Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – Az.: OVG 3 S 30/20 – Beschluss vom 21.04.2020
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. April 2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Es ist nach wie vor nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet werden müsste, die Antragstellerin von der Teilnahme an der Abiturprüfung ab dem 24. April 2020 freizustellen und ihr zu gestatten, die Prüfung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.

Die Beschwerde wendet sich letztlich nicht hinreichend substantiiert gegen die im Einzelnen begründete Annahme des angegriffenen Beschlusses, dass sich die begehrte Verschiebung der Abiturprüfung weder auf Vorschriften des Berliner Schulgesetzes noch auf von der Senatsbildungsverwaltung erlassene Rechtsverordnungen stützen lasse. Der pauschale Verweis auf eine „grundrechtskonforme Norminterpretation des Berliner Schulgesetzes“ reicht nicht aus. Soweit sich die Beschwerde gegen den verfassungsrechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts richtet und eine aus ihrer Sicht unzutreffende bzw. verfahrensfehlerhafte Würdigung rügt, stellt dies die erstinstanzliche Entscheidung ebenfalls nicht mit Erfolg in Frage.
Das Verwaltungsgericht hat aus dem prüfungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet, dass jedem Prüfling ein Anspruch auf vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungsmaßstäbe zustehe, wozu grundsätzlich auch die äußeren Vorbedingungen für den Prüfungserfolg – wie z.B. eine angemessene Zeit für die Prüfungsvorbereitung – zählten. Demgegenüber gehörten hierzu äußere Einflüsse, die die Prüfungsbehörde nicht beeinflussen könne, ebenso wenig wie beispielsweise persönliche und soziale Umstände allgemeiner Art. Angesichts dessen komme ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Anspruch auf Verschiebung eines Prüfungstermins aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung Art. 12 GG allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, was hier nicht glaubhaft gemacht sei.
Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass – im Hinblick auf das Gebot effizienter Rechtsschutzgewährung aus Art. 19 Abs. 4 GG – ein unmittelbar verfassungsrechtlich begründeter Anspruch auf Verschiebung einer Prüfung bestehen kann, sind an dessen Glaubhaftmachung hohe Anforderungen zu stellen. Dies ergibt sich vor allem aus der Rechtsnatur des allenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen zu bejahenden Anspruchs (vgl. z.B. insoweit zur Existenz eines verfassungsunmittelbaren Rechts auf Bildung, BVerfG, Beschluss vom 27. November 2017 – 1 BvR 1555/14 – juris Rn. 25 f.).
Auch wenn die aktuellen Verhältnisse geeignet sein können, ohnehin schon bestehende unterschiedliche Lernbedingungen, die auf den jeweiligen sozialen oder familiären Umständen der Schülerinnen und Schüler beruhen, zu verschärfen, sind diese Umstände der Prüfungsbehörde grundsätzlich nicht zuzurechnen. Sie sind einer objektiven Bewertung, an die das Prüfungsrecht anknüpfen muss, grundsätzlich ebenso entzogen wie beispielweise die Belastungssituation, die sich für jeden Prüfling aufgrund seiner individuellen körperlichen und psychischen Verfassung anders darstellt (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 6 B 11/15 – juris Rn. 17). Unterschiedliche Bildungschancen, die aus den individuellen sozialen Bedingungen von Schülerinnen und Schülern resultieren können, und um die es hier letztlich geht, lassen sich nicht im Wege des Prüfungsrechts an- oder ausgleichen, sondern durch Maßnahmen, die der Gesetz- und Verordnungsgeber innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungspielraumes ergreift. Der verfassungsrechtlich verbürgte Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen (Art. 20 Abs. 1 Satz 2 Verfassung von Berlin) ist im vorliegenden Verfahren nicht berührt.
Gemessen daran greifen auch die weiteren Einwände der Beschwerde nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die pandemiebedingten Einschränkungen grundsätzlich alle Abiturientinnen und Abiturienten betreffen und die häusliche Situation der Antragstellerin zudem nicht als singulär anzusehen sei. Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht – unabhängig von der Frage, ob die Antragstellerin über einen Computer verfügt – jedenfalls davon ausgegangen ist, dass die Antragstellerin mit einem Mobiltelefon zu Mitschülerinnen und Mitschülern sowie Lehrkräften in Kontakt treten, auf Unterrichtsmaterialien zugreifen und auch Nachhilfestunden in digitaler Form wahrnehmen könne. Hierzu verhält sich die Beschwerde nicht.
Im Übrigen lässt sich eine auf die individuellen Verhältnisse einer jeden Abiturientin bzw. eines jeden Abiturienten abgestimmte Prüfungsvorbereitungszeit und eine daran geknüpfte Verschiebung der Prüfungen, die die konkrete Lebenssituation des Prüflings hinreichend in den Blick nimmt, in objektiver Hinsicht nicht bewerkstelligen. Sie würde vielmehr Gefahr laufen, tatsächlich zu einer unzulässigen prüfungsrechtlichen Ungleichbehandlung zu führen. Schließlich sind das Prüfungsverfahren im eigentlichen Sinne und dessen Durchführung hier nicht in einer Art und Weise betroffen, die die Annahme eines Gleichheitsverstoßes rechtfertigen könnte.
Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen den Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) rügt, reicht dies nicht aus, um der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Das Oberverwaltungsgericht tritt gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO als Beschwerdegericht in den Grenzen des Rechtsmittels an die Stelle der ersten Instanz und prüft die gegen die Entscheidung vorgebrachten materiellen Gründe eigenständig (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. September 2014 – OVG 3 S 64.14 – juris Rn. 3). Diese müssen jedoch im Einzelnen dargelegt werden.
Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass der Senatsbildungsverwaltung bei der Festlegung der Prüfungstermine ein Gestaltungsspielraum zusteht, der von zahlreichen Faktoren gesteuert wird. Die von der Beschwerde geforderte Verschiebung der Abiturprüfung auf einen ungewissen Zeitraum kann unter Umständen dazu führen, dass die Prüfungen vollständig entfallen, was der Beschlusslage der Kultusministerkonferenz widerspricht und nicht im Interesse der Abiturientinnen und Abiturienten liegen kann. Der Antragstellerin, die außer der unzureichenden Vorbereitungszeit nicht hinreichend glaubhaft macht, dass ihr die Teilnahme an den Abiturprüfungen aus einem anderen Grund unzumutbar wäre, bleibt es unbenommen, ggf. gegen das Ergebnis ihrer Abiturprüfung im Klageverfahren vorzugehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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