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Urlaubsanspruch – Streit um Umfang des Urlaubsanspruchs

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Az: 6 Sa 1629/11

Urteil vom 30.09.2011


1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. Juli 2011 – 53 Ca 5960/11 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2.Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin steht seit dem 1. August 1993 in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten.

Dieser kündigte ihr mit Schreiben vom 29. Oktober 2010 zum 30. April 2011 und sodann mit Schreiben vom 12. November 2010 fristlos und hilfsweise zum 31. Mai 2011. Durch inzwischen rechtskräftiges Urteil vom 10. Februar 2011 stellte das Arbeitsgerichts Berlin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses fest und verurteilte den Beklagten zugleich zur Weiterbeschäftigung der Klägerin.

Nach Ende einer Krankschreibung der Klägerin für die Zeit vom 20. Oktober 2010 bis 18. März 2011 wandte sich der Beklagte an sie mit Schreiben vom 18. März 2011 (Abl. Bl. 58 d.A.), worin es heißt:

„§ 10 Nr. 3.3. RTV Angestellte regelt für den Fall der Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr, dass der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Urlaubsjahres gewährt und genommen werden muss.

In Anwendung dieser tarifvertraglichen Regelung sind wir bereit bzw. Sie verpflichtet, den Resturlaub von 22 Tagen im Zeitraum vom 21.03.2011 bis einschließlich 19.04.2011 zu gewähren bzw. anzutreten.“

Dies lehnte die Klägerin mit Schreiben ihrer späteren Prozessbevollmächtigten vom 21. März 2011 ab und forderte den Beklagten auf, es ihr zu ermöglichen, den restlichen Jahresurlaub aus 2010 noch bis zum Ende des Jahres anzutreten. Ein bereits unter dem 18. März 2011 beim Arbeitsgericht Berlin gestellter Antrag auf Erlass einer gegen ihre Beurlaubung gerichteten einstweiligen Verfügung wurde ohne mündliche Verhandlung am 25. Mär 2011 zurückgewiesen.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Feststellung, dass ihr für 2010 noch 22 Tage Erholungsurlaub zustünden.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe die zeitliche Lage des Urlaubs bestimmen dürfen, weil die Klägerin keine eigenen Vorstellungen dazu geäußert habe. Anhaltspunkte für eine Maßregelung der Klägerin seien nicht erkennbar.

Gegen dieses ihr am 13. Juli 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. August 2011 eingelegte und am 10. August 2011 begründete Berufung der Klägerin. Sie meint, dem Schreiben des Beklagten vom 18. März 2011 sei bereits keine Urlaubsgewährung zu entnehmen. Vielmehr sei ihr bloß eine tarifvertragliche Pflicht suggeriert worden, ihren Resturlaub im genannten Zeitraum anzutreten. Eine solche Pflicht habe jedoch nicht bestanden. Dementsprechend habe sie bereits erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass bei einer Reihe ihrer Kollegen noch Urlaubstage aus dem Vorjahr „offen“ seien. Bis zum 18. März 2010 sei sie aufgrund ihrer Krankheit gehindert gewesen, einen Urlaubswunsch an den Beklagten zu richten. Außerdem habe sie sich in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befunden; die Berufungsfrist gegen das arbeitsgerichtliche Urteil vom 10. Februar 2011 sei erst am 28. März 2011 abgelaufen. Schließlich habe sie mit Schriftsatz vom 30. Mai 2011 konkrete Urlaubswünsche geäußert. Für eine Maßregelung spreche das schriftsätzliche Vorbringen des Beklagten zur angeblichen Notwendigkeit ihrer Integration nach fünfmonatiger Abwesenheit, obwohl sie bereits seit 1999 als Betriebsprüferin tätig gewesen sei. Auch sei ihr mit E-Mail vom 20. April 2011 (Abl. Bl. 156 d.A.) untersagt worden, sich bei Fragen der fachlichen Einarbeitung an ihre Kollegen zu wenden.

Die Klägerin beantragt, unter Änderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass ihr aus 2010 noch Anspruch auf 22 Tage Urlaub zustehe.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt den Angriffen der Berufung im Einzelnen entgegen und weist darauf hin, vom Bemühen der Klägerin um eine Unterlassungsverfügung erst jetzt erfahren zu haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die Berufung ist unbegründet.

1.1 Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ein rechtliches Interesse an alsbaldiger richterlicher Feststellung des Bestehens eines Anspruchs auf restliche 22 Urlaubstage aus 2010 als Teil ihres Arbeitsverhältnisses zum Beklagten. Auf eine Leistungsklage brauchte sich die Klägerin nicht verweisen zu lassen. Eine Klage auf Gewährung von Urlaub während eines bestimmten Zeitraums wäre auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet, die gemäß § 894 ZPO erst mit Rechtskraft des Urteils als abgegeben gölte, was bei längerer Dauer des Rechtsstreits zu wiederholter Anpassung des Antrags zwänge und deshalb nicht prozessökonomisch wäre (BAG, Urteil vom 12.04.2011 – 9 AZR 80/10 – NZA 2011, 1050 R 12 ff.; anders früher Urteil vom 17.11.1983 – 6 AZR 419/80 – […])

1.2 Ein solcher Anspruch besteht indessen nicht mehr. Er ist durch Erfüllung in der Zeit vom 21. März bis 19. April 2011 gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen.

1.2.1 Das Schreiben des Beklagten vom 18. März 2011 war gemäß § 133 BGB vom verständigen Empfängerhorizont aus als zeitliche Festlegung der 22 Tage Resturlaub der Klägerin aus 2010 zu verstehen. Der Hinweis, in Anwendung der tarifvertraglichen Regelung über eine zeitlich begrenzte Urlaubsübertragung hierzu bereit zu sein und die Klägerin für verpflichtet zu halten, machte dies auch angesichts des unmittelbar bevorstehenden Beginns des Urlaubszeitraums nicht zu einer bloßen Wissenserklärung. Dass die Klägerin dies seinerzeit auch so verstanden hat, zeigte ihr Versuch, sich dagegen mittels einstweiliger Verfügung zu wehren, und das Widerspruchsschreiben ihrer späteren Prozessbevollmächtigten vom 21. März 2011. Das wirklich Gewollte ist bei entsprechendem Verständnis des Erklärungsempfängers auch bei einseitigen Rechtsgeschäften maßgebend (BAG, Urteil vom 28.08.2003 – 2 AZR 377/02 – BAGE 107, 221 = AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 134 zu B I 4 b bb der Gründe).

1.2.2 Der Umstand, dass zur Zeit der Urlaubsgewährung der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Klägerin noch im Streit war, stand dieser nicht entgegen. Da der Bestand des Arbeitsverhältnisses durch eine unwirksame Kündigung rechtlich nicht berührt wird, kann der Arbeitgeber den Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass sich seine Kündigung als unwirksam erweisen sollte (BAG, Urteil vom 14.08.2007 – 9 AZR 934/06 – AP BUrlG § 7 Nr. 38 zu I 1 c der Gründe).

1.2.3 Dass nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG Wünsche des Arbeitnehmers bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs zu berücksichtigen sind, bedeutet nicht, dass ein solcher Wunsch Voraussetzung für eine Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber ist (BAG, Urteil vom 24.03.2009 – 9 AZR 983/07 – BAGE 130, 117 = AP BUrlG § 7 Nr. 39 R 23).

1.2.4 Soweit die Wirksamkeit einer spontanen Urlaubsgewährung durch einen daraufhin vom Arbeitnehmer geäußerten Urlaubswunsch berührt werden kann (dazu BAG, Urteil vom 23.01.2001 – 9 AZR 26/00 – BAGE 97, 18 = AP BGB § 615 Nr. 93 zu 2 a der Gründe), setzt dies voraus, dass der Urlaubsanspruch noch besteht und nicht bereits durch Erfüllung erloschen ist, wie dies jedoch hier der Fall war. Während der Widerspruch gegen die Urlaubgewährung im Schreiben vom 21. März 2011 noch keinen Urlaubswunsch darstellte, der nämlich eine zeitliche Konkretisierung erfordert (dazu BAG, Urteil vom 22.09.1992 – 9 AZR 483/91 – AP BUrlG § 7 Nr. 13 zu 2 b der Gründe), kam der Urlaubswunsch der Klägerin im Schriftsatz vom 30. Mai 2011 zu spät.

1.2.5 Die Urlaubsgewährung des Beklagten war schließlich auch nicht wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB gemäß § 134 BGB unwirksam. Sie stellte keine Reaktion auf die Ausübung von Rechten durch die Klägerin dar, sondern erfolgte in Konsequenz des verlorenen Kündigungsschutzprozesses zur Erfüllung einer tarifvertraglichen Regelung, wie dem Schreiben des Beklagten vom 18. März 2011 zu entnehmen ist. Dass dabei auch ein eigenes Interesse bestanden hat, die Einarbeitung der Klägerin nach längerer krankheitsbedingter Abwesenheit nicht durch eine spätere Urlaubsgewährung zu beeinträchtigen, ist als Motiv schon nicht zu beanstanden, mag auch die Klägerin aufgrund ihrer jahrelangen Tätigkeit grundsätzlich mit den Gegebenheiten ihres Arbeitsbereichs vertraut gewesen sein. Zudem war dieses Motiv der Beklagten nicht einmal tragend (zu diesem Erfordernis BAG, Urteil vom 25. Mai 2004 – 3 AZR 15/03 – AP BetrAVG § 1b Nr. 5 zu III 2 der Gründe). Aus der Weisung in der E-Mail vom 20. April 2011, sich bei Fragen der fachlichen Einarbeitung nicht an ihre Kollegen zu wenden, war keine zwingende Schlussfolgerung auf ein Motiv des Beklagten zu ziehen, die Klägerin durch Gewährung ihres ohnehin teilweise von Verfall bedrohten Resturlaubs aus dem Vorjahr (dazu BAG, Urteil vom 09.08.2011 – 9 AZR 425/10 – Pressemitteilung Nr. 64/11) zu einer von ihr nicht gewünschten Zeit im Sinne einer Maßregelung zu benachteiligen.

2. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

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