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Zahnbehandlung am Weisheitszahn – Schadensersatz und Aufklärungspflichten

Oberlandesgericht Köln

Az: 5 U 52/02

Urteil 12.03.2003

Vorinstanz: Landgericht Köln – Az.: 25 O 360/99


Auf die Berufung des Klägers wird das am 6. März 2002 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 25 O 360/99 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.500,- EUR nebst 4% Zinsen seit dem 26. Oktober 1997 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen Schäden, die aus der Zahnbehandlung am 9. Dezember 1996 (Entfernung des Weisheitszahnes 38) entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf öffentliche Versorgungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 66% und der Beklagte zu 34% zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäss § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist zum Teil begründet.

Der Beklagte haftet dem Kläger aus dem Gesichtspunkt unzureichender Aufklärung über die mit der Entfernung des Weisheitszahnes verbundenen Risiken. Der Beklagte wäre verpflichtet gewesen, den Kläger darüber aufzuklären, dass die Extraktion eines Weisheitszahnes eine Entzündung hervorrufen kann, die sich zu einer Osteomyelitis entwickeln kann. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. W ist es nicht ungewöhnlich, dass im Zuge einer Weisheitszahnentfernung eine Entzündung entstehen kann, weil im Mund keine sterilen Bedingungen herrschen. Ob dieses Risiko, das sich nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W in 0,5 bis 30% der Fälle verwirklichen kann, als solches aufklärungspflichtig ist oder ob man die Gefahr des Entstehens einer Entzündung als allgemein bekannt voraussetzen kann, mag dahingestellt bleiben. Die Osteomyelitis ist nach den Feststellungen des Sacherständigen Prof. Dr. W eine – anders als die Alveolitis – eher selten vorkommende Fortsetzung der Entzündung in den Knochenbereich; sie stellt eine Entzündung des Knochenmarks dar und ist vorliegend kombiniert mit einer Entzündung im Knochenfach (Ostitis) aufgetreten. Über dieses, wenngleich seltene Risiko muss ein Zahnarzt vor der Weisheitszahnentfernung aufklären. Dass dies in der Praxis – wie der Sachverständige Prof. Dr. W geschildert hat – offenbar nicht geschieht, ist insoweit ohne Bedeutung. Es ist anerkannt, dass ein Arzt gehalten ist, den Patienten über diejenigen mit dem Eingriff typischerweise verbundenen Risiken aufzuklären, die für die Entscheidung des Patienten, sich dem Eingriff zu unterziehen, ernsthaft ins Gewicht fallen können. Dazu zählen auch seltene Risiken insbesondere dann, wenn sie sich im Falle der Verwirklichung nachteilig auf die weitere Lebensführung des Patienten auswirken können. Die Osteomyelitis kann sich – wie der vorliegende Fall zeigt – zu einer mehrere Wochen andauernden, behandlungsbedürftigen Entzündung ausdehnen; auch Spätfolgen (Spätosteomyeliten) sind beschrieben. Die mit einer solchen Entzündung verbundenen gravierenden Nachteile müssen einem Patienten vor einer Weisheitszahnentfernung vor allem dann, wenn diese – wie hier – nicht dringend indiziert ist, verdeutlicht werden. Dies hat der Beklagte unterlassen. Er hat zwar behauptet, den Kläger über die Gefahr einer Osteomyelitis aufgeklärt zu haben. Dokumentiert ist die Aufklärung indes nicht. Zeugenbeweis hat der Beklagte nicht angeboten, und bei der gegebenen Sachlage ist seine Parteivernehmung von Amts wegen nicht geboten.

Eine hypothetische Einwilligung des Klägers in die Weisheitszahnentfernung ist nicht bewiesen. Dass der Kläger bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, liegt angesichts des Umstandes, dass er bislang schmerzfrei war und die Entfernung des Weisheitszahnes nicht dringend erforderlich war, auf der Hand.

Die beim Kläger aufgetretene Osteomyelitis ist eine Folge der Entfernung des Weisheitszahnes am 9. Dezember 1996 und nicht als Folge des „Kauereignisses“ vom 31. Dezember 1996 anzusehen. Das hat der Sachverständige Prof. Dr. W bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat klar und eindeutig bestätigt. Er hat ausgeführt, dass das „Kauereignis“ insoweit keine Rolle spiele. Vielmehr seien über die offene Wunde nach der Weisheitszahnentfernung Keime eingedrungen, die über einen Zeitraum von 3-4 Wochen zu einer ausgedehnten Osteomyelitis geführt hätten. Soweit der Kläger als – zumindest mittelbare – Folge der Weisheitszahnentfernung den Eintritt eines Kieferbruchs nach dem „Kauereignis“ ansehen will, ist mit dem Sachverständigen Prof. Dr. W davon auszugehen, dass insoweit ein Kieferbruch schon nicht sicher bewiesen ist. Er hat – wie bereits in der Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 25. September 2002 ausgeführt – nach Auswertung aller Röntgenaufnahmen lediglich eine Frakturlinie von der Alveole 38 bis zum Kieferwinkel vermutet. Bei der Anhörung vor dem Senat hat er ergänzend ausgeführt, es habe lediglich ein Frakturzeichen vorgelegen, das nicht als vollständige Fraktur erkannt worden sei; demgemäss sei auch keine Therapiebedürftigkeit festgestellt worden. Danach ist ein Kieferbruch nicht als bewiesen anzusehen. Der festgestellte Knochensequester kann zwar nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W durch die Osteomyelitis entstanden sein. Sicher ist dies indes keineswegs; sie kann nach der Darstellung des Sachverständigen genauso gut auf das „Kauereignis“ vom 31. Dezember 1996 zurückzuführen sein. Dass das Kauereignis selbst in irgendeiner Weise durch die Weisheitszahnentfernung begünstigt worden ist, hat der Sachverständige Prof. Dr. W nicht festgestellt. Der Beklagte hat mithin lediglich für die durch die Osteomyelitis entstandenen gesundheitlichen Nachteile des Klägers einzustehen. Allerdings ist die aufgetretene Osteomyelitis alsbald behandelt worden und nach wenigen Wochen ausgeheilt. Bleibende gesundheitliche Nachteile sind bislang nicht aufgetreten. Der Senat hält in diesem Fall ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,- EUR für angemessen.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 BGB a.F. Ein höherer Zinsschaden ist nicht schlüssig dargelegt. Eine Vermutung dafür, dass der Kläger einen Betrag von 1.500,- EUR gewinnbringend zu 8% angelegt hätte, besteht nicht. Inwieweit generell eine solche Vermutung bei größeren Geldbeträgen angenommen werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Der Kläger hat in der Klageschrift selbst ausführen lassen, die Untergrenze für eine derartige Vermutung liege bei 5.000,- DM.

Stattzugeben ist auch dem Feststellungsantrag, denn nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. W kann es in seltenen Fällen zu Spätosteomyeliten kommen, und zwar durchaus auch noch nach 6 Jahren Beschwerdefreiheit.

Der Kläger kann dagegen nicht die Erstattung der Aufwendungen für das von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten des Zahnarztes Dr. N. verlangen. Die Kosten eines außergerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens hat der Schädiger nur dann zu erstatten, wenn dies zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Das war hier indes nicht der Fall. Der vom Kläger beauftragte Gutachter Dr. N. hat Behandlungsfehler des Beklagten in seinem Gutachten vom 4. März 1998 nicht festgestellt. Allenfalls zur Klärung insoweit bestehender medizinischer Fragen wäre die Beauftragung eines Zahnarztes als Gutachter gerechtfertigt gewesen. Das Risiko, dass ein beauftragter Gutachter zu einem für den Patienten negativen Ergebnis kommt, hat dieser selbst zu tragen. Zwar hat der Gutachter Dr. N. ausgeführt, es lägen Dokumentationsmängel vor und der Beklagte habe seine Aufklärungspflicht verletzt. Um dies zuverlässig festzustellen, bedurfte es indes nicht der Beauftragung eines medizinischen Sachverständigen. Dass die Dokumentation der Weisheitszahnentfernung nur recht knapp ausgefallen ist, erschließt sich ohne weiteres bei Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen. Ob und inwieweit eine Risikoaufklärung notwendig war, ist weniger eine medizinische denn eine juristische Fragestellung. Hierzu bedarf es jedenfalls nicht einer vorprozessualen gutachterlichen Klärung durch einen Mediziner.

III.

Der Beklagte haftet auch nicht – jedenfalls nicht weitergehend als aus dem Aufklärungsversäumnis – wegen eines Behandlungsfehlers. Dass er die Entfernung des Weisheitszahnes selbst fehlerhaft vorgenommen hat, steht nicht fest. Der Sachverständige Prof. Dr. W hat eine Fehlerhaftigkeit der Operation vor dem Hintergrund der gesamten weiteren, zunächst problemlosen Entwicklung nach dem Eingriff am 9. Dezember 1996 mit überzeugender Argumentation bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht für „eher unwahrscheinlich“ gehalten. Dass die Dokumentation insoweit sehr knapp ausgefallen ist, ist für sich alleine genommen kein Haftungsgrund. Soweit der Kläger Fehler bei der Nachbehandlung durch den Beklagten im Januar 1997 rügt, ist festzuhalten, dass der Sachverständige Prof. Dr. W aus der Dokumentation des Beklagten keine den Heilungsprozess verzögernde Fehlbehandlung festgestellt hat. Ob die behauptete Lückenhaftigkeit der Dokumentation zu Beweiserleichterungen führen kann, mag letztlich dahingestellt bleiben, weil der Beklagte ohnehin für sämtliche gesundheitlichen Nachteile, die dem Kläger aus dem Auftreten der Osteomyelitis entstanden sind, wegen Verletzung der Aufklärungspflicht haftet. Eine weitergehende Haftung aus Fehlern bei der Nachbehandlung, die sich ja gerade auf die Entzündung bezog, ist insoweit nicht denkbar.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 12.143,27 EUR (s. Beschl. v. 14. Juni 2002)

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