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Zeugnisfälschung: Wirksamkeit einer Anfechtung des Arbeitsverhältnisses wegen gefälschtem Zeugnis

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg

Az.: 5 Sa 25/06

Urteil vom 13.10.2006

Vorinstanz: Arbeitsgericht Stuttgart, Az.: 31 Ca 11627/05


In dem Rechtsstreit hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – 5. Kammer – auf die mündliche Verhandlung vom 13.10.2006 für Recht erkannt:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 07.02.2006 – 31 Ca 11627/05 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Anfechtung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte vom 09.11.2005, über die Wirksamkeit einer hilfsweise erklärten außerordentlichen Kündigung vom 11.11.2005 und einer wiederum hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 21.11.2005 zum 31.03.2006.

Der am 00.00.1973 geborene, verheiratete und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtige Kläger ist bei der Beklagten seit dem 09.05.1997 als Universalschweißer gegen ein monatliches Bruttoentgelt von zuletzt 4.160,00 € tätig. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Automobilindustrie. Der Kläger ist in der Gießerei Leichtmetall Zylinderköpfe beschäftigt. Vor seiner Beschäftigung bei der Beklagten hatte der Kläger in einem anderen Betrieb eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker Versorgungstechnik absolviert. Nach dem von der Industrie- und Handelskammer nach § 34 BBiG a. F. erteilten Zeugnis vom 26.01.1994 hatte er die schriftliche Prüfung mit der Note „ausreichend“ (54 Punkten) und die praktische Prüfung mit der Note „befriedigend“ (70 Punkte) bestanden. Vor seiner Bewerbung bei der Beklagten fälschte der Kläger dieses Prüfungszeugnis und veränderte die Bewertung der schriftlichen Prüfung auf die Note „befriedigend“ (65 Punkte) und der praktischen Prüfung auf die Note „gut“ (89 Punkte). Mit dem gefälschten Zeugnis bewarb sich der Kläger bei der Beklagten und wurde mit Wirkung ab dem 09.05.1997 eingestellt.

Nachdem sich ein Mitarbeiter der Beklagten, dem ebenfalls die Fälschung seines Abschlusszeugnisses vorgeworfen wurde, dahingehend eingelassen hatte, dass sich auch noch weitere Kollegen durch gefälschte Zeugnisse einen Arbeitsvertrag bei der Beklagten erschlichen hätten, jedoch keine Namen nannte, begann die Beklagte, Bewerbungsunterlagen von Arbeitnehmern auf ihre Echtheit zu überprüfen. Im Rahmen dieser Überprüfung fielen bei dem Zeugnis des Klägers Unstimmigkeiten auf. Die Beklagte verglich deshalb die Angaben im vorgelegten Prüfungszeugnis des Klägers mit den bei der IHK hinterlegten Daten und stellte hierbei Anfang November 2005 die Fälschung fest.

Nachdem der Kläger bei der Anhörung am 04.11.2005 mit dem Fälschungsvorwurf konfrontiert worden war, räumte dieser ein, das Zeugnis gefälscht zu haben. Er ließ sich dahingehend ein, dass seine damalige Freundin ihn ermuntert habe, durch die Notenfälschung seine Einstellungschancen bei der Beklagten zu verbessern.

Mit Schreiben vom 09.11.2005, das am selben Tage um 15.20 Uhr in den Hausbriefkasten des Kläger eingeworfen wurde, focht die Beklagte den zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrag an. Mit Schreiben ebenfalls vom 09.11.2005 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung, hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 31.03.2006 an. Nachdem der Betriebsrat gegen die beabsichtigte außerordentliche Kündigung mit Schreiben vom 10.11.2005 Bedenken geäußert hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 11.11.2005, dem Kläger am 14.11.2005 zugestellt, und, nachdem der Betriebsrat der beabsichtigten ordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 15.11.2005 widersprochen hatte, mit Schreiben vom 21.11.2005, dem Kläger zugestellt am 22.11.2005, hilfsweise ordentlich zum 31.03.2006.

Gegen die Anfechtung des Arbeitsvertrages durch die Beklagte vom 09.11. und die Kündigungen wandte sich der Kläger mit seiner am 24.11.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Der Kläger ist der Auffassung, ein Anfechtungsgrund liege nicht vor, ebenso wenig ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung; die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt.

Seine Arbeitsleistung sei bis zur Anfechtung ohne jede Beanstandung geblieben.

Aufgrund seiner überdurchschnittlichen praktischen Fähigkeiten und seiner Einsatzbereitschaft habe er sich für besonders schwierige Schweißarbeiten empfohlen. Bereits Mitte oder Ende des Jahres 2000 habe die Beklagte ihm den für Schweißer höchstmöglichen Arbeitswert von 28 zuerkannt. Die Beklagte könne das Arbeitverhältnis nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten. Die Beklagte behaupte lediglich pauschal, dass sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nicht eingegangen wäre, wenn ihr die tatsächlichen Abschlussnoten bekannt gewesen wären. Dem stehe jedoch die beanstandungsfreie Durchführung des Arbeitsverhältnisses über eine Zeitraum von 8 ½ Jahren entgegen. Im Übrigen verstoße die Anfechtung der Beklagten gegen Treu und Glauben. Die Beklagte habe sich über die Richtigkeit der Angaben im IHK-Zeugnis in der Vergangenheit keine Gedanken gemacht, weil diese Noten für die Arbeitsleistung des Kläger in keiner Weise maßgeblich gewesen seien.

Im Übrigen habe die Beklagte in der Folgezeit auch namentlich benannte Mitarbeiter ohne Berufsausbildung in der Gießerei eingesetzt. Eine weitere Zusammenarbeit sei der Beklagten nicht unzumutbar. Die Tätigkeit des Klägers als Schweißer vermittle ihm objektiv nicht die Möglichkeit, der Beklagten durch weitere Täuschungen einen bedeutenden Schaden zuzufügen. Auch die Kündigungen seien unwirksam. Das Verhalten des Klägers sei nicht darauf gerichtet gewesen, der Beklagten einen Schaden zuzufügen. Jedenfalls sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte aufgrund der bisherigen Betriebszugehörigkeit und der guten Arbeitsleistungen des Klägers nicht befürchten müsse, dass es bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu weiteren Verfehlungen komme.

Der Kläger hat zuletzt beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 09.11.2005 nicht beendet wurde; festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 11.11.2005 und vom 21.11.2005 nicht beendet wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsverhältnis habe bereits durch die Anfechtung vom 09.11.2005 geendet. Die Vorlage des gefälschten Zeugnisses stelle eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 BGB dar. Die Vorlage dieses Zeugnisses sei auch für die Einstellung des Klägers kausal gewesen. Da bei der Beklagten täglich eine Vielzahl von Bewerbungen eingingen, werde grundsätzlich immer eine Vorentscheidung auf der Notenbasis getroffen.

Nur die besten Bewerber würden überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.

Die Frist des § 124 Abs. 1 BGB sei eingehalten. Danach sei das Arbeitsverhältnis durch die Anfechtung mit deren Zugang aufgelöst worden. Jedenfalls aber habe der Kläger durch Vorlage des gefälschten Zeugnisses einen Anstellungsbetrug begangen, der sie zu der außerordentlichen Kündigung berechtige. Auf den Wert der Arbeitsleistung des Klägers komme es in diesem Zusammenhang nicht an. Das Vertrauensverhältnis der Beklagten zum Kläger sei vollkommen zerstört. Der Kläger habe mit krimineller Energie sein Zeugnis gefälscht.

Dieser Vertrauensverlust könne auch in Zukunft nicht ausgeräumt werden, es sei der Beklagten unmöglich, einen Mitarbeiter zu beschäftigen, von dem sie bereits bei der Einstellung getäuscht worden sei.

Mit seinem Urteil vom 07.02.2006 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angenommen, dass sowohl der gegen die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses vom 09.11.2005 gerichtete Klagantrag als auch die Kündigungsschutzanträge unbegründet sei. Der Kläger habe die Beklagte durch Vorlage des gefälschten Zeugnisses im Rahmen seiner Bewerbung über seine tatsächlichen Prüfungsergebnisse vorsätzlich getäuscht. Die Täuschung sei auch für den Abschluss des Arbeitsvertrages ursächlich geworden. Die Ursächlichkeit sei zu bejahen, wenn die Täuschung nach der Lebenserfahrung geeignet sei, die Erklärung zu beeinflussen. Jedenfalls im vorliegenden Fall liege die erforderliche Typizität für eine solche Annahme bei Vorlage gefälschter Prüfungsergebnisse vor. Der Kläger habe keine hinreichenden Umstände aufgezeigt, die geeignet wären, diesen Anschein zu erschüttern. Die Anfechtung sei fristgerecht erfolgt und auch nicht nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ausgeschlossen. Zwar möge es sein, dass der Kläger seine Arbeit in der Vergangenheit tadellos verrichtet habe, das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien sei jedoch irreparabel aufgrund der Schwere des rechtswidrigen Handelns des Klägers zerrüttet. Die arglistige Täuschung des Klägers weise einen besonders hohen Unwertgehalt auf. Sie bestehe als fortdauernde Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses weiter.

Die Kündigungsschutzklagen seien unbegründet, da das Arbeitsverhältnis bereits durch die Anfechtungserklärungen vom 09.11.2005 beendet worden sei.

Gegen das ihm am 14.02.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger mit seinem am 13.03.2006 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 30.03.2006, eingegangen am 03.04.2006, begründet.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Das Arbeitsgericht habe den Sachverhalt zwar zutreffend festgestellt, jedoch rechtlich falsch gewürdigt. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht darauf abgestellt, in welcher Art und Weise die Täuschung bewirkt wurde. Zu Unrecht habe es die Entwicklung, die das Arbeitsverhältnis nach der Täuschungshandlung genommen habe, nicht hinreichend berücksichtigt. Der Kläger habe die Anforderungen der Arbeitsstelle, auf der er eingesetzt worden sei, voll erfüllt. Der vorliegende Fall sei deshalb nicht anders zu beurteilen als der von der Rechtsprechung entschiedene Fall, dass

ein Arbeitnehmer falsche Angaben über Vorbeschäftigungsverhältnisse gemacht habe. Die Vertragsbeziehung zwischen den Parteien sei durch die Täuschungshandlung des Klägers bei seiner Einstellung im Jahr 1997 nicht mehr beeinträchtigt. Der Kläger habe keine besonders verantwortungsvolle Funktion. Der Umstand, dass er bei der Abschlussprüfung schlechter abgeschnitten habe als gegenüber der Beklagten angegeben, wirke sich auch in Zukunft auf das Arbeitsverhältnis in keiner Weise aus.

Nachdem der Kläger zweitinstanzlich klargestellt hat, dass die Kündigungsschutzanträge hilfsweise jeweils für den Fall des Obsiegens mit den vorausgegangenen Anträgen gestellt werden, beantragt der Kläger zuletzt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 07.02.2006 – 31 Ca 11627/05 – wird abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 09.11.2005 nicht beendet wurde.

Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag Ziffer 2:

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung der Beklagten vom 11.11.2005 nicht beendet wurde.

Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen Ziffern 2 und 3:

4. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 21.11.2005 nicht beendet wurde.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Ihre Anfechtung vom 09.11.2005 verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Zwar habe der Kläger seine Tätigkeit bei der Beklagten beanstandungsfrei erbracht; der Arbeitswert von 28 sei jedoch der normale Arbeitswert für diese Tätigkeit. Als der Beklagten jedoch die Täuschungshandlung des Klägers bekannt geworden sei, sei das zwischen den Parteien bestehende Vertrauensverhältnis zerstört worden. Hierdurch sei das Arbeitsverhältnis auch noch fortdauernd beeinträchtigt. Deshalb sei das Verhalten des Klägers auch anders zu beurteilen als ein bloßes Verschweigen oder eine Lüge auf eine zulässige Frage des Arbeitgebers beim Einstellungsgespräch.

Würde ihre Anfechtung gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen, würde dies bedeuten, dass die Vorlage gefälschter Prüfungszeugnisse und das Erschleichen einer Einstellung immer dann ihren Unrechtscharakter verlören, wenn der Arbeitnehmer eine zeitlang beanstandungsfrei gearbeitet habe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des sonstigen Vorbringens der Parteien wird gemäß § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst den Anlagen und die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 2c ArbGG statthaft. Sie ist auch gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und damit auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht mit im Wesentlichen zutreffender Begründung die Klage abgewiesen, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten mit Zugang der Anfechtungserklärung vom 09.11.2005 beendet wurde.

I.

Die Beklagte hat ihre bei Begründung des Arbeitsverhältnisses abgegebene Willenserklärung wirksam mit der Nichtigkeitsfolge gemäß § 142 Abs. 1 BGB ex nunc angefochten, weil sie hierzu durch arglistige Täuschung des Klägers gemäß § 123 Abs. 1 BGB bestimmt worden war.

1.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass der Kläger die Beklagte durch Vorlage des gefälschten Zeugnisses im Rahmen seiner Bewerbungsunterlagen getäuscht hat. Der Kläger hat hierbei das von der IHK als öffentliche Urkunde erteilte Zeugnis gefälscht und die Bewertung seiner schriftlichen Prüfung von ausreichend auf befriedigend, in Punkten von 54 auf 65 und der praktischen Prüfung von befriedigend auf gut, in Punkten von 70 auf immerhin 89 Punkte „verbessert“. Er hat der Beklagten damit wesentlich bessere theoretische und praktische Berufskenntnisse wahrheitswidrig vorgespiegelt.

2.

Bei dieser rechtswidrigen Täuschung handelte der Kläger auch arglistig. Das ist der Fall, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt und zumindest billigend in Kauf nimmt, der Erklärungsempfänger könnte durch die Täuschung beeinflusst werden (vgl. BAG, 28.05.1998 – 2 AZR549/97 – AP Nr. 46 zu § 123 BGB zu II 1 d der Gründe).

Der Kläger kannte die Unrichtigkeit seiner Angaben und wollte die Einstellungsentscheidung der Beklagten hierdurch auch beeinflussen. Nach eigenen Angaben bei seiner Anhörung am 04.11.2005 hat er die Fälschung gerade deshalb vorgenommen, um seine Einstellungschancen zu verbessern.

3.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch angenommen, dass die Vorlage des gefälschten Berufbildungszeugnisses kausal für den Abschluss des Arbeitsvertrages war.

a) Das ist der Fall, wenn ohne den erzeugten Irrtum die Willenserklärung nicht abgegeben worden wäre, wobei Mitursächlichkeit der Täuschung genügt und es ausreicht, wenn der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein können und die Täuschung nach der Lebenserfahrung Einfluss auf die Entscheidung haben kann (vgl. BAG, 20.05.1999 – 2 AZR 320/98 – BAGE 91, 349 = AP Nr. 50 zu § 123 zu B I 3 der Gründe).

b) Von diesen Grundsätzen ausgehend ergibt sich, dass die Vorlage des gefälschten Zeugnisses zumindest mitursächlich für den Abschluss des Arbeitsvertrages war und die Beklagte hinreichende Umstände dafür dargelegt hat, dass die Vorlage des gefälschten Zeugnisses für ihren Willensentschluss von Bedeutung war und nach der Lebenserfahrung Einschluss hierauf hatte. Die Beklagte hat unwidersprochen dargelegt, dass sie täglich eine Vielzahl von Bewerbungen erhalte, deshalb zunächst auf der Grundlage der „Papierform“ eine Vorauswahl vornehme und nur die besten Bewerber zu Bewerbungsgesprächen einlade. Danach hat die Beklagte einen Lebenssachverhalt dargelegt, nachdem die Täuschung des Klägers für ihren Entschluss, ihn überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen, von Bedeutung war. Die Täuschung war deshalb zumindest mitursächlich für Entscheidung der Beklagten, ein Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu begründen. Dem ist auch der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Soweit er vorträgt, dass andere Mitarbeiter in der Gießerei auch ohne anerkannten Berufsabschluss eingestellt worden wären, behauptet auch der Kläger nicht, dass diese Mitarbeiter als Schweißer beschäftigt worden seien. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer erstmals behauptet hat, er wäre auch ohne das gefälschte Zeugnis eingestellt worden, setzt er sich damit in Widerspruch zu seinem bisherigen Vortrag, er habe seine Einstellungschancen durch die Fälschung verbessern wollen.

Wäre dem so gewesen oder der Kläger zumindest selbst zum Bewerbungszeitpunkt davon ausgegangen, dass er auch mit seinem richtigen Zeugnis bei der Beklagten eingestellt worden wäre, hätte es für die Vorlage des gefälschten Zeugnis keine Veranlassung gegeben.

4.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Ausübung des Anfechtungsrechts durch die Beklagte auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht auch das Recht zur Anfechtung unter dem Vorbehalt, dass seine Ausübung nicht gegen Treu und Glauben verstößt; die Anfechtung ist danach dann ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist. Gerade auch auf Grund der Tatsachen, dass das Arbeitsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis darstellt, kann sich ergeben, dass der Anfechtungsgrund soviel an Bedeutung verloren hat, dass er eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen kann. Im Rahmen des § 123 Abs. 1 BGB ist danach zwar keine Interessenabwägung vorzunehmen, es ist aber zu prüfen, ob die Rechtslage des Getäuschten durch die im Rahmen der Einstellung verübte Täuschungshandlung noch beeinträchtigt ist (BAG, 11.11.1993 – 2 AZR 467/93 – BAGE 75, 77, 86; 28.05.1998 – 2 AZR 549/97 – AP BGB § 123 Nr. 46 = EzA BGB § 128 Nr. 49; 06.07.2000 – 2 AZR 543/99 – AP Nr. 58 zu § 123 BGB; zuletzt 01.06.2006, 6 AZR 730/05, juris). Geschützt wird insoweit die subjektive Willensfreiheit des Getäuschten (vgl. BAG, 28.05.1998 – 2 AZR 549/97 – a. a. O.. zu II 2 b der Gründe) Bei der Falschbeantwortung von zulässigen Fragen stellt das Bundesarbeitsgericht auf die von dem betreffenden Arbeitnehmer vertraglich geschuldete Leistung und den mit der Fragestellung verfolgten Zweck ab (vgl. BAG, 28.05.1998 – 2 AZR 549/97 – a. a. O.). Bei ohne Veranlassung des Arbeitgebers vorgelegten Unterlagen ist auf deren Zweck abzustellen.

b) Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ausgehend hat das Arbeitsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte nicht nach Treu und Glauben gehindert war, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger anzufechten.

Dem Kläger ist zwar einzuräumen, dass er bei der Beklagten keine Position mit herausgehobener Verantwortung in wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht ausübt.

Weiter mag es zutreffen, dass die gegen die erbrachte Arbeitsleistung des Klägers keine Beanstandungen erhoben wurden. Das Arbeitsverhältnis war jedoch wegen der Täuschung eben gerade nicht insgesamt beanstandungsfrei (vgl hierzu auch BAG, 01.06.2006 – 6 AZR 730/05 – a. a. O..). Nach der dargestellten Rechtsprechung kommt es nicht nur auf die geschuldete Leistung, sondern auch auf den Zweck der Frage oder vorgelegten Unterlagen an. Der Zweck eines Berufsausbildungszeugnisses besteht nicht nur im Nachweis des Bestehens der Abschlussprüfung, sondern soll gerade durch die Noten den Grad der Qualifikation des ehemaligen Auszubildenden bescheinigen. Deshalb wird die durch § 123 Abs. 1 BGB geschützte Willensfreiheit des Arbeitgebers im besonderem Maße beeinträchtigt, wenn er durch gefälschte Zeugnisse zum Abschluss eines Arbeitsvertrages bestimmt wird. Die Rechtslage der Beklagten ist durch die Vorlage des gefälschten Zeugnisses auch noch beeinträchtigt. Die Beklagte hat – wie jeder Arbeitgeber – ein schützenswertes Interesse daran, dass die ihr im Rahmen von Bewerbungen vorgelegten Zeugnisse, mit denen ein Arbeitnehmer seine Qualifikation nachweisen will, diese auch tatsächlich wiedergeben und nicht gefälscht sind. Nur dies ermöglicht ihr einen fairen Vergleich des Klägers mit anderen Bewerbern. Hinzu kommt, dass nicht auszuschließen ist, dass auch Außenstehende erfahren, dass die Beklagte Mitarbeiter, die sich ihre Einstellung durch Vorlage gefälschter Zeugnisse erschlichen haben, weiterbeschäftigt, nur weil sie ihre Arbeit ordnungsgemäß geleistet haben. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Vorlage des gefälschten Zeugnisses durch den Kläger offensichtlich nicht um nur um einen Einzelfall handelt, nachdem ein weiterer Fall Veranlassung zur Überprüfung der Unterlagen des Klägers gegeben hatte. Hierdurch ist die rechtliche Situation der Beklagten auch fortdauernd beeinträchtigt, so dass ihre Anfechtung auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht zu beanstanden ist. Dagegen kommt es – entgegen der Auffassung des Klägers – auf eine Prognose und künftige Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses, die allenfalls im Rahmen einer hier nicht vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen wären, nicht an.

II.

Nachdem der Kläger bereits hinsichtlich seines gegen die Anfechtung vom 09.11.2005 gerichteten Feststellungsantrages unterlegen ist, sind die weiteren für den Fall des Obsiegens mit diesem Antrag gestellten Hilfsanträge nicht zur Entscheidung angefallen.

III.

Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

IV.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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