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Vertrauensschutz beim Überholen und beim Abbiegen bei unklarer Verkehrslage

BGH, Az: VI ZR 151/94, Urteil vom 26.09.1995

I. Auf die Revision der Beklagten wird das Grund- und Teilurteil des 15. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 31. März 1994 aufgehoben, soweit das Berufungsgericht

1.a) die Beklagten zur Zahlung materiellen Schadensersatzes von mehr als 12.866,06 DM nebst Zinsen hieraus verurteilt und

b) dem Kläger der Höhe nach ein Schmerzensgeld von 50.000,– DM nebst Zinsen zuerkannt hat,

2) die Klage hinsichtlich des Verdienstausfallschadens dem Grunde nach zu mehr als 20% für gerechtfertigt erklärt und

3. festgestellt hat, daß die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 14. November 1987

a) alle künftigen immateriellen Schäden unter Berücksichtigung einer Mitverantwortung des Klägers von lediglich 20% und

b) alle zukünftig entstehenden materiellen Schäden zu mehr als 50% zu ersetzen,

4. die erstinstanzliche Abweisung der Widerklage des Beklagten zu 2) in Höhe von mehr als 2.812,75 DM bestätigt hat.

II. Die weitergehende Revision wird, soweit sie sich gegen die bereits vom Landgericht zuerkannten Ansprüche (12.866,06 DM und 50% des künftigen materiellen Schadens) richtet, als unzulässig verworfen und im übrigen zurückgewiesen.

III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

highway-239584_640Am 14. November 1987 fuhr der bei der Widerbeklagten zu 2) versicherte Kläger mit seinem PKW auf der L 3071, um nach rechts in die bevorrechtigte L 3073 in Richtung B 3 einzubiegen. Zur gleichen Zeit näherte sich auf der L 3073 – aus der Sicht des Klägers von rechts – der Beklagte zu 2) mit seinem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten PKW dem Einmündungsbereich der L 3071. Die L 3073 beschreibt – aus der Fahrtrichtung des Klägers gesehen – von der Einmündung aus nach rechts eine langgestreckte Linkskurve. Der Zweitbeklagte hatte auf einen mit 70 bis 80 km/h vor ihm fahrenden Linienbus aufgeschlossen und wollte diesen überholen. Noch vor der Einmündung der L 3071 scherte er nach links zum Überholen des Busses aus. Etwa zur gleichen Zeit begann auch der Kläger, für den sich von links auf der L 3073 kein bevorrechtigter Verkehr näherte, nach rechts in die Vorfahrtsstraße einzubiegen. Nach wenigen Metern kam es noch im Bereich der Einmündung zum Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 2), der vorher noch eine Vollbremsung eingeleitet hatte. Durch den Zusammenstoß wurde der PKW des Klägers in die angrenzende Wiese geschleudert. Beide Fahrzeuge erlitten Totalschaden. Der Kläger wurde durch den Unfall schwer, der Beklagte zu 2) leicht verletzt.

Mit der Klage verlangt der Kläger von den Beklagten den Ersatz seines materiellen Schadens in Höhe von 102.234,65 DM, nämlich 76.166,03 DM als Verdienstausfall für 1988 und weitere 26.068,62 DM, ein angemessenes Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz allen künftigen materiellen und immateriellen Schadens. Der Beklagte zu 2) verlangt widerklagend seinen Unfallschaden ersetzt, soweit er von der widerbeklagten Versicherung des Klägers noch nicht ersetzt worden ist.

Das Landgericht hat durch Teilurteil die Beklagten zur Zahlung von 12.866,06 DM verurteilt und festgestellt, daß diese dem Kläger zu 50% zum Ersatze der künftigen materiellen Schäden verpflichtet sind. Die Schmerzensgeld- sowie die Feststellungsklage bezüglich des immateriellen Schadens hat es abgewiesen, da nicht bewiesen sei, daß der Beklagte zu 2) den Unfall schuldhaft verursacht habe. Die Widerklage hat es ebenfalls abgewiesen. Die Entscheidung über den geltend gemachten Verdienstausfallschaden hat es dem Schlußurteil vorbehalten.

Auf die Berufung des Klägers, der mit dem Rechtsmittel auch den vom Landgericht nicht beschiedenen Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfallschadens für 1988 geltend gemacht hat, hat das Oberlandesgericht die Beklagten zur Zahlung von 20.747,70 DM sowie eines Schmerzensgeldes von 50.000 DM verurteilt und die Klage auf Ersatz des Verdienstausfallschadens zu 80% dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Es hat ferner die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, dem Kläger den künftigen materiellen Schaden zu 80% und den künftigen immateriellen Schaden bei Zugrundelegung einer Mitverantwortung des Klägers von 20% zu ersetzen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung des Beklagten zu 2) gegen die Abweisung der Widerklage zurückgewiesen.

Mit der Revision erstreben die Beklagten hinsichtlich des Schmerzensgeldes die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils und im übrigen die Abweisung der Klage, soweit dem Kläger Ansprüche auf der Grundlage einer 20% übersteigenden Mitverursachung durch den Beklagten zu 2) zuerkannt worden sind.

Entscheidungsgründe

I.

Das Rechtsmittel ist unzulässig, soweit es sich gegen die bereits vom Landgericht zuerkannten 12.866,06 DM sowie die Feststellung der Pflicht zum Ersatz von 50% des künftigen materiellen Schadens richtet.

Die Beklagten haben diese Verurteilung nicht mit einer Berufung angegriffen und sie damit hingenommen. Sie können sie daher in der Revisionsinstanz nicht mehr zur Überprüfung stellen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1994, VIII ZR 150/93 – NJW-RR 1995, 240). Die Revision der Beklagten ist daher insoweit als unzulässig zu verwerfen.

II.

In der Sache selbst ist das Berufungsgericht der Auffassung, daß der Beklagte zu 2) den Unfall schuldhaft verursacht habe. Er habe den Bus, der ihm die Sicht auf den Straßenabschnitt bis zur Einmündung der L 3071 aufgrund der langgestreckten Rechtskurve versperrt habe, wegen der für ihn unklaren Verkehrslage nicht überholen dürfen. Er habe sich nicht darauf verlassen dürfen, daß der Kläger, dessen PKW er nach eigenem Eingeständnis bei seiner Annäherung an den Bus einen Augenblick lang gesehen habe, den auf der anderen Straßenseite fahrenden Bus vorbeilassen und erst dann in die Vorfahrtstraße einfahren werde.

Demgegenüber könne dem Kläger – so meint das Berufungsgericht – eine Vorfahrtverletzung nicht vorgeworfen werden. Er sei nicht gehindert gewesen, nach rechts in die für ihn freie Fahrbahn der L 3073 einzubiegen, da keine Anzeichen dafür gesprochen hätten, daß eines der sich dort von rechts nähernden Fahrzeuge die Fahrbahn wechseln werde. Zum Zeitpunkt des Abbiegens habe sich der Beklagte zu 2) nicht auf der Überholspur genähert, sondern etwa zur gleichen Zeit selbst erst zum Überholen angesetzt, ohne ausreichende Sicht auf die Überholstrecke zu haben. Mit einem derartigen – verkehrswidrigen – Verhalten habe der Kläger nicht zu rechnen brauchen. Eine Verpflichtung, von dem Abbiegen zunächst Abstand zu nehmen, weil ein hinter dem Bus fahrendes, nicht sichtbares Fahrzeug trotz fehlender Sicht möglicherweise zum Überholen ansetzen werde, könne nicht angenommen werden.

Indessen habe der Kläger den Unabwendbarkeitsbeweis nach § 7 Abs. 2 StVG nicht geführt, da ein besonders sorgfältiger Fahrer vor dem Abbiegen bedacht hätte, daß sich hinter dem Bus möglicherweise weitere Fahrzeuge befänden und diesen überholen wollten. Der Mitverursachungsanteil des Klägers sei im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG mit 20% zu bewerten.

III.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht in allem stand.

Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend ein Verschulden des Zweitbeklagten am Zustandekommen des Unfalls bejaht, weil dieser den vor ihm fahrenden Bus, der ihm die volle Sicht auf die Überholstrecke, insbesondere den Einmündungsbereich der L 3071 nahm, nicht hätte überholen dürfen. Zu Unrecht hat es dagegen ein Verschulden des Klägers verneint, denn dieser durfte in die bevorrechtigte L 3073 nicht einbiegen, solange der von rechts herannahende Bus die Sicht auf hinter ihm fahrende Fahrzeuge, die zum Überholen auf der für sie linken Fahrspur ansetzen wollten, verdeckte.

1. a) Das Überholverbot ergab sich für den Zweitbeklagten freilich, wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, nicht schon aus § 5 Abs. 2 StVO. Hiernach darf nur überholen, wer übersehen kann, daß während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift bezweckt lediglich den Schutz des Gegenverkehrs (amtliche Begründung zu § 5 StVO, abgedruckt bei Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 33. Aufl., StVO § 5 Rdn. 3 und 4; Senatsurteil vom 11. Januar 1977 – VI ZR 268/74 – VersR 1977, 524, 525; BGH, Urteil vom 19. September 1974 – III ZR 73/72 – VersR 1975, 37, 39). Der Kläger gehörte hier aber noch nicht zum Gegenverkehr, denn bei Beginn des Überholvorganges hatte er gleichfalls erst mit dem Einbiegen in die L 3073 begonnen und sich zur Zeit des Unfalls noch nicht voll in die Längsrichtung der bevorrechtigten Straße eingeordnet (vgl. KG VRS 45, 466).

b) Unzulässig war das Überholen für den Zweitbeklagten aber deshalb, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, weil die Verkehrslage für ihn unklar war (§ 5 Abs. 3 StVO). Die Unklarheit ergab sich daraus, daß der Beklagte die Strecke von 450 m, die er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zum Überholen des Busses benötigte, nicht voll überblicken und daher nicht erkennen konnte, was sich in diesem Verkehrsraum ereignete. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß sich die Unklarheit der Verkehrslage auch aus einer sichtbehindernden Straßenführung (vgl. OLG Düsseldorf VRS 65, 64; VerkMitt 1966, 44; OLG Koblenz VRS 47, 31; BayObLG VRS 21, 378) sowie daraus ergeben kann, daß ein vorausfahrender LKW die Sicht auf den Verkehrsraum vor ihm verdeckt (OLG Braunschweig i.V.m. NA-Beschluß des Senats vom 4. Mai 1993 – VI ZR 203/92 – DAR 1993, 345, 346). Schon deshalb konnte sich der Zweitbeklagte hier entgegen der Auffassung der Revision nicht darauf verlassen, daß wartepflichtige Verkehrsteilnehmer, die aus einer untergeordneten Straße kommen, sein Vorfahrtrecht, das sich auf die ganze Breite der Straße erstreckte, beachten und während des Überholvorganges nicht in die L 3073 einbiegen.

2. Ebensowenig durfte unter den gegebenen Umständen aber auch der Kläger nach rechts in die bevorrechtigte L 3073 einbiegen. Der Wartepflichtige darf zwar – wie der Senat wiederholt entschieden hat (vgl. Urteil vom 25. Januar 1994 – VI ZR 285/92 – VersR 1994, 492 zu II 2a m.w.N.) – auch bei Zugrundelegung der Vorfahrtregeln des § 8 StVO in die bevorrechtigte Straße grundsätzlich ohne weiteres einbiegen, wenn zu diesem Zeitpunkt kein bevorrechtigtes Fahrzeug sichtbar ist. Ein solcher Fall lag hier aber wegen des herannahenden Busses und der durch ihn verdeckten Sicht auf den sich möglicherweise hinter ihm bewegenden Verkehr nicht vor. Bei dieser Sachlage war der Kläger vielmehr nach § 8 Abs. 2 StVO verpflichtet, mit dem Einfahren in die Vorfahrtstraße solange zu warten, bis er den Verkehrsraum in der L 3073 hinter dem herannahenden Bus ausreichend übersehen und sicher sein konnte, daß möglicherweise hinter dem Bus befindliche Fahrzeuge nicht zum Überholen ausscheren.

Das Berufungsgericht führt selbst aus, daß der Kläger den Unabwendbarkeitsbeweis nach § 7 Abs. 2 StVG nicht geführt habe, weil ein besonders sorgfältiger Kraftfahrer anstelle des Klägers eine solche Möglichkeit bedacht und mit dem Abbiegen erst begonnen hätte, wenn er sicher sein konnte, daß sich hinter dem Bus keine weiteren Fahrzeuge mit Überholabsicht befinden. Das ist richtig. Jedoch trifft auch den Wartepflichtigen, der in eine Vorfahrtstraße einbiegen will, im Rahmen des § 276 BGB, der den Verschuldensmaßstab bestimmt, ganz allgemein eine gesteigerte Sorgfaltspflicht (BayObLG VerkMitt 1975, 58; OLG Karlsruhe DAR 1977, 248; OLG Frankfurt NZV 1990, 472). Von ihm wird verlangt, daß er mit Mißtrauen an die Vorfahrtstraße heranfährt und im Zweifel wartet (BGHZ (VGS) 14, 232, 236 = BGHSt 7, 118, 122). Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht bringt es mit sich, daß er sich auf den Vertrauensgrundsatz nur in eingeschränkter Weise berufen kann (vgl. BGHSt 20, 238, 241; BGH, Urteil vom 17. November 1961 – 4 StR 427/61 – VRS 22, 134, 135; BayObLG VerkMitt 1975, 58; 1979, 10). Mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten – von groben Verkehrsverstößen abgesehen – muß er daher grundsätzlich rechnen. Insbesondere muß er damit rechnen, daß der Vorfahrtberechtigte verkehrswidrig seine linke Straßenseite benutzt und ihm daher von rechts auf der Gegenfahrbahn entgegenkommt (RGZ 167, 357, 360 f.; BGHSt 20, 238, 241; Senatsurteil vom 26. Oktober 1955 – VI ZR 67/54 – VRS 10, 19, 20; BGH, Urteil vom 17. November 1961 aaO).

Allerdings hat der Senat in seinem Urteil vom 15. Juni 1982 – VI ZR 119/81 – VersR 1982, 903 = NJW 1982, 2668 ausgeführt, daß ein Wartepflichtiger, der nach rechts in eine Vorfahrtstraße einbiegen will, grundsätzlich davon ausgehen darf, er werde keinen der vorfahrtberechtigten Fahrer in der Weiterfahrt behindern, wenn beim Beginn des Einbiegens sich nicht nur von links keine Fahrzeuge nähern, sondern auch die für ihn rechte Straßenseite frei ist und keine Anzeichen dafür sprechen, daß eines der sich auf der bevorrechtigten Straße von rechts nähernden Fahrzeuge die Fahrbahnseite wechseln werde. Als Anzeichen dieser Art hat der Senat z. B. das Anzeigen der Richtungsänderung, Einordnen zur Fahrbahnmitte, besonders geringe, zum Überholen herausfordernde Geschwindigkeit vorausfahrender Fahrzeuge und dergleichen angesehen. Auf diese Entscheidung beruft sich das Berufungsgericht. Es meint, im Streitfall hätten keine Anzeichen dafür bestanden, daß Fahrzeuge hinter dem Linienbus plötzlich zum Überholen ausscheren würden; für den Kläger habe keine Veranlassung bestanden, mit einem derartigen – verkehrswidrigen – Verhalten zu rechnen; eine Pflicht des Klägers, von einem Abbiegen nach rechts bei freier rechter Fahrspur allein deshalb abzusehen, weil ein hinter dem Linienbus nicht sichtbares Fahrzeug möglicherweise trotz fehlender Sicht zum Überholen ansetzen würde, könne nicht angenommen werden.

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Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Ausführungen in dem vorgenannten Senatsurteil vom 15. Juni 1982 beziehen sich auf Fälle, in denen der Wartepflichtige die auf der Vorfahrtstraße von rechts herannahenden Fahrzeuge sehen kann. In solchen Fällen muß sich der Wartepflichtige mangels anderweitiger Anzeichen in der Tat darauf verlassen können, daß aus einer von rechts sich nähernden Fahrzeugkolonne nicht ein Fahrzeug plötzlich zum Überholen ausschert. Anders verhält es sich aber, wenn der Wartepflichtige wegen der Straßenführung die auf der Vorfahrtstraße herannahenden, von einem vorausfahrenden Fahrzeug verdeckten Verkehrsteilnehmer nicht sehen kann. Davon ist im Streitfall auszugehen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß das Fahrzeug des Zweitbeklagten für den Kläger gerade nicht sichtbar war.

In einem solchen Fall ist für einen Vertrauensschutz des Wartepflichtigen kein Raum. Kann dieser einen verdeckt hinter einem anderen Fahrzeug herannahenden Verkehrsteilnehmer nicht sehen, so kann er dessen Fahrverhalten nicht abschätzen und es damit nicht zur Grundlage des eigenen Verhaltens machen. Für ein Vertrauen darauf, es werde hinter dem Bus kein Verkehrsteilnehmer zum Überholen ansetzen, fehlt daher die notwendige Basis. Grundlage für ein Vertrauen in das Ausbleiben eines Überholmanövers auf der Vorfahrtstraße ist der Umstand, daß der für den Wartepflichtigen sichtbare Verkehrsteilnehmer durch sein Fahrverhalten keine Anzeichen für eine Überholabsicht erkennen läßt. Mit einem Ausscheren muß er dagegen rechnen, sobald Anzeichen hervortreten, die einen Fahrbahnwechsel nahelegen, wie etwa bei der Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers oder sonstigen Umständen. Könnte dagegen der Wartepflichtige entsprechend der Auffassung des Berufungsgerichts auch in bezug auf verdeckte Verkehrsteilnehmer, also auch ohne sichtbare Anhaltspunkte auf das Ausbleiben eines Überholvorganges auf der Vorfahrtstraße vertrauen, dann müßte der Vertrauensschutz selbst in Fällen gelten, in denen der nicht sichtbare Verkehrsteilnehmer seine Überholabsicht hinter einem die Sicht verdeckenden Großfahrzeug durch Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers kundgetan hätte. Das könnte jedoch nicht rechtens sein. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn das Verhalten des Zweitbeklagten als derartig grob verkehrswidrig beurteilt werden müßte, daß der Kläger damit keinesfalls zu rechnen brauchte. Davon kann aber unter den hier gegebenen Umständen keine Rede sein.

Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts, die auch vom Bayerischen Obersten Landesgericht vertreten wird (DAR 1976, 108), ist, wie der Senat schon in seinem Urteil vom 15. Juni 1982 aaO angedeutet hat, mit § 8 Abs. 2 StVO nicht vereinbar. Nach dieser Vorschrift darf der Wartepflichtige nur weiterfahren, wenn er übersehen kann, daß er den bevorrechtigten Verkehr weder gefährdet noch wesentlich behindert. Damit wird für die Berechtigung des Wartepflichtigen zum Einfahren in die Vorfahrtstraße vorausgesetzt, daß er den Verkehr auf dieser Straße übersehen kann (amtliche Begründung zu § 8 StVO aaO Rdn. 8). Mit der Wiederholung der schon in § 5 Abs. 2 StVO verwendeten Formulierung „übersehen kann“ soll deutlich gemacht werden, daß der Wartepflichtige, der den Verkehr auf der Vorfahrtstraße nicht überblicken kann, von einem Einfahren in die Vorfahrtstraße ebenso Abstand nehmen muß, wie der auf der bevorrechtigten Straße fahrende Verkehrsteilnehmer ein Überholen zu unterlassen hat, wenn er den Verkehrsraum vor sich nicht ausreichend übersehen kann. Er kann vor allem nicht darauf vertrauen, daß ein mit 70-80 km/h herannahender Bus auf einer Landstraße wie hier, auf der allgemein eine Geschwindigkeit von 100 km/h gefahren werden darf, nicht von anderen Verkehrsteilnehmern überholt wird.

3. Begründet ist die Revision ferner, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Berufung des Beklagten zu 2) als Widerkläger wendet. Da sich der Kläger wegen Verletzung der Vorfahrt ebenfalls ein Verschulden am Unfall zurechnen lassen muß, trägt die Begründung des Berufungsgerichts, der Beklagte zu 2) könne den Kläger nur für die Betriebsgefahr auf 20% seines Schadens in Anspruch nehmen, die Zurückweisung seiner Berufung gegen die Abweisung der Widerklage nicht.

IV.

Nach alledem muß das angefochtene Urteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

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