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Abfindungsvergleich mit Beamten – Anpassung bei Besoldungsverbesserungen?


BGH

Az: VI ZR 176/81

Urteil vom 12.07.1983


Tatbestand

Der im Jahre 1921 geborene Kläger, damals bayerischer Polizeihauptmeister (Besoldungsgruppe A 9), erlitt am 1. Juni 1973 einen Verkehrsunfall, der von einem Versicherungsnehmer der beklagten Versicherung allein verschuldet war. Wegen der Unfallverletzungen mußte er aus dem Polizeidienst ausscheiden. Es kam zu Regulierungsverhandlungen zwischen den Parteien. Diese endeten mit einem Abfindungsvergleich vom 15. November 1975. Darin erklärte sich der Kläger (vorbehaltlich einiger, ausdrücklich ausgenommener Schadensposten) gegen Zahlung von 106.020,85 DM mit seinen gegen den Versicherungsnehmer der Beklagten und jeden Dritten bereits entstandenen und etwa in Zukunft noch zu erwartenden Entschädigungsansprüchen, „auch soweit diese noch nicht bekannt oder noch nicht voraussehbar sind, endgültig und vollständig als abgefunden“. Bei der Bestimmung des Abfindungsbetrages waren die Parteien von einem kapitalisierten Verdienstausfall in Höhe von 21.000 DM ausgegangen.

Seit dem 1. Juli 1979 können aufgrund einer Änderung der Besoldungsgesetze in Bayern im Polizeivollzugsdienst bis zu 30 % der Stellen in der Besoldungsgruppe A 9 mit einer pensionsfähigen monatlichen Stellenzulage von 234 DM, seit dem 1. März 1980 von 248,75 DM ausgestattet werden. Der Kläger behauptet, ohne den Unfall hätte auch er diese Zulage erhalten. Deren Einführung sei bei Vergleichsabschluß nicht vorhersehbar gewesen. Deswegen sei der ihm entgangene Verdienst seinerzeit zu niedrig angesetzt worden. Nach Treu und Glauben dürfe er – der Kläger – nicht weiter am Vergleich festgehalten werden. Er hat deshalb von der beklagten Versicherung in erster Instanz 7.500 DM als Ersatz für den zusätzlichen Verdienstausfall, in zweiter Instanz ab 1. Juli 1979 in erster Linie monatliche Rentenzahlung in Höhe der fiktiven Stellenzulage, hilfsweise eine zusätzliche Kapitalabfindung in Höhe von mindestens 14.000 DM verlangt.

Die beklagte Versicherung bestreitet, daß der Kläger die Stellenzulage erhalten hätte, wenn er weiter im Dienst geblieben wäre; vor allem aber ist sie der Ansicht, der Abfindungsvergleich stehe den Nachforderungen des Klägers entgegen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger seine beim Berufungsgericht erhobenen Klageansprüche weiter.


Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht unterstellt, daß der Kläger ohne den Unfall ab 1. Juli 1979 die Amtszulage erhalten hätte. Es meint aber, der Kläger sei nach wie vor an den Abfindungsvergleich gebunden. Dazu erwägt es im wesentlichen: Eine Anpassung dieses Vergleiches an die neuen Gegebenheiten wegen einer Änderung der Geschäftsgrundlage komme nicht in Betracht. Es stehe schon nicht fest, von welchen Voraussetzungen und Erwartungen die Parteien hinsichtlich der möglichen Änderung der regelmäßigen Dienstbezüge eines Polizeihauptmeisters in der Zukunft ausgegangen seien. Das Festhalten der Beklagten am Vergleich sei aber auch keine unzulässige Rechtsausübung; es fehle nämlich an einem groben Mißverhältnis zwischen der gezahlten Abfindung und dem gedachten Verdienstausfall-Schaden, der sich unter Berücksichtigung der Amtszulage ergeben würde. Die fiktiven Summen könnten bei der Abwägung nicht einfach gegenübergestellt werden. Vielmehr müsse die Wertung, ob ein grobes, für den Geschädigten unzumutbares Mißverhältnis zwischen der Abfindung und dem Schaden, wie er sich im nachhinein darstelle, bestehe, nach § 242 BGB aus der Sicht und der Interessenlage der Parteien bei Vergleichsschluß heraus erfolgen. Danach sei anzunehmen, daß die Parteien auch einen weiteren Verdienstausfall kapitalisiert und den gefundenen Betrag in ihre Gesamtabrechnung eingestellt hätten. Die sich ergebenden Unterschiedsbeträge seien aber nicht so groß, daß es für den Kläger unerträglich sei, am Vergleich festgehalten zu werden.

II.

Die dagegen gerichteten Revisionsangriffe sind unbegründet.

Ohne Rechtsirrtum entnimmt das Berufungsgericht dem Wortlaut und dem Sinn des Abfindungsvergleiches vom 15. November 1975, daß die Parteien damit die Schadensersatzansprüche des Klägers aus dem Unfall am 1. Juni 1973 endgültig erledigen und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigen wollten. Davon geht auch die Revision aus. Will der Kläger nunmehr dennoch von ihm abweichen und Nachforderungen stellen, muß er dartun, daß ihm ein Festhalten am Vergleich nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen ist bzw. sich geändert hat, so daß eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheint, oder weil nachträglich erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten sind, die für den Kläger nach den gesamten Umständen des Falles eine ungewöhnliche Härte bedeuten würden (vgl. dazu die Senatsurteile vom 25. Juni 1957 – VI ZR 178/56 – VersR 1957, 505, 506 und vom 28. Februar 1961 – VI ZR 95/60 – VersR 1961, 382, 383 m.w.Nachw.). Beides ist nicht der Fall.

1. Auf eine Änderung der Geschäftsgrundlage kann der Kläger sich nicht berufen. Die Änderung seiner Dienstbezüge als Polizeihauptmeister in der Zukunft gehört zu dem Risiko, das er im Abfindungsvergleich übernommen hat. Ein solches Ereignis muß bei der Prüfung, ob die Geschäftsgrundlage entfallen ist, unbeachtet bleiben (Senatsurteil vom 28. Februar 1961 – aaO).

a) Es liegt im Wesen eines Abfindungsvergleichs, in dem die dem Verletzten geschuldeten laufenden Rentenzahlungen kapitalisiert worden sind, daß er in der Regel mehr ist als eine bloße technische Zusammenfassung zukünftig zu erwartender Renten (so für die gerichtlich zugesprochene Kapitalabfindung nach § 843 Abs. 3 BGB schon Senatsurteil vom 8. Januar 1981 – VI ZR 128/79 – BGHZ 79, 187, 192). Wer – wie der Kläger – eine Kapitalabfindung wählt, nimmt das Risiko in Kauf, daß die für ihre Berechnung maßgebenden Faktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen. Seine Entscheidung für die Abfindung wird er in der Regel deswegen treffen, weil es ihm – aus welchen Gründen auch immer – vorteilhafter erscheint, alsbald einen Kapitalbetrag zur Verfügung zu haben; dafür verzichtet er auf die Berücksichtigung zukünftiger, ungewisser Veränderungen, soweit sie sich zu seinen Gunsten auswirken könnten. Andererseits will und darf sich der Schädiger darauf verlassen, daß mit der Bezahlung der Kapitalabfindung die Sache für ihn ein für allemal erledigt ist. Dafür nimmt er bei der Berechnung des zu zahlenden Kapitals auch für ihn bestehende Unsicherheiten hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung in Kauf. Das so zwischen den Parteien gefundene Ergebnis kann deshalb nachträglich nicht mehr in Frage gestellt werden, wenn eine der Vergleichsparteien aufgrund künftiger, nicht voraussehbarer Entwicklungen feststellt, daß ihre Beurteilungen und die Einschätzung der möglichen künftigen Änderungen nicht zutreffend waren.

b) Änderungen der von den Parteien bei Vergleichsabschluß zugrunde gelegten Besoldung des Klägers in der Zukunft gehören zu dem Risiko, das der Kläger übernommen hat. Für zukünftige lineare Besoldungserhöhungen, die jedenfalls Ende 1975 jedermann in Rechnung stellte, wenn nicht als sicher erwartete, liegt das auf der Hand. Sie wurden seinerzeit im Grundsatz bei der Errechnung des Abfindungskapitals mit berücksichtigt, etwa bei der Wahl des Abzinsungsfaktors. Entgegen der Ansicht der Revision kann aber nichts anderes für künftige Verbesserungen der Besoldungsstruktur gelten. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien solche, auf gesetzlichen Änderungen beruhende Verbesserungen in ihre Vorstellungen mit einbezogen haben oder nicht. Maßgebend ist vielmehr, ob es sich um Änderungen handelt, die so überraschend sind, daß sie von den Parteien bei Vergleichsabschluß weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können (so etwa bei einer überraschenden Änderung der Rechtsprechung Senatsurteil vom 2. Mai 1972 – VI ZR 47/71 = BGHZ 58, 355, 362). So liegt es im Streitfall nicht. Strukturelle Verbesserungen im Besoldungsgefüge waren beamtenrechtlich nichts Neues. Sie wurden und werden von den Interessenverbänden immer wieder angestrebt. Das gilt insbesondere für sogenannte Stellenzulagen. Deren Einführung für Polizeibeamte der Besoldungsgruppe A 9 war beamtenrechtlich weder der Sache noch dem Umfang nach etwas ganz Außergewöhnliches.

2. Das Berufungsgericht hat ferner ohne Rechtsfehler angenommen, daß der Kläger gegenüber dem Festhalten der Beklagten am Abfindungsvergleich nicht den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erheben kann. Dieser Einwand setzt nach der Rechtsprechung des Senats neben dem Auftreten nicht vorhergesehener, die Schadenshöhe betreffender Umstände ein krasses Mißverhältnis zwischen der Vergleichssumme und dem Schaden voraus. Fallen, wie hier, die eingetretenen Veränderungen in den vom Geschädigten übernommenen Risikobereich, muß dieser grundsätzlich auch bei erheblichen Opfern, wie sie sich später herausstellen, die Folgen tragen (Senatsurteil vom 25. Juni 1957 – aaO – S. 508). Im Streitfall ist die Differenz zwischen der bei Vergleichsabschluß mit einem Betrag von 21.000 DM angenommenen Kapitalisierung des voraussichtlichen Einkommensausfalles und einer vom Berufungsgericht errechneten Kapitalisierung der entgangenen Stellenzulage in Höhe von allenfalls 13.644,63 DM, wie das Berufungsgericht mit Recht meint, nicht so groß, daß es für den Kläger unerträglich wäre, am Vergleich festgehalten zu werden; dies selbst dann, wenn die nur auf den reinen Verdienstausfall entfallenden Berechnungsfaktoren des Abfindungsvergleichs gegeneinander abgewogen werden. Jedenfalls kann eine solche, letztlich dem Tatrichter obliegende Würdigung aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden, ohne daß es noch darauf ankommt, Einzelberechnungen für die verschiedenen zu berücksichtigenden Faktoren vorzunehmen und die Ergebnisse gegeneinander abzuwägen.


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