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Videoüberwachung öffentlicher Plätze rechtmäßig?

VERWALTUNGSGERICHT KARLSRUHE

Az.: 11 K 191/01

Urteil vom 10.10.2001


In der Verwaltungsrechtssache wegen Videoüberwachung hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe – 11. Kammer – auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2001 für R e c h t erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

TATBESTAND:

Der Kläger wendet sich gegen die am Paradeplatz, dem Marktplatz, dem Neckartor und dem Kurpfalzkreisel installierten Kameras zur Überwachung der öffentlichen Verkehrsräume vom Paradeplatz über den Marktplatz bis zum Kurpfalzkreisel.

Ausgehend von der Erkenntnis, dass der Stadtkreis Mannheim trotz rückläufiger Straftaten statistisch immer noch zu den Städten und Gemeinden in BadenWürttemberg mit der höchsten Kriminalitätsbelastung zählt, beschloss das Innenministerium Baden-Württemberg im Mai 2000 die Einrichtung eines Modellversuchs zur Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen in der Stadt Mannheim. Zur Verwirklichung dieses Modellversuchs wurden am Paradeplatz drei Kameras, am Marktplatz, am Neckartor und am Kurpfalzkreisel jeweils eine Kamera aufgestellt und am 26.07.2001 in Betrieb genommen. Zur Begründung wurde auf die hohe Kriminalitätsrate in Mannheim und die Begehung zahlreicher Straftaten in den genannten Bereichen der Innenstadt verwiesen. Nach Erkenntnissen des Polizeipräsidiums Mannheim kam es im Jahr 2000 am Marktplatz zu 682, am Paradeplatz zu 838 und am Neckartor zu 656 Einsätzen. Nach einer weiteren Statistik für Straftaten ergab sich, dass im Jahr 2000 am Paradeplatz 88, am Marktplatz 77 und am Neckartor 54 Straftaten begangen worden sind.

Die Gesamtkriminalität betrug im Stadtgebiet Mannheim im Jahr 2000 34.351 Straftaten und die Straßenkriminalität lag im gleichen Zeitraum bei 8.232.

Bereits am 01.12.2000 hatte der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung der Beklagten zu untersagen, vor In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes und des Meldegesetzes Video-Überwachungsanlagen im öffentlichen Straßenraum zu betreiben. Nach Zurücknahme des Antrags wurde das Verfahren durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16.01.2001 (11 K 3380/00) eingestellt.

Durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes und des Meldegesetzes vom 19.12.2000 (GBI. S. 752) wurde § 21 des Polizeigesetzes wie folgt geändert:

a) Die Überschrift erhält folgende Fassung: Offene Bild- und Tonaufzeichnungen

b) Nach Abs. 2 wird folgender Abs. 3 eingefügt

Der Polizeivollzugsdienst und die Ortspolizeibehörden können zur Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit bedroht wird, oder zur Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit die in § 26 Abs. 1 Nr. 2 genannten Orte, soweit sie öffentlich zugängliche Orte sind, offen mittels Bildübertragung beobachten und Bildaufzeichnungen von Personen anfertigen

c) Der bisherige Abs. 3 wird Abs. 4 folgender S. 2 wird angefügt: Bildaufzeichnungen nach Abs. 3 sind nach 48 Stunden zu löschen, soweit nicht die Voraussetzungen für eine Verwendung nach S. 1 vorliegen.

Der Kläger hat am 29.01.2001 Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben. Er beantragt, dem beklagten Land zu untersagen, in Mannheim auf öffentlichen Plätzen und Straßen zwischen dem Paradeplatz und dem Neckartor mittels Bildübertragung zu beobachten und Bildaufzeichnungen von Personen anzufertigen.

Zur Begründung macht er geltend, § 21 Abs. 3 PolG sei nicht hinreichend bestimmt. Die Regelung enthalte keine materielle Eingriffsvoraussetzungen. Dem Tatbestand sei nicht zu entnehmen, an welche Voraussetzungen intensivere Eingriffe geknüpft seien. Ihm sei es daher nicht möglich zu erkennen, welchen Eingriffen er in der jeweiligen Situation ausgesetzt sei. Aus der Ermächtigungsgrundlage seien die Voraussetzungen und der Umfang der Grundrechtseinschränkungen nicht zweifelsfrei erkennbar. Die vom beklagten Land in Mannheim durchgeführte Videoüberwachung sei auch nicht durch die gesetzliche Regelung des § 21 Abs. 3 PolG gedeckt, da aufgrund des aus den Akten erkennbaren Zahlenmaterials nicht von einer überproportionalen Kriminalitätsbelastung an den überwachten Orten ausgegangen werden könne. Es handele sich nicht um gefährliche Orte im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG. Das in den Akten befindliche Zahlenmaterial sei auch in sich widersprüchlich. Bei einer Fußgängerfrequenz an einem durchschnittlichen Samstag in der Zeit von 11.00 bis 13.00 Uhr von über 9.000 Personen und an einem durchschnittlichen Dienstag im selben Zeitraum von 3.500 Personen liege die Gefahr von Straftaten mit 0,25 im Promillebereich. Die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme sei daher evident. Hinzu komme, dass die eigentlichen Angsträume außerhalb des überwachten Bereichs lägen. Es dränge sich der Verdacht auf, dass die Videoüberwachung lediglich dazu dienen solle, ein für eine Einkaufsstraße unerwünschtes Klientel fern zu halten. Die Videoüberwachung stelle einen rechtswidrigen Eingriff in seine Grundrechte dar. Zunächst werde sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt. Bei der geringen Zahl der im bewachten Bereich begangenen Straftaten liege eine unverhältnismäßige Überwachung unbeteiligter Personen vor. Außerdem werde er in seinem Grundrecht auf Informationsfreiheit verletzt, da durch die Videoüberwachung der Zugang zu nicht verbotenen Organisationen, die dort Informationsstände aufbauen, erschwert bzw. verhindert werde. Die installierte Videoüberwachung sei auch ungeeignet, einen dauerhaften Rückgang der Kriminalität zu erreichen. Im Übrigen müsste die Anlage wieder demontiert werden, wenn der Erfolg einsetze und eine Abnahme der Kriminalität eintrete. Die beanstandete Videoüberwachung werde nicht zum Zwecke der Gefahrenabwehr, sondern zur Vertreibung von unerwünschten Randgruppen eingesetzt. Hierdurch sollen Btm-Abhängige, Obdachlose und Alkoholabhängige abgehalten werden. Dies sei aber eine Frage der öffentlichen Ordnung und nicht der öffentlichen Sicherheit. Die Videoüberwachung zum Schutze der öffentlichen Ordnung sei aber nach der gesetzlichen Regelung unzulässig.

Das beklagte Land beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der dem Gericht vorliegenden Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe (1 Heft) verwiesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage (Unterlassungsklage) zulässig, da es sich bei der Videoüberwachung, auch soweit die Bilder aufgezeichnet werden, mangels einer rechtlichen Regelung nicht um Verwaltungsakte handelt. Zwar bestehen aufgrund der auch hier gebotenen analogen Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO (siehe hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. § 42 Rdnr. 62) gewisse Zweifel bezüglich der Klagebefugnis, da für das bloße Beobachten öffentlicher Plätze mittels Kameras mit sog. Übersichtsaufnahmen ein grundrechtsrelevanter Eingriff verneint wird (siehe hierzu VG Halle, Beschl. v. 17.01.2000, LKV 2000, 164, ebenso Dolderer, NVwZ 2001, 130, 131), bei der in Mannheim verwendeten Technik werden jedoch die Aufnahmen auf einem Server (höchstens für 48 Stunden) gespeichert und können in dieser Zeit auch digital so bearbeitet werden, dass eine Identifizierung der aufgenommenen Personen möglich ist. Aufgrund dieses Umstandes scheint ein Eingriff in das vom Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1) aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedenfalls nicht ausgeschlossen (vgl. hierzu Roggan, NVwZ 2001, 134 f.; Vahle, DVP, 2000, 396, 398; Robrecht, Neue Justiz, 2000, 348 f.; Hasse, ThürVBI. 2000, 169 ff.; Röger/Stephan, NWVBI. 2001, 201, 206; Waechter, Nds VBI. 2001, 77, 79 und Informationen in DRiZ 2001, 85 ff.).

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die vom Kläger angegriffene Videoüberwachung in der Innenstadt von Mannheim vom Paradeplatz bis zum Neckartor (Breite Straße) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat daher keinen Anspruch auf Untersagung bzw. Beseitigung der installierten Videoanlagen.

Die in Mannheim installierte Videoüberwachung findet ihre Rechtsgrundlage in § 21 Abs. 3 PolG. Die hiergegen vom Kläger erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Die Vorschrift hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand.

Nach § 21 Abs. 3 PolG können der Polizeivollzugsdienst und die Ortspolizeibehörde zur Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit bedroht wird, oder zur Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit die in § 26 Abs. 1 Nr. 2 genannten Orte, soweit sie öffentlich zugängliche Orte sind, offen mittels Bildübertragung beobachten und Bildaufzeichnungen von Personen anfertigen. Orte im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG sind solche, an denen erfahrungsgemäß Straftäter sich verbergen, Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen oder der Prostitution nachgehen. Nach § 21 Abs. 4 S. 2 PolG sind Bildaufzeichnungen nach Abs. 3 nach 48 Stunden zu löschen, soweit nicht die Voraussetzungen für eine Verwendung nach S. 1 vorliegen.

Diese Vorschriften entsprechen dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit (BVerfGE 45, 400, 420). Dieser Grundsatz fordert, dass die von einer gesetzlichen Regelung Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einzurichten vermögen. Die Notwendigkeit der Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift nimmt ihr nicht die Bestimmtheit, die das Rechtsstaatsprinzip von einem Gesetz fordert. In Anwendung dieser vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze genügt die Regelung des § 21 Abs. 3 PolG dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis, da die Voraussetzungen und der Umfang der hier fraglichen Bildbeobachtung und Bildaufzeichnung von Personen tatbestandlich hinreichend umrissen und die Dauer der Bildaufzeichnungen genau geregelt worden ist. Danach dürfen zunächst nur an den in § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG genannten Orten Bildüberwachungen bzw. – aufzeichnungen vorgenommen werden. Der Verweis auf die gesetzliche Definition in § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG begegnet dabei keinen Bedenken. Die gesetzliche Umschreibung ist hinreichend klar und bedeutet, dass eine Überwachung nur an Orten zulässig ist, die aufgrund polizeilicher Erfahrung als sog. Kriminalitätsschwerpunkte angesehen werden können. An diesen Orten können dann zur Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit bedroht wird oder zur Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit Bildbeobachtungen und Bildaufzeichnungen von Personen vorgenommen werden. Auch diese, auf die Regelung in § 1 Abs. 1 S. 1 PolG bezugnehmende Vorschrift begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Begriffe der Abwehr von Gefahren bzw. der Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit, wie sie in der Aufgabennorm des § 1 Abs. 1 S. 1 PolG umschrieben sind, haben in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung eine ständige Ausformung erfahren. Dies ist auch in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung gebilligt worden, wonach die Verwendung der polizeilichen Generalklausel unbedenklich erscheint, weil sie in jahrzehntelanger Entwicklung durch Rechtsprechung und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristischen Sprachgebrauch verfestigt ist (siehe BVerfGE 54, 143, 144, vgl. auch Wolf/Stephan, PolG für Bad.-Württ., 5. Aufl., § 1 Rdnr. 7 m. w. N.). Öffentliche Sicherheit ist demnach der Bestand der durch die Rechtsordnung geschützten Güter (vgl. Mussmann, Allgemeines Polizeirecht in Baden-Württemberg, 4. Aufl., Rdnr. 143 und Wolf/Stephan a. a. O. § 1 Rdnr. 41 f.).

Auch sonstige gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs. 3 PolG erhobene Bedenken bestehen nicht. Die Regelung genügt insbesondere dem vom Gesetzgeber zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 65, 1, 44). Dieser mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz folgt bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Da nach der Regelung des § 21 Abs. 3 PolG eine Videoüberwachung nur an gefährlichen Orten im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG stattfindet, liegt die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit im öffentlichen Interesse. Da dies offen (durch entsprechende Hinweisschilder) geschieht, können sich die von der Überwachung Betroffenen darauf einstellen und ihr Verhalten entsprechend einrichten. Eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit ist damit nicht verbunden.

Soweit bloße Übersichtsaufnahmen in Frage stehen, die eine individuelle Identifizierung nicht ermöglichen, fehlt es bereits an einem Eingriff in das vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung, da in diesem Stadium noch gar keine Daten über Personen erhoben werden (siehe dazu Landtagsdrucksache 12/4988 S. 5, Hasse, ThürVBI. 2000, 169, Vahle, DVP 2000, 396, 397, Keller, Kriminalprävention 2000, 187, 188 und Wohlfahrt RDV 2000, 101, 102). Werden dagegen Personen in individualisierbarer Weise erfasst und durch entsprechende Markierung auf dem Datenträger gespeichert, so liegt hierin zwar ein grundrechtsrelevantes Erheben von Daten über die erfasste Person bzw. Personen, dies geschieht aber entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Regelung nur zur Abwehr von Gefahren bzw. zur Beseitigung von Störungen für die öffentliche Sicherheit. Sonstige Verhaltensweisen werden weder besonders erfasst, geschweige denn gespeichert oder in sonstiger Weise weitergegeben. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 65, 1, 43 f.) nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über „seine“ Daten; er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Informationen, auch soweit sie personenbezogen sind, stellen ein Abbild sozialer Realität dar und machen die Gemeinschaftsbezogenheif fand Gemeinschaftsgebundenheit der Person deutlich. Der Einzelne muss deshalb Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung insbesondere dann hinnehmen, wenn er durch sein Verhalten in der Öffentlichkeit Gefahren oder Störungen für die öffentliche Sicherheit auslöst. Nur in diesen Fällen werden die Personen, die sich an überwachten Orten bewegen, erfasst und ggf. gespeichert. Insoweit wird die Rechtsposition der Betroffenen nicht stärker beeinträchtigt als dies bei einer Beobachtung durch Polizeibeamte vor Ort der Fall wäre. Aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt kein Recht auf „unbeobachtete“, Gefahren bzw. Störungen auslösende Verhaltensweisen, die die öffentliche Sicherheit tangieren.

Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung dient die Überwachung öffentlicher Orte im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG ausschließlich der Abwehr von Gefahren und Störungen der öffentlichen Sicherheit, sonstige Verhaltensweisen sollen weder erfasst noch verhindert werden. Dies entspricht der ausdrücklichen Zielsetzung der vom Landtag Baden-Württemberg am 19.12.2000 beschlossenen Änderung des Polizeigesetzes durch Einfügen des § 21 Abs. 3 PolG. Ziel des beabsichtigten Einsatzes der Videotechnik ist nicht die gezielte Überwachung oder Observation konkreter Einzelpersonen, sondern der Schutz von Personen und Rechtsgüter durch die Überwachung bestimmter Örtlichkeiten. Die Videoüberwachung soll demnach vor allem präventive Wirkung entfalten, indem potentielle Straftäter durch die offenen und daher erkennbaren Überwachungsmaßnahmen von der Begehung von Straftaten in den überwachten Bereichen abgeschreckt werden (Landtagsdrucksache 12/5706 S. 7). Die Videotechnik wird dabei als ergänzende Maßnahme verstanden, die den Einsatz von Polizeikräften zielgerichteter und effektiver ermöglichen kann. Die Videoüberwachung gefährlicher Orte dient in erster Linie der Verhinderung und ggf. besseren Verfolgung der Straßenkriminalität und leistet damit – entsprechend den bislang bekannt gewordenen durchaus positiven Erfahrungen in anderen Bundesländern und im Ausland, vor allen Dingen in Großbritannien – einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit in besonders gefährdeten Bereichen (Keller, Kriminalprävention 2000 S. 197, 190, Wohlfahrt, RDV 2000, 101, 104, Landtagsdrucksache 12/5706 S. 7). Dies wäre sicherlich auch durch einen verstärkten Einsatz von Polizeikräften vor Ort möglich, der damit verbundene personelle Aufwand wäre aber ungleich höher und in diesem Umfang wohl auch kaum leistbar. Warum ein solcher – in der Praxis kaum durchführbarer – verstärkter Einsatz von Polizeikräften für die Bürger verhältnismäßiger sein soll – wie der Kläger meint -, ist nicht nachvollziehbar.

Das gilt auch soweit die allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG (z. B. im Sinne der Bewegungsfreiheit) in Frage steht. Da dieses Recht unter dem Vorbehalt steht, dass nicht in die Rechte anderer eingegriffen oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird, eröffnet § 21 Abs. 3 PolG keine unzulässige Einschränkung von grundrechtlichen Verbürgungen, vielmehr dient die Überwachung ausschließlich der Abwehr von Gefahren und Störungen für die öffentliche Sicherheit. Es ist in diesem Zusammenhang auch kaum vorstellbar, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung durch das Vorhandensein der genannten Überwachungsanlagen (Videokameras) in ihrem Lebensgefühl und ihrer Bewegungsfreiheit, was die hier fraglichen Orte angeht, nachhaltig eingeschränkt fühlt. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die Bevölkerung den Zugewinn an Sicherheit begrüßen und den damit verbundenen und durch Erfahrungen im Ausland belegten Rückgang der Kriminalität, insbesondere der Straßenkriminalität, als Vorteil empfinden wird. Dieses Gefühl wird sich angesichts der jüngsten terroristischen Bedrohungen noch weiter verstärken. In diesem Zusammenhang von einem Einstieg in einen „Überwachungsstaat“ zu sprechen, geht an der gesetzgeberischen Intention der hier fraglichen Ermächtigungsgrundlage vorbei. Der Gesetzgeber hat wiederholt im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens betont, dass in keinem Falle an eine flächendeckende Überwachung gedacht ist, sie ist nach § 21 Abs. 3 PolG auch nicht zulässig (Landtagsdrucksache 1215706 S. 11).

Aus diesen Gründen ist auch der vom Kläger geltend gemachte Eingriff in sein Grundrecht auf Informationsfreiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG wenig verständlich. Nach der dargestellten gesetzgeberischen Intention des § 21 Abs. 3 PolG ist es weder Ziel noch Zweck der Videoüberwachung, die Meinungsfreiheit oder die Informationsfreiheit einzuschränken, zu behindern oder sonst wie zu erschweren. Soweit der Kläger geltend macht, er habe als politisch interessierte Person Anspruch darauf, auch unbeobachtet an der politischen Willens- und Meinungsbildung teilzunehmen, verkennt der Kläger den Schutzzweck des Grundrechts. Es ist gerade Sinn und Zweck öffentlicher Kundgabe von Meinungen, dass sie von anderen Personen wahrgenommen und in der Öffentlichkeit ausgetragen werden, was notwendiger Weise eine Beobachtung durch Dritte bedingt. Dieser Prozess öffentlicher Meinungsund Informationsbildung wird durch die angegriffene gesetzliche Regelung in keiner Weise tangiert, sie wird entsprechend den gesetzlichen Vorgaben auch nicht erfasst. Bei öffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen in diesem Bereich wird die Videoüberwachung entsprechend der dem Gericht vorliegenden Dienstanweisung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 23.07.2001 (S. 2) abgeschaltet. Eine Aufzeichnung wird im Einzelfall nur angeordnet, wenn die rechtlichen Voraussetzungen der §§ 12 a, 19 a Versammlungsgesetz vorliegen.

Schließlich kann die Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs. 3 PolG auch nicht mit dem Hinweis in Frage gestellt werden, eine Videoüberwachung der fraglichen Räume sei gänzlich ungeeignet, den gewünschten Erfolg, nämlich dauerhaften Rückgang der Kriminalität, zu erreichen. Dem stehen zum einen die Erfahrungen in anderen Ländern, insbesondere in Großbritannien entgegen, zum anderen belegt auch der von den Vertretern des Polizeipräsidiums Mannheim dargelegte Rückgang der Straßenkriminalität in der Mannheimer Innenstadt, der durch einen verstärkten Einsatz von Polizeikräften bewirkt worden ist, dass polizeiliche Maßnahmen, die die Präsenz von Polizeikräften erhöhen, durchaus von Erfolg gekrönt sind. Es ist deshalb mit einiger Sicherheit zu erwarten, dass viele Formen der Straßenkriminalität in den überwachten Räumen erst gar nicht mehr statt finden. Die Geeignetheit solcher Maßnahmen wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, weil ggf. mit gewissen Verdrängungseffekten gerechnet werden müsste. Hierfür fehlen bislang signifikante Erfahrungen, sie sind mit hinreichender Sicherheit auch nicht zu erwarten (Landtagsdrucksache 12/4988 S. 4, vgl. auch Keller, a. a. O., S. 190). Dem stehen zum einen die Eigenart der als gefährlich eingestuften Orte im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG entgegen, zum anderen können im Einzelfall unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen neue Gefährdungsbereiche in das Überwachungskonzept aufgenommen werden. Insofern fällt auf, dass sich der Kläger selbst für den Einsatz von mobilen Sicherheitskräften ausspricht. Dass ein solcher Einsatz durch technische Hilfsmittel wie der Videoüberwachung erleichtert wird, dürfte auch dem Kläger einleuchten.

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Das Gericht hält demnach die vorliegende gesetzliche Regelung für verfassungsrechtlich unbedenklich.

Das beklagte Land hat von der Ermächtigung des § 21 Abs. 3 PolG im vorliegenden Fall auch rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Zu Recht ist das beklagte Land davon ausgegangen, dass es sich beim Paradeplatz, dem Marktplatz und der Breiten Straße bis zum Neckartor um Orte im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG handelt. Solche Orte sind entsprechend der gesetzlichen Definition dadurch gekennzeichnet, dass dort erfahrungsgemäß Straftäter sich verbergen, Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen oder der Prostitution nachgehen. Auch wenn die Zahl der Straftaten in der Innenstadt seit 1998 von 10.032 um etwa 1.000 pro Jahr zurückgegangen ist, so liegt sie mit etwa 25 % im Bereich der Innenstadt (innerhalb der Quadrate) im Verhältnis zu anderen Bereichen der Stadt Mannheim vergleichsweise hoch, wobei der Anteil der Wohnbevölkerung in der Innenstadt an der Gesamtbevölkerung nur 7,8 % beträgt. Diese Anziehungskraft von Innenstädten für kriminelle Aktivitäten entspricht auch den Erkenntnissen in anderen Großstädten. Dabei nimmt Mannheim im Landesdurchschnitt immer noch einen Spitzenplatz ein. Es liegt daher auf der Hand, dass die Großstädte bemüht sein werden, dieser für sie negativen Entwicklung zu begegnen und alles zu unternehmen, um die Sicherheit gerade auch in den Innenstädten zu verbessern. Die diesbezüglichen Bemühungen der Polizeikräfte haben in Mannheim auch schon ihren Niederschlag in der Kriminalstatistik gefunden. Wie die Vertreter des Polizeipräsidiums Mannheim in der mündlichen Verhandlung dargelegt haben, spielt der vorliegend unter Beobachtung von Videokameras gestellte Bereich vom Paradeplatz über den Marktplatz bis zum Neckartor (Breite Straße) schon lange eine besondere Rolle als Kriminalitätsschwerpunkt. Zwar wurden in der Vergangenheit keine diesbezüglichen detaillierten Erhebungen durchgeführt, so dass das bislang vorliegende Zahlenmaterial diese polizeilichen Erkenntnisse nur zum Teil widerspiegelt, es bestehen nach Auffassung des Gerichts aber keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der genannte Bereich vom Paradeplatz bis zum Neckartor wegen des hohen Publikumsaufkommens und der zentralen Lage dieser Orte eine besondere Anziehungskraft für potentielle Straftäter besitzt und in diesem Bereich sich deshalb erfahrungsgemäß zahlreiche Personen aufhalten, die Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben. Dem steht nicht entgegen, dass es auch noch in anderen Teilen der Stadt, insbesondere der Neckarstadt, ähnliche Gebiete mit hoher Kriminalitätsrate gibt. Wenn das beklagte Land mangels personeller Kapazitäten derzeit in diesen Bereichen von einer Installation weiterer Videoanlagen absieht, so ändert dies nichts an der Rechtmäßigkeit der hier streitigen Anlagen. Für die Kennzeichnung als gefährlicher Ort im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG kommt es entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, wie viele Personen diese Bereiche täglich aufsuchen und sich ordnungsgemäß verhalten, vielmehr kommt es allein darauf an, ob diese Bereiche nach den Erfahrungen der Polizei im Verhältnis zu anderen Gebieten der Stadt signifikant als gefährliche Orte im Sinne des Gesetzes anzusehen sind. Dies ist nach Auffassung des Gerichts schon dann der Fall, wenn sich an den genannten Orten verhältnismäßig viele Straftäter aufhalten bzw. dort entsprechend viele Straftaten verabredet, vorbereitet oder begangen werden. Aufgrund des Einsatzleitrechners des Polizeipräsidiums Mannheim ergaben sich im Jahr 2000 für die Bereiche Paradeplatz, Marktplatz und Neckartor Gesamteinsätze in 2.176 Fällen. Bereits hierdurch wird der Kriminalitätsschwerpunkt dieses Bereichs innerhalb der Innenstadt dokumentiert. Dem steht nicht entgegen, dass nach einer weiteren Aufstellung des Polizeipräsidiums am Neckartor im Jahr 2000 nur 54, am Marktplatz 77 und am Paradeplatz 88 Straftaten begangen worden sind, da sich die Gefährlichkeit eines Ortes im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG nicht nur nach der Zahl der begangenen Straftaten bestimmt. Die vom Polizeipräsidium für den hier fraglichen Bezirk festgestellte Gefährlichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Gesamtkriminalität im Stadtgebiet von Mannheim im Jahre 2000 bei über 34.000 Fällen lag, da die Mehrzahl der Straftaten offensichtlich nicht im öffentlichen Straßenraum begangen werden. Eine hohe Kriminalitätsrate, die aufgrund der Kriminalstatistik ermittelt wird, sagt noch nichts über die Gefährlichkeit eines Ortes im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG aus. Das Gericht hat deshalb insgesamt keine Zweifel, dass es sich aufgrund der polizeilichen Erkenntnisse bei dem hier fraglichen Bereich um gefährliche Orte im Sinne der gesetzlichen Regelung des § 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG handelt.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

BESCHLUSS:

Der Streitwert wird gemäß § 13 Abs. 1 S. 2 GKG DM 8.000,– festgesetzt.

Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 25 Abs. 3 GKG verwiesen.

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