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6-monatiger Genesenenstatus für Personenkreis § 20a Abs. 1 IfSG

VG Oldenburg – Az.: 7 B 537/22 – Beschluss vom 04.03.2022

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1.

Das nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu beurteilende Begehren der Antragstellerin, vorläufig festzustellen,

 „dass (ihr) Genesenenstatus (…) wie in dem Genesenennachweis vom 03.12.2021 ausgewiesen, mindestens bis zum 23.05.2022 fortbesteht und

§ 1 Abs. 3, § 7 Abs. 6 Nr. 3, § 7a, § 8, § 8a f. u.a. der niedersächsischen Corona-Verordnung in der aktuell geltenden Fassung iVm § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.1.2022 und i. V. m. Webseite des Robert-Koch-Instituts www.rki.de/covid-19-genesenennachweis für (sie) nicht gilt“,

bleibt ohne Erfolg.

6-monatiger Genesenenstatus für Personenkreis § 20a Abs. 1 IfSG
6-monatiger Corona Genesenenstatus (Symbolfoto: stockwerk-fotodesign/Shutterstock.com)

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller den geltend gemachten Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besondere Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) darlegt und glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht regelmäßig nur vorläufige Entscheidungen treffen und einem Antragsteller noch nicht in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erstreiten könnte. Im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache jedoch nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären sowie ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, der Antragsteller dort also schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben würde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26. November 2013 – 6 VR 3.13 –, juris, Rn. 5, 7).

Darüber hinaus sind erhöhte Maßstäbe hier auch schon deshalb anzulegen, da der Sache nach die Gültigkeit einer Rechtsnorm vorübergehend suspendiert werden soll, wofür in einem Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO auch eine besonders strenge Interessenabwägung vorzunehmen wäre (vgl. zum Maßstab OVG Münster, Beschl. v. 10. Juni 2016 – 4 B 504/16 –, juris, Rn. 24 ff., m. w. N.). Zwar betrifft der vorliegende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, anders als Eilanträge im Normenkontrollverfahren gem. § 47 Abs. 6 VwGO, unmittelbar nur das Verhältnis zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens. Jedoch könnten, wenn § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 gegenüber der Antragstellerin für rechtswidrig erklärt würde, auch andere Bürgerinnen und Bürger Anträge im einstweiligen Rechtsschutzverfahren stellen, und es bestünde für den Antragsgegner ein erheblicher Druck auf Gleichbehandlung mit der Folge, dass die Bestimmungen der Niedersächsischen Corona-Verordnung, die auf § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 verweisen, faktisch außer Kraft gesetzt würden. Auch dieser Umstand unterstreicht das Erfordernis hoher Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren (vgl. VG Hamburg, Beschl. v. 14. Februar 2022 – 14 E 414/22 –, juris, Rn. 10).

In Anwendung dieses Maßstabs liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer die Hauptsache vorwegnehmenden Regelungsanordnung nicht vor.

Dem Erfolg des Antrags steht hier durchgreifend entgegen, dass für die Antragstellerin eine zumutbare und wirksame Möglichkeit besteht, auch ohne die begehrten gerichtlichen Feststellungen die von ihr wegen des „vorzeitigen“ Endes der ihr ursprünglich mit dem Genesenennachweis vom 3. Dezember 2021 bescheinigten „Genesenenzeit“ befürchteten beruflichen und privaten Nachteile zu vermeiden, indem sie einen Impfschutz gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 erlangt.

Es ist hier im konkreten Einzelfall der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung aller im Widerstreit stehenden grundrechtlichen Aspekte zumutbar, sich auf die Möglichkeit der Erlangung eines Impfschutzes verweisen zu lassen.

Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass es sich bei einer Impfung um einen nicht unerheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit handelt und die Entscheidung darüber, ob dieser Eingriff erfolgen soll, grundsätzlich dem einzelnen Betroffenen im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts obliegt. Inwiefern dieses Recht für jeden Einzelnen im Rahmen des Pandemiegeschehens durch die widerstreitenden Grundrechte Dritter, insbesondere das wegen des von ungeimpften Personen ausgehenden (jedenfalls erhöhten) Infektionsrisikos ebenfalls betroffene Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit Dritter, und die Leistungsgrenzen der medizinischen Infrastruktur überlagert und eingeschränkt wird bzw. einer Einschränkung durch die gesetzgeberische Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zugänglich ist, ist gegenwärtig Gegenstand politischer, rechtlicher und medizinischer Diskussionen und damit nicht abschließend geklärt. Es obliegt auch nicht der Kammer des angerufenen Gerichts, im vorliegenden Eilverfahren insoweit eine Klärung herbeizuführen und bedarf aus den nachstehenden Gründen ohnehin keiner abschließenden Klärung.

Die Antragstellerin befindet sich in einer besonderen Situation, die im konkreten Einzelfall eine gerichtliche Beurteilung der Impfung als zumutbares Alternativverhalten erlaubt, da sie als Pflegekraft nach eigenen Angaben zum Kreis der in § 20a Abs. 1 IfSG genannten Personen gehört und daher ohnehin der gesetzlich normierten einrichtungsbezogenen Impfpflicht unterliegt, die ab dem 15. März 2022 gilt.

Zwar ist insoweit der Genesenenstatus dem Impfstatus gleichgestellt (§ 20a Abs. 2 IfSG), so dass die Antragstellerin im Falle der begehrten sechsmonatigen (Fort-)Dauer des Genesenenstatus bis zum 23. Mai 2022 keinen Impfschutz nachweisen müsste, um ihrem Beruf nachzugehen. Gleichwohl wird die Verpflichtung zum Nachweis des Impfschutzes nach Ablauf des Genesenenstatus in jedem Fall „aufleben“, so dass die Antragstellerin – so sie denn ihren Beruf auch nach dem Ende des Genesenenstatus weiter ausüben will – sich ohnehin impfen lassen muss. Dass die Antragstellerin ihren Beruf in Ansehung der „drohenden“ Impfpflicht aufgeben wird, um nicht mehr zum Personenkreis des § 20a Abs. 1 IfSG zu gehören und so der Impfpflicht zu „entgehen“, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Umstand, dass die Antragstellerin die Bedeutung des fortgeltenden Genesenenstatus für ihre Berufsausübung nach dem 15. März 2022 in der Begründung ihres Eilantrags hervorhebt, lässt vielmehr den Schluss zu, dass ihr an der Fortsetzung ihrer beruflichen Tätigkeit gelegen ist.

Die Antragstellerin könnte einen vollständigen Impfschutz auch kurzfristig erlangen, so dass sie nicht auf eine Fortdauer des Genesenenstatus angewiesen ist, um die befürchteten beruflichen und privaten Nachteile und Einschränkungen zu vermeiden. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt für ungeimpfte immungesunde Personen ab 12 Jahren sowie für 5- bis 11-jährige Kinder mit Vorerkrankungen, die eine gesicherte SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, im Rahmen der Grundimmunisierung die Verabreichung einer Impfstoffdosis. Wurde die Infektion – wie hier – durch einen PCR-Test bestätigt, soll die Impfung mit einem Abstand von mindestens 3 Monaten nach der Infektion erfolgen (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html, zum Unterpunkt „Wie sollten Personen geimpft werden, die bereits eine SARS-CoV-2-Infektion hatten?“; STIKO: 18. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, Tabelle 7, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/07_22.pdf?__blob=publicationFile). Da die Infektion der Antragstellerin am 23. November 2021 festgestellt wurde und damit mehr als drei Monate zurückliegt, kann die Antragstellerin sich ab sofort jederzeit impfen lassen. Die Grundimmunisierung, d.h. der vollständige Impfschutz im Sinne des § 2 Nr. 3 SchAusnahmV, würde durch die einmalige Impfung unmittelbar eintreten (STIKO: 18. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, a.a.O.). Nach Recherche der Kammer sind Impftermine (mit frei wählbarem Impfstoff) in der Stadt Emden auch kurzfristig verfügbar (vgl. etwa https://impfzentrum-emden.de/in-eigener-sache/).

Soweit die Antragstellerin der Zumutbarkeit der Impfung u.a. entgegenhält, dass diese einen nicht gerechtfertigten Eingriff in ihr Recht auf Selbstbestimmung über die körperliche Integrität sowie ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit darstelle und ihr das Risiko des Eintritts schwerwiegender Nebenwirkungen durch die Impfung nicht zuzumuten sei, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Die Antragstellerin verkennt insoweit, dass es in ihrem Einzelfall weder um eine „indirekte Impfpflicht“ noch um eine faktische Vorwegnahme einer (möglichen) allgemeinen Impfpflicht handelt, sondern sie von der gesetzlich bereits geregelten sog. einrichtungsbezogenen Impfpflicht betroffen ist. In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung dieser gesetzlichen Regelungen (insb. § 20a IfSG) hat das Bundesverfassungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Februar 2022 – 1 BvR 2649/21 -) und hierbei ausgeführt, dass die Einführung des § 20a IfSG als solche keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Das Gericht hat daher keinen Anlass, diese gesetzliche Regelung im Hinblick auf die medizinischen Bedenken der Antragstellerin gegen eine Impfung sowie ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Impfpflicht einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen. Als förmliches Gesetz unterliegt § 20a IfSG allein dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts. Eine Vorlage im Wege der konkreten Normenkontrolle ist in Ansehung der bereits vorliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht geboten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

2.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Von einer Reduzierung des Betrags im Eilverfahren ist unter Berücksichtigung der Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11) abzusehen, weil aufgrund der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache die Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens dem Hauptsacheverfahren entspricht.

 

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