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Wohnungsdurchsuchung: Beschlagnahme und einstweilige Anordnung

BVerfG

Az.: 2 BvR 497/03

Beschluss vom 17.7.2003


In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts

gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 17. Juli 2003 einstimmig beschlossen:

Die Ermittlungsbehörde wird angewiesen, folgende Gegenstände, soweit diese nicht dem Beschwerdeführer zurückgegeben wurden, bei dem Amtsgericht Tiergarten zu hinterlegen:
a) 289 CD (Ziffer 5 des Durchsuchungsprotokolls Teil B vom 18. September 2002),
b) 54 Disketten (Ziffer 6 a.a.O.),
c) ein Computer Medi-Tower Ultimate Computer System C 550 einschließlich zwei Wechselfestplatten von 40 GB und 80 GB (Ziffer 10 a.a.O.),
d) drei Wechselfestplatten von 10 GB, 14 GB und 40 GB (Ziffer 13 a.a.O.),
e) 49 CD-R (Ziffer 16 a.a.O.).

Der Computer und die Datenträger sind vor der Hinterlegung durch die Strafverfolgungsbehörde zu versiegeln.

Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung der Wohnung und des Arbeitsplatzes des Beschwerdeführers sowie die vorläufige Sicherstellung unter anderem von Datenträgern.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften gemäß § 184 Abs. 5 Satz  2 StGB. Das Amtsgericht Tiergarten ordnete auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume des Beschwerdeführers an. Die daraufhin erfolgten Sicherstellungen in der Kanzlei sind inzwischen durch Rückgabe der Gegenstände erledigt. Ob eine Kopie der Daten einer Wechselfestplatte des Kanzleicomputers des Beschwerdeführers angefertigt wurde, war im Ausgangsverfahren streitig. Die Auswertung der in der Wohnung sichergestellten Datenträger gemäß § 110 StPO ist noch nicht abgeschlossen. Der Beschwerdeführer versicherte am 2. Juni 2003 an Eides statt, dass sich auf den in der Wohnung in Verwahrung genommenen Datenträgern u.a. wesentliche Adressdaten seiner Anwaltskanzlei, ein Großteil der Korrespondenz mit den Mandanten, komprimierte Datensicherungen der gesamten Kanzleidaten sowie die vollständige Steuerbuchführung mit Angaben zu mandantenbezogenen Zahlungsvorgängen befänden.

2. Die gegen den Durchsuchungsbeschluss und die darauf bezogene Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Berlin erhobene Verfassungsbeschwerde wurde durch Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2002 – 2 BvR 1910/02 – nicht zur Entscheidung angenommen. Der Rechtsweg war nicht erschöpft.

3. Im weiteren Fortgang beantragte der Beschwerdeführer – soweit die Durchsuchung betroffen ist – die Nachholung des rechtlichen Gehörs gemäß § 33a StPO. Der Rechtsbehelf blieb ebenso erfolglos wie die Ablehnung der mit der Angelegenheit befassten Richter wegen Befangenheit. Gegen die vorläufige Sicherstellung von Gegenständen und Daten beantragte der Beschwerdeführer eine Entscheidung gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO. Auch insoweit blieben der Antrag, Rechtsbehelfe des Beschwerdeführers sowie eine weitere Richterablehnung wegen Befangenheit ohne Erfolg.

II.

Der Beschwerdeführer stützt seine Verfassungsbeschwerde auf eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 und 2, 19 Abs. 4, 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG. Er beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Anweisung an die Ermittlungsbehörde, bestimmte noch in behördlicher Verwahrung befindliche Gegenstände (Nrn. 5, 6, 10, 13, 16 des Sicherstellungsverzeichnisses einschließlich des eventuell noch vorhandenen DDS2-Bandes der Datensicherung einer Kanzleifestplatte) versiegelt dem Amtsgericht zu übergeben, wo sie bis zur Hauptsacheentscheidung verwahrt werden sollen.

III.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat teilweise Erfolg.

1. Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Kann letzteres nicht festgestellt werden, muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 <74 f.>; 92, 126 <129 f.>; 93, 181 <186 f.>; stRspr).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens hängt die Entscheidung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG von einer Abwägung der Folgen ab, die bei Ablehnung der einstweiligen Anordnung eintreten würden.

a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, hätte die Verfassungsbeschwerde jedoch später Erfolg, so könnten dem Beschwerdeführer – möglicherweise irreparable – Beeinträchtigungen rechtlich geschützter Vertrauensbeziehungen auch zu Mandanten, die mit dem Ermittlungsverfahren in keinem Zusammenhang stehen, erwachsen. Durch die Befürchtung, dass Strafverfolgungsbehörden die dort befindlichen Daten sichten, könnte das Vertrauen zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Mandanten so nachhaltig gestört werden, dass diese dem Beschwerdeführer ihre Mandate entziehen. Die Befürchtung ist nicht schon dadurch ausgeräumt, dass die Ermittlungsbehörden bisher, soweit ersichtlich, vor allem mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms ohne Sichtbarmachung von Textdateien allein nach Bilddateien gesucht haben. Es kommen im Rahmen der Durchsicht nach § 110 StPO auch weiter gehende Maßnahmen, etwa zur Suche nach Abrechnungsunterlagen der Kreditkartenfirma, in Betracht.

b) Erginge die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde in Bezug auf die Sicherstellung der Datenträger aber später keinen Erfolg, dann wäre im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer kein Beweisverlust hinsichtlich der Informationen aus dem sichergestellten Datenbestand zu befürchten. Es droht auch keine Strafverfolgungsverjährung, wenn sich auf den Datenträgern kinderpornographische Bilddateien befinden sollten. Bei einem Dauerdelikt richtet sich der Verjährungsbeginn nach dem Zeitpunkt der Beendigung des rechtswidrigen Zustands.

c) Auch mit Blick auf die Aufbewahrung der Dateien wiegen bei der Abwägung der jeweiligen Folgen die möglichen Nachteile für den Beschwerdeführer schwerer als die Beschränkungen der staatlichen Strafverfolgung.

3. Soweit das DDS2-Band mit einer Kopie von Daten einer Kanzleifestplatte betroffen ist, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Staatsanwaltschaft, die im Ermittlungsverfahren die justizgemäße Sachleitung ausübt, hat die zuständige Polizeibehörde bereits angewiesen, eventuell vorhandene Magnetbänder mit Datenkopien ohne Sichtung zu löschen. Es ist kein Grund für die Annahme ersichtlich, dass diese Anweisung nicht befolgt worden ist. Die ermittelnden Polizeibeamten hatten ihrerseits zuvor darauf hingewiesen, dass das DDS2-Band bei der Polizeibehörde verwahrt werde, bis die Staatsanwaltschaft über die weitere Aufbewahrung oder Löschung entscheide.

IV.

1. Die einstweilige Anordnung ergeht ohne mündliche Verhandlung und wegen besonderer Dringlichkeit auch ohne vorherige Anhörung der Äußerungsberechtigten (§ 32 Abs. 2 BVerfGG). Die Kammer ist hierfür zuständig, weil die Fragen, die für den Erlass der einstweiligen Anordnung maßgebend sind, bereits entschieden wurden (vgl. BVerfGE 105, 365 ff.).

2. Die einstweilige Anordnung tritt nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann wiederholt werden (§ 32 Abs. 6 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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