verstießen die angegriffenen Beschlüsse. Da durch die Ablehnung der Prozesskostenhilfe der Zugang der Beschwerdeführer zu gerichtlichem Rechtsschutz unverhältnismäßig erschwert werde, liege auch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG vor.

Den gemäß § 94 BVerfGG Äußerungsberechtigten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Bayerische Staatsministerium des Innern und die Stadt Straubing erachten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

B.-I.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und – in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise – auch offensichtlich begründet; denn die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

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Die angegriffenen Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

1. Das Grundgesetz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (BVerfGE 81, 347 <356> m.w.N.; stRspr). Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Im Institut der Prozesskostenhilfe sind die notwendigen Vorkehrungen getroffen, die auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu Gericht ermöglichen.

Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz gebietet dabei keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Der Unbemittelte braucht nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Es ist demnach verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfe-Verfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 Satz 1 ZPO, in dem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss.

Die Auslegung und Anwendung des § 114 Satz 1 ZPO obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den – verfassungsgebotenen – Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 56, 139 <144> m.w.N.). Hierbei hat es zu berücksichtigen, dass die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in engem Zusammenhang mit der den Fachgerichten vorbehaltenen Feststellung und Würdigung des jeweils entscheidungserheblichen Sachverhalts und der ihnen gleichfalls obliegenden Auslegung und Anwendung des jeweils einschlägigen materiellen und prozessualen Rechts steht. Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (BVerfGE 81, 347 <358>).

2. Diesen Grundsätzen werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht. Mit ihnen werden die Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt. Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof hätte sich aufdrängen müssen, dass die Frage, ob die Beschwerdeführer im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG Aufnahme in Deutschland gefunden haben, vorliegend besondere rechtliche Schwierigkeiten aufwarf, die der Klärung im Hauptsacheverfahren bedurften. Die Verneinung der hinreichenden Erfolgsaussicht der erhobenen Klage ist mit der gegebenen Begründung nicht tragfähig.

a) Das Verwaltungsgericht sieht es unter Bezugnahme auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 90, 173) sowie auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Januar 1999 (DVBl 1999, S. 1216) als geklärt an, dass für die Zeit vor Inkrafttreten des Bundesvertriebenengesetzes in seiner Fassung vom 2. Januar 1993 eine im sog. D-1-Verfahren erteilte Übernahmegenehmigung des Bundesverwaltungsamtes – wie sie den Beschwerdeführern erteilt worden ist – als Aufnahmeakt in Betracht kommen kann. Die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage wird sodann entscheidungstragend mit der Erwägung verneint, dass die den Beschwerdeführern zum Zweck der Zusammenführung minderjähriger Kinder mit ihren Eltern erteilte Übernahmegenehmigung zum Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme auf die inzwischen volljährigen Beschwerdeführer nicht mehr anwendbar gewesen sei bzw. nicht mehr fortgegolten habe. Diese Rechtsauffassung trägt jedenfalls ohne nähere Begründung nicht die Verneinung hinreichender Erfolgsaussicht im Prozesskostenhilfe-Verfahren.

aa) Bereits die Annahme, die hier zu beurteilende Übernahmegenehmigung sei nur zum Zweck der Zusammenführung minderjähriger Kinder mit ihren Eltern erteilt worden, hält einer Überprüfung nicht stand, da die Genehmigung sich auch auf die zum damaligen Zeitpunkt bereits volljährigen älteren Geschwister der Beschwerdeführer erstreckte. Sie kann daher kaum ausschließlich auf den – allerdings allein in ihr angeführten – § 94 Abs. 2 Nr. 2 BVFG a.F. gestützt gewesen sein.

bb) Des Weiteren spricht nichts für eine zeitliche Beschränkung der Gültigkeit der Übernahmegenehmigung. Vielmehr ist ausdrücklich bestimmt, dass für den Fall des Wegfalls einer Erteilungsvoraussetzung die Genehmigung widerrufen werden kann. Hieraus ergibt sich, dass allein der Wegfall einer Erteilungsvoraussetzung den Bestand und die Gültigkeit der Übernahmegenehmigung nicht beeinflusst. Vielmehr kann die zuständige Behörde dann nach pflichtgemäßem Ermessen die Übernahmegenehmigung widerrufen. Ein solcher Widerruf ist nicht erfolgt. Im Rahmen der Ermessensausübung vor einem Widerruf wären auch die Gründe für die „verspätete“ Ausreise der Beschwerdeführer zu erwägen, auf die es nach Ansicht des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht ankommen soll.

b) Soweit das Verwaltungsgericht die Ablehnung der Prozesskostenhilfe ergänzend darauf stützt, dass auch der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Übernahmegenehmigung und Aufenthaltsnahme „durchaus zweifelhaft erscheint“, wird dies dem oben dargelegten Maßstab ebenfalls nicht gerecht. Tatsachen- und Rechtsfragen, die nicht eindeutig beantwortet werden können, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren. Ob die Einreise mit einem Besuchervisum gegen die Absicht einer dauerhaften Übersiedlung der Beschwerdeführer in das Bundesgebiet zu ihrer Mutter spricht, wird somit im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Möglicherweise entsprach es der Praxis der zuständigen Deutschen Botschaft, Personen, die im Besitz einer Übernahmegenehmigung waren, lediglich Besuchervisa auszustellen. Dafür spricht, dass auch in dem dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Januar 1999 zugrundeliegenden Fall die zuständige Deutsche Botschaft ein Visum „nur für Besuchs- und Geschäftsreisen“ erteilt hatte.

 

III.

1. Die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg sind daher aufzuheben. Die Sache ist an das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg zurückzuverweisen (vgl. § 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG), damit über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erneut entschieden werden kann.

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

3. Mit der Anordnung der Erstattung der notwendigen Auslagen erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführer auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren (vgl. BVerfGE 62, 392 <397>; 71, 122 <136 f.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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