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Tumor – unterlassene histologische Abklärung

Oberlandesgericht Thüringen

Az: 4 U 437/05

Urteil vom 23.05.2007


Leitsätze:

1. Die unterlassene histologische Abklärung eines innerhalb kurzer Zeit auffallend wachsenden Tumors stellt einen groben Behandlungsfehler in der Form der Unterlassung einer notwendigen Befunderhebung dar.

2. Für diesen (Behandlungs)-Fehler haben der (weiter) behandelnde Frauenarzt als auch der konsiliarisch hinzugezogene Onkologe gleichermaßen einzustehen, wenn keine vollständige Behandlungsübernahme durch den hinzugezogenen Konsiliarius erfolgt und dieser ausreichend über die erhobenen Vorbefunde unterrichtet worden ist.


In dem Rechtsstreit hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2007 für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichtes Mühlhausen vom 26.04.2005, Az.: 1 O 874/03, unter Aufrechterhaltung der festgestellten Erledigung wie folgt abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 96.861,16 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2005 zu zahlen.

Im Übrigen werden die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz tragen die Beklagten als Gesamtschuldner. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der jeweils Andere Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 196.861,16 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt als Sohn und Alleinerbe seiner am 12.12.2004 an den Folgen eines Mammakarzinoms verstorbenen Mutter R. B. die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.

Frau B. befand sich seit 1995 bei dem Beklagten zu 1) in ständiger frauenärztlicher Behandlung. Im September 1998 konsultierte die damals 25jährige den Beklagten zu 1) wegen eines Knotens in der linken Brust, der vom Beklagten zu 1) aufgrund des von ihm erhobenen Tastbefundes als gutartig eingestuft wurde. Im Rahmen einer nachfolgenden Kontrolluntersuchung veranlasste der Beklagte zu 1) die Durchführung einer Mammasonographie und einer Mammographie, die am 21.10.1998 in der Praxis des Dr. H. erfolgte. Es wurden zwei Verhärtungen festgestellt, wobei der eine Herd einen Durchmesser von 7 mm aufwies. Dr. H. kam zu dem Ergebnis, dass sonographisch und mammographisch kein Anhaltspunkt für einen malignen Prozess bestehe.

Im Rahmen der von dem Beklagten zu 1) in der Folgezeit durchgeführten weiteren Kontrolluntersuchungen vermerkte er am 26.02.1999 in den Behandlungsunterlagen, dass von den zwei tastbaren Knoten einer größer geworden war. Daraufhin veranlasste der Beklagte zu 1) wiederum eine Mammographie und eine Mammasonographie, die am 01.03.1999 in der radiologischen Praxis Dr. F. und F. durchgeführt wurde. In deren Befundbericht heißt es : “ Die linke Brust zeigt eine unauffällige Struktur. Lediglich im oberen inneren Quadranten findet sich eine erneut echoarme, auch hier unscharf begrenzte Struktur von 13 mm Größe, die der Brustwand anliegt, gegen diese aber ebenso wie der obere Herd verschiebbar ist. Typische Zystenkriterien lassen sich nicht erkennen. Die Mammastruktur ist sonst bds. unauffällig. Die Lebersonographie ergibt keinen Anhalt für Herde im Bereich der Leber.

Die ergänzende, zunächst nur halbschräge Aufnahme der Mamma zeigt den Prozess unscharf begrenzt und vom übrigen Drüsenkörper kaum abgrenzbar im oberen äußeren Quadranten…. muss daher an große Mastopathieherde gedacht werden; eine weitere Abklärung wäre durch eine Stanzbiopsie unter Sicht oder aber durch Entnahme der beiden Knoten möglich.“

Daraufhin veranlasste der Beklagte zu 1) die Vorstellung von Frau B. beim Beklagten zu 2), mit dem er eine intensive und langjährige Zusammenarbeit unterhielt, zwecks Durchführung einer erneuten Mammasonographie, die am 16.03.1999 stattfand. Der Beklagte zu 2) stellte ebenfalls zwei Herde fest, die er als echoarm, homogen und scharf begrenzt beschrieb und als „offensichtlich Fibroadenome“ diagnostizierte.

Bei drei nachfolgend durchgeführten Kontrolluntersuchungen am 26.04., 16.06. und 30.07.1999 befundete der Beklagte zu 1) die Knoten jeweils mit idem, d.h. unverändert.

Im Ergebnis der dann am 23.09.1999 vom Beklagten zu 2) – wiederum auf Veranlassung des Beklagten zu 1) – durchgeführten erneuten Mammasonographie erhob der Beklagte zu 2) einen „offensichtlich benignen Befund, unverändert“. Die von ihm ausgemessenen Herde gab er mit 15 mm und 9,2 mm Größe an.

Zwei weitere Mammasonographien, die der Beklagte zu 1 ) veranlasste, wurden vom Beklagten zu 2) am 25.05.2000 und am 16.11.2000 durchgeführt.

In Ergebnis der Untersuchung vom 25.05.2000 diagnostizierte der Beklagte zu 2) , dass „zwei Fibroadenome mit Wachtumstendenz“ vorhanden seien, und empfahl „OP in absehbarer Zeit“ . Einen der beiden Herde maß er mit nunmehr 22 mm aus. Schließlich stellte der Beklagte zu 2) am 16.11.2000 fest, dass der „Befund derber und größer“ sei. Aufgrund der Veränderung und des unklaren Befundes hielt er nunmehr die Entfernung der Knoten zur Abklärung für geboten.

Bei der am 20.11.2000 gemeinsam von den Beklagten durchgeführten Operation wurde ein Knoten von 17 x 19 mm Größe entfernt, dessen histologische Untersuchung den Befund eines bösartigen Mammakarzinoms erbrachte. Von den bei einer zweiten Operation am 04.12.2000 entnommenen 19 Lymphknoten waren 14 bereits metastasiert, zudem wurden Lebermetastasen nachgewiesen. Trotz nachfolgender chemotherapeutischer Behandlung verstarb Frau B. im Alter von 31 Jahren an den Folgen der Krebserkrankung.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagten den Tumor in der linken Brust fehlerhaft nicht als bösartig erkannt hätten, da die spätestens im März 1999 zwingend gebotene histologische Abklärung unterblieben sei. Wegen der verzögerten Diagnosestellung sei es zur Metastasierung der Leber gekommen, so dass ab November 2000 letztlich keine Heilungschance mehr bestanden habe. Insbesondere wegen des Vorbefundes vom 01.03.1999 und des Größenwachstums, worüber der Beklagte zu 2) auch informiert gewesen sei, sei sowohl der Beklagte zu 1) als auch der Beklagte zu 2) nach den Regeln der ärztlichen Kunst verpflichtet gewesen, die erforderliche Gewebeuntersuchung in Form einer Biopsie durchzuführen. Wegen der schwerwiegenden psychischen und physischen Beeinträchtigungen während der Behandlung und dem Umstand, dass Frau B. insbesondere im Hinblick auf ihren zum Zeitpunkt des Todes erst 9-jährigen Sohn besonders unter der unheilbaren Krankheit gelitten habe, erscheine ein Schmerzensgeld von mindestens 80.000,- EUR angemessen. Im Übrigen beziffert der Kläger den entstandenen Schaden auf 9.873,91 EUR , der sich aus dem Verdienstausfallschaden und Aufwendungen für Vitaminpräparate zusammensetzt.

Der zunächst erstinstanzlich gestellte Feststellungsantrag auf Ersatz künftiger Schäden wurde in der mündlichen Verhandlung des Landgerichts am 5.4.2005 vom Kläger für erledigt erklärt.

Der Kläger hat sodann beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 80.000,- EUR zu verurteilen, zuzüglich Zinsen in Höhe 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich gezahlter 10.000,- EUR;

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 9.873,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, dass ihnen kein fehlerhaftes Handeln anzulasten sei.

Der Beklagte zu 1) hat sich damit verteidigt, dass er das Notwendige veranlasst habe, indem er in regelmäßigen Abständen durch den Beklagten zu 2) Mammasonographien habe durchführen lassen. Auf die von dem Beklagten zu 2) gestellte Diagnose habe er sich wegen dessen spezieller Fachkenntnisse verlassen dürfen. Zudem habe er den Beklagten zu 2) vor der ersten Untersuchung vom 16.03.1999 über die Vorbefunde und das Größenwachstum in Kenntnis gesetzt.

Der Beklagte zu 2) hat sich darauf berufen, dass er keine weiteren Informationen über die Vorbefunde und das Größenwachstum vom Beklagten zu 1) erhalten habe. Insbesondere seien ihm keine Bildaufnahmen der Voruntersuchung vom 01.03.1999 zur Verfügung gestellt worden. Vor diesem Hintergrund stelle sich der von ihm am 16.03.1999 erhobene Befund mangels Vorliegens weiterer Malignitätskriterien als fehlerfrei dar. Nachdem sich aufgrund der Untersuchungen vom 25.05. und 16.11.2000 erstmals ein veränderter und vergrößerter Befund der zwei festgestellten Tumore gezeigt habe, habe er umgehend eine operative Entfernung veranlasst.

Im Übrigen behaupten beide Beklagte, dass der Krankheitsverlauf auch bei einer Diagnostizierung im März 1999 als bösartig nicht hätte positiv beeinflusst werden können. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei die Metastasierung so weit fortgeschritten gewesen, dass keine Heilungschancen mehr bestanden hätten.

Das Landgericht Mühlhausen hat durch Urteil vom 26.04.2005 die Beklagten als Gesamtschuldner zu einer Zahlung von 196.861,16 EUR verurteilt. Es hat auf ein Schmerzensgeld i.H.v. 190.000,- EUR (200.000,- EUR abzgl. gezahlter 10.000,- EUR) erkannt; hinzu kommt ein Verdienstausfallschaden i.H.v. 6.861,16 EUR. Hinsichtlich der geltend gemachten Zuzahlungen für Vitaminpräparate hat das Landgericht die Klage abgewiesen und im Übrigen festgestellt, dass sich der Feststellungsantrag erledigt hat. Der Beklagte zu 2) sei bei seiner am 16.3.1999 durchgeführten Sonographie fehlerhaft von einem gutartigen Tumor (Fibroadenom) ausgegangen; der Beklagte zu 1) hätte schon auf Grund der unklaren Befunde der Praxis Dres. F. und F. eine histologische Abklärung der Geschwulst veranlassen müssen. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere der Würdigung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

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Gegen dieses – ihnen am 27.04.2005 zugestellte – Urteil wenden sich die Beklagten mit ihren am 13.05.2005 eingegangenen Berufungen, die sie am 27.06.05 (der Beklagte zu 1) und 22.06.2005 (der Beklagte zu 2) begründet haben.

Der Beklagte zu 1) rügt, dass das Erstgericht entgegen der Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. (wohl) von einem groben Behandlungsfehler ausgegangen sei. Der Sachverständige habe demgegenüber ausgeführt, dass die Hinzuziehung des Beklagten zu 2) ärztlichem Standard entsprochen habe. Mit dem Beklagten zu 2) sei ein eigenständiger Behandlungsvertrag zustande gekommen, so dass von diesem eine eigenverantwortliche Behandlung geschuldet gewesen sei. Damit habe zwischen den Beklagten eine Konstellation bestanden, die einer horizontalen Arbeitsteilung gleichkomme; der Beklagten zu 1) habe sich auf die Diagnose des Beklagten zu 2) verlassen dürfen. Anlass, Zweifel an dessen Diagnose zu hegen, hätten für den Beklagten zu 1) nicht bestanden. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass er den Beklagten zu 2) über die Vorbefunde und das Größenwachstum informiert habe.

Der Beklagte zu 2) bleibt dabei, nicht über die Vorbefunde und das Größenwachstum der Geschwulst unterrichtet worden zu sein. Im Übrigen sei er von dem Beklagten zu 1) lediglich zur Einholung einer Zweitmeinung konsultiert worden, so dass die Behandlungsverantwortung beim Beklagten zu 1) verblieben sei.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20.07.2005 Anschlussberufung eingelegt. Er verfolgt zum Einen sein erstinstanzliches Begehren auf Zahlung von Prozesszinsen weiter und begehrt zugleich klageerweiternd die Zahlung von Zinsen aus der erstinstanzlich zugesprochenen Hauptsumme.

Die Beklagten beantragen,

1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichtes Mühlhausen vom 26.04.2005, Az.: 1 O 874/03, die Klage abzuweisen.

2. die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt – unter Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils –

1. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen – im Wege der Anschlussberufung –

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 196.861,16 EUR seit dem 21.05.2005 zu verurteilen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung des Beklagten zu 1) vom 27.06.2005 (Bd. II, Bl. 367 ff. d.A.) und seinen Schriftsatz vom 12.02.2007 (Bd. IV, Bl. 506 ff. d.A.), die Berufungsbegründung des Beklagten zu 2) vom 20.06.2005 (Bd. II, Bl. 342 ff. d.A.) sowie seine Schriftsätze vom 25.08., 02.11., und 09.12.2005 (Bd. III, Bl. 404 ff. , 412 ff. d.A., Bd. IV, Bl. 417 f. d.A.), 05.07., 23.10.2006 und 19.04.2007 (Bd. III, Bl. 461 ff., 472 ff. , 517 f. d.A), die Berufungserwiderung und Anschlussberufungsbegründung des Klägers vom 20.07.2005 (Bd. II, Bl. 391 ff.) und seine Schriftsätze vom 23.09.2005, 02.01., 18.11.2006, 11.04.2007 (Bd. II, Bl. 408 ff., Bd. III, Bl. 419 ff., 481 ff., 514 ff. d.A.).

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch die mündliche Anhörung des Sachverständigen Dr. K. sowie durch die Anhörung beider Beklagten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Sitzungsprotokolle vom 14.06.2006 (Bd. III, Bl. 447 ff. d.A.), vom 06.12.2006 (Bd. III, Bl. 484 ff. d.A.) und vom 25.04.2007 (Bd. III, Bl. 519 ff. d.A.).

II.

Beide Berufungen der Beklagten sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 517, 519, 520 ZPO.

Sie haben in der Sache jedoch nur insoweit Erfolg, als der Senat das erstinstanzlich zugesprochene Schmerzensgeld für überhöht erachtet; im Übrigen waren die Berufungen zurückzuweisen.

Die Anschlussberufung des Klägers ist zulässig. Die (zweitinstanzliche) Erweiterung der Zinsforderung stellt eine Klageerweiterung dar; sie war als sachdienlich zuzulassen, da auch insoweit der mit dem Schmerzensgeldanspruch zusammenhängende Prozessstoff verwertet und so ein neuer Prozess vermieden wird (vgl. BGH NJW 1984, 1552-1555). Entsprechend dem Erfolg der Berufungen der Beklagten ist der Zinsanspruch des Klägers aber nur in Höhe der vom Senat zuerkannten Verurteilungssumme gerechtfertigt; die weitergehende Anschlussberufung war zurückzuweisen.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht zunächst festgestellt, dass dem Kläger als Alleinerbe seiner verstorbenen Mutter dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz aus §§ 1922 Abs. 1, 823, 840 Abs. 1, 847 BGB (in der bis zum 31.07.2002 geltenden Fassung; Art. 229 § 8 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB) zusteht.

Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. K., die im Wesentlichen mit denen des Gutachters im Schlichtungsverfahren Prof. Dr. G. übereinstimmen, geht auch der Senat davon aus, dass spätestens aufgrund der im März 1999 bei Frau B. vorliegenden Befunde eine weitere Befunderhebung durch eine histologische Abklärung des Tumorgewebes – sei es durch Stanz- oder Feinnadelbiopsie – zwingend erforderlich war. Die Unterlassung dieser Befunderhebung wertet der Senat als grob fehlerhaft; für diesen Behandlungsfehler, der zu Beweiserleichterungen für die Patientenseite führt, müssen beide Beklagten einstehen; ihnen ist auch jeweils ein schuldhafter Verstoß gegen anerkannte Regeln der ärztlichen Kunst vorzuwerfen.

Dem Beklagten zu 1) ist ein schuldhafter Behandlungsfehler zu Lasten von Frau B. unterlaufen, indem er sich trotz der Vorbefunde, des Größenwachstums und der bestehenden Anzeichen für eine Malignität des Tumors auf die von dem Beklagten zu 2) allein aufgrund dessen Mammasonographie erhobene Diagnose verlassen und keine Gewebeuntersuchung veranlasst hat. Das Gleiche gilt für den Beklagten zu 2); auch diesem ist anzulasten, dass er – trotz Kenntnis des Größenwachstums des Tumors von 7 auf 13 mm; von dessen Kenntnis geht der Senat nach dem Ergebnis der Anhörung beider Beklagten aus – ebenfalls schuldhaft die erforderliche Gewebeabklärung unterlassen hat.

Der Beklagte zu 1) kann sich nicht damit entlasten, dass er wegen der besseren Fachkenntnisse des Beklagten zu 2) (Onkologe) auf den von diesem erhobenen Befund „blindlings“ vertrauen durfte. Der Beklagte zu 2) haftet über seinen Diagnosefehler hinaus auch selbst für die unterlassene histologische Befunderhebung, weil für ihn erkennbar der Beklagte zu 1) um eine Mitbeurteilung des für ihn – wegen des Größenwachstums – „verdächtigen“ Tumors gebeten hatte und mithin auch er in der Pflicht war, unter Berücksichtigung der Vorbefunde die notwendige Befunderhebung vorzunehmen bzw. zu veranlassen. Soweit der Beklagte zu 2) behauptet hat, er habe – bis auf den Überweisungsschein – keinerlei Informationen über Vorbefunde und Größenwachstum erhalten, so dass er als Konsiliarius nur eine eigene Sonographie geschuldet habe, folgt dem der Senat nicht. Es handelt sich insoweit schlicht um eine Schutzbehauptung, die durch die Angaben des Beklagten zu 1), aber auch durch weitere Fakten widerlegt ist.

Unstreitig bestand zwischen den Beklagten, die beide der gleichen Fachrichtung angehören, ein langjähriges, intensives und vertrauensvolles Verhältnis. Regelmäßig – wie dann auch hier am 20.11.2000 – führten die Beklagten im Christlichen Krankenhaus Eisenach, wo sie Belegbetten hatten, gemeinsam Operationen durch. Ausgehend hiervon erscheinen die Angaben des Beklagten zu 1), er habe den Beklagten zu 2) vorab telefonisch über den Vorbefund vom 01.03.1999 und das Größenwachstum unterrichtet, plausibel und nachvollziehbar.

Demgegenüber sind die Bekundungen des Beklagten zu 2) in sich widersprüchlich und in Anbetracht der bis dahin engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit kaum nachvollziehbar. Einerseits gesteht der Beklagte zu 2) ein, den Fall mit dem Beklagten zu 1) vorab telefonisch besprochen zu haben, wobei jedoch nur über den vom Beklagten zu 1) erhobenen Befund gesprochen worden sein soll. Andererseits soll das festgestellte Größenwachstum keine Erwähnung gefunden haben.

Selbst wenn aber der Befundbericht der Praxis Dr. F. und F. explizit nicht besprochen worden sein sollte, ist zu sehen, dass das Größenwachstum nicht erst im Rahmen dieser am 01.03.1999 erfolgten Untersuchung festgestellt worden ist, sondern der Beklagte zu 1) selbst vorab am 26.02.1999 das Größenwachstum befundet hatte und dies der Anlass für die weitergehende Diagnostik gewesen ist – „was wächst, regt mich auf“. Zentraler Ausgangspunkt für den Beklagten zu 1) vor der Hinzuziehung des Beklagten zu 2) war damit das festgestellte Größenwachstum des einen Knotens innerhalb von nur 4 Monaten um nahezu 100%.

Wenn der Beklagte zu 2) vor diesem Hintergrund behauptet „Ich erinnere mich noch, dass mir als Problem der Befund mitgeteilt wurde. Ich wusste nichts über ein Größenwachstum.“ , folgt dem der Senat nicht. Besorgniserregend war für den Beklagten zu 1) nicht der Befund als solcher, d.h. die Feststellung, dass in der linken Brust zwei Herde diagnostiziert worden waren, sondern vielmehr, dass ein Knoten innerhalb kurzer Zeit ein erhebliches Größenwachstum aufwies.

Gegen die Angaben des Beklagten zu 2) spricht schließlich auch das Schreiben von Frau B. an die Schlichtungsstelle vom 12.02.2001, worin es heißt: „Dr. Frey schickte mich dann samt der Röntgenaufnahmen zu Prof. K..“ (Bd. I, Bl. 17 d.A.). Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Wahrheit entsprecht, bestehen nicht. Auch der Beklagte zu 1) hielt es durchaus für möglich, der Patientin die radiologischen Befundergebnisse mitgegeben zu haben. Im Übrigen wurde das Schreiben nur kurze Zeit nach der zweiten Operation und weit vor der Erstellung des Gutachtens vom 19.11.2001 verfasst, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem der Frage, welche Informationen dem Beklagten zu 2) mitgeteilt worden waren, überhaupt noch keine Bedeutung zukam.

Beide Ärzte haben die notwendige histologische Abklärung grob fehlerhaft unterlassen. Der Sachverständige Dr. K. hat nachvollziehbar und in Übereinstimmung mit dem Gutachter des Schlichtungsverfahrens Prof Dr. G. bekundet, dass das Vorgehen beider Beklagter fehlerhaft war.

Ergab die von Dr. H. am 21.10.1998 durchgeführte Mammographie und Mammasonographie noch keinen Anhalt für einen malignen Prozess, so waren derartige Anzeichen jedoch aufgrund der am 01.03.1999 in der Praxis Dr. F. und F. durchgeführten Mammographie und Mammasonographie eindeutig gegeben. Insbesondere wurde in diesem Befund der Prozess als „unscharf begrenzt und vom übrigen Drüsenkörper kaum abgrenzbar“ beschrieben. Im Ergebnis der insgesamt als diffus zu erachtenden Befundung wurde schließlich eine histologische Klärung als möglich bezeichnet.

Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. sind die gewichtigsten sonographischen Kriterien, die für die Bösartigkeit eines Tumors sprechen, der breite und gezackte Randsaum, die Veränderung der Umgebung (durchbrochene Faszien und Cooper-Ligamente), die fehlende Komprimierbarkeit und die senkrechte Tumorachse. Allein die Tumorachse, d.h. die Ausrichtung des längsten Durchmessers des Herdbefundes in Bezug auf die Brustwand, erlaubt – entgegen der vom Beklagten zu 2) geäußerten Auffassung – keine Unterscheidung zwischen gut- und bösartig.

Vorliegend sprachen bereits die erkennbare unscharfe und unregelmäßige Begrenzung sowie die fehlenden Randschatten für eine Bösartigkeit des Tumors. Lag damit ein suspekter Herdbefund vor, war eine weitere Abklärung unbedingt erforderlich.

Damit bestand für den Beklagten zu 1) schon vor der Hinzuziehung des Beklagten zu 2) weiterer Handlungsbedarf. Dennoch ist das weitere Vorgehen des Beklagten zu 1), den Beklagten zu 2) konsiliarisch hinzuzuziehen – unter dem Blickwinkel der Notwendigkeit eines indikationsgerechten Vorgehens bei der noch sehr jungen Patientin – zunächst nicht zu beanstanden. Er hätte sich jedoch nicht mit dessen fehlerhaften Diagnose zufrieden geben dürfen, zumal diese offensichtlich nicht auf das für einen gutartigen Tumor untypische Wachstumsverhalten einging. Wegen der ihm weiterhin obliegenden Behandlungsverantwortung hätte er vielmehr auf eine histologische Abklärung drängen müssen, was aber nicht geschehen ist.

Eine vollständige Behandlungsübernahme durch den Beklagten zu 2) ist nämlich nicht erfolgt. Dem Tätigwerden des Beklagten zu 2) lag zwar der kassenärztliche Überweisungsschein des Beklagten zu 1) zugrunde, der die Fragestellung „Mammatumor ?“ enthielt. Der Überweisungsschein an den Beklagten zu 2) war damit aber auf die Abklärung dieses Befundes gerichtet, enthielt mithin (nur) einen Untersuchungsauftrag, der die Behandlung von Frau B. durch den Beklagten zu 1) nicht abbrach.

Mit der Inanspruchnahme des Arztes, an den der Patient überwiesen worden ist, kam nach damaligem maßgeblichen Meinungsstand ein neuer Behandlungsvertrag zwischen diesem und dem Patienten zustande. Dies galt entgegen der vom Beklagten zu 1) geäußerten Auffassung jedoch nicht nur im Falle der vollständigen Übernahme der Behandlung des Patienten durch den hinzugezogenen Arzt, sondern auch dann, wenn der Arzt – wie hier – „Zwischenleistungen“ erbracht hat und der Patient im Übrigen in der Behandlung des überweisenden Arztes verblieb. Erbrachte der hinzugezogene Arzt aufgrund des Behandlungsvertrages seine Leistungen unmittelbar gegenüber dem Patienten, konnte er sie infolgedessen auch selbst liquidieren (vgl. Urteil des BGH vom 29.06.1999, BGHZ 142, 126-137).

Für den Beklagten zu 1) als weiterbehandelndem Arzt gilt demnach zunächst Folgendes:

Zieht der behandelnde Arzt den weiteren Arzt konsiliarisch hinzu, verbleibt nicht nur die Pflicht zur Behandlung des Patienten und damit auch zur Koordination der ärztlichen Zusammenarbeit beim überweisenden Arzt. Er muss den Konsiliararzt rechtzeitig einschalten und ausreichend unterrichten, insbesondere ihm bekannte fremdanamnestische Befunde übermitteln, damit dieser sie in seine Beurteilung einbeziehen kann (OLG Celle, VersR 1997, 365-366; Geiß/Greiner, Arzthaftungsrecht, 5. Auflage, Rn. 121).

Dass der Beklagte zu 1) der Verpflichtung zur Information des hinzugezogenen Beklagten zu 2) über die Vorbefunde und das Größenwachstum nachgekommen ist, steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der durchgeführten Anhörung beider Beklagter und nach umfassender Würdigung des gesamten Akteninhalts fest (s.o.).

Auch unter Zugrundelegung der erbetenen konsiliarischen Mitbeurteilung war der Beklagte zu 1) selbst gehalten, den vom Beklagten zu 2) allein aufgrund der Mammasonographie erhobenen Befund „offensichtlich Fibroadenome“ einer Überprüfung zu unterziehen und auf ein weiterführendes diagnostisches Konzept in Form einer histologischen Untersuchung hinzuwirken. Der Beklagte zu 1) kann sich insofern nicht damit entlasten, der Beklagte zu 2) habe über eine weitreichendere Erfahrung und Spezialkenntnisse verfügt.

Nach ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass bei der konsiliarischen Hinzuziehung – wie stets für die Zusammenarbeit von Ärzten – der Vertrauensgrundsatz gilt. Der hinzugezogene Arzt kann sich im Regelfall darauf verlassen, dass der überweisende Arzt, jedenfalls wenn er – wie hier – derselben Fachrichtung angehört, den Patienten in seinem Verantwortungsbereich sorgfältig untersucht und behandelt hat und dass die Indikation zu der erbetenen Leistung zutreffend gestellt ist. Der überweisende Arzt darf seinerseits darauf vertrauen, dass die von dem Konsiliararzt erhobenen Befunde richtig sind (vgl. Geiß/Greiner Rn.122 und 128 m. w. N.).

Oberstes Gebot und Richtschnur indes bleibt das Wohl des Patienten. So ist in Fällen der horizontalen Arbeitsteilung, also dem Zusammenwirken mehrerer Ärzte verschiedener Fachrichtungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die beteiligten Ärzte den spezifischen Gefahren der Arbeitsteilung entgegenwirken müssen und es deshalb bei der Beteiligung mehrerer Ärzte einer Koordination der beabsichtigten Maßnahmen bedarf.

Damit wird schon nach allgemeinen Grundsätzen eine Pflicht der beteiligten Ärzte bejaht, durch hinreichende gegenseitige Information und Abstimmung vermeidbare Risiken für den Patienten auszuschließen (BGHZ 140, 309-319).

Dementsprechend ist es, wie auch der Sachverständige Dr. K. angab, in der Praxis üblich, dass bei einer derart jungen Patientin wie hier und einem solch hohen Risiko eine Abstimmung unter den Ärzten stattfindet.

Hieraus folgt, dass der weiterbehandelnde Arzt die Befunde des hinzugezogenen Arztes einer Plausibilitätskontrolle unterziehen muss. Erkannten Fehlern oder tatsächlichen/wertenden Unzulänglichkeiten der Befunde des hinzugezogenen Arztes muss er nachgehen. Gleiches gilt für sich gleichsam aufdrängende, leicht erkennbare Unzulänglichkeiten. Die Empfehlung des hinzugezogenen Arztes ist daher eigenverantwortlich vom behandelnden Arzt zu überprüfen. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der hinzugezogene Facharzt Kenntnisse anwendet, welche der behandelnde Arzt nicht hat und haben muss. Die Arbeitsteilung darf im Ergebnis jedenfalls nicht dazu führen, dass eine Behandlerseite „blind“ wird und sich keine Gedanken mehr über eine weiterführende Diagnostik macht (OLG Köln NJW-RR 2003, 1031-1032; Geiß/Greiner Rn. 116, 122 m. w. N.).

Die vorzunehmende Plausibilitätskontrolle drängte sich hier angesichts des diffusen Vorbefundes vom 01.03.1999, der auf der Grundlage einer wesentlich breiteren Untersuchungsbasis (Mamma- /Lebersonographie und Mammographie) erhoben worden war, geradezu auf. Schon nach damaligem ärztlichen Standard handelte es sich zudem bei der Mammasonographie von vornherein nicht um eine hinreichend aussagekräftige Diagnosemaßnahme. Um einen im Raum stehenden Krebsverdacht abklären zu können, konnte die Sonographie die zwingend gebotene histologische Untersuchung keinesfalls entbehrlich machen. Der Sachverständige Dr. K. hat dementsprechend ausgeführt, dass angesichts des diffusen Vorbefundes vom 01.03.1999 die Mammasonographie zwar nicht per se fehlerhaft gewesen wäre, sofern sie als Zusatzdiagnostik erfolgt wäre. Allerdings kam es hier maßgebend auf die Vornahme einer Biopsie mit einer anschließenden histologischen Gewebeuntersuchung an, weil nur dadurch eine gesicherte Diagnose möglich war. Alleine durch die Histologie konnte der Verdacht auf einen Tumor ausgeschlossen oder bestätigt werden.

Dem Beklagten zu 1) als niedergelassenem Frauenarzt, der zudem selbst Brustkrebsoperationen durchgeführt hat, waren diese zur Verfügung stehenden und gebotenen Diagnosemethode bekannt. Ihm hätten sich demnach Zweifel aufdrängen müssen, dass allein aufgrund der Sonographie eine derart eindeutige Diagnose „offensichtlich Fibroadenome“, die damit jeglichen Verdacht auf eine Bösartigkeit ausgeschlossen hat, mit hinreichender Sicherheit nicht möglich war. Demnach war er auch verpflichtet, auf weitere diagnostische Maßnahmen in Form einer Biopsie hinzuwirken.

Ebenso kann sich der Beklagte zu 2) nicht darauf berufen, er habe als Konsiliararzt über die Mammasonographie hinaus kein weiteres Tätigwerden geschuldet.

Die Bindung des hinzugezogenen Arztes an den Überweisungsauftrag bedeutet nicht, dass dessen Tätigkeit lediglich auf die technische Ausführung des Auftrages begrenzt, die Funktion des hinzugezogenen Arztes also lediglich in der eines Werkzeuges ohne eigene Verantwortung zu sehen ist. Der hinzugezogene Arzt übernimmt vielmehr im Rahmen des Überweisungsauftrages in gewissem Umfang eigenständige Pflichten. Er bestimmt in eigener Verantwortung nicht nur die Art und Weise der Leistungserbringung, sondern er muss auch prüfen, ob die von ihm erbetene Leistung den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht und nicht etwa kontraindiziert ist. Ebenso muss er prüfen, ob der Auftrag von dem überweisenden Arzt richtig gestellt ist und dem Krankheitsbild entspricht. Keinesfalls darf ein Arzt, der an der Richtigkeit einer ihm übermittelten Diagnose oder Indikationsstellung Zweifel hat oder haben muss, diese auf sich beruhen lassen (BGH NJW 1994, 797-799; OLG Celle NJW-RR 2002, 314 -315; OLG Köln NJW-RR 2003, 1031-1032).

Unter Zugrundelegung der Kenntnis des Beklagten zu 2) vom Größenwachstum war er damit auch im Rahmen der „nur“ konsiliarischen Hinzuziehung verpflichtet, auf eine weiterführende Diagnostik in Form der Biopsie hinzuwirken. Selbst wenn ihm mit dem Überweisungsauftrag nur die Anfertigung einer Mammasonographie übertragen worden ist, wäre es seine Pflicht gewesen, den Beklagten zu 1) auf die Notwendigkeit der histologischen Abklärung hinzuweisen oder aber für die Durchführung der Biopsie die Einwilligung des Beklagten zu 1) als primär behandelndem Arzt einzuholen.

Es kann den Beklagten zu 2) als hinzugezogenen Arzt auch nicht entschuldigen, dass er für zusätzliche, von dem Auftrag nicht gedeckte Leistungen für eine Kassenpatientin keine Gebühren erhalten hätte und aus diesem Grunde von der für angezeigt gehaltenen Biopsie absehen durfte. Denn die ärztlichen Pflichten hängen nicht von den jeweiligen Gebührenregelungen ab, sondern ergeben sich aus dem ärztlichen Selbstverständnis und den Schutzinteressen des Patienten (vgl. BGH NJW 1994, 797-799).

Haben die Beklagten jeweils pflichtwidrig gehandelt, indem sie die gebotene histologische Abklärung unterließen, war der Behandlungsfehler der Beklagten auch kausal für die gesundheitliche Schädigung von Frau B..

Ausgehend von dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K. und den gutachterlichen Feststellungen im Schlichtungsverfahren steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der jeweilige Behandlungsfehler als „grob“ zu bewerten ist, was zu einer Umkehr der Beweislast in der Kausalitätsfrage zugunsten des Klägers führt.

Unter einem groben Behandlungsfehler ist ein eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse zu verstehen, also ein Fehler, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH NJW 2001, 2792-2793; NJW 1998, 814-815). An Wissen und Fähigkeiten darf dabei nur dass verlangt werden, was Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft im Zeitpunkt der Behandlung ist (Geiß/Greiner aaO Rn. 2 und 9).

In Übereinstimmung mit den Gutachtern des Schlichtungsverfahrens hat der Sachverständige Dr. K. ausgeführt, dass ein grundsätzliches Prinzip besteht: Bei Wachstum eines Tumors ist die histologische Klärung immer zwingend indiziert. Seit 25-30 Jahren ist deshalb auch die sogenannte Triple-Diagnostik aus der Dreierkombination Palpation, Mammographie und Feinnadelbiopsie angewandt worden. Die Palpation, d.h. das Abtasten der Brüste besonders auch durch Eigenuntersuchung der Patientin, kann die meisten tumorösen Neubildungen der Brüste erfassen. Es gibt aber auch Geschwülste, die nicht palpabel sind. Daraus folgt, dass Mammatumore zwingend einer weiteren Diagnostik zugeführt werden müssen (so auch OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 1333-1336). Das sind die bildgebenden Verfahren Mammografie und Sonografie und die großzügige Untersuchung durch Zytologie und Histologie, d. h. durch Gewinnung von Zellen aus der Geschwulst durch eine Feinnadelpunktion oder von Zellkomplexen durch eine Stanzbiopsie. Die dritte und aufwändigste Methode ist schließlich die operative Entfernung des Tumors.

Ist allein das hier angewandte bildgebende Verfahren der Sonographie hinsichtlich Sensitivität und Spezifität nicht hoch genug, um die Dignität des Tumors sicher festzulegen, erscheint das Unterlassen der zwingend gebotenen histologischen Abklärung seitens beider Beklagter um so mehr als objektiv unverständlich und damit grob fehlerhaft, als eine zuvor durchgeführte zusätzliche Mammographie schon nicht zu einem eindeutigen Befund zu führen vermochte.

Dieser grobe Behandlungsfehler führt hier zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Befunderhebung und dem Gesundheitsschaden.

Eine Umkehr der Beweislast ist schon dann anzunehmen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen. Nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden dagegen nicht (BGH NJW 2005, 427-429 m.w.N.).

Hier war die unterlassene histologische Abklärung geeignet, den Schaden, nämlich die Metastasierung der Leber herbeizuführen. Der Sachverständige Dr. K. hat überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass es zwar durchaus im Bereich des Möglichen sei, dass bereits im März 1999 nicht klinisch erfassbare okkulte Fernmetastasen vorhanden waren. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt noch unauffälligen Oberbauchsonographie und dem Aspekt, dass zwischen dem Abwandern bösartiger Zellen und deren „Anwachsen“ längere Zeit vergeht, deren zerstörende Wirkung mithin erst später eintritt, ist angesichts der um 20 Monate verzögerten Diagnosestellung jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass eine Metastasierung noch nicht eingetreten war und damit eine Verschlechterung der Heilungschancen herbeigeführt worden ist.

Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlerseite ist nur ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist. Diese Ausnahme gänzlicher Unwahrscheinlichkeit hat indessen die Behandlungsseite in den sachverhaltlichen Voraussetzungen zu beweisen (BGH NJW 2005, 427-429).

Eine solche Ausnahme haben die Beklagten nicht substantiiert dargetan. Allein die Behauptung, dass die Metastasierung bereits im März 1999 weit fortgeschritten gewesen sei und damit ein unheilbarer Zustand vorgelegen habe, ist nicht ausreichend.

Eine Haftung der Beklagten entfällt auch nicht nach den Grundsätzen zum hypothetischen Kausalverlauf. Danach muss der Arzt beweisen, dass der Patient den gleichen Schaden auch bei einem rechtmäßigen und fehlerfreien Handeln erlitten hätte (BGH NJW 2005, 2072-2073).

Im vorliegenden Fall wäre zwar die Art der Operation und die Entfernung der axillären Lymphknoten auch bei rechtzeitiger Diagnosestellung im März 1999 erfolgt. Jedoch hat der Zeitablauf von 20 Monaten nach den Angaben des Sachverständigen zu einer Verschlechterung der Prognose geführt, so dass davon auszugehen ist, dass bei rechtzeitiger Diagnosestellung noch keine Lebermetastasierung eingetreten wäre, mithin der Tod von Frau B. hätte vermieden werden können.

Nach alledem ist die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt.

Der erstinstanzlich zugesprochene Verdienstausfallschaden in Höhe von 6.861,16 EUR ist hinreichend belegt, nicht weiter bestritten worden und daher unverändert zuzusprechen.

Das vom Landgericht festgesetzte Schmerzengeld in Höhe von 200.000,- EUR erachtet der Senat demgegenüber nicht für angemessen. Die Beklagten haben dem Kläger gemäß den §§ 847, 823, 1922 BGB vielmehr ein Schmerzensgeld von noch 90.000,- EUR zu zahlen.

Der Senat hat im Rahmen des zu bemessenden Schmerzensgeldes folgende Umstände für wesentlich erachtet:

Frau B. musste sich mehreren stationären Chemotherapien mit erheblichen Nebenwirkungen – u. a. Infektionen im Mundbereich, Haarausfall – unterziehen. Diese Behandlungen waren zudem mit großen Schmerzen verbunden. Besonders belastend war ihre psychische Situation. Frau B. war – wie sich aus ihrem Schreiben an die Schlichtungsstelle vom 12.02.2001 ergibt – vollständig über die vorliegenden Befunde informiert. Sie wusste also, dass sie tödlich erkrankt war. Mit diesem Wissen, dass zunehmend zur Gewissheit über den baldigen Tod wurde, musste sich die 31jährige Mutter von ihrem 9jährigen Sohn verabschieden.

Dem Erstgericht ist zwar zuzugeben, dass Leid und Schmerz von Frau B. materiell durch keine Summe zu entschädigen sind. Die gemäß § 847 BGB a. F. zuzusprechende billige Entschädigung in Geld muss gleichwohl der Höhe nach die schwere physische und psychische Beeinträchtigung angemessen widerspiegeln. Der Senat hält daher ein Schmerzensgeld von 100.000,- EUR, auf das die bereits gezahlten 10.000,- EUR anzurechnen sind, für gerechtfertigt.

Ingesamt waren die Beklagten damit zu einer Zahlung von 96.861,16 EUR zu verurteilen.

Dem Kläger steht darüber hinaus ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen aus 96.861,16 EUR ab dem 21.05.2005 gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB (§ 288 BGB in der bis zum 30.04.2000 geltenden Fassung, Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB) zu.

III.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben im Hinblick auf den unbezifferten Klageantrag die Beklagten gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu tragen. Da der Kläger den erstinstanzlich zugesprochenen Betrag verteidigt und eine Zurückweisung der Berufung beantragt hat, waren die Kosten des Berufungsverfahrens entsprechend dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen zu teilen, § 92 Abs. 1 S. 1 BGB.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe hierfür – nach nochmaliger Beratung des Senats – nicht ersichtlich sind (§ 543 Abs. 2 ZPO). Der Senat hat zwar im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung angedeutet, über die Revisionszulassung hinsichtlich der Frage der Verantwortung beider Beklagten als beauftragender und hinzugezogener Arzt nachzudenken, sieht sich jedoch auf Grund nochmaliger Beratung nicht veranlasst, das Rechtsmittel der Revision zuzulassen. Die Verantwortung beider Ärzte für die (grob) fehlerhaft unterlassene Befunderhebung (histologische Abklärung des Tumorgewebes) ist auf Grund der vorstehend mitgeteilten Entscheidungsgründe nach Auffassung des Senats zwingend; sie stehen nicht in Widerspruch zu anderen Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des 6. Zivilsenats des BGH. Auch für eine Rechtsfortbildung besteht kein Anlass, ist doch die konsiliarische Hinzuziehung eines weiteren Arztes schon lange Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung, gerade in Bezug auf die gegenseitige Information und Abstimmung zum Schutze des Patienten (s.o.).

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