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Privatinsolvenz – Renten vor Aufrechnung nicht geschützt

Sozialgericht Dortmund

Az.: S 26 R 320/06

Urteil vom 21.02.2008


Entscheidung:

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufrechnung einer wegen Überschreitung von Einkommensgrenzen überzahlten Rente mit der laufenden Rentenzahlung bzw. einer Rentennachzahlung gemäß § 51 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I) im Insolvenzverfahren.

Die 19XX geborene Klägerin ist die Witwe des am 04.03.19XX verstorbenen XXX. Mit Bescheid vom 16.09.1993 bewilligte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab dem 01.04.1993. Mit weiteren Folgebescheiden wurde die Rente der Klägerin neu berechnet, unter anderem mit Bescheid vom 21.12.2000.

In einem weiteren bestandskräftigen Rentenbescheid vom 27.05.2004 stellte die Beklagte die Witwenrente der Klägerin neu fest und traf ferner die Feststellung, dass sich für die Zeit vom 01.07.2001 bis 31.05.2004 eine von der Klägerin zu erstattende Überzahlung i.H.v. 8.038,61 Euro ergeben habe. Gleichzeitig hob die Beklagte mit o.a. Bescheid den Rentenbescheid vom 21.12.2000 hinsichtlich der Rentenhöhe ab 01.07.2001 gemäß § 48 des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungs- verfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf, da die Klägerin rentenminderndes Einkommen erzielt habe.

Mit weiterem Bescheid vom 16.08.2004 berechnete die Beklagte die Rente der Klägerin neu und verrechnete den sich aus dem Bescheid ergebenden Nach- zahlungsbetrag i.H.v. 324,47 Euro mit der im Bescheid vom 27.05.2004 fest- gestellten Überzahlung, so dass sich ein restlicher Überzahlungsbetrag i.H.v. 7.714,14 Euro ergab.

Am 06.10.2004 wurde über das Vermögen der Klägerin durch Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg vom gleichen Tage das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Beklagte meldete daraufhin den überzahlten Rentenbetrag i.H v. 7.714,14 Euro als Insolvenzforderung bei dem Insolvenzverwalter gemäß § 174 der Insolvenzordnung (InsO) an.

Mit Bescheid vom 26.07.2005 berechnete die Beklagte die Rente der Klägerin wiederum neu und stellte für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.08.2005 eine Renten- überzahlung i.H.v. 1.328,30 Euro fest. Die hieraus entstandene Rückzahlungs- forderung wurde der Klägerin von der Beklagten zunächst gestundet.

Eine weitere Neuberechnung der Witwenrente der Klägerin erfolgte mit Bescheid der Beklagten vom 03.01.2006. Dabei betrug der Rentenzahlbetrag für die Zeit ab dem 01.03.2006 monatlich 894,37 Euro. Ferner ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von 661,84 Euro für die Zeit vom 01.11.2005 bis 28.02.2006, welcher – bis auf einen Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag i.H.v. 41,28 Euro – vorläufig einbe- halten wurde.

Mit Schreiben vom 05.01.2006 und 10.02.2006 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Aufrechnung der Rückzahlungsforderungen aus den Bescheiden vom 27.05.2004 und 26.07.2005 mit der laufenden Rente an. Es sei beabsichtigt, zur Tilgung der Restforderungen aus den o.a. Bescheiden (7.714,14 Euro bzw. 1.328,30 Euro) von der laufenden Rente monatlich 100,00 Euro gemäß § 51 Abs. 2 SGB I aufzurechnen sowie zu diesem Zwecke von der Rentennachzahlung i.H.v. 661,84 Euro aus dem Bescheid vom 03.01.2006 die Hälfte einzubehalten, also 330,92 Euro.

In einem an die Beklagte gerichteten Schreiben des Insolvenzverwalters der Klägerin vom 06.03.2006 wandte sich dieser gegen die beabsichtigte Aufrechnung und vertrat die Auffassung, dass wegen § 96 InsO die Aufrechnung der Beklagten aufgrund ihrer bereits zur Tabelle angemeldeten Insolvenzforderungen unzulässig sei. Auch verbleibe der Klägerin durch die Aufrechnung im Ergebnis nur der unpfändbare Teil des zusammengerechneten Einkommens. Dies habe zur Folge, dass eine Aufrechnung wegen Hilfebedürftigkeit im Sinne des Sozialgesetzbuches nicht erfolgen dürfe.

Mit Bescheid vom 24.05.2006 rechnete die Beklagte die Forderungen aus dem Bescheid vom 27.05.2004 über 7.714,14 Euro und aus dem Bescheid vom 26.07.2005 über 1.328,30 Euro gemäß § 51 Abs. 2 SGB I ab dem 01.08.2006 mit monatlichen Raten zu je 100,00 Euro und zusätzlich mit der einbehaltenen Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 03.01.2006 i.H.v. 310,28 Euro nebst Zinsen von 4 % ab dem 01.06.2006 auf. Sozialhilfebedürftigkeit habe die Klägerin im Anhörungsverfahren nicht nachgewiesen.

Den hiergegen fristgerecht eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2006 als unbegründet zurück.

Mit ihrer fristgerecht am 22.11.2006 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Aufrechnung durch die Beklagte.

Zur Begründung macht die Klägerin im Wesentlichen das Folgende geltend:

Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (06.10.2004) habe kein zur Aufrechnung berechtigender Bescheid vorgelegen. Dieser sei erst am 24.05.2006 ergangen. Deshalb seien die Voraussetzungen des § 94 InsO nicht erfüllt. Denn die Beklagte als Insolvenzgläubigerin sei zur Zeit der Eröffnung des Insolvenz- verfahrens nur zu der Aufrechnung berechtigt gewesen, wenn ein wirksamer Bescheid zu diesem Zeitpunkt vorgelegen hätte, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Die Aufrechnung gegen die einbehaltene Rentennachzahlung i.H.v. 310,28 Euro scheitere zudem an § 95 InsO, da im Zeitpunkt der Fälligkeit noch kein zur Aufrechnung berechtigender Bescheid vorgelegen habe – dieser sei erst am 03.01.2006 ergangen -, so dass noch keine Aufrechnung habe erfolgen können.

Die darüber hinausgehende Aufrechnung scheitere an § 96 InsO, und zwar selbst wenn man eine grundsätzliche Aufrechnungsmöglichkeit ohne Bescheid bejahen würde. Die Beklagte sei durch die monatlichen Zahlungen der Rente an die Klägerin etwas zur Masse schuldig geworden, d.h. nach Eröffnung des Insolvenz- verfahrens, was gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO von einer Aufrechnung ausgeschlossen sei. Eine Aufrechnung mit Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung entstanden seien, würde in jedem Fall ausscheiden.

Ferner mangele es den angefochtenen Bescheiden an der notwendigen Bestimmtheit.

Soweit die Beklagte im Übrigen geltend mache, dass die Aufrechnung ausschließlich den unpfändbaren Teil der Rente betreffe und diese somit nicht zum Insolvenzbeschlag gehöre, würde dies in letzter Konsequenz zu einer Umgehung des in der Insolvenz- ordnung vorgesehenen Restschuldbefreiungsverfahrens für natürliche Personen führen, da diese selbst nach Ablauf der sog. Wohlverhaltensphase nicht schuldenfrei werden könnten. Ein solches Privileg von Sozialleistungsträgern würde den Sinn und Zweck dieses Verfahrens sowie das gesamte Insolvenzrecht grund- legend in Frage stellen.

Ferner macht die Klägerin geltend, dass der Aufrechnungsbescheid gegen den Insolvenzverwalter hätte ergehen müssen, da sie mit dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr verwaltungs- und verfügungsbefugt gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 24.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 23.10.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die Möglichkeit einer Aufrechnung gemäß § 51 Abs. 2 SGB I in den pfändungsfreien Teil der Rente auch während des laufenden Insolvenz- verfahrens bestehe. Da die Aufrechnung – wie hier – in die unpfändbare Rente erfolge, stehe diese der Insolvenzmasse nicht zur Verfügung. Im Übrigen sei die Aufrechnungserklärung auch hinreichend bestimmt, da durch die Benennung der Bescheide vom 27.05.2004 und 26.07.2005 die Reihenfolge der zur Aufrechnung gestellten Rückzahlungsforderungen klar gestellt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozess- akte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin ist nicht gemäß § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert, da sich der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2006 als rechtmäßig erweist.

Dabei ist das Vorgehen der Beklagten nicht schon deswegen rechtswidrig, weil die vorgenommene Aufrechnung in Bescheidform und damit als Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X ergangen ist. Nach Auffassung der Kammer stellt eine Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I nicht nur die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts gemäß den §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dar, sondern auch eine hoheitliche Maßnahme im Sinne einer Regelung nach § 31 SGB X (BSG 25.03.1982, SozR 1200 § 52 Nr. 6). Bei § 51 Abs. 2 SGB I handelt es sich nicht bloß um eine deklaratorische Regelung, die ein bereits nach den §§ 387 ff. BGB bestehendes Aufrechnungsrecht des Sozialleistungsträgers bestätigt, sondern um eine diese Aufrechnungsbefugnis modifizierende Regelung, da die Aufrechnung gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen (Hauptforderung) nur bis zu deren Hälfte sowie (bei entsprechendem Nachweis) bis zur Grenze der Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bzw. SGB XII zulässig ist. Aus diesen den Besonderheiten des Sozialrechts entnommenen Modifikationen leitet sich nach Auffassung der Kammer auch eine entsprechende Verwaltungsaktsbefugnis der Sozialleistungsträger mit allen auch den Rechtsschutz des Leistungsberechtigten betreffenden rechtlichen Konsequenzen her. Deswegen vermag sich die Kammer auch der gegenteiligen Auffassung des 4. Senats des BSG (Urteil vom 24.07.2003, SozR 4 – 1200 § 52 Nr. 1), nach der die Auf- bzw. Verrechnung lediglich eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, jedoch keinen Verwaltungsakt darstelle bzw. eine entsprechende Verwaltungsaktsbefugnis nicht bestehe, nicht anzuschließen.

Der angegriffene Bescheid der Beklagten erweist sich auch als materiell rechtmäßig, da die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 SGB I vorliegen.

Danach kann der zuständige Leistungsträger u.a. mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.

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Hiernach hat die Beklagte im angegriffenen Bescheid vom 24.05.2006 eine wirksame Aufrechnungserklärung i.S.d. §§ 387 ff., 389 BGB i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I abgegeben. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 27.05.2004 hat die Beklagte unter Aufhebung des Rentenbescheides vom 21.12.2000 gemäß § 48 SGB X eine Rentenüberzahlung i.H.v. zunächst 8.038,61 Euro für die Zeit vom 01.07.2001 bis 31.08.2004 festgestellt und von der Klägerin entsprechend zurückgefordert. Aus dem weiteren bestandskräftigen Bescheid vom 16.08.2004, in welchem im Rahmen einer Neufeststellung der Witwenrente ein Nachzahlungsbetrag i.H.v. 324,47 Euro zur Verrechnung gelangte, resultierte die endgültige Rückforderung i.H.v. 7.714,14 Euro. Endlich hat die Beklagte mit weiterem bestandskräftigen Bescheid vom 26.07.2005 eine Rentenüberzahlung i.H.v. 1.328,30 Euro für den Zeitraum 01.01.2005 bis 31.08.2005 sowie eine daraus resultierende Rückzahlungspflicht der Klägerin festgestellt. Mit diesen Gegenforderungen hat die Beklagte im angegriffenen Bescheid vom 24.05.2006 mit der laufenden Rentenleistung der Klägerin (Hauptforderung) und somit im Verhältnis der Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit i.S.d § 387 BGB die Aufrechnung erklärt (§ 388 BGB). Mit der Aufrechnung ab dem 01.08.2006 mit monatlichen Raten zu je 100,00 Euro und zusätzlich mit der einbehaltenen Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 03.01.2006 i.H.v. 310,28 Euro hat die Beklagte zudem mit weniger als der Hälfte der laufenden Rentenansprüche der Klägerin (894,37 Euro monatlich seit dem 01.03.2006) aufgerechnet.

Ferner ist die im Bescheid vom 24.05.2006 enthaltene rechtsgestaltende Aufrechnungserklärung der Beklagten entgegen der Auffassung der Klägerin auch hinreichend bestimmt, da in dieser (sowie in den Anhörungsschreiben der Beklagten vom 05.01.2006 und 10.02.2006) nicht nur die überzahlten Rentenbeträge bezeichnet sind, sondern auch die diese Überzahlungen feststellenden bestandskräftigen Bescheide vom 24.05.2004 sowie 26.07.2005. Hiermit konnte die Klägerin zweifelsfrei erkennen, um welche Forderungen es sich handelt und wie sie im Einzelnen zusammengesetzt sind.

Die Klägerin hat auch nicht nachgewiesen, dass sich durch die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bzw. SGB XII bei ihr ergibt. Die hierfür gemäß § 51 Abs. 2 SGB I nachweispflichtige Klägerin hat insbesondere keine Bedarfsbescheinigung des für sie zuständigen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw. Sozialhilfeträgers vorgelegt. Auch die Tatsache der Eröffnung bzw. des weiteren Bestehens des Insolvenzverfahrens reicht für sich genommen nicht aus, Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bzw. SGB XII zu belegen.

Endlich ist die im angegriffenen Bescheid vom 24.05.2006 enthaltene Aufrechnungs- erklärung der Beklagten nicht deswegen unwirksam, weil über das Vermögen der Klägerin am 06.10.2004 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und bis heute im Rahmen des Restschuldbefreiungsverfahrens gemäß §§ 286 ff. InsO fortdauert.

Die Aufrechnung der Beklagten ist insbesondere nicht nach § 114 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. §§ 95 Abs. 1 Satz 3, 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam. Diese Vorschriften finden im vorliegenden Fall keine Anwendung.

Entscheidend hierfür ist, dass die im Aufrechnungsbescheid der Beklagten zur Aufrechnung gelangten Beträge (100,00 Euro monatlich von der laufenden Rente sowie i.H.v. 310,28 Euro aus der einbehaltenen Rentennachzahlung) lediglich den unpfändbaren Teil des Rentenauszahlungsanspruchs des Versicherten betreffen (s. §§ 850 ff., 850c der Zivilprozessordnung [ZPO] ). Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Nach § 36 Abs.1 Satz 2 InsO gilt u.a. § 850c ZPO entsprechend. Daraus folgt, dass die Beklagte Forderungsgegenstände aufrechnet, die von vorneherein nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegen und somit dem Zugriff sonstiger Insolvenz- gläubiger entzogen sind. Konsequenterweise bedeutet dies, dass die Vorschriften über die Einschränkung einer während des Insolvenzverfahrens erfolgten Aufrechnung (§§ 95, 96 InsO), insbesondere was die zeitliche Beschränkung der Aufrechnung mit laufenden Bezügen nach § 114 Abs. 1 InsO anbelangt, keine Anwendung finden.

Aus dem Urteil des 5. Senats des BSG vom 10.12.2003 (SozR 4 – 1200 § 52 Nr. 2) ergibt sich nichts anderes. Im Unterschied zum vorliegenden Fall wurde dort eine Auf- bzw. Verrechnung der Rente des dortigen Versicherten mit dem pfändbaren Anteil des Rentenauszahlungsanspruchs vorgenommen, welcher damit Teil der Insolvenz- masse geworden ist. Die aus der Insolvenzordnung hieraus resultierenden Beschränkungen für eine Auf- bzw. Verrechnung nach den §§ 51 Abs. 2, 52 SGB I, welche im o.a. Urteil des BSG, insbesondere hinsichtlich § 114 Abs. 1 InsO, aufgeführt sind, können somit auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden.

Gegen die Möglichkeit eines Sozialleistungsträgers, auch mit dem unpfändbaren Teil der Sozialleistung während des Insolvenzverfahrens aufzurechnen, bestehen auch keinen grundlegenden, systematischen Bedenken.

Die Vorschrift des § 51 Abs. 2 SGB I enthält eine dem allgemeinen Zivilrecht bzw. Zivilprozessrecht unbekannte Privilegierung von Sozialleistungsträgern, welchen die Möglichkeit eingeräumt ist, auch mit dem unpfändbaren Teil der Sozialleistung zur Hälfte der Ansprüche auf laufende Geldleistungen sowie bis zur Grenze der nach- gewiesenen Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bzw. SGB XII aufzurechnen. Wie sich aus § 54 Abs. 4 SGB I, welcher die Pfändung von Sozialleistungen nach Maßgabe der entsprechend anwendbaren §§ 850 ff. ZPO ermöglicht, ergibt, hat der Gesetzgeber dieses Privileg, auch dann noch aufrechnen zu können, wenn die Einzelzwangsvollstreckung und damit die Pfändung ausgeschlossen ist, im Interesse der Versichertengemeinschaft bewusst vorgesehen. Wenn aber die Möglichkeit der Aufrechnung auch dort noch besteht, wo die Einzelzwangsvollstreckung und damit die Pfändung ausgeschlossen ist, kann nichts anderes gelten, wenn über das Vermögen des Versicherten das Insolvenzverfahren eröffnet ist und unpfändbare Gegenstände nach § 36 Abs. 1 InsO nicht Teil der Insolvenzmasse werden, mithin neben der Einzel-, auch die Gesamtvollstreckung ausgeschlossen ist. Diese von den zivilprozessualen Regeln abweichende Privilegierung ist als Grundentscheidung des Gesetzgebers auch bei einem laufenden Insolvenzverfahren hinzunehmen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich im vorliegenden Fall um ein Insolvenzverfahren der Klägerin, mithin einer natürlichen Person, handelt und deshalb die speziellen Vorschriften der Insolvenzordnung über die Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) eingreifen.

Der Klägerin ist allerdings zuzugeben, dass die auch im Insolvenzverfahren ver- bliebene Möglichkeit der Beklagten, mit dem unpfändbaren Teil des Rentenaus- zahlungsanspruchs nach Maßgabe des § 51 Abs. 2 SGB I aufrechnen zu können, zu Friktionen mit dem Restschuldbefreiungsverfahren der §§ 286 ff. InsO führen kann. So zielt das Restschuldbefreiungsverfahren nach Ablauf der sog. Wohlverhaltensphase gegenüber den Insolvenzgläubigern nach §§ 286, 301 InsO auf eine vollständige Befreiung des Schuldners von den bis dato nicht erfüllten Verbindlichkeiten ab. Auch ist die Beklagte als Insolvenzgläubigerin in dieses Restschuldbefreiungsverfahren miteinbezogen, da sie ihre Rückzahlungsforderungen gegenüber der Klägerin zur Tabelle nach § 174 InsO angemeldet hat. Mit der bestehenden Möglichkeit einer Aufrechnung in den unpfändbaren Teil der Rente gemäß § 51 Abs. 2 SGB I ist ihr dennoch die Möglichkeit verblieben, ihre gegen die Schuldnerin bestehenden Forderungen auch dann noch durch Aufrechnungserklärung zu tilgen, wenn die Schuldnerin von allen anderen Verbindlichkeiten nach Maßgabe der §§ 286 ff. InsO befreit worden ist. Die Kammer erkennt sehr wohl an, dass hier ein vom Gesetzgeber nicht geregelter Zielkonflikt zwischen dem Restschuldbefreiungsverfahren nach §§ 286 ff. InsO und der Möglichkeit der Aufrechnung in den unpfändbaren Teil des Rentenauszahlungsanspruchs durch einen Sozialleistungsträger besteht. Mit § 51 Abs. 2 SGB I hat der Gesetzgeber jedoch die Grundsatzentscheidung getroffen, dass er Sozialleistungsträger gegenüber anderen Gläubigern, denen durch die Unpfändbarkeit die Möglichkeit versperrt ist, ihre Forderungen im Wege der Einzel- oder Gesamtvollstreckung zu realisieren, privilegieren will. Mit Blick auf § 36 Abs. 1 InsO, der für alle Arten des Insolvenzverfahrens gilt, ist es deshalb folgerichtig, dass auch das besondere Restschuldbefreiungsverfahren in der sog. Privatinsolvenz einen Sozialleistungsträger nicht daran hindern kann, unpfändbare Zahlbeträge zur Aufrechnung zu bringen. Ein Grundsatz dergestalt, dass die Besonderheiten der Insolvenz gerade einer natürlichen Person einer Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I unter Verweis auf die Besonderheiten des Restschuldbefreiungsverfahrens entgegenstehen, existiert jedenfalls nicht. Vielmehr ist die Kammer der Auffassung, dass die besonderen sozialrechtlichen Vorschriften der §§ 51, 52 SGB I auch hier eingreifen. Wäre dies nicht der Fall, gibt die Kammer zu bedenken, dass Sozialleistungsträgern im Falle einer Privatinsolvenz des Versicherten bzw. Schuldners stets die Möglichkeit versperrt wäre, auch den unpfändbaren Teil der Ansprüche auf laufende Geldleistungen aufrechnen zu können. Damit wären die Grenzen zwischen Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I und Pfändung nach § 54 SGB I verwischt und das hiermit verbundene Privileg des aufrechnenden Sozialleistungsträgers in der Privatinsolvenz des Versicherten komplett aufgehoben, da es insoweit, d.h. außerhalb des eigentlichen Insolvenzverfahrens, nur ein „Alles-oder-Nichts“ geben könnte. Diese überschießende Konsequenz ist von Seiten des Sozialrechts nicht gewollt und würde die Privilegierung der Sozialleistungsträger in ihr Gegenteil verkehren.

Endlich ist der angegriffene Bescheid der Beklagten auch rechtmäßig, soweit er der Klägerin selbst und nicht dem Insolvenzverwalter zugegangen ist. Zwar geht nach § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Da nach § 36 Abs. 1 InsO unpfändbare Gegenstände jedoch nicht zur Insolvenzmasse gehören, hat auch der Insolvenzverwalter nicht die rechtliche Befugnis, über diesen Teil des Vermögens des Schuldners zu verfügen und es zu verwalten. Deshalb hat er es im Insolvenzverfahren auch unverzüglich an den Schuldner auszukehren. Da die Klägerin insoweit Berechtigte mit Verfügungs- befugnis bleibt, ist sie auch taugliche Adressatin i.S.d. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X eines die Erklärung der Aufrechnung mit dem unpfändbaren Teil des Rentenauszahlungsanspruchs beinhaltenden Verwaltungsaktes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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