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Arbeitsunfall – zur Abgrenzung zwischen Abweg und versichertem Weg


SG Augsburg

Az: S 8 U 228/13

Urteil vom 31.01.2014


Anmerkung des Bearbeiters

An dieser Stelle soll auf folgende Urteile zu Dienst- bzw. Arbeitsunfällen verwiesen werden:

Lehrerin stürzt von Bierzeltbank (Verwaltungsgericht Stuttgart)

Lehrerin stürzt auf Klassenfahrt bei morgendlichem Duschen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg)

Lehrer verletzt sich bei Schneeballschlacht (Verwaltungsgericht Freiburg)

Arbeitnehmer verrichtet Notdurft (Sozialgericht Gelsenkirchen)


Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Der 1958 geborene Kläger stürzte am 12. November 2012 gegen 12:45 Uhr mit dem Fahrrad, nachdem er sich bei seinem Telefonanbieter umgemeldet hatte, was etwa eine halbe Stunde in Anspruch genommen hatte. Er fuhr dann noch zur Arbeit. Der Durchgangsarzt diagnostizierte zwei Tage später eine laterale Klavikulafraktur links, nicht disloziert, und attestierte Arbeitsunfähigkeit, die bis 11. Januar 2013 dauerte. Der Kläger gab gegenüber der beklagten Berufsgenossenschaft später noch an, aus der Stadt Richtung Arbeit unterwegs gewesen zu sein; Arbeitsbeginn sei um 15:05 Uhr gewesen.

Der besagte Telefonladen befindet sich ca. 1 km nordwestlich der damaligen Wohnung des Klägers, der Unfallort einige 100 m nördlich. Die damalige Arbeitsstätte des Klägers liegt dagegen etwa 21 km südlich davon.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 14. März 2013 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil der Kläger sich nicht auf direktem Weg zur Arbeit befunden habe, sondern auf einem Abweg. Der Aufenthalt im Telefonladen sei eigenwirtschaftlich gewesen.

Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchbescheid vom 24. Juli 2013 zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger am 12. August 2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Er habe keine andere Möglichkeit gehabt, den Telefonanbieter aufgrund seines Umzugs aufzusuchen. Er habe zu der Zeit Schichtdienst von 14:45 Uhr bis 23:25 Uhr gearbeitet. Daher sei das Ummelden nur vormittags möglich gewesen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzend erklärt, mit dem Fahrrad zu seiner damaligen Arbeitsstätte gefahren zu sein und für die Fahrt ca. 1 3/4 bis 2 Stunden gebraucht zu haben.

Der Kläger beantragt:

Der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juli 2013 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers am 12. November 2012 ein Arbeitsunfall ist.

Für die Beklagte wird beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juli 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls.

Nach § 8 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII regelt, dass auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit versichert ist.

Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 4. September 2007, B 2 U 28/06 R).

Für Unfälle auf Wegen gilt, dass das Zurücklegen von Wegen in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst darstellt, sondern eine der versicherten Tätigkeit vor- oder nachgelagerte Tätigkeit ist, die zu der eigentlichen Tätigkeit, weswegen das Beschäftigungsverhältnis eingegangen wurde, in einer mehr (z.B. bei Betriebswegen) oder weniger engen Beziehung (z.B. Weg zur Arbeit) steht, und dass die Beurteilung des Versicherungsschutzes auf Wegen spezielle Probleme aufwirft. Daher sind bei der Prüfung des sachlichen Zusammenhangs vorliegend zwei Prüfungsschritte zu unterscheiden: Zunächst die Zurechnung des Weges zu der (grundsätzlich) versicherten Tätigkeit nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII im Hinblick darauf, ob es sich um einen Betriebsweg gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII oder einen anderen unter Versicherungsschutz stehenden Weg nach § 8 Abs. 2 SGB VII handelt, und, wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, die Zurechnung der Verrichtung zur Zeit des Unfalls zu diesem unter Versicherungsschutz stehenden Weg (BSG, Urteil vom 7. September 2007, B 2 U 24/06 R).

Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte. Die Fortbewegung des Versicherten muss also der Zurücklegung des grundsätzlich versicherten Weges zu dienen bestimmt sein; sie muss darauf gerichtet sein, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen. Sobald allein eigenwirtschaftliche (private) Zwecke verfolgt werden, wird der Versicherungsschutz unterbrochen, bis die Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin wieder aufgenommen wird. Bei einer gemischten Tätigkeit, d.h. wenn die Fortbewegung betriebsdienlichen und eigenwirtschaftlichen Zwecken zugleich dient, ist maßgeblich, ob die Tätigkeit so auch ohne die eigenwirtschaftlichen Zwecke durchgeführt worden wäre. Zur Beurteilung der Handlungstendenz des Versicherten ist neben den Angaben des Versicherten auf die objektiven Umstände abzustellen (vgl. BSG, a.a.O.; Urteil vom 9. Dezember 2003, B 2 U 23/03 R; Urteil vom 17. Februar 2009, B 2 U 26/07 R).

Hinsichtlich des Beweismaßstabs gilt, dass die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung im Sinn des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein müssen. Der ursächliche Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, muss dagegen grundsätzlich nur mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ – nicht allerdings als bloße Möglichkeit – feststehen (BSG in SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16, n. w. N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSG, BSGE 45, 285; 60, 58). Hierbei trägt der Kläger die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008, B 2 U 10/07 R).

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich hier, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.

Der Kläger befand sich bei der Fahrt mit dem Fahrrad am 12. November 2012 zum Zeitpunkt des Unfalls (noch) nicht auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII grundsätzlich versicherten Weg von seiner Arbeitsstätte nach Hause. Zwar ist er an diesem Tag nach seinem Unfall noch zu seiner über 20 km entfernten Arbeitsstätte gefahren und dort seiner versicherten Tätigkeit nachgegangen. Auch steht fest, dass er sich bei dem Unfall einen Gesundheitsschaden zugezogen hat, nämlich einen Schlüsselbeinbruch.

Allerdings ist der Weg, auf dem der Kläger im Unfallzeitpunkt fuhr, als nicht versicherter Abweg zu qualifizieren. Der Weg des Klägers von seiner damaligen Wohnung zu seinem Telefonanbieter und zurück bis zum Unfallort in der M-straße, A-Stadt, führte ihn bis zum Telefonladen zunächst in eine ganz andere, nämlich nordwestliche, Richtung zu seinem südlich der Wohnung gelegenen Arbeitsort. Damit handelt sich um einen Abweg. Daran ändert auch nichts, dass der Kläger im Moment des Unfalls von der Motivation geleitet worden sein mag, jetzt – nach dem Aufsuchen des Telefonladens, nicht den Rückweg zu seiner Wohnung anzutreten, sondern den Weg zur Arbeitsstätte in G. zurückzulegen. Denn der ganze Weg von der Wohnung zum Telefongeschäft und zurück bis auf Höhe seiner damaligen Wohnung, nahe der der Kläger nach dem Unfall wieder vorfuhr, wäre nicht zurückgelegt worden, wenn der Kläger nicht bei seinem Telekommunikationsanbieter einen Adresswechsel vorgenommen hätte. Das Ummelden kann auch entgegen der Ansicht des Klägers nicht als beruflich bedingt angesehen werden. Es stellt ausschließlich eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit dar. Das gilt ebenfalls mit Blick auf die damalige Schichtarbeit des Klägers von Montag bis Samstag. Welche unfallversicherungsrechtlich relevante Bedeutung diese für die Vornahme der Ummeldung gehabt haben soll, ist dem Gericht nach wie vor nicht klar. Offensichtlich war der Kläger am Aufsuchen des Ladens durch seine versicherte Tätigkeit weder verhindert noch bedingte sie, dass er deswegen den beschriebenen Abweg von seinem grundsätzlich versicherten Arbeitsweg zurücklegte. Deshalb ist es auch nicht von Bedeutung, dass der Abweg im Verhältnis zum restlichen versicherten Weg verhältnismäßig kurz war.

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