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Totalschaden und Differenzbesteuerung

Amtsgericht Halle (Westfalen)

Az: 7 C 632/02

Urteil vom: 27.05.2003


In dem Rechtsstreit hat das Amtsgericht Halle (Westf.) auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2003 für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 455,18 Euro nebst 5 % Zinsen über Basiszins ab 13.12.2002 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beitreibbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten restlichen Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles, der sich am 23.10.2002 in Halle (Westf.) ereignete.

Die Parteien sind darüber einig, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, dem Kläger vollen Schadensersatz zu leisten.

Bei dem Unfall wurde der Pkw des Klägers, ein VW Passat Baujahr 1992, total beschädigt. Eine Reparatur hätte mindestens 8.220 Euro gekostet. Der vom Kläger beauftragte Sachverständige Ing. B bezifferte den Wiederbeschaffungswert incl. Mehrwertsteuer demgegenüber auf nur 3.300 Euro. Dazu merkte er in seinem schriftlichen Gutachten an: „Den gesetzlichen Bestimmungen der sog. Differenzbesteuerung wurde bei der Wertermittlung Rechnung getragen“.

Den Restwert bezifferte der Sachverständige B auf 150 Euro incl. Mehrwertsteuer.

Der Kläger ist nicht vorsteuerabzugsberechtigt.

Der Kläger kaufte am 28.10.2002 bei der Firma der K einen gebrauchten VW Golf Variant Baujahr 1997 als Ersatzwagen für seinen total beschädigten VW Passat. Für den Ersatzwagen zahlte er 7.990 Euro. Die Rechnung der Firma K enthält den Hinweis: „Gesonderter Mehrwertsteuerausweis ist gem. § 25 a Umsatzsteuergesetz nicht möglich“.

Der Kläger stellte der Beklagten seinen Fahrzeugschaden wie folgt in Rechnung:
Wiederbeschaffungswert brutto 3.300 Euro
abzüglich Reste brutto 150 Euro
von der Beklagten zu ersetzen 3.150 Euro

Die Beklagte rechnete wie folgt ab:
Wiederbeschaffungswert (netto) 2.844,82 Euro
abzüglich Restwert (brutto) 150 Euro
von der Beklagten ersetzter Fahrzeugschaden 2.694,82 Euro

Die Differenz von 455,18 Euro ist die Klageforderung. Diese wurde trotz Mahnung zum 12.12.2002 nicht bezahlt.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 455,18 Euro nebst 5 % Zinsen über Basiszins ab 13.12.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen; hilfsweise wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Berufung zuzulassen.

Vorprozessual hatte die Beklagte sich darauf berufen, nach der hier anwendbaren Neufassung des § 249 Abs. 2 Ziff. 2 BGB erfolgte die Regulierung des Fahrzeugschadens grundsätzlich ohne gesetzliche Mehrwertsteuer. Sofern zur Schadensbehebung jedoch Mehrwertsteuer angefallen sei und der Geschädigte dies durch gesonderten Ausweis in der Rechnung nachweise, werde die unfallbedingte Differenz erstattet.

Nachdem der Kläger im Termin die Ersatzbeschaffungsrechnung der Firma K-S vorgelegt hatte, beanstandete die Beklagte, dass sich aus dieser Rechnung die bei der Ersatzbeschaffung gezahlte anteilige Mehrwertsteuer nicht exakt ergebe. Weil der Beklagte kein gleichwertiges, sondern ein wesentlich höherwertiges Ersatzfahrzeug angeschafft habe, könne es auch letztlich nicht darauf ankommen, welcher Mehrwertsteueranteil bei Differenzbesteuerung nach § 25 a Umsatzsteuergesetz in dem Ersatzbeschaffungspreis von 7.990 Euro enthalten sei.

Maßgeblich könne nur sein, wie hoch der Mehrwertsteueranteil in dem vom Sachverständigen B mit brutto 3.300 Euro berechneten Wiederbeschaffungswert sei.

Der vom Gericht im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29.4.2003 angehörte Sachverständige B hat hierzu ausgeführt, dass in dem von ihm berechneten Wiederbeschaffungswert des VW Passat von brutto 3.300 Euro 2 % Umsatzsteuer, berechnet nach dem Differenzbesteuerungsverfahren, steckten.

Dies hat die Beklagte bestritten, weil dem Sachverständigen die Kalkulationsgrundlagen des Händlers nicht bekannt gewesen seien und sich gegenbeweislich auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.
Die Beklagte ist gem. § 7 Abs. 1 StVG dem Grunde nach verpflichtet, dem Kläger den beim Unfall vom 23.10.2002 erlittenen Schaden zu 100 % zu ersetzen.

Der Höhe nach berechnet sich der Ersatzanspruch des Klägers gem. § 249 BGB. Nach § 249 Abs. 1 BGB muss derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herstellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Kläger bei Beschädigung einer Sache statt der Wiederherstellung der beschädigten Sache den dafür erforderlichen Geldbetrag verlangen. Ein Fall der Wiederherstellung im Sinne des Gesetztes liegt nicht nur dann vor, wenn die beschädigte Sache repariert wird, sondern auch dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Geschädigte eine Ersatzsache beschafft (Palandt, 62. Aufl., § 249, Rn. 20 + 21 unter Hinweis auf insbesondere BGHZ 92, S. 85,90). Auch nach der Neufassung des § 249 Abs. 2 BGB mit Wirkung ab 1.8.2002 bleibt es dabei, dass § 249 BGB nicht nur die Reparaturfälle, sondern auch die Fälle der Beschaffung einer gleichartigen und gleichwertigen Ersatzsache regelt. § 251 BGB galt und gilt auch weiterhin nur in den sehr seltenen Fällen, in denen eine ganz einzigartige Sache zerstört wird, für die sich ein Ersatz nicht beschaffen lässt (ebenso Müller in DAR 2002, S. 540 ff., 545).

Der neu in das Gesetz eingeführte § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ist mithin auf den vorliegenden Fall anwendbar. Er führt aber entgegen der Auffassung der Beklagten nicht dazu, dass von dem vom Sachverständigen B im Gutachten festgestellten Brutto-Wiederbeschaffungswert von 3.300 Euro ein Mehrwertsteueranteil von 16 % abzuziehen wäre. Dieser Abzug wird weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB gedeckt.

Nach dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB schließt bei der Beschädigung einer Sache der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag (hier also der Wiederbeschaffungspreis) die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Der Sachverständige B hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass der beschädigte VW Passat des Klägers einen Wiederbeschaffungswert von brutto 3.300 Euro gehabt habe, wobei er diesen Betrag unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen der sog. Differenzbesteuerung ermittelt habe. Bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige ausgeführt, dass in dem Brutto-Wiederbeschaffungswert von 3.300 Euro ein im Wege des Differenzbesteuerungsverfahrens zu errechnender Mehrwertsteueranteil von 2 % stecke. Diese Annahme hält das Gericht für realistisch und lebensnah. Es deckt sich mit den Erfahrungen des Gerichts, dass 10 Jahre alte Fahrzeuge, wie der zerstörte VW Passat des Klägers, nur noch von Privat oder allenfalls, wie der Sachverständige B bei seiner Kalkulation angenommen hat, im Niedrigpreis-Gebrauchthandel verkauft werden. Bei dem für die Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes des VW Passat zu Grunde zu legenden Fall der Ersatzbeschaffung eines gleichartigen Fahrzeuges im Niedrigpreis-Gebrauchthandel geht das Gericht davon aus, dass hier nicht der volle Endpreis mit 16 % Mehrwertsteuer belastet ist, sondern nur die Händler-Gewinnspanne. Im vom Sachverständigen B errechneten Wiederbeschaffungswert des VW Passat von 3.300 Euro brutto stecken mithin nur rund 65 Euro Mehrwertsteueranteil.

Diese Berechnung des Sachverständigen ist von der Beklagten nicht in substantiierter Form angegriffen worden. Das gegenbeweislich beantragte Sachverständigengutachten hat das Gericht deshalb nicht eingeholt.

Nach der Neuregelung in § 249 Abs. 2 Ziff. 2 BGB soll die Umsatzsteuer bei der Ersatzbeschaffung nicht mehr fiktiv, sondern nur noch bezahlt werden, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die im Wiederbeschaffungswert des VW Passat von 3.300 Euro enthaltene Umsatzsteuer von rund 65 Euro ist bei der Ersatzbeschaffung des VW Golf zum Preise von brutto 7.990 Euro jedenfalls angefallen. Der Kläger begehrt also im vorliegenden Fall nicht Erstattung von Mehrwertsteuer, die er selbst gar nicht gezahlt hat. Aus der Rechnung der Firma K folgt, dass tatsächlich Mehrwertsteuer im sog. Differenzverfahren nach § 25 a Umsatzsteuergesetz erhoben wurde. Nur die tatsächliche Höhe ist nicht ausgewiesen. Die Höhe der Mehrwertsteuer musste die Firma K auch nicht ausweisen, weil der Kläger nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist und weil die Firma K ein naheliegendes Interesse daran hat, ihren mehrwertsteuerpflichtigen Händler-Gewinn nicht offen zu legen. Der Kläger hat keine Möglichkeit, die Firma K zu zwingen, ihre Gewinnspanne und damit den Mehrwertsteueranteil in der Rechnung vom 28.10.2002 bekannt zu geben. Wenn der Kläger den Inhaber der Firma K als Zeugen benennen würde, dürfte dieser sich gem. § 384 Ziff. 3 ZPO auf ein Aussageverweigerungsrecht berufen. Sog. Gewerbegeheimnisse muss ein Zeuge nämlich nicht offenbaren. Zu den Gewerbegeheimnissen in diesem Sinne gehört auch die Preiskalkulation des Zeugen, weil deren Offenbarung gewerbliche oder wettbewerbliche Nachteile auslösen kann (Zöller, 23. Aufl., § 384 ZPO, Rn. 7).

Weil der Kläger keine Möglichkeit hat, die von ihm bei der Ersatzbeschaffung gezahlte Mehrwertsteuer näher darzulegen, ist das Gericht nach § 287 ZPO zur Schätzung befugt. Das Gericht schätzt auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen B, dass in der Rechnung der Firma K über die Ersatzbeschaffung ebenfalls ein Mehrwertsteueranteil von ca. 2 % enthalten ist, was rund 157 Euro ausmacht. Im Ergebnis hat der Kläger also bei der Ersatzbeschaffung einen größeren Mehrwertsteuerbetrag bezahlt, als im Wiederbeschaffungswert für seinen beschädigten VW Passat von 3.300 Euro enthalten war. Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes ist ihm mithin der volle Brutto-Betrag von 3.300 Euro abzüglich Restwert von 150 Euro zu ersetzen.

Auch unter Berücksichtigung von Sinne und Zweck der Neuregelung in § 249 Abs. 2 Ziff. 2 BGB ergibt sich nichts anderes. Wie sich aus der Bundestagsdrucksache 14/7752 Seite 13 ergibt, wollte der Gesetzgeber die Gefahr einer Bereicherung des Beschädigten im Falle fiktiver Abrechnung dadurch verringern, dass der Umfang des Schadensersatzes stärker als bisher daran ausgerichtet wird, welche Disposition der Geschädigte tatsächlich zur Schadensbeseitigung trifft. Zu diesem Zweck sollte die Umsatzsteuer nur noch dann und in dem Umfang als Schadensersatz erstattet werden, als sie zur Schadensbeseitigung tatsächlich angefallen ist. Der Ersatz fiktiver Umsatzsteuer sollte ausgeschlossen werden. Bei Anlegung dieser Maßstäbe ergibt sich für den vorliegenden Fall eindeutig, dass der Kläger sich durch den Schadensfall nicht bereichert hat. Er hat zur Wiederherstellung des Schadens durch Ankauf einer Ersatzsache im Gebrauchtwagenhandel tatsächlich Mehrwertsteuer aufwenden müssen und dies sogar in größerer Höhe, als der Mehrwertsteueranteil im Wiederbeschaffungswert seines zerstörten VW Passat ausmachte.

Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.

Das Gericht hat die Berufung zugelassen gem. § 511 Abs. 4 Satz 1 Ziff. 1 ZPO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, denn eine obergerichtliche Entscheidung zu der praktisch wichtigen Frage liegt, soweit ersichtlich, noch nicht vor.

 

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