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Kündigung wegen Vorliebe für sadomasochistische Sexualpraktiken

Arbeitsgericht Berlin

Az.: 36 Ca 30545/98

Urteil vom 07.07.1999


In dem Rechtsstreit hat das Arbeitsgericht Berlin, 36. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 7.7.99 für Recht erkannt:

I. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 30.9.1998 nicht aufgelöst worden ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 13.500,- DM festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung.

Der am 3. Mai 1954 geborene, an Neurodermitis leidende Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. April 1976 als Krankenpfleger beschäftigt. Seine monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 4.500,– DM.

Der Beklagte, der mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, ist ein eingetragener Verein des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche und betreibt mehrere Kliniken mit mehreren Fachabteilungen, darunter eine psychiatrischen Abteilung mit offenen und geschlossenen Stationen. Eine Mitarbeitervertretung ist vorhanden.

Laut zwischen den Parteien schriftlich geschlossenem Arbeitsvertrag vom 28. April 1976 (Bl. 4 da.) finden auf das Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (im folgenden AVR) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

Der Kläger, der mehr oder weniger seit Beginn seines Arbeitsverhältnisses in der psychiatrischen Abteilung der Kliniken tätig war, war zuletzt auf der Station 4A, einer geschlossenen psychiatrischen Station beschäftigt. Zum Arbeitsalltag auf den geschossenen psychiatrischen Stationen des Beklagten gehört es, dass Patientinnen und Patienten zwangsweise medikamentiert und fixiert werden.

Im März 1998 trat der Kläger in einer Fernsehtalkshow mit Hans Meiser zum Thema „Ich liebe zwei Männer“ auf, zu der er zusammen mit mehreren weiblichen Gästen und einer Diplompsychologin eingeladen worden war. Während der Talkshow äußerte sich der Kläger zu sadomasochistischen Sexualpraktiken und zu Thema Treue innerhalb einer Partnerschaft. Der genaue Inhalt seiner Äußerungen ist zwischen den Parteien streitig. Am 25. August 1998 wurde die Sendung wiederholt und von zwei Mitarbeiterinnen des Beklagten gesehen.

Am 9. September 1998 informierten die Mitarbeiterinnen die Pflegedirektorin des Beklagten über den Fernsehauftritt des Klägers. Daraufhin wandte sich der Beklagte mit Schreiben vom 25. September 1998 an die Mitarbeitervertretung und bat um Stellungnahme zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Klägers aus wichtigem Grund, vorsorglich um Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 31 der AVR mit Auslauffrist zum 31. März 1999. Wegen der weiteren Einzelheiten des Anhörungsschreibens wird auf dessen Ablichtung (Bl. 13 ff d.A.) verwiesen.

Am 17. September 1998 führte der Beklagte mit dem Kläger ein Gespräch über dessen Fernsehauftritt und befürchtete Auswirkungen auf dessen Tätigkeit als Krankenpfleger auf der geschlossenen psychiatrischen Station. Der Kläger vertrat die Auffassung, dass sein Sexualverhalten und der Fernsehauftritt seine Privatangelegenheit seien und mit seiner Tätigkeit für den Beklagten in keinem Zusammenhang stehen. Zukünftig werde er jedoch wegen des nunmehr aufkommenden Druckes von derartigen öffentlichen Stellungnahmen absehen.

Mit Schreiben vom 18. September 1998 wandte sich der Beklagte erneut an die Mitarbeitervertretung und teilte dieser mit, dass eine fristlose Kündigung des Klägers nicht mehr beabsichtigt sei. Außerdem bat er um Zustimmung zu einer Versetzung des Klägers in den Wirtschaftsbereich bis zum Ablauf der Auslauffrist. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens an die Mitarbeitervertretung wird auf dessen Ablichtung (Bl. 15 ff d.A.) Bezug genommen.

Mit an die Prozessvertreterin des Klägers gerichtetem anwaltlichen Schreiben vom 30. September 1998 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. März 1999. Das Schreiben ging dem Kläger am 5. Oktober 1998 zu.

Mit der bei Gericht am 9. Oktober 1998 eingegangenen, dem Beklagten am 21. Oktober 1998 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen diese seiner Ansicht nach rechtsunwirksame Kündigung.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung vom 30. September 1998 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte stützt die Kündigung auf die § 31 Abs. 3 und 4 bzw. § 32 der AVR. Er behauptet, der Kläger habe sich in der am 25. August 1998 wiederholten Fernsehtalkshow zu sadomosochistischen Sexualpraktiken bekannt, über sein Erleben beim Zufügen von Schmerzen und beim Fesseln berichtet und u. a. wörtlich geäußert: „Mir ist es egal, ob meine Freundin anderweitig sexuelle Kontakte hat, denn Frauen sind nicht wie Seife, die sich abnutzt“. Derartige Aussagen in der Öffentlichkeit seien weder mit dem Diakonischen Auftrag des Beklagten noch mit den mit dem Kläger vereinbarten Arbeitsvertragsrichtlinien zu vereinbaren. Es bestehe die berechtigte Befürchtung, dass es zu Distanzverletzungen gegenüber Patientinnen und Patienten komme bzw. dass Patientinnen oder Patienten die Sendung gesehen haben könnten und nun unter der Furcht vor Distanzverletzungen leben müssen. Während des Anhörungsgesprächs am 17. September 1998 habe der Kläger keinerlei Problembewusstsein gezeigt. Im übrigen sei Sadomasochismus nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft als Krankheit zu qualifizieren, weshalb aus ärztlicher Sicht eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf einer psychiatrischen Station nicht zu vertreten sei. Eine Versetzung des Klägers in eine andere Abteilung der Klinik als milderes Mittel zur Beendigungskündigung sei nicht möglich. Auf einer inneren Station könne er aus den gleichen Gründen wie auf einer psychiatrischen Station nicht eingesetzt werden, da dort sexuell missbrauchte Patientinnen mit Essstörungen behandelt werden, deren Essstörung auf den sexuellen Missbrauch und damit verbundene physische Angstvorstellungen zurückgingen. Eine Versetzung auf eine neurologische Station komme nicht in Betracht, da dort grundpflegerische Tätigkeiten anfallen, die mit der Hautkrankheit des Klägers nicht zu vereinbaren seien.

Der Kläger wendet hiergegen die Behauptung ein, die von dem Beklagten geäußerten Befürchtungen seien nur vorgeschoben. Tatsächlich befürchte der Beklagte negative Pressereaktionen für sich selbst im Zusammenhang mit der zweimaligen Ausstrahlung der Fernsehtalkshow. Dies liege, Wochen nach der Wiederholung der Fernsehsendung, neben der Sache. Im übrigen sei Sadomasochismus in der Diagnoseliste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht als Krankheit verzeichnet. Des weiteren rügt der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung der Mitarbeitervertretung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Protokolle der Güte- und Kammerverhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg.

Die zulässige, innerhalb der Frist der §§ 4 KSchG, 270 Abs. 3 ZPO erhobene Feststellungsklage ist auch im übrigen begründet. Die Kündigung des Beklagten vom 30. September 1998 ist unwirksam und vermochte das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht aufzulösen.

I.

Auf eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne des § 32 AVR in Verbindung mit § 626 BGB kann sich der Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil er gegenüber der Mitarbeitervertretung hiervon innerhalb der mit Schreiben vom 15. September 1998 bis zum 21. September 1998 gesetzten Anhörungsfrist ausdrücklich Abstand genommen hat. Denn der im Schreiben an die Mitarbeitervertretung vom 18. September 1998 enthaltene Satz „Eine fristlose Kündigung ist nicht mehr beabsichtigt“ (Bl. 16d.A.) kann unter Berücksichtigung des ersten Anhörungsschreibens vom 15. September 1998 nur dahingehend verstanden werden, dass sich der Beklagte nach dem Gespräch mit dem Kläger am 17. September 1998 nicht mehr auf einen wichtigen Grund für die Kündigung berufen will. Mit Schreiben vom 15. September 1998 hatte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund und vorsorglich zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 31 AVR mit Auslauffrist angehört. Er hat die beabsichtigte vorsorgliche Kündigung zwar ebenfalls als außerordentliche Kündigung bezeichnet, jedoch zeigt der Verweis auf § 31 AVR, dass damit keine Kündigung aus wichtigem Grund gemeint war. § 31 AVR regelt – wie sich aus einem Vergleich mit § 32 AVR ergibt – nicht die Kündigung aus wichtigem Grund, sondern in welchen besonderen Fällen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit einer Frist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres ordentlich gekündigt werden kann, die – wie der Kläger – das 40. Lebensjahr vollendet haben und länger als 15 Jahre beschäftigt sind und die deshalb nach § 30 Abs. 3 AVR grundsätzlich nicht ordentlich kündbar sind.

Im übrigen würde eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist aus wichtigem Grund auch schon an der Frist des § 626 Abs. 2 BGB scheitern. Der Beklagte hatte – wie sich aus dem Schreiben an die Mitarbeitervertretung vom 15. September 1998 ergibt – seit dem 9. September 1998 Kenntnis von den die Kündigung bedingenden Tatsachen. Darauf dass er zunächst nur einen Verdacht gegen den Kläger hegte, der sich erst nach Anhörung des Klägers zur Gewissheit verdichtete, und nicht von Anfang an eine Tatsachenkündigung beabsichtigt war, kann sich der Beklagte nicht berufen, denn in dem genannten Schreiben an die Mitarbeitervertretung ist in keiner Weise zum Ausdruck gekommen, dass es sich bei dem Kündigungsvorwurf zunächst nur um einen Verdacht handelte und ein Klärungsgespräch mit dem Kläger beabsichtigt war. Auch ist Sachverhalt, der der Mitarbeitervertretung in diesem Anhörungsschreiben mitgeteilt worden war, mit dem Sachverhalt, auf den der Beklagte die Kündigung vom 30. September 1998 stützt, identisch bis auf das dem Kläger vorgeworfene mangelnde Problembewusstsein, dass der Beklagte während des Anhörungsgesprächs am 17. September 1998 festgestellt haben will, und der Behauptung, Sadomasochismus sei eine Krankheit.

Letztendlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben, da die Kündigung vom 30. September 1998 auch als ordentliche Kündigung im Sinne des § 31 Abs. 3 und 4 AVR unwirksam ist.

II.

Die ordentliche Kündigung im Sinne des § 31 Abs. 3 und 4 AVR ist sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG.

Nach § 31 Abs. 3 AVR kann der Diakonische Arbeitgeber einem Mitarbeiter unter Wahrung der in § 31 Abs. 4 AVR genannten Kündigungsfrist kündigen, wenn dieser aus Gründen, die in seiner Person liegen, dauernd außerstande ist, die von ihm arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. § 31 Abs. 3 AVR beschränkt damit das Recht zur ordentlichen Kündigung eines langjährig beschäftigten Mitarbeiters im Sinne des § 30 Abs. 3 AVR auf die so genannte personenbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG.

Inwieweit die von dem Beklagten vorgebrachten Gründe für die streitbefangene Kündigung sämtlichst als personenbedingte Gründe einzuordnen sind und sämtlichst der Mitarbeitervertretung rechtzeitig vor dem Ausspruch der Kündigung bekannt gegeben worden sind – was zumindest hinsichtlich der Behauptung des Beklagten, der Kläger leide unter einer Krankheit, die aus ärztlicher Sicht seiner Weiterbeschäftigung als Psychiatriepfleger entgegen stehe, zweifelhaft ist – kann offen bleiben, da die vorgebrachten Gründe eine ordentlichen Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG unabhängig von ihrer Personenbedingtheit nicht zu rechtfertigen vermögen.

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1.

Die Begründung, der öffentliche Fernsehauftritt des Klägers sei mit dem Diakonischen Auftrag des Beklagten, an den der Kläger nach den im Arbeitsvertrag vom 28. April 1976 vereinbarten Arbeitsvertragsrichtlinien gebunden ist, kann die Kündigung des Klägers schon deshalb nicht tragen, weil diese Begründung im Widerspruch zu den von dem Beklagten angestellten Überlegungen steht, den Kläger als milderes Mittel zu einer Beendigungskündigung in eine andere Fachabteilung zu versetzen. Wäre der öffentliche Auftritt des Klägers bzw. etwaige von ihm während dieses Auftritts geäußerten sexuellen Neigungen nicht mit dem Diakonischen Auftrag des Beklagten zu vereinbaren, wäre eine Umsetzung auf eine andere Station von vornherein nicht in Betracht gekommen.

2.

Soweit der Beklagte behauptet, es bestehe die berechtigte Befürchtung, es könne bei Zwangsmedikamentierungen bzw. Fixierungen von akuten psychiatrischen Patientinnen und Patienten zu Distanzverletzungen durch den Kläger kommen, bzw. einzelne Patientinnen oder Patienten könnten die Talkshow gesehen haben und deshalb zu Recht Furcht vor Distanzverletzungen haben, ist dies für die Kammer nicht nachvollziehbar.

Anhaltspunkte dafür, dass es während der langjährigen Tätigkeit des Klägers in der psychiatrischen Abteilung des Beklagten zu sexuellen Distanzverletzungen oder auch nur zu Verletzungen der therapeutischen Distanz gegenüber einzelnen von ihm betreuten Patientinnen oder Patienten gekommen ist, auf die der Beklagte seine Befürchtungen stützen könnte, hat er nicht vorgetragen. Es ist auch nicht verständlich, wie der Beklagte darauf kommt, dass ein Mitarbeiter, der sexuellen Praktiken zuneigt, die von gesellschaftlich allgemein akzeptierten sexuellen Betätigungen abweichen, eher zu Distanzverletzungen neigt als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich im Rahmen des gesellschaftlichen Akzeptierten sexuell betätigen. Zwar ist nicht zu leugnen, dass sexuelle Distanzverletzungen und andere Distanzverletzungen in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen ein Problem darstellen können, jedoch ist der Beklagte jegliche Begründung dafür schuldig geblieben, dass solche Distanzverletzungen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermehrt auftreten, die zu sadomasochistischen Sexualpraktiken in ihrem Privatleben neigen.

Die Kammer kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass es bei der Kündigung des Klägers weniger um die Frage einer realen Gefährdung der vom Kläger betreuten Patientinnen und Patienten geht, als vielmehr um Einstellungsfragen. Menschen, die – insbesondere, was ihre Sexualität angeht, – von dem abweichen, was gesellschaftlich allgemein als „normal“ akzeptiert wird, wird häufig unterstellt, sie würden sich auch in ihrem sonstigen Verhalten nicht an die von der Gesellschaft vorgegebenen, sich im übrigen stets im Fluss befindlichen Regeln halten. Deutlich wird dies u. a. an den Vorurteilen, die lange Zeit und teilweise auch heute noch gegenüber homosexuellen Männern bestanden haben bzw. noch bestehen. Homosexuellen Männern wurde und wird häufig unterstellt, dass sie zu sexuellen Übergriffen neigen, und deshalb insbesondere die Betreuung minderjähriger Jungen durch homosexuelle Männern äußerst problematisch sei. Hingegen wird die Betreuung minderjähriger Mädchen durch heterosexuelle Männer und erst recht die Betreuung minderjähriger Jungen durch heterosexuelle Frauen allgemein akzeptiert.

Soweit der Beklagte befürchtet, einzelne Patientinnen oder Patienten könnten den Fernsehauftritt des Klägers gesehen und deshalb Ängste vor sexuellen Übergriffen entwickelt haben, fehlt hierzu jeglicher konkreter Vortrag. Der Beklagte hat weder vorgetragen, dass einzelne Patientinnen oder Patienten die Talkshow tatsächlich gesehen haben, noch dass sich deren Verhalten gegenüber dem Kläger geändert hat. Allein die abstrakte Möglichkeit, dass der Fernsehauftritt des Klägers Auswirkungen auf sein therapeutisches Verhältnis zu den von ihm betreuten Patientinnen und Patienten haben könnte, kann die streitbefangene Kündigung nicht rechtfertigen.

3.

Ebenso wenig vermag die Kammer der Auffassung des Beklagten folgen, bei Sadomasochismus handele es sich um eine Krankheit, welche einer Weiterbeschäftigung des Klägers als Krankenpfleger auf einer psychiatrischen Station entgegen stehe. In der derzeit in Deutschland noch überwiegend verwendeten Diagnoseliste der internationalen Weltgesundheitsorganisation (ICD-9) kommt Sadomasochismus bei den sexuellen Verhaltensabweichungen und Störungen nicht vor. In der im angelsächsischen Sprachraum bereits eingeführten und in Deutschland in der Einführung begriffenen Diagnoseliste ICD-10 ist Sadomachismus unter den Störungen der Sexualpräferenz zwar aufgeführt, es heißt dort jedoch ausdrücklich: „Gering ausgeprägte sadomasochistische Stimulation kommt zur Steigerung einer im übrigen normalen Sexualität häufig vor. Diese diagnostische Kategorie soll nur dann verwendet werden, wenn die sadomasochistischen Betätigungen die hauptsächliche Quelle der Erregung und für die sexuelle Befriedigung unerlässlich sind“ (siehe Kapitel V Punkt F65.5 der International Classifikation of Diseases der WHO – ICD-10). Dafür, dass diese Voraussetzung beim Kläger gegeben ist, gibt es keine auch nur annähernd ausreichenden Anhaltspunkte.

Hinzu kommt, dass – wie bereits oben ausgeführt worden ist – nicht ersichtlich ist, dass sich eine etwaige Neigung des Klägers zu sadomasochistischen Sexualpraktiken im Vorfeld der streitbefangenen Kündigung in irgendeiner Weise konkret auf dessen Tätigkeit als Psychiatriepfleger ausgewirkt hat bzw. sich in Zukunft negativ auswirken wird.

4.

Schließlich kann der Beklagte auch nicht damit gehört werden, dem Kläger fehle es für seine pflegerische Tätigkeit am nötigen Problembewusstsein hinsichtlich möglicher Verletzungen der therapeutischen Distanz, was sich während des Anhörungsgesprächs am 17. September 1998 gezeigt habe. Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, dass ein Problembewusstsein hinsichtlich sexueller und anderer Distanzverletzungen gegenüber Patientinnen und Patienten eine wichtige Voraussetzung für die Arbeit eines Krankenpflegers mit psychisch kranken Menschen darstellt. Es ist jedoch ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Kläger in einer Situation, in der sich der Gefahr ausgesetzt sehen musste, seinen langjährigen Arbeitsplatz und damit seine berufliche Existenz zu verlieren, auf die Vorwürfe des Beklagten abwehrend und kompromisslos reagiert und den Standpunkt eingenommen hat, der Fernsehauftritt in der Talkshow mit Hans Meiser sei seine Privatangelegenheit und stehe in keinem Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis. Irgendwelche Rückschlüsse auf die persönliche Eignung und therapeutische Kompetenz des Klägers können nach Ansicht der Kammer aus diesem Verhalten nicht gezogen werden. Ähnliches gilt für ein etwaiges fehlendes Problembewusstsein des Klägers hinsichtlich solcher Äußerungen, wie sie dem Kläger von der Beklagten vorgeworfen werden, in einer allgemein zugänglichen Fernsehsendung.

5.

Nach alledem ist die Kündigung des Klägers vom 30. September 1998 sozial ungerechtfertigt. Der Klage war deshalb stattzugeben.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.

Der Wert des Streitgegenstandes war nach den §§ 12 Abs. 7 Satz 1, 61 Abs. 1 ArbGG auf drei Bruttomonatsentgelte festzusetzen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil kann von d. Beklagten Berufung eingelegt werden. Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt oder einem Vertreter einer Gewerkschaft bzw. einer Arbeitgebervereinigung oder eines Zusammenschlusses solcher Verbände eingereicht werden.

Die Berufungsschrift muss binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils bei dem Landesarbeitsgericht Berlin Magdeburger Platz 1 10785 Berlin, eingegangen sein. Dabei ist zu beachten, dass bei einer Zustellung durch Niederlegung bei einer Postanstalt die Frist bereits mit der Niederlegung und Benachrichtigung in Lauf gesetzt wird, also nicht erst mit der Abholung der Sendung.

Das Zustellungsdatum ist auf dem Umschlag vermerkt.

Die Berufung ist gleichzeitig oder innerhalb eines weiteren Monats nach Eingang der Berufung bei Gericht in gleicher Form schriftlich zu begründen.

Für d. Kläger ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Von der Begründungsschrift werden zwei zusätzliche Abschriften zur Unterrichtung der ehrenamtlichen Richter erbeten.

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