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Abfindung und Anspruch auf Arbeitslosen- bzw. Krankengeld

Landessozialgericht NRW

Az.: L 12 AL 133/04

Urteil vom 26.01.2005

Vorinstanz: Sozialgericht Düsseldorf, Az.: S 19 AL 5/03


Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.04.2004 geändert. Der Bescheid vom 11.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.10.2002 bis 04.12.2002 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 05.12.2002 bis 15.03.2003 Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte hat die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Arbeitslosen- bzw. Krankengeld. Streitig ist insbesondere, ob der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld wegen des Erhalts einer Abfindung ruht.

Die am 00.00.1944 geborene Klägerin meldete sich am 09.08.2002 mit Wirkung zum 01.10.2002 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

In der Zeit vom 10.04.1975 bis 30.09.2002 war sie als Mitarbeiterin in der Produktion bei der Firma M Erzeugnisse GmbH & Co. in N beschäftigt. Auf dieses Beschäftigungsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie vom 21.05.2001 (MTV) Anwendung. Die Kündigungsfrist des Arbeitgebers betrug danach, wenn das Arbeitsverhältnis 20 Jahre bestanden hatte, 7 Monate zum Quartalsende (§ 2 Nr. 4a MTV). Außerdem galt folgender besonderer Kündigungsschutz (§ 2 Nr. 4e MTV):

„Nach Vollendung des 55. Lebensjahres und einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von 15 Jahren kann das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer nur aus wichtigem Grund oder mit Zustimmung des Betriebsrates gekündigt werden. Sollte keine Einigung zwischen den Betriebsparteien erzielt werden, können auf Wunsch einer Partei die Tarifparteien beteiligt werden.

Dieser Kündigungsschutz gilt nicht:

a) bei Betriebsänderungen im Sinne des § 111 BetrVG

b) zum Zeitpunkt sowie ab der Vollendung des 65. Lebensjahres

c) sobald Altersruhegeld bezogen wird.

Als wichtiger Grund gelten auch unbefristete Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, wenn die Voraussetzungen der §§ 43 und 50 oder der §§ 44, 50, 89 SGB VI oder der §§ 23 Abs. 2, 24 Abs. 2 AVG vorliegen.

Durch Anbieten eines anderen zumutbaren Arbeitsplatzes im Einvernehmen mit dem Betriebsrat ist dieser besondere Kündigungsschutz erfüllt. Dem umgesetzten Arbeitnehmer muss jedoch das bisherige tarifliche Einkommen unter Zugrundelegung der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit erhalten bleiben. Dieses tarifliche Einkommen nimmt an den Tarifänderungen teil. Nicht unter den Verdienstschutz fallen Zuschläge und Zulagen.“

Mit Schreiben vom 07.02.2002, das die Klägerin nach eigenen Angaben am selben Tag erhalten hatte, kündigte der Arbeitgeber den Anstellungsvertrag zum 30.09.2002. Zur Begründung führte der Arbeitgeber dabei unter anderem aus:

„Bekanntlich befindet sich die M Erzeugnisse GmbH & Co. in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Situation. Insofern haben wir uns zu einer Betriebsänderung entschlossen, die den Ausspruch von diversen betriebsbedingten Kündigungen zur Folge hat.

Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass auch ihr Arbeitsverhältnis von dieser Maßnahme betroffen ist.

Hiermit kündigen wir den mit ihnen bestehenden Anstellungsvertrag unter Beachtung der ordentlichen Kündigungsfrist betriebsbedingt mit Wirkung zum 30. September 2002.

Der Betriebsrat wurde gemäß § 102 BetrVG zu dieser Kündigung gehört.

Grundlage der betriebsbedingten Kündigung ist der Interessenausgleich und Sozialplan vom 29. Januar 2002.“

In dem Interessenausgleich vom 29.01.2002 ist unter anderem folgendes geregelt:

„Präambel

Auf dem Hintergrund der anhaltend defizitären Betriebsergebnisse der GmbH hat die Geschäftsführung der GmbH beschlossen, künftig ausschließlich Kundenaufträge zu akquirieren, die deckungsbeitragstarke Erträge generieren und die Bereiche Verwaltung, Innendienst wie auch die Produktion sowohl dem geringeren Kundenvolumen anzupassen als

auch eine optimale Kostenstruktur herzustellen. Die beabsichtigten Maßnahmen bedeuten einen Abbau bzw. Wegfall von voraussichtlich 29 Arbeitsplätzen. Die GmbH und der Betriebsrat sind sich darüber einig, dass die beabsichtigten Maßnahmen eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG darstellt. Vor diesem Hintergrund schließen die GmbH und der Betriebsrat nachfolgenden Interessenausgleich.

§ 1 Ziffer 3

Im Bereich der Produktion wird die GmbH bis spätestens zum 30. Juli 2002 folgende Personalanpassungen vornehmen:

– Bereich Technik, Reduktion um 2 Arbeitnehmer – Bereich Lager/Versand, Reduktion um 1 Arbeitnehmer – Bereich F/E, Reduktion um 1 Arbeitnehmer – Bereich Arbeitsvorbereitung, Reduktion um 1 Arbeitnehmer – Bereich Mischer/Vorbereitung, Reduktion um 2 Arbeitnehmer – Bereich Produktion, Reduktion um 9 Arbeitnehmer.“

In dem Sozialplan vom 29.01.2002 – auf den im Übrigen konkret Bezug genommen wird (Bl. 18 ff. der Gerichtsakte) – ist für die betroffenen Arbeitnehmer eine Abfindungsregelung vereinbart. Die Klägerin erhielt hiernach eine Abfindung von 42.496,64 Euro.

Mit Bescheid vom 11.10.2002 stellte die Beklagte das Ruhen des Leistungsanspruchs der Klägerin bis 13.03.2003 fest.

Dabei ging die Beklagte davon aus, dass die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zeitlich unbefristet ausgeschlossen gewesen sei, so dass eine (fiktive) Kündigungsfrist von 18 Monaten gelte, die nicht eingehalten worden sei. Weiter führte sie aus, für die Berechnung des Ruhenszeitraums seien 25 % der Abfindung heranzuziehen. Unter Berücksichtigung des zuletzt erzielten kalendertäglichen Entgelts ergebe sich ein Ruhen für 164 Kalendertage.

In der Zeit vom 24.10.2002 bis 15.03.2003 war die Klägerin ausweislich von ihr vorgelegter

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen arbeitsunfähig erkrankt. Dementsprechend bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld erst ab 16.03.2003 (Bewilligungsbescheid vom 28.03.2003 für 960 Tage, Bemessungsentgelt 455,00 Euro wöchentlich, Leistungsgruppe A, allgemeiner Leistungssatz = 171,85 Euro wöchentlich). Krankengeld durch die Beilgeladenen während der Arbeitsunfähigkeitszeit wurde nicht gewährt.

Gegen den Ruhensbescheid legte die Klägerin am 11.11.2002 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.01.2003 als unbegründet zurückwies. Sie stützte sich nunmehr auf § 143a Abs. 1 Satz 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III), wonach eine Kündigungsfrist von einem Jahr gelte.

Hiergegen hat die Klägerin am 09.01.2003 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben.

Sie hat insbesondere der Auffassung der Beklagten widersprochen, dass sie unkündbar gewesen sei. Denn der besondere Kündigungsschutz gelte nicht bei Betriebsänderungen im Sinne des § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Sie sei ausweislich des Kündigungsschreibens auch im Rahmen einer Betriebsänderung gekündigt worden. Außerdem habe der Betriebsrat der Kündigung durch den Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplans zugestimmt.

In der mündlichen Verhandlung vordem SG am 05.04.2004 hat die Beklagte den Bescheid vom 11.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2003 dahingehend abgeändert, dass der Ruhenszeitraum auf die Zeit vom 01.10.2002 bis 07.02.2003 festgelegt wird. Zugleich hat sie sich bereit erklärt zu überprüfen, ob der Klägerin bereits für die Zeit vom 08.02.2003 bis 15.03.2003 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften nachbewilligt werden kann.

Im Übrigen hat die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 11.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2003 in der Fassung der heutigen Regelung aufzuheben bzw. abzuändern und ihr bereits mit Wirkung ab dem 01.10.2002 das Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das SG hat eine Auskunft bei der Firma M eingeholt zu den näheren Umständen, die zu der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit der Klägerin führten, und im Übrigen hierzu Beweis erhoben durch Vernehmung des damaligen Produktionsleiters der Firma M, Herrn T N, als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des Inhalts der Auskunft der Firma wird auf Bl. 35 ff. und 61 f. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das SG hat durch Urteil vom 05.04.2004 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es liege ein Fall des § 143 a Abs. 1 Satz 4 SGB III vor. Die (ordentliche) Kündigung der Klägerin sei aufgrund ihres Alters und ihrer Betriebszugehörigkeit ausgeschlossen bzw. nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich gewesen. Die Kündigung sei unter Bezugnahme auf den Interessenausgleich und den Sozialplan vom 29.01.2002 erfolgt, weil seitens des Arbeitgebers eine Betriebsänderung beschlossen worden war. Gerade dieser Fall solle durch die Regelung des § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III erfasst werden, wie sich aus der vom BSG für geboten gehaltenen konkreten Betrachtungsweise ergebe. Auf die abstrakte Möglichkeit, ob der Arbeitgeber wegen der Betriebsänderung auch ohne die Entschädigungsleistung (Abfindung) der Klägerin ordentlich hätte kündigen können, komme es nicht an, denn diesen Weg sei der Arbeitgeber gerade nicht gegangen. Vielmehr habe er die Betriebsänderung zum Anlass genommen, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan mit Abfindungsregelung zu schließen und erst danach habe er unter Bezugnahme auf diese Vereinbarungen die Kündigung gegenüber der Klägerin ausgesprochen.

Das Urteil ist der Klägerin am 03.05.2004 zugestellt worden. Am 27.05.2004 hat sie dagegen Berufung eingelegt, mit der sie weiter die Zahlung von Arbeitslosengeld seitens der Beklagten bereits ab dem 01.10.2002 und im Übrigen die Zahlung von Krankengeld durch die Beigeladene begehrt.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, das SG habe rechtsirrig angenommen, der Klägerin habe gemäß § 143 a Abs.1 Satz 4 SGB III nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden können, weil es den MTV nicht zutreffend erfasse. Danach gelte der besondere Kündigungsschutz u.a. dann nicht, wenn Betriebsänderungen im Sinne des § 111 BetrVG vorliegen würden. Eine solche Betriebsänderung habe hier stattgefunden. Damit gelte der besondere Kündigungsschutz nicht und sie sei ordentlich und betriebsbedingt kündbar gewesen. Dass der Arbeitgeber seinen sonstigen betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen sei und mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan abgeschlossen habe, wobei auf der Basis des Sozialplanes eine Abfindung gezahlt worden sei, ändere nichts daran, dass der besondere Kündigungsschutz wegen der hier maßgeblichen Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG nicht gegolten habe. Die Zahlung der Abfindung sei nicht Voraussetzung dafür gewesen, eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen zu können. Dem stehe auch die Rechtsprechung des BSG nicht entgegen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05.04.2004 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11.10.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2003 in der weitergehenden Gestalt des Teilvergleichs vom 05.04.2004 zu verurteilen, der Klägerin ab 01.10.2002 Arbeitslosengeld bis 04.12.2002 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren und im Übrigen die Beigeladene zu verurteilen, der Klägerin vom 05.12.2002 bis 15.03.2003 Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Der ordnungsgemäß zum Termin geladene Beigeladene hat mitgeteilt, keine Sachanträge stellen zu wollen und keine Stellungnahme abzugeben. Zum Termin ist sie entsprechend ihrer Ankündigung nicht erschienen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, welche die Klägerin betreffenden, Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Sozialhilfe – Kranken- und Eingliederungshilfe

Der Senat konnte die Streitsache auch in Abwesenheit der Beigeladenen verhandeln und entscheiden, denn diese ist mit der Benachrichtigung über den Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die Berufung ist zulässig. Soweit die Klägerin nunmehr die Verurteilung der Beigeladenen begehrt, handelt es sich um eine sachdienliche und daher zulässige Klageänderung (§ 153 Abs. 1 iVm. § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die Sachdienlichkeit ergibt sich bereits aus der in § 75 Abs. 5 SGG vorgesehen Möglichkeit, einen Beigeladenen zu verurteilen.

Die Berufung ist auch begründet.

Ein Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld besteht zunächst vom 01.10.2002 bis 23.10.2002. Die Klägerin hat sich zum 01.10.2002 arbeitslos gemeldet. Aufgrund ihrer vorhergehenden Beschäftigung erfüllte sie die Anwartschaftszeit für einen Leistungsanspruch. Schließlich war sie in diesem Zeitraum auch arbeitslos im Sinne der §§ 118, 119 SGB III (in

der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung).

Entgegen der Auffassung des SG führt der Erhalt der Abfindung hier nicht zum Ruhen des Anspruchs nach § 143 a Abs. 1 SGB III. Hat nach dieser Regelung der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Alg von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte (§ 143 a Abs. 1 Satz 1 SGB III). Diese Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tage der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 143 a Abs. 1 Satz 2 SGB III). Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, so gilt bei 1. zeitlich unbegrenztem Ausschluss eine Kündigungsfrist von 18 Monaten, 2. zeitlich begrenztem Ausschluss oder bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund die Kündigungsfrist, die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgebend gewesen wäre (§ 143 a Abs. 1 Satz 3 SGB III). Kann dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden, so gilt eine Kündigungsfrist von einem Jahr (§ 143 a Abs. 1 Satz 4 SGB III). Eine Ruhen des Anspruchs allein nach § 143 a Abs. 1 Satz 1 SGB III scheidet bereits deshalb aus, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von 7 Monaten beendet wurde.

Die Voraussetzungen des § 143 a Abs. 1 Satz 4 SGB III mit der Folge einer fiktiven Kündigungsfrist von 1 Jahr liegen nicht vor, denn eine ordentliche Kündigung war hier nicht nur bei Zahlung einer Abfindung möglich. Dies ergibt sich aus § 2 Nr. 4 e MTV, der zwar einen besonderen Kündigungsschutz vorsieht für Arbeitnehmer, die wie die Klägerin das 55 Lebensjahr vollendet und 15 Jahre ununterbrochen dem Betrieb zugehört haben. Nach Buchst, a des § 2 Nr. 4 e MTV gilt dieser Kündigungsschutz jedoch u. a. nicht bei Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG. Solche Betriebsänderungen sind:

1. Einschränkung und Stillegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen,

2. Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen,

3. Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben,

4. grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen,

5. Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.

Eine Betriebsänderung jedenfalls nach Nr. 1 und Nr. 4 liegt hier aufgrund der vorgenommen Betriebseinschränkungen und Änderungen der Betriebsorganisation unzweifelhaft vor, so dass der besondere Kündigungsschutz der Klägerin insoweit entfallen war. Die damit einhergehende (Wieder-) Ermöglichung einer ordentlichen Kündigung war auch unabhängig von der Zahlung einer Abfindung, denn § 2 Nr. 4 e Buchst a MTV greift bei einer Betriebsänderung ohne weitere Voraussetzungen ein.

Wegen dieser tarifvertraglichen Regelung unterscheidet sich der vorliegende Fall grundlegend von den Sachverhalten, über die das BSG bisher zu entscheiden hatte (vgl. etwa Urteil vom 05.02.1998 – B 11 AL 65/97 R – SozR3-4100 § 117 Nr. 15; Urteil vom 29.01.2001 – B 7 AL 62/99 R – SozR 3-4100 § 117 Nr. 22). In diesen Fällen wurde die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung jeweils erst unter Voraussetzungen wieder eingeräumt, die nicht nur vom Verhalten des Arbeitgebers abhingen, nämlich wenn ein Sozialplan abgeschlossen wurde oder eine Zustimmung durch die Tarifvertragsparteien erfolgte. Unter diesen Voraussetzungen ist nach Auffassung des BSG eine sogenannte fallbezogene Betrachtungsweise anzustellen (so BSG 29.01.2001 – B 7 AL 62/99 R -, Rz. 31). Die abstrakte Möglichkeit, dass ein Sozialplan keine Abfindung vorsieht oder die Tarifvertragsparteien zustimmen können, ohne dass eine Abfindungsreglung besteht, soll die Anwendbarkeit des § 143 a Abs. 1 Satz 4 SGB III (zuvor § 117 Abs. 2 Satz 4 AFG) nicht ausschließen, wenn im konkreten Fall tatsächlich andere Regelungen bestehen, wonach bei einer Kündigung Abfindungen zu zahlen sind.

Vorliegend bestand zwar auch ein Sozialplan, der eine Abfindungsregelung enthält. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung der Klägerin ist aber nicht erst durch diesen Sozialplan eingeräumt worden. Vielmehr ist der Sozialplan – worauf die Klägerin zu Recht hinweist – hier nur die Folge der sich aus den §§111 ff. BetrVG ergebenden betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten. Diese bestehen im Übrigen in Betrieben ohne Betriebsrat oder mit einer Beschäftigtenzahl unterhalb der Schwelle des § 111 BetrVG so nicht. Gleichwohl ist die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung von an sich nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmern nach dem MTV auch in diesen Betrieben gegeben.

Wegen der Betriebsänderung nach § 111 BetrVG stand bereits vor Abschluss des Sozialplanes fest, dass alle Arbeitnehmer – wegen der Reglung in § 2 Nr. 4 e Buchst a MTV – ordentlich gekündigt werden konnten. Das heißt mit anderen Worten, der hier beschlossene Sozialplan setzte die Möglichkeit der ordentlichen – betriebsbedingten -Kündigung der Arbeitnehmer bereits voraus und ist nicht selbst Voraussetzung der Kündbarkeit. Vor diesem Hintergrund unterscheidet der Sozialplan konsequenterweise auch nicht zwischen Mitarbeitern, denen bereits eine besonderer Kündungsschutz nach § 2 Nr. 4 e MTV zustand und anderen. Vielmehr differenziert er unter Ziff. 5 – der die Berechnung der Abfindung betrifft – nur allgemein nach Lebensalter und Betriebszugehörigkeit. Eine Sonderregelung findet sich erst für Arbeitnehmer, die älter als 57 Jahre und 4 Monate sind, was aber allein rentenrechtliche Gründe haben dürfte. Würde die Kündigung der unter § 2 Nr. 4 e MTV fallenden Arbeitnehmer erst durch den Sozialplan selbst ermöglicht, hätte es nahe gelegen, für diese Personengruppe besondere Regelungen zu schaffen.

Aus der Gleichbehandlung dieser vormals ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer mit allen anderen folgt im Übrigen auch, dass es Ziel der Abfindung nicht sein kann, neben dem Ausgleich des Verlustes sozialer Besitzstände untergehende Arbeitsentgeltansprüche auszugleichen. Soweit der Senat diesem Umstand in der Vergangenheit eine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat (vgl. etwa Urteil vom 24.10.2001 – L 12 AL 111/00 – und Urteil vom 11.12.2002 – L 12 AL 20/02 -), wird an dieser Rechtsprechung nicht weiter festgehalten.

Zusammenfassend ist deshalb hier davon auszugehen, dass für den Arbeitgeber – realisierbare – alternative Möglichkeiten der ordentlichen Kündigung auch ohne Abfindung eröffnet waren, so dass die Anwendung des § 143 a Abs. 1 Satz 4 SGB III ausgeschlossen ist. Durch die Zahlung der Abfindung „erkaufte“ sich der Arbeitgeber vielmehr im Einzelfall die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, was deshalb geboten war, weil auch eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung nur bei sozialer Rechtfertigung (§ 1 Kündigungsschutzgesetz) zulässig ist. Diese Fälle werden von § 143 a Abs. 1 Satz 4 SGB III aber von vornherein nicht umfasst (BSG 29.01.2001 – B 7 AL 62/99 R -, Rz 25), so dass hier wegen der Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs nicht in Betracht kommt.

Ein Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld besteht auch über den 23.10.2002 hinaus bis 04.12.2002 (weitere 6 Wochen). Zwar war sie ab dem 24.10.2002 bis 15.03.2003 arbeitsunfähig erkrankt und somit nicht mehr arbeitslos im Sinne der §§ 118, 119 SGB III (in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung). Gem. § 126 Abs. 1 SGB III steht Arbeitsunfähigkeit dem Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zu einem Zeitraum von 6 Wochen jedoch nicht entgegen.

Nach dem 04.12.2002 besteht aber wegen der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch der Klägerin mehr auf Arbeitslosengeld.

Ab 05.12.2002 bis 15.03.2003 hat die Klägerin allerdings gegenüber der Beigeladenen, bei der sie krankenversichert war, einen Anspruch auf Krankengeld nach § 44 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Durch den Bezug von Arbeitslosengeld ab 01.10.2002 war die Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit versicherungspflichtig, also nicht nur freiwillig versichert, was den Anspruch auf Krankengeld ausschließen würde.

Die Beigeladene konnte gem. § 75 Abs. 5 SGG verurteilt werden. Eines Leistungsantrages gegenüber der Beigeladenen sowie eines Vorverfahrens bedurfte es zur Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG nicht (Littman in Hk-SGG, § 75 Rz. 14).

Dies entspricht dem durch § 75 Abs. 5 SGG verfolgten Ziel der Prozessökonomie.

Die Kostenentscheidung berücksichtigt, dass sich die Beigeladene zur Rechtslage nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt hat.

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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