Arbeitsgericht Frankfurt am Main
Az.: 1 Ca 36/05
Urteil vom 23.01.2006
In dem Rechtsstreit hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Kammer 1, auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2006 für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 96.899,19 (in Worten: sechsundneunzigtausendachthundert-neunundneunzig und 19/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Januar 2005 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 96.899,00 festgesetzt.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über eine Abfindungsforderung des Klägers, der bei der Beklagten in der Zeit vom 1. September 1995 bis zum 31. Dezember 2003 beschäftigt war.
Als Abteilungsleiter in der Abteilung Sonderengagement Ost‘ (B/SEO) im Geschäftsfeld Risikomanagement verdiente er am Standort Berlin der Beklagten nach seiner unwidersprochenen Darstellung zuletzt 10.636,37 € brutto im Mo nat.
Nachdem die Beklagte mit ihrem Gesamtbetriebsrat am 22. Januar 2003 einen lnteressenausgleich zur Veränderung im Geschäftsfeld Risikomanagement 2003/2004“ abgeschlossen hatte, kündigte der Kläger mit Schreiben vom 29. September 2003 sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum 31. Dezember 2003. Auf den Interessenausgleich und auf den dort in § 2 Ziff. 1 in Bezug genommenen Sozialplan vom 27. Juli 2000 wird Bezug genommen (BI. 8 – 30 d. A.). In § 2 Ziff. 4 des Interessenausgleichs heißt es:
Kündigt ein Mitarbeiter des Geschäftsfelds … an einem Standort, aus dem sich der Bereich des Mitarbeiters zurückzieht, wegen der Verlagerung des Bereichs an einen anderen Standort, hat er Anspruch auf die Regelungen des Sozialplans.
Der Kläger ist der Meinung, aus § 2 Ziffer 4 des Interessenausgleichs habe er einen Anspruch auf eine Abfindung nach dem Sozialplan vom 27. Juli 2000. Er sei mit seiner Kündigung einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten nur zuvor gekommen. Die Beklagte habe bereits im Frühjahr 2003, so behauptet der Kläger, beschlossen, die Abteilung … zu schließen. Auf einer Betriebsversammlung der im 1. Halbjahr 2003 habe der Zeuge … mitgeteilt, dass für den Bestand der Abteilung und für die dort bestehen den Arbeitsplätze keine Zusage über den 31. Dezember 2005 hinaus gegeben werden könne. Bereits Anfang 2003, so behauptet der Kläger unwidersprochen, habe der Vorstand die Besetzung zweier offener Stellen in der … abgelehnt und diese Stellen für den Standort … vor- gesehen. Nach seinem Ausscheiden, sei die Stelle nicht wieder mit einem Abteilungsleiter besetzt worden, sondern zunächst nur kommissarisch weitergeführt worden.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 96.899,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Oktober 2003 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält das Zahlungsbegehren des Klägers für unbegründet und meint, der Kläger habe allein aus eigenem Antrieb und ohne jeden betriebsbedingten Hintergrund gekündigt. Sie habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, ihm zu kündigen. Erst als Folge der Kündigung des Klägers, so behauptet die Beklagte, sei eine teilweise Umorganisation des Fachbereichs … vorgenommen worden. Die Abteilungsstruktur in … sei aufgelöst worden und die Abteilungsleitung zum 1. April 2004 in der Niederlassung … gebündelt worden. Darüber hinaus sei eine von ursprünglich zwei in angesiedelten Arbeitsgruppen mit einer Arbeitsgruppe in der Niederlassung … zusammengeführt worden, ohne dass sich der Dienstsitz der Mitarbeiter in … geändert habe. Der erforderliche Rückzug, so meint die Beklagte, habe sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigung des Klägers nicht zugetragen. Der Beweggrund zur Kündigung habe offensichtlich ausschließlich in der Sphäre des Klägers gelegen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den weiteren Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.
Die Kammer hat den … als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Januar 2006 verwiesen (BI. 67 d. A).
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist bis auf eine Zuvielforderung bei den Zinsen begründet.
Der Kläger kann von der Beklagten die Bezahlung von 96.899,19 € beanspruchen. Als Anspruchsgrundlage steht ihm § 2 Ziff. 4 des Interessenausgleichs zur Veränderung im Geschäftsfeld … 2003/2004 i.V.m. § 10 des Sozialplans vom 27. Juli 2000 zur Seite.
Die in der Höhe von der Beklagten nicht bestrittene, mithin gemäß § 138 Abs. 3 ZPO zugestandene Forderung, steht dem Kläger entgegen der Meinung der Beklagten auch dem Grunde nach zu. Die Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Ziff. 4 des Interessenausgleichs erfüllt der Kläger.
Der Interessenausgleich findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Der Kläger gehörte am 17. Januar 2003, wie es § 1 Ziff. 2 des Interessenausgleichs fordert, als Mitarbeiter der Beklagten dem Geschäftsfeld … an, ohne dass er zu den leitenden Angestellten i.S.d. Betriebsverfassungsgesetzes zählte.
Zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers, Ende September 2003, war die Beklagte bereits im Begriff sich aus dem Standort … zurückzuziehen.
Diese Bewertung wird durch die unwidersprochen gebliebene Behauptung des Klägers untermauert, bereits Anfang 2003 habe der Vorstand der Beklagten die Besetzung zweier offener Stellen in der Abteilung … abgelehnt und diese Stellen für den Standort vorgesehen.
Der als Zeuge vernommene … hat darüber hinaus bestätigt, dass er über seine Konzeption, den Standort … zum Ende des Jahres 2005 zu schließen, mit dem Kläger ab 2003 Gespräche geführt hat. Es spreche auch einiges dafür, dass er auf einer Mitarbeiterversammlung im ersten Halbjahr 2003 entsprechende Äußerungen getätigt habe. Der Bereich sei dann auch zum 31. Dezember 2005 geschlossen worden, wobei teilweise allerdings Bestände auf den Standort übertragen worden seien.
Ferner hat der Zeuge bekundet, dass seiner Erinnerung nach Herr … kommissarischer Leiter der nach dem Ausscheiden des Klägers verwaisten Stelle gewesen sei, jedenfalls sei er der für das „Herunterfahren“ der Abteilung in … bis zum Jahresende 2005 zuständige Mann gewesen. Es sei wohl so gewesen, dass Herr … von … aus in diesen Angelegenheiten zwei Tage in der Woche nach … gefahren sei.
Die Kammer hat keine Veranlassung, in die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage irgendwelche Zweifel zu setzen:
Nach dieser Aussage steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger bei seiner Kündigung wusste er würde seinen Arbeitsplatz betriebsbedingt am Standort … verlieren und dass er sich im Hinblick auf diese sich abzeichnende Entwicklung nach einem anderen Arbeitsplatz umsah und in der Folge sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten kündigte. In diesem Zusammenhang gewinnt die Aussage des Zeugen … Bedeutung, der Kläger habe, als er von der Standortschließung erfahren habe, geäußert, er wolle nicht in … das Licht ausmachen.
Die Aussage des Zeugen … widerlegt zugleich die Darstellung der Beklagten, die Standortschließung in bzw. die teilweise Verlagerung der Abteilung in die Niederlassung … sei erst eine Folge des Ausscheidens des Klägers aufgrund seiner Kündigung gewesen.
Der Abfindungsanspruch des Klägers scheitert nicht daran, dass eine betriebsbedingte Kündigung zu der Zeit, als er selbst das Arbeitsverhältnis kündigte, nicht bevorstand und auch nicht daran, dass die Beklagte möglicherweise überhaupt nicht vorhatte, das Arbeitsverhältnis mit hin zu kündigen, sondern ihn an einem anderen Standort einzusetzen.
Es gehört nicht zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Ziff. 4 des Interessenausgleichs, dass eine betriebsbedingte Kündigung von der Beklagten überhaupt erwogen wird. Derartige Einschränkungen des Abfindungsanspruchs hat die Beklagte mit ihrem Gesamtbetriebsrat in § 2 Ziff. 4 nicht vereinbart.Der geltend gemachte Zinsanspruch ist erst ab Rechtshängigkeit begründet, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Der darüber hinaus ab 17. Oktober 2003 geltend gemachte Anspruch ist nicht schlüssig dargelegt, weswegen die Klage insoweit abgewiesen werden musste.
Die Beklagte hat die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da es sich bei der teilweisen Abweisung der beantragten Zinsen um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung handelt, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO handelt.
Die Festsetzung des Streitwertes im Urteil beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG.