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Videoüberwachung des Nachbargrundstücks zulässig?

BUNDESGERICHTSHOF

Az.: VI ZR 176/09

Urteil vom 16.03.2010


In dem Rechtsstreit hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2010 für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 22. April 2009 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte, eine Firma für Sicherheits- und Kommunikationstechnik, installierte im Auftrag des Klägers zu 1 (nach Vortrag der Kläger auch der Klägerin zu 2) an der von den Klägern gemieteten Doppelhaushälfte sieben Videokameras zur videotechnischen Überwachung des von ihnen bewohnten Grundstücks. Die Kameras waren unstreitig so installiert und eingestellt, dass eine Überwachung ausschließlich des Grundstücks der Kläger erfolgte. Durch (manuelle) Veränderungen der Kameraeinstellungen hätten allerdings auch Vorgänge auf dem Nachbargrundstück erfasst werden können. Nach Inbetriebnahme der Anlage wurden die Kläger von Grundstücksnachbarn in einem Rechtsstreit auf Entfernung der Kameras, hilfsweise auf Unterlassung der Videoüberwachung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts in Anspruch genommen. Das angerufene Amtsgericht gab nur dem Hilfsantrag statt, das Landgericht verurteilte die Kläger auf die Berufung der Grundstücksnachbarn, die Kameras zu beseitigen. Mit der vorliegenden Klage verlangen die Kläger von der Beklagten Ersatz der ihnen durch den Rechtsstreit mit den Grundstücksnachbarn entstandenen Kosten. Sie sind der Ansicht, die Beklagte hätte sie auf die Möglichkeit einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Nachbarn hinweisen müssen. Die Beklagte hält ihre Leistung für mangelfrei, da die Kameras nur das Grundstück der Kläger erfasst hätten; nur dies habe sie den Klägern bestätigt.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht führt aus:

Die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht durch eine fehlerhafte Aufklärung liege nicht vor. Eine Zusicherung, dass Persönlichkeitsrechte Dritter durch die Installation nicht verletzt würden, habe die Beklagte nicht gegeben. Was sie in ihren Schreiben bestätigt habe, entspreche den Tatsachen. Die Anlage sei so installiert gewesen, dass zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme eine Überwachung des Nachbargrundstücks nicht erfolgte. Mehr habe die Beklagte nicht zugesichert.

Die Anlage sei auch nicht mangelhaft gewesen. Zwar könne ein Rechtsmangel im Sinne des § 633 Abs. 3 BGB vorliegen, wenn das Werk, das der Unternehmer errichtet habe, Unterlassungsansprüchen Dritter ausgesetzt sei, wozu auch ein Unterlassungsanspruch Dritter aus dem Persönlichkeitsrecht gehören könne, sofern dieser der Benutzung der Sache entgegenstehe. Im vorliegenden Fall liege aber in der Installation der Videokameras, so wie sie von der Beklagten vorgenommen worden sei, kein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Nachbarn, so dass diesen kein Unterlassungsanspruch gegen die Kläger zugestanden habe. Die theoretische Möglichkeit, die Kameras zu verändern, beinhalte – jedenfalls in Fällen, in denen ein berechtigtes Interesse des Grundstückseigentümers oder Mieters an der Überwachung bestehe – noch keine widerrechtliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Das Recht am eigenen Bild schütze als allgemeines Persönlichkeitsrecht nur vor tatsächlich erfolgten missbräuchlichen Bildaufzeichnungen, nicht aber vor der bloßen Möglichkeit, unzulässige Abbildungen anzufertigen. Hier habe auf Seiten der Nachbarn lediglich ein subjektives Befürchten vorgelegen, während ihr Grundstück objektiv nicht gefilmt worden sei und die Kameras auch nicht ohne äußerlich wahrnehmbaren Aufwand hätten verändert werden können. Eine abweichende Ausrichtung, etwa durch Fernsteuerung, sei nicht möglich gewesen. Die Kläger hätten hingegen ein berechtigtes Interesse an der Überwachung ihres Grundstücks gehabt, da es unstreitig bereits Übergriffe auf ihr Grundstück gegeben habe.

Das Urteil im Rechtsstreit zwischen den Klägern und ihren Nachbarn stehe dieser Wertung nicht entgegen, da die Beklagte an jenem Prozess nicht beteiligt gewesen und ihr auch nicht der Streit verkündet worden sei.

II.

Die dagegen gerichtete Revision hat keinen Erfolg. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, den Klägern stehe gegen die Beklagte kein Anspruch auf Ersatz der Prozesskosten aus den §§ 634 Nr. 4, 280 BGB zu.

1.

Gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur fehlenden Rechtskraftwirkung des Urteils, das im Rechtsstreit mit den Nachbarn ergangen ist, wendet sich die Revision nicht. Insoweit sind auch Rechtsfehler nicht er-sichtlich.

2.

Ob, wie die Kläger in der Revisionsverhandlung geltend gemacht haben, die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht durch die Beklagte in Betracht kommt, kann im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen (unten zu 3) dahinstehen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass in Anbetracht der Umstände des Falles sowohl die Verletzung einer solchen Pflicht als auch das Vorliegen eines Mangels der gelieferten Überwachungsgeräte bereits im Ansatz als zweifelhaft erscheinen. Der Lieferant einer Überwachungsanlage hat dem Erwerber vollständige Auskunft über Zustand und Eigenschaften der Anlage zu geben. Das hat die Beklagte hier getan. Hingegen dürfte der Lieferant im Regelfall nicht verpflichtet sein, auf die selbstverständliche Tatsache hinzuweisen, dass die Anlage nicht derart umgestaltet werden darf, dass dadurch die Rechte Dritter verletzt werden. Auch hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung der Umstände, unter denen die Anlage ohne Verletzung der Rechte Dritter benutzt werden darf, ist in der Regel keine Belehrung durch den Lieferanten zu erwarten; insoweit muss der Erwerber in Zweifelsfällen kompetenten Rechtsrat einholen.

3.

Die Revision bekämpft die Annahme des Berufungsgerichts, die Installation der Kameras auf dem Grundstück der Kläger habe das Persönlichkeits-recht der Nachbarn nicht beeinträchtigt; der Unterlassungsanspruch der Nachbarn sei begründet gewesen, so dass das Werk der Beklagten mangelhaft gewesen sei. Das ist indes unrichtig.

a) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass die Herstellung von Bildnissen einer Person, insbesondere die Filmaufzeichnung mittels einer Videokamera, auch in der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen, etwa auf einem öffentlichen Weg, einen unzulässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstellen kann, selbst wenn keine Verbreitungsabsicht besteht, wobei die Frage, ob ein derartiger rechtswidriger Eingriff anzunehmen ist, nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer die (verfassungs-) rechtlich geschützten Positionen der Beteiligten berücksichtigenden Güter- und Interessenabwägung beantwortet werden kann (Senatsurteil vom 25. April 1995 – VI ZR 272/94 – VersR 1995, 841 ff.). Eine Videoüberwachung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung ein; dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1, 42 f.; 67, 100, 143; BVerfG, NVwZ 2007, 688 ff.; NJW 2009, 3293 f.). Bei der Installation von Anlagen der Videoüberwachung auf einem Privatgrundstück muss deshalb sichergestellt sein, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. April 1995 – VI ZR 272/94 – aaO; OLG Karlsruhe, OLGR 1999, 83 f.; AG Nürtingen, NJW-RR 2009, 377 f.) von den Kameras erfasst werden, sofern nicht ein das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen überwiegendes Interesse des Betreibers der Anlage im Rahmen der Abwägung bejaht werden kann.

b) Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht Dritter liegt vor, wenn diese durch die Überwachung tatsächlich betroffen sind. Kann dies festgestellt werden und ergibt die erforderliche Abwägung, dass das Interesse des Betreibers der Anlage das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen nicht überwiegt, ist der Unterlassungsanspruch begründet.

Ein Unterlassungsanspruch kann auch bestehen, wenn Dritte eine Überwachung durch Überwachungskameras objektiv ernsthaft befürchten müssen („Überwachungsdruck“, vgl. dazu etwa LG Bonn, NJW-RR 2005, 1067 ff.; LG Darmstadt, NZM 2000, 360; AG Winsen, Urteil vom 30. Dezember 2005 – 16 C 1642/05 – Juris). In der Rechtsprechung wird allerdings ein Anspruch auf Unterlassung des Betriebs solcher Videokameras, die auf das Nachbargrundstück lediglich ausrichtbar sind, verneint, wenn der Nachbar die Anfertigung von Aufnahmen lediglich befürchtet und die Kameras nur mit erheblichem und äußerlich wahrnehmbarem Aufwand, also nicht etwa nur durch das Betätigen einer Steuerungsanlage, auf sein Grundstück gerichtet werden können (vgl. LG Bielefeld, NJW-RR 2008, 327 f.; LG Itzehoe, NJW-RR 1999, 1394 f.).

Nach Ansicht des erkennenden Senats kommt es insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit (vgl. OLG Köln, NJW 2009, 1827) oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon aufgrund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Deshalb ist die Installation einer Überwachungsanlage auf einem privaten Grundstück nicht rechtswidrig, wenn objektiv feststeht, dass dadurch öffentliche und fremde private Flächen nicht erfasst werden, wenn eine solche Erfassung nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich ist und wenn auch sonst Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden. Insoweit kommt etwa die Beeinträchtigung der Rechte von Mietern in einem privaten Miethaus (vgl. dazu etwa KG, WuM 2008, 663; LG Darmstadt, aaO; Horst, NZM 2000, 937, 940), von Betroffenen in einer Wohnungseigentumsanlage (vgl. KG, NZM 2002, 702 f.; OLG Karlsruhe, NZM 2002, 703 f.; Huff, NZM 2002, 89 ff., 688 f.), aber auch von Grundstücksnachbarn in Betracht.

c) Nach diesem Maßstab hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall zu Recht angenommen, dass den Nachbarn der Kläger kein Unterlassungsanspruch zustand. Ihr Persönlichkeitsrecht war nicht verletzt. Denn nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erfassten die von den Klägern installierten Kameras ausschließlich deren eigenes Grundstück, wobei diese Ausrichtung nur durch äußerlich wahrnehmbare Arbeiten hätte geändert werden können. Konkrete Gründe für den Verdacht der Nachbarn, die Überwachung könne sich auch auf ihr Grundstück erstrecken, sind nicht festgestellt.

Die Leistung der Beklagten war demnach nicht mangelhaft, so dass ein Anspruch der Kläger auf Erstattung der ihnen durch den Rechtsstreit mit den Nachbarn entstandenen Kosten zu verneinen ist.

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