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Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes nach Patiententod

OLG München

Az: 1 W 1320/11

Beschluss vom 19.09.2011


I. Die sofortige Beschwerde des Zeugen Prof. Dr. (Beschwerdeführer) gegen das Zwischenurteil des Landgerichts Landshut vom 15.07.2011 wird zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gestützt auf § 116 SGB X gegen die Beklagte als Trägerin des Bezirksklinikums . die für die Behandlung von Brandwunden des bei ihr versicherten Patienten Hermann G. angefallenen Kosten geltend. Der Beschwerdeführer ist Chefarzt der Medizinischen Klinik des Klinikums.

Der bei der Klägerin versicherte Patient, der inzwischen verstorben ist, war wegen Alkoholentzugsproblemen am 3.5.2006 in das Bezirkskrankenhaus . aufgenommen worden. Am Morgen des 6.5.2006 wurde er in seinem Krankenzimmer am Heizkörper angelehnt vorgefunden. Bei dem Patienten wurde eine Verbrennung zweiten Grades festgestellt. Am 29.5.2006 wurde der Patient von dem Bezirksklinikum in das Klinikum L. verlegt.

Mit ihrer am 16.10.2009 erhobenen Klage macht die Klägerin gegenüber der Beklagten Heilbehandlungskosten insoweit in Höhe von ca. 6000,– € geltend.

Nachdem der vom Landgericht beauftragte Sachverständige mit Gutachten vom 16.08.2010 zu dem Ergebnis gekommen ist, dass in der Nacht vom 5.5. auf den 6.5.2006 seitens der Beklagten die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen nicht durchgeführt worden waren, ordnete das Landgericht mit Verfügung vom 22.10.2010 eine umfangreiche Beweisaufnahme an, bei der unter anderem der Beschwerdeführer und weitere Ärzte des Klinikums L. sowie des Bezirksklinikums vernommen werden sollten. Hinsichtlich des von der Klägerin als Zeugen benannten Beschwerdeführers lautete das Beweisthema „Grund für die Aufnahme des Patienten am 29.5.2006 im Klinikum „.

In der öffentlichen Sitzung des Landgerichts Landshut am 3.3.2011 erklärte der Beschwerdeführer, er habe Bedenken, Angaben zur Sache zu machen, da er nicht wirksam von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden worden sei. Die Kammer beendete daraufhin den Termin zur Durchführung der Beweisaufnahme.

Mit Schriftsatz vom 23.3.2011 beantragte die Klägerin, durch Zwischenurteil gemäß § 387 Abs. 2 ZPO über die Rechtmäßigkeit des Aussageverweigerungsrechts zu entscheiden und den Beschwerdeführer aufzufordern, seine Gründe für seine Aussageverweigerung zu nennen.

Mit Schreiben vom 25.5.2011 teilte der Beschwerdeführer dem Gericht mit, dass aus seiner Sicht die Schweigepflicht ein besonders hoch einzuschätzendes Gut sei. Es stelle sich die Frage, ob gegen einen Dritten, der nicht notwendigerweise ein unmittelbares Interesse am Ausgang dieses Prozess habe, die Schweigepflicht gebrochen werden könne. Aus seiner Sicht könne der Bruch der Schweigepflicht nur dann erfolgen, wenn besondere Gründe vorliegen würden, die unmittelbar im Interesse des Patienten selbst liegen würden.

Mit Zwischenurteil vom 15.07.2011 entschied das Landgericht, dass der Beschwerdeführer nicht berechtigt sei, sein Zeugnisverweigerungsrecht auf eine fehlende Entbindung der ärztlichen Schweigepflicht zu stützen.

Das Landgericht führte zur Begründung aus, dass es die Überzeugung gewonnen habe, dass der verstorbene Patient die Ärzte und das Pflegepersonal im Zusammenhang mit dem Zustandekommen und mit der Behandlung der Brandverletzung von der Schweigepflicht entbunden hätte. Auch wenn die Verfolgung etwaiger Behandlungsfehler nicht im unmittelbaren Interesse des inzwischen verstorbenen Patienten oder seiner Erben sondern im Interesse seiner Krankenversicherung erfolgt sei, sei von einer mutmaßlichen Entbindung auszugehen. Die Kammer sei der Auffassung, dass es auch im Interesse des einzelnen Patienten und im Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten liege, der Krankenkasse die Möglichkeit zu verschaffen, wegen Behandlungsfehlern bei dem Träger eines Krankenhauses die Kosten geltend zu machen, die zur Behebung der Folgen eines Behandlungsfehlers notwendig gewesen wären. Gründe, die den Patienten hätten veranlassen können, ausnahmsweise doch eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht zu verweigern, seien nicht ersichtlich. Sein Alkoholproblem sei bekannt gewesen und der Vorfall, der zu den Brandverletzungen geführt habe, sei unter Berücksichtigung des bekannten Alkoholproblems nicht als so peinlich anzusehen, dass allein deshalb eine Verweigerung der Entbindung von der Schweigepflicht zu vermuten wäre.

Der Beschwerdeführer legte mit Schreiben vom 20.07.2011 gegen das Zwischenurteil das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ein.

Das Landgericht half mit Beschluss vom 21.07.2011 der sofortigen Beschwerde nicht ab.

Mit Verfügung vom 29.07.2011 eröffnete der Senat dem Beschwerdeführer die Gelegenheit, die sofortige Beschwerde bis zum 1.9.2011 zu begründen. Eine Beschwerdebegründung ist nicht eingegangen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers erwies sich als unbegründet.

Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen ein Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers verneint, da davon auszugehen ist, dass der Patient den Beschwerdeführer mutmaßlich von der Schweigepflicht entbunden hätte.

Die ärztliche Schweigepflicht reicht auch über den Tod des Patienten hinaus. Fehlt es an einer Willenserklärung des verstorbenen Patienten zu Lebzeiten, so ist der mutmaßliche Wille des Verstorbenen zu erforschen. Geht ein mutmaßlicher Wille des Verstorbenen eindeutig dahin, dass er unter Berücksichtigung seines wohlverstandenen Interesses auf eine weitere Geheimhaltung verzichten würde, so steht dem Zeugen ein Verweigerungsrecht aus § 385 Abs. 2 ZPO nicht zu (vgl. dazu BayObLG, NJW 1987, 1492).

Die Entscheidung, ob der Patient den Arzt mutmaßlich von der Schweigepflicht entbunden hätte, obliegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Arzt. Der Arzt kann und muss auch gegenüber nahen Angehörigen und gegebenenfalls auch gegenüber der Krankenkasse des Verstorbenen die Aussage verweigern, soweit er sich bei gewissenhafter Prüfung seiner gegenüber dem Verstorbenen fortwirkenden Verschwiegenheitspflicht an der Preisgabe gehindert sieht. Sofern von der ärztlichen Schweigepflicht her ernstliche Bedenken gegen die Offenbarung der der ärztlichen Schweigepflicht unterliegenden Tatsachen bestehen, kommt der Wahrung des Arztgeheimnisses der Vorrang zu. Der Arzt hat aber gewissenhaft zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verstorbene die vollständige oder teilweise Offenlegung des Behandlungsgeschehens gegenüber seinen Hinterbliebenen bzw. Erben bzw. seiner Krankenkasse mutmaßlich missbilligt haben würde. Bei der Erforschung dieses mutmaßlichen Willens des verstobenen Patienten spielt auch das Anliegen der die Auskünfte bzw. die Aussage begehrenden Personen eine entscheidende Rolle. Es spricht einiges dafür, dass ein Patient sich dem Anliegen der Verfolgung von Behandlungsfehlern nicht verschlossen haben würde. Dies gilt nach Auffassung des Senats unabhängig davon, ob etwaige Ansprüche wegen Behandlungsfehlern von der Krankenkasse oder von nahen Angehörigen geltend gemacht werden. Es ist in der Regel davon auszugehen, dass die Entbindung von der Schweigepflicht dem mutmaßlichen Willen des verstorbenen Patienten entspricht, wenn die Entbindung die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen wegen Behandlungsfehlern erleichtert oder gar erst ermöglicht. Dies gilt auch dann, wenn von nachbehandelnden Ärzten Auskünfte begehrt werden, die zur Aufklärung eines Behandlungsfehlers eines anderen Arztes benötigt werden.

Von dem Arzt, der sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht wegen fehlender Entbindung von der Schweigepflicht beruft, kann zwar nicht verlangt werden, dass er seine Gründe ausführlich und detailliert darlegt, da dies möglicherweise die Preisgabe schutzbedürftiger Geheimnisse bedingen würde, er muss sich jedoch bewusst sein, dass er das Zeugnis nur verweigern darf, wenn gegen seine Aussage von seiner Schweigepflicht her mindestens vertretbare Bedenken bestehen können. Um der Gefahr zu begegnen, dass der Arzt aus unsachlichen Gründen sich auf die Schweigepflicht beruft, muss der Arzt zumindest darlegen, unter welchen allgemeinen Gesichtspunkten er sich durch die Schweigepflicht an einer Aussage gehindert sieht, d. h. eine Weigerung muss er auf konkrete oder mutmaßliche Belange des Verstorbenen stützen. Sofern die von dem Arzt in diesem Rahmen angeführten Gründe nicht nachvollzogen werden können und eine Weigerung nicht rechtfertigen können, ist daher von einer mutmaßlichen Einwilligung zur Entbindung der ärztlichen Schweigepflicht auszugehen (vgl. BGH NJW 1983, 2627; OLG München, MedR 2009, 49).

Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe sind auch unter Berücksichtigung der oben dargestellten inhaltlichen Anforderung an eine Begründung und des dem Arzt einzuräumenden Ermessensspielraums nicht hinreichend, da sie keinerlei konkrete Tatsachen und Erwägungen enthalten, die die Entscheidung des Beklagten nachvollziehbar erscheinen lassen. Alleine die Berufung auf den postmortalen Persönlichkeitsschutz bzw. das hohe Rechtsgut der Schweigepflicht reicht nicht aus. Insbesondere sind keinerlei einzelfallbezogenen Erwägungen dargetan. Die weitere Begründung, dass nur dann von einer mutmaßlichen Entbindung der Schweigepflicht ausgegangen werden kann, wenn die Entbindung im unmittelbaren Interesse des Patienten liege, greift nicht. Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Versterben des Patienten keine Vermögenszuwendungen und keine Realisierung von Schadensersatzansprüchen mehr im unmittelbaren Interesse des Patienten liegen kann. Eine Differenzierung danach, ob Schadensersatzansprüche wegen Behandlungsfehlern von den Angehörigen bzw. Erben oder von der Krankenkasse geltend gemacht werden, erscheint dem Senat nicht angebracht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass ein Patient, der durch Behandlungsfehler von Ärzten gesundheitlich beeinträchtigt wurde, ein Interesse daran hat, dass diese Ansprüche ausgeglichen werden und nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft der Versicherten gehen. Insoweit kann voll umfänglich auf die zutreffenden Gründe des landgerichtlichen Zwischenurteils Bezug genommen werden.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Beschwerde ergibt sich aus § 97 ZPO und dem Gerichtskostenverzeichnis Ziff. 1812.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die entscheidungserheblichen Fragen höchstrichterlich geklärt sind.

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