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Wegerecht – Verpflichtung zur Torabschließung?


Oberlandesgericht Karlsruhe

Az: 12 U 155/13

Urteil vom 25.07.2014


Tatbestand

Die Parteien sind Nachbarn. Sie streiten insbesondere um (…) die Ausübung eines Wegerechts sowie die Aufstellung von Mülltonnen.

Der Kläger Ziffer 1 und dessen Ehefrau, die Drittwiderbeklagte Ziffer 3, sind Mieter des Grundstücks B-Straße 72 in H. Der Kläger Ziffer 2 ist Eigentümer des Anwesens B-Straße 76 a in H., in dem seine geschiedene Ehefrau, die Drittwiderbeklagte Ziffer 4, und seine Kinder, die Drittwiderbeklagten Ziffern 5 und 6, wohnen. Der Kläger Ziffer 2 selbst lebt nicht dort. Die Drittwiderbeklagte Ziffer 4 ist Ärztin und absolviert zum Teil Notfalleinsätze. Der Beklagte Ziffer 2 ist Miteigentümer der Grundstücke B-Straße 76 und 76 b in H.. (…)

Das Grundstück B-Straße 76 a grenzt nicht unmittelbar an die öffentliche B-Straße an. Es ist insoweit vielmehr über das Grundstück B-Straße 76 b des Beklagten Ziffer 2 erschlossen. Zu Lasten dieses Grundstücks ist zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks B-Straße 76 a eine Grunddienstbarkeit bestellt, wonach der jeweilige Eigentümer berechtigt ist, den in der Eintragungsbewilligung vom 15.01.2003 näher bezeichneten Teil des dienenden Grundstücks „von der B-Straße aus zum Fahren und Gehen zu seinem Grundstück und von diesem zurück, nicht aber zum Abstellen von Fahrzeugen, mitzubenützen“. (…)

Zur B-Straße hin wird das Grundstück B-Straße 76 b durch ein Metallgittertor begrenzt, das der Beklagte Ziffer 2 im Februar 2011 dort anbringen ließ. Eine Klingel für das Grundstück B-Straße 76 a befindet sich an diesem nicht. An dem Tor befindet sich ein Schloss, das sich lediglich mechanisch bedienen lässt. Der Beklagte Ziffer 2 übergab der Drittwiderbeklagten Ziffer 4 vier Schlüssel zu diesem Tor. Zugleich bat er darum, das Tor nachts ab 22.00 Uhr bis morgens um 7.00 Uhr nach jeder Durchfahrt oder jedem Durchgang zu schließen. Sein Einverständnis mit der Anbringung einer drahtlosen Klingel durch den Kläger Ziffer 2 bzw. die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 auf deren Kosten hat der Beklagte Ziffer 2 erklärt. (…)


Entscheidungsgründe

A. Berufung der Kläger und der Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6:

(…)
2. Begründetheit der Berufung der Kläger hinsichtlich des Klagebegehrens:

(…)
b. Schließen des Gittertores nach dem Durchgang / der Durchfahrt und Abschließen des Tores zwischen 22.00 Uhr und 07.00 Uhr (…)

Die Berufung des Klägers Ziffer 2 hat auch insoweit Erfolg, als er sich gegen seine erstinstanzliche Verurteilung wendet, das Gittertor nach jeder Durchfahrt bzw. jedem Durchgang zu schließen und in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 07.00 Uhr abzuschließen.

Die Berufungen der Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 gegen die insoweit erfolgte landgerichtliche Verurteilung hingegen sind nur insoweit begründet, als sie sich gegen die Verurteilung zum Abschließen des Tores zwischen 22.00 Uhr und 07.00 Uhr richten. Zum Schließen des Tores nach jeder Durchfahrt bzw. jedem Durchgang sind die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 hingegen verpflichtet, so dass ihre Berufungen insoweit in der Sache ohne Erfolg bleiben.

(1) Indem der Beklagte Ziffer 2 die Verurteilung zum künftigen Schließen bzw. Abschließen des Tores begehrt, macht er inhaltlich einen Unterlassungsanspruch (§ 1004 BGB) geltend, gerichtet darauf, künftig Beeinträchtigungen seines Eigentums durch Nicht-Schließen bzw. Nicht-Abschließen des Tores zu unterlassen. Ein solcher Unterlassungsanspruch setzt gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB eine Wiederholungsgefahr im Sinne der Gefahr künftiger Rechtsbeeinträchtigungen voraus. Hieran fehlt es vorliegend im Hinblick auf den Kläger Ziffer 2.

Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass der Kläger Ziffer 2 bislang nach Durchfahren bzw. Durchschreiten des Tores dieses nicht geschlossen bzw. in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 07.00 Uhr nicht abgeschlossen hätte. Vor diesem Hintergrund ist mangels Eigentumsstörung durch den Kläger Ziffer 2 bezogen auf ihn nicht von der Vermutung auch künftiger Rechtsbeeinträchtigungen auszugehen. Dass aus sonstigen Gründen insoweit konkret mit der erstmaligen Beeinträchtigung des Eigentums des Beklagten Ziffer 2 durch den Kläger Ziffer 2 zu rechnen sein sollte, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, zumal der Kläger Ziffer 2 nicht im streitgegenständlichen Anwesen B-Straße 76 a in H., sondern in R. wohnhaft ist und der Beklagte Ziffer 2 selbst auf die aus seiner Sicht nur seltene Anwesenheit des Klägers Ziffer 2 in H. hinweist.

(2) Gegen die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 hingegen steht dem Beklagten Ziffer 2 der geltend gemachte Anspruch auf das Schließen des Tores nach jeder Durchfahrt bzw. jedem Durchgang gemäß § 1004 BGB zu. Ein Anspruch auf Abschließen des Tores in der Zeit von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr besteht hingegen nicht; ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus § 1004 BGB.

(a) Auf der Grundlage des Wege- und Überfahrtsrechts, mit dem das Grundstück B-Straße 76 b zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks B-Straße 76 a belastet ist, sind die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 als Bewohner dieses Anwesens aufgrund vom Eigentümer abgeleiteter Rechtsposition berechtigt, das Grundstück B-Straße 76 b zum Erreichen ihres Wohngrundstücks B-Straße 76 a zu benutzen. Gemäß § 1020 S. 1 BGB haben sie bei der Ausübung dieser Grunddienstbarkeit das Interesse des Beklagten Ziffer 2 als Eigentümer des belasteten Grundstücks tunlichst zu schonen. Entscheidend für die Frage, zu welchen Sicherungsmaßnahmen die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 bezogen auf das belastete Grundstück verpflichtet sind, ist eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen – der Interessen der Dienstbarkeitsberechtigten an einem möglichst unbeschränkten Zugang zu ihrem Wohngrundstück einerseits und der berechtigten Sicherungsinteressen des Eigentümers des mit der Grunddienstbarkeit belasteten Grundstücks andererseits.

Hiernach sind die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 zwar zum Schließen des Gittertores an der Westgrenze des Grundstücks B-Straße 76 b zur öffentlichen B-Straße hin nach jeder Durchfahrt und jedem Durchgang verpflichtet, nicht aber auch zum Abschließen des Tores in der Zeit von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr.

(b) Soweit der Beklagte Ziffer 2 das Schließen des Gittertores nach jeder Durchfahrt und jedem Durchgang begehrt, überwiegt sein Sicherungsinteresse als Eigentümer gegenüber dem Interesse der Drittwiderbeklagten Ziffer 4-6, von den hiermit verbundenen Unannehmlichkeiten und Beeinträchtigungen der Zugangsmöglichkeit zu ihrem Wohngrundstück verschont zu bleiben.

Ein Wegeberechtigter ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der schonenden Ausübung der Grunddienstbarkeit (§ 1020 BGB) grundsätzlich verpflichtet, ein zum Schutz des Eigentümers angebrachtes Tor geschlossen zu halten und die damit verbundene Erschwerung seiner Rechtsausübung hinzunehmen, solange gewährleistet ist, dass das Tor von dem berechtigten Personenkreis jederzeit geöffnet werden kann (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil v. 23.02.2006 – 9 U 132/05, juris, Tz. 8). Die Einschätzung der Drittwiderbeklagten, die Verpflichtung zum Schließen sei unverhältnismäßig, teilt der Senat nicht. Der Aufwand, der – auch bei einem Durchfahren mit dem Pkw – mit einem Schließen des Tores verbunden ist, ist – auch in zeitlicher Hinsicht – gering. Insoweit kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 nur in den Grenzen des § 1020 BGB – Gebot der schonenden Ausübung – zur Wahrnehmung ihrer Rechte aus der Dienstbarkeit berechtigt sind.

Soweit das streitgegenständliche Gittertor bei Begründung der Grunddienstbarkeit im Jahr 2003 noch nicht vorhanden war, sondern erst im Jahr 2011 durch den Beklagten Ziffer 2 angebracht wurde, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Bei der Anbringung des Gittertores als solchem und der Verpflichtung, dieses zu schließen, handelt es sich – soweit dieses nicht verschlossen ist – um eine nur geringfügige Erschwernis in der Ausübung der Dienstbarkeit, mit der nach der allgemeinen Lebenserfahrung gerechnet werden muss und die vor dem Hintergrund des Sicherungsinteresses des Eigentümers gerechtfertigt ist.

Im Hinblick auf die Drittwiderbeklagten Ziffern 5 und 6 hat der Beklagte Ziffer 2 unwidersprochen konkrete Verstöße gegen die Verpflichtung zum Schließen des Tores vorgetragen. Beide haben hiernach das Tor am 30.10.2013 pflichtwidrig nicht geschlossen, der Drittwiderbeklagte Ziffer 5 überdies am 27.07.2012, 31.07.2012/01.08.2012 und 07.10.2012. Die bei dieser Sachlage eingreifende tatsächliche Vermutung für zu erwartende künftige Rechtsbeeinträchtigungen i. S. v. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (vgl. Palandt – Bassenge, 73. Aufl. 2014, § 1004 BGB, Rn. 32) haben die Drittwiderbeklagten Ziffern 5 und 6 nicht entkräftet. Im Hinblick auf die Drittwiderbeklagte Ziffer 4 hat der Beklagte Ziffer 2 unwidersprochen dargelegt, dass diese das Tor am 20.02.2011, 21.02.2011, 15.03.2011 und 12.11.2013 offen gelassen habe. Bei dieser Sachlage ist ohne Weiteres von der Gefahr auszugehen, dass sie auch künftig das Tor nicht ihrer rechtlichen Verpflichtung entsprechend schließen werde.

(c) Zum Abschließen des Tores in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 07.00 Uhr sind die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 hingegen nicht verpflichtet. Insoweit überwiegt ihr Interesse an einer möglichst ungehinderten Zugangsmöglichkeit zu ihrem Wohngrundstück gegenüber dem Sicherungsinteresse des Eigentümers.

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Zwar hat der Beklagte Ziffer 2 dem Kläger Ziffer 2 und den Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 Schlüssel in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt, so dass gewährleistet ist, dass die aus der Dienstbarkeit berechtigten Personen das Tor hiermit jederzeit öffnen können, soweit sie sich unmittelbar am streitgegenständlichen Gittertor aufhalten.

Der Senat verkennt insoweit nicht, dass mit einem Abschließen des Gittertores zur Nachtzeit durchaus eine weitergehende Sicherung sowohl des Grundstücks B-Straße 76 b, auf dem sich im östlichen Bereich – hinter einem weiteren Gittertor – eine Garage mit verschiedenen Fahrzeugen des Beklagten Ziffer 2 befindet, als auch des Wohngrundstücks B-Straße 76 des Beklagten Ziffer 2 gegen den Zutritt Unbefugter verbunden ist. Dabei kann dahinstehen, inwieweit die Sicherungsinteressen des Beklagten Ziffer 2 bezogen auf das Wohngrundstück B-Straße 76, das gerade nicht mit der streitgegenständlichen Grunddienstbarkeit belastet ist, bei der im Rahmen von § 1020 BGB vorzunehmenden Abwägung Berücksichtigung finden. Selbst wenn man diese Sicherungsinteressen im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung uneingeschränkt mit berücksichtigt, gebührt im konkreten Fall dem Interesse der Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 an einer nicht durch die Verpflichtung zum Abschließen des Tores beschränkten Zugangsmöglichkeit zu ihrem Wohngrundstück der Vorrang.

Durch die vom Beklagten Ziffer 2 erstrebte Verpflichtung zum Abschließen des Tores zur Nachtzeit würde die Erreichbarkeit des Grundstücks B-Straße 76 a insbesondere für Rettungsdienste wie Notarzt und Feuerwehr in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Diese hätten zunächst keinerlei Möglichkeit, am Gittertor auf sich aufmerksam zu machen und den Dienstbarkeitsberechtigten ihre Anwesenheit mitzuteilen. Die Rettungsdienste könnten überdies nur dann zum Grundstück B-Straße 76 a gelangen, wenn durch die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 mit Hilfe der Schlüssel zum Tor diese Zufahrtsmöglichkeit eröffnet wird. Erfordert aber eine Notsituation bezogen auf das Grundstück B-Straße 76 a und dessen Bewohner den Einsatz von Rettungskräften, wird regelmäßig eine möglichst schnelle Erreichbarkeit dieses Grundstück geboten sein, um den schutzwürdigen Interessen der Dienstbarkeitsberechtigten an der Wahrung ihrer Rechtsgüter möglichst umfassend und rechtzeitig Rechnung tragen zu können. Hiermit ist aber das Erfordernis, den Zugang zum berechtigten Grundstück zunächst durch Aufschließen des Gittertores zu ermöglichen, nicht vereinbar.

Soweit der Beklagte Ziffer 2 auf die Möglichkeit einer Öffnung des Tores im Falle eines Feuerwehreinsatzes mit Trennschleifer und Bolzenschneider sowie eine Verständigung des Beklagten Ziffer 2, damit dieser das Tor aufschließt, hinweist, rechtfertigt dies – schon im Hinblick auf die mit solchen Maßnahmen verbundenen zeitlichen Verzögerungen – keine abweichende Beurteilung. Auf die Frage, wie wahrscheinlich ein Einsatz von Rettungskräften im Anwesen B-Straße 76 a ist, kommt es nicht entscheidend an, da es zur Notwendigkeit eines solchen Einsatzes nach allgemeiner Lebenserfahrung jederzeit und unabhängig von statistischen Wahrscheinlichkeiten kommen kann.

Soweit der Beklagte Ziffer 2 es den Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 freigestellt hat, an dem Gittertor eine drahtlose Klingelanlage anzubringen, rechtfertigt auch dies keine abweichende Beurteilung. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte Ziffer 2 aufgrund der Dienstbarkeit und des hierdurch begründeten gesetzlichen Schuldverhältnisses verpflichtet wäre, selbst die Kosten für die Einrichtung einer Klingelanlage zu tragen. Selbst wenn eine Klingel vorhanden wäre, wäre die unmittelbare Erreichbarkeit dennoch in der Weise eingeschränkt, dass zunächst durch die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 mittels der ihnen überlassenen Schlüssel das Gittertor geöffnet werden müsste.

Ob anders zu entscheiden wäre, wenn am streitgegenständlichen Gittertor eine Klingelanlage vorhanden wäre und zudem die Möglichkeit bestünde, das Tor von der Wohnung der Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 aus zu entriegeln (vgl. insoweit: OLG Karlsruhe, Urteil v. 12.09.1990 – 6 U 178/89, juris, Tz. 80), bedarf keiner Entscheidung, da solche technischen Anlagen vorliegend unstreitig nicht vorhanden sind.

Ob das begehrte Abschließen des Tores vor dem Hintergrund der Beschränkung auf den Zeitraum von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr überdies zu einer relevanten Beeinträchtigung der Nutzung des Durchgangsweges für Besucher führt, kann vorliegend ebenfalls dahinstehen. Bereits vor dem Hintergrund der nur sehr eingeschränkten Erreichbarkeit des berechtigten Grundstücks für Rettungsdienste hat vorliegend – wie ausgeführt – das Sicherungsinteresse des Beklagten Ziffer 2 gegenüber den Interessen der Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 als aus der Dienstbarkeit Berechtigten zurückzutreten.

Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt in der vom Kläger zitierten Entscheidung (Urteil v. 29.11.1985 – 10 U 22/85, juris, Tz. 26 ff.) eine Verpflichtung des Dienstbarkeitsberechtigten zum nächtlichen Abschließen eines zum Schutz des Eigentümers angebrachten Tores bejaht, teilt der Senat diese Einschätzung nicht. Insbesondere wird die dortige Erwägung, das Problem der eingeschränkten Erreichbarkeit trete stets auf, wenn ein Grundstück nur über ein fremdes Grundstück erreicht werden könne, weshalb es am Berechtigten sei, im Interesse ständiger Erreichbarkeit entweder vom Erwerb eines derartigen Grundstücks abzusehen oder aber entsprechende Vorkehrungen (Sprechanlage, Türöffner etc.) zu treffen, auch unter Berücksichtigung des Schonungsgebotes des § 1020 BGB aus den dargelegten Erwägungen den berechtigten Interessen des Dienstbarkeitsberechtigten nicht hinreichend gerecht.

B. Berufung der Beklagten:

(…)
b. Unterlassungsanspruch bzgl. Nutzung des Grundstücks B-Straße 76 b zum Erreichen der Mülltonnen; Abstellen von Mülltonnen auf dem Grundstück B-Straße 76 b; Aufenthalt auf Grundstück B-Straße 76 b zum Sortieren von Abfällen bzw. zum Einfüllen von Abfällen in Mülltonnen:

Auch insoweit bleibt die Berufung des Beklagten Ziffer 2 in der Sache ohne Erfolg.

(1) Im Hinblick auf den Kläger Ziffer 2 legt der Beklagte Ziffer 2 schon nicht dar, inwiefern sein Grundstück von ihm zum Erreichen der Mülltonnen, zum Sortieren von Abfällen sowie zum Befüllen der Mülltonnen in Anspruch genommen wird. Unstreitig – hierauf weist der Beklagte Ziffer 2 ausdrücklich hin – wohnt der Kläger Ziffer 2 nicht im Anwesen B-Straße 76 a in H., sondern in R. Eine Nutzung der streitgegenständlichen Mülltonnen gerade durch ihn ist bei dieser Sachlage weder dargetan noch sonst ersichtlich.

(2) Aber auch im Hinblick auf die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 stehen dem Beklagten Ziffer 2 die insoweit geltend gemachten Unterlassungsansprüche nicht zu.

(a) Auf der Grundlage des Wege- und Überfahrtsrechts, mit dem das Grundstück B-Straße 76 b zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks B-Straße 76 a belastet ist, sind die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 als Bewohner dieses Anwesens aufgrund vom Eigentümer abgeleiteter Rechtsposition berechtigt, das Grundstück B-Straße 76 b zum Erreichen der östlich der Einfahrt im Bereich vor den Hausanschlusskästen der Stadtwerke abgestellten Mülltonnen zu benutzen.

Maßgeblich für die Frage, ob eine solche Inanspruchnahme des Grundstücks des Beklagten Ziffer 2 von der Grunddienstbarkeit erfasst ist, ist deren durch Auslegung zu ermittelnder Inhalt und ihre Reichweite. Auch Grundbucheintragungen sind der Auslegung fähig. Die allgemeinen Auslegungsgrundsätze müssen hierbei jedoch den Besonderheiten des Grundbuchverkehrs angepasst werden. Gerade weil der Grundbuchinhalt die objektive Rechtsscheinbasis im Rahmen der §§ 892, 893 BGB liefert, muss der maßgebliche Sinn des Grundbuchinhalts ohne weiteres für jedermann erkennbar sein. Für die Auslegung einer Grundbucheintragung ist maßgebend, was Wortlaut und Sinn für einen vernünftigen und unbefangenen Dritten als nächstliegende Bedeutung des Eintrags und der darin zulässigerweise in Bezug genommenen Unterlagen ergeben. Sonstige außerhalb des Grundbuchs selbst und der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung liegende Umstände dürfen zur Ermittlung des Grundbuchinhalts nur insoweit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind. Der maßgebliche Sinn des Grundbucheintrags bestimmt sich für jedermann nach den beschriebenen Grundsätzen einer objektiven Auslegung. Ein dingliches Recht kann deshalb zwischen den Parteien der Einigung über seine Bestellung keinen anderen Sinn haben als den, der auch für Dritte maßgebend ist (vgl. Senat, Urteil v. 20.08.2013 – 12 U 41/13, juris, Tz. 22 m.w.N.; Staudinger – Gursky, Neubearb. 2012, § 873 BGB, Rn. 269 f. m.w.N.).

Die Grunddienstbarkeit gewährt nach der im Grundbucheintrag in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung ein Geh- und Fahrrecht auf dem im dort beigefügten Lageplan konkret bezeichneten Ausübungsbereich, wobei der jeweilige Eigentümer des Grundstücks B-Straße 76 a berechtigt sein soll, die Grundstücksfläche „von der B-Straße aus zum Fahren und Gehen zu seinem Grundstück und von diesem zurück“ zu benutzen. Damit wird aber das Recht eingeräumt, zu jedem von der Ausübungsfläche der Grunddienstbarkeit aus zu erreichenden Bereich des berechtigten Grundstücks zu gelangen. Unter Zugrundelegung des Vortrags des Beklagten Ziffer 2 zum Standort der Mülltonnen und der insoweit vorgelegten Lichtbilder ist davon auszugehen, dass sich der streitgegenständliche Standort der Mülltonnen entlang der im Lageplan zur Eintragungsbewilligung bezeichneten Ausübungsfläche der Grunddienstbarkeit befindet. Dass die Drittwiderbeklagten berechtigt sind, die Mülltonnen von ihrem Standort aus über das Grundstück B-Straße 76 b zur B-Straße zu verbringen, ergibt sich schon nach dem Wortlaut der Grunddienstbarkeit sowie auch nach deren Sinn und Zweck, die Anbindung des Grundstücks B-Straße 76 a an die öffentliche Verkehrsfläche zu gewährleisten. Aus welchen Gründen die Drittwiderbeklagten bei dieser Sachlage nicht berechtigt sein sollten, von ihrer Grundstückseinfahrt aus in östlicher Richtung zum Standort der Mülltonnen zu gehen, und zwar nicht nur, um diese auf die öffentliche Straße zu bewegen, sondern auch, um Müll einzufüllen, erschließt sich dem Senat nicht. Soweit der Beklagte Ziffer 2 darauf hinweist, die Erstreckung des Ausübungsbereichs der Grunddienstbarkeit über den unmittelbaren Bereich der Grundstückseinfahrt hinaus in östlicher Richtung diene dazu, eine Benutzung in der Weise zu ermöglichen, dass rückwärts aus der Einfahrt B-Straße 76 a ausfahrende Fahrzeuge auf diesen Bereich zurückstoßen können, um sodann vorwärts in Richtung B-Straße zu fahren, ergibt sich eine Beschränkung dieses Teils des Ausübungsbereichs auf eine Nutzung ausschließlich zu diesem Zweck aus den insoweit heranzuziehenden Umständen nicht.

(b) Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten Ziffer 2 sind die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 auf der Grundlage der ihnen durch die Grunddienstbarkeit gewährten Rechtsstellung auch befugt, die Mülltonnen von ihrem Abstellplatz vor den Hausanschlusskästen der Stadtwerke aus auf den unmittelbar davor liegenden Bereich des Grundstücks B-Straße 76 b herauszuziehen und sie dort kurzzeitig zum Sortieren und Einfüllen von Müll abzustellen.

Bei der Frage, wie weit Rechtspositionen im Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn reichen, gewinnt der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses besondere Bedeutung. Zum einen beschränkt sich die Inanspruchnahme des Grundstücks des Beklagten insoweit von vornherein auf einen räumlich eng begrenzten Bereich, nämlich den Grundstücksteil unmittelbar vor dem Standort der Mülltonnen. Zum anderen nimmt das Befüllen von Mülltonnen regelmäßig nur eine überschaubare Zeit in Anspruch. Dies gilt auch, soweit Papiertonnen befüllt und etwa Kartons erst unmittelbar vor Ort vor dem Einfüllen der Kartonage in Teile zerrissen werden. Dass Müll, soweit solcher beim Befüllen der Tonnen durch die Drittwiderbeklagten zu Boden fällt, von ihnen zu beseitigen ist, bedarf – nicht zuletzt im Hinblick auf den Grundsatz der schonenden Ausübung der Grunddienstbarkeit (§ 1020 BGB) – keiner Erörterung. Soweit nach den vom Landgericht im Rahmen des Augenscheins getroffenen Feststellungen ein Flügel des auf dem Grundstück B-Straße 76 b östlich vom Standort der Mülltonnen befindlichen Tores im geöffneten Zustand die Mülltonnen versperrt, die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 mithin den Torflügel bewegen und das Tor teilweise schließen müssen, um an die Mülltonnen zu gelangen, rechtfertigt dies aus den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts, denen der Senat beitritt, keine abweichende Beurteilung.

(…)
Soweit der Beklagte Ziffer 2 gegen die Drittwiderbeklagten Ziffern 4-6 einen Anspruch auf Abschließen des Gittertores an der Westgrenze des Grundstücks B-Straße 76 b zur öffentlichen B-Straße hin in der Zeit von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr geltend macht, war die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO) geboten. Der Senat weicht mit der vorliegenden Entscheidung vom Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 29.11.1985 – 10 U 22/85 (juris, Tz. 26 ff.) ab, in der das dortige Gericht von einer Verpflichtung des Wegeberechtigten zum nächtlichen Abschließen eines vom Eigentümer angebrachten Tores ausgeht, nachdem das Problem der eingeschränkten Erreichbarkeit stets auftauche, wenn ein Grundstück nur über ein fremdes Grundstück erreicht werden könne und der Berechtigte im Interesse ständiger Erreichbarkeit entweder vom Erwerb eines derartigen Grundstücks absehen oder aber entsprechende Vorkehrungen (Sprechanlage, Türöffner etc.) zur Gewährleistung der Erreichbarkeit treffen könne (OLG Frankfurt, a.a.O., juris, Tz. 29). Demgegenüber hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe mit Urteil vom 12.09.1990 (6 U 178/89, juris, Tz. 77 ff.) einen Anspruch des Eigentümers auf Abschließen eines Tores nur dann angenommen, wenn durch die Ausgestaltung des Tores – insbesondere Einrichtung einer Klingelanlage und der Möglichkeit zur Entriegelung von der Wohnung der Dienstbarkeitsberechtigten aus auf Kosten des Dienstbarkeitsverpflichteten – den berechtigten Nutzungsinteressen des Dienstbarkeitsberechtigten Rechnung getragen wird. (…)


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