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Hartz IV-Empfänger muss genügend Zeit zur Arbeitssuche bleiben

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz

Az.: L 3 AS 127/07

Urteil vom 18.03.2008

Vorinstanz: Sozialgericht Koblenz, Az.: S 13 AS 277/07, Entscheidung vom 24.07.2007


Entscheidung:

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.07.2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2007 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Beklagten über die Absenkung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Dauer von drei Monaten.

Der 1951 geborene Kläger ist allein stehend. Seit dem 01.01.2005 bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Beklagte forderte zur Klärung des Leistungsvermögens des Klägers ein ärztliches Gutachten nach Aktenlage des Arztes und Dipl.-Psych. L , B , vom 25.01.2007 an. Danach ist der Kläger in der Lage, vollschichtig leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten in wechselnder Arbeitshaltung mit regelmäßigem Sitzanteil vollschichtig zu verrichten. Schweres Heben und Tragen, rückenbelastende Zwangshaltungen, Besteigen von Leitern und Gerüsten und häufiger Einfluss von Nässe und Kälte seien auszuklammern. Mit Bescheid vom 14.03.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.05. bis zum 31.07.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 635,00 EUR und erkannte hierbei eine Regelleistung in Höhe von 345,00 EUR an.

Am 19.03.2007 bot die Beklagte dem Kläger den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung an. Hierin wurde unter Leistungen der Beklagten aufgeführt: „Einmündung einer Arbeitsgelegenheit bei B gGmbH in K ab 20.03.2007 bis 19.06.2007, Einsatzort B zentralkrankenhaus in K. Kurzbezeichnung der Maßnahme s. Anlage zur Eingliederungsvereinbarung vom 19.03.2007, wöchentlich 30 Stunden. Mehraufwandsentschädigung je Arbeitsstunde, 1,25 EUR.“ Als Anlage war ein Schriftstück überschrieben mit Arbeitsgelegenheit Nr. 2/56 beigefügt. Darin wurde mitgeteilt, dass es sich bei der Tätigkeit um begleitende, unterstützende Hilfen und Hilfen für Patientenlogistik im B zentralkrankenhaus handele. Sie wurde dahingehend umschrieben, dass Hilfen zur Begleitung und Betreuung, Hilfen bei Transporten innerhalb des Krankenhauses und Patientenlogistik vorgesehen seien. Unter Patientenlogistik wurde verstanden: Hilfen bei Räum-, Sortier- und Verschönerungsarbeiten, Ordnungs- und Aufräumarbeiten in einzelnen Räumen, Gestaltung des neuen Krankenpflegebereiches und Aufräumaktionen im Lager. Mit Schreiben vom 19.03.2007 lehnte der Kläger den Abschluss der Eingliederungsvereinbarung mit der Begründung ab, die aus der Arbeitsgelegenheit entstehenden Kosten würden die Mehraufwandsentschädigung übersteigen. Mit Bescheid vom 20.03.2007 und Widerspruchsbescheid vom 04.04.2007 senkte die Beklagte die Regelleistung um 104,00 EUR für die Dauer von drei Monaten für die Zeit vom 01.04. bis zum 30.06.2007 ab und hob insoweit die Bewilligungsentscheidung ab dem 01.04.2007 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe ohne wichtigen Grund und trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine ihm zumutbare Arbeitsgelegenheit nicht aufgenommen. Aufgrund der Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 1,25 EUR je geleisteter Arbeitsstunde sei ihm bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden eine monatliche Mehraufwandsentschädigung in Höhe von mindestens 150,00 EUR zuerkannt worden. Daher wäre er in der Lage gewesen, die ihm entstehenden Fahrtkosten (Monatskarte K in Höhe von 64,70 EUR) mit der ihm zustehenden Mehraufwandsentschädigung abzudecken.

Durch Urteil vom 24.07.2007 hat das Sozialgericht Koblenz (SG) die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Absenkungsbescheid sei rechtmäßig. Die Arbeitsgelegenheit, die dem Kläger im Rahmen der ihm vorgelegten Eingliederungsvereinbarung angeboten worden sei, habe er trotz Belehrung über die Rechtsfolgen ohne wichtigen Grund nicht wahrgenommen. Aufgrund der zu erwartenden Mehraufwandsentschädigung seien die Fahrtkosten und etwaige Verpflegungsmehrkosten abgedeckt gewesen. Dabei könnten die Kosten für Frühstück und Mittagessen als solche nicht als Mehraufwand anerkannt werden, da diese unabhängig von der Arbeitsgelegenheit angefallen wären.

Gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem ihm am 12.10.2007 zugestellten Urteil hat der Kläger am 17.10.2007 Beschwerde eingelegt. Der erkennende Senat hat durch Beschluss vom 11.12.2007 die Berufung zugelassen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass es sich bei dem Arbeitsangebot um eine nicht zumutbare Maßnahme gehandelt habe. Die Wegstrecke für die An- und Abfahrt von seiner Wohnung zum Einsatzort betrage pro Strecke 45 Minuten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.07.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Sie hält die getroffenen Entscheidungen für zutreffend.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 20.03.2007 und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid vom 04.04.2007 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Denn der Kläger hat eine ihm nicht zumutbare Arbeit abgelehnt.

Das Arbeitslosengeld II wird unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 30 v. H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistungen nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1d SGB II gesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II auszuführen. Nicht zumutbare und nicht nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II zusätzliche Arbeiten dürfen sanktionslos abgelehnt werden.

Die in der Eingliederungsvereinbarung vorgeschlagene Arbeit bei der B gGmbH in K , als deren Einsatzort das B zentralkrankenhaus in K bezeichnet wurde, sollte einen Arbeitsaufwand von wöchentlich 30 Stunden umfassen. Die Wegezeit pro Strecke zwischen der Wohnung des Klägers und dem vorgesehenen Einsatzort, dem Bundeswehrzentralkrankenhaus, beträgt nach den glaubhaften Angaben des Klägers 45 Minuten. Eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden ist im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit insbesondere auch unter Berücksichtigung von Wegezeiten nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II nicht zulässig (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 26.02.2008 – L 3 AS 110/07 m. w. N.).

Ebenso wie die Vorgängervorschrift des § 19 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) enthält § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II keine Regelung zur zeitlichen Inanspruchnahme des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen durch eine Arbeitsgelegenheit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13.10.1983 – 5 C 67/82 -, BVerwGE 68, 91) war einem Sozialhilfebedürftigen eine vollschichtige Tätigkeit als Arbeitsgelegenheit nicht zumutbar, da insoweit der Charakter der gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeit nicht mehr gegeben war. Zielsetzung der Arbeitsgelegenheit ist, wie in der Rechtsprechung des BVerwG (a.a.O.) für den Bereich des BSHG ausgeführt worden ist, die Förderung der Selbsthilfe. Der Hilfebedürftige soll auf die Übernahme einer Erwerbstätigkeit vorbereitet werden, die ihn befähigt, unabhängig von Sozialhilfe zu leben. Da es sich bei der Arbeitsgelegenheit um ein ergänzendes Instrument der Arbeitsförderung handelt, muss dem Hilfebedürftigen auch unter Geltung des SGB II ausreichend Zeit verbleiben, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Arbeit zu suchen (vgl. hierzu Niewald in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 16 Rz. 46).

Zwar gebietet der Grundsatz des Forderns in § 2 Abs. 1 S. 3 SGB II, dass in den Fällen, in denen eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit nicht möglich ist, der erwerbsfähige Hilfebedürftige eine ihm angebotene zumutbare Arbeitsgelegenheit übernehmen muss. Gleichwohl bleibt es bei dem Grundsatz in § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II, wonach der erwerbsfähige Hilfebedürftige alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen hat. Um dieser Verpflichtung nachkommen und alle Möglichkeiten wahrnehmen zu können, muss der erwerbsfähige Hilfebedürftige neben der Arbeitsgelegenheit auch ausreichend Zeit haben, sich um offene Stellen auf dem Arbeitsmarkt durch Lektüre von Arbeitsangeboten, Fertigen von Bewerbungen, Vorsprachen bei möglichen Arbeitgebern und durch Aufsuchen der Agentur für Arbeit sowie der Beklagten zu bemühen. Dies ist bei einer Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich zuzüglich Fahrtzeiten, was im Fall des Klägers eine tägliche Belastung von 7.30 Stunden bedeutet hätte, nicht mehr gewährleistet (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 26.02.2008 m. w. N.).

Im Übrigen bestehen vorliegend erhebliche Bedenken, ob der Kläger hinsichtlich seines Leistungsvermögens in der Lage gewesen ist, die in der Arbeitsgelegenheit Nr. 2/56 näher spezifizierte Tätigkeit auszuführen. Nach dem von dem Arzt Dipl.-Psych. L festgestellten Leistungsbild ist der Kläger noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Arbeitshaltung mit regelmäßigem Sitzanteil vollschichtig zu verrichten. Schweres Heben und Tragen, rückenbelastende Zwangshaltungen, Besteigen von Leitern und Gerüsten sind auszuklammern. Hinsichtlich der Tätigkeitsbeschreibung im Zusammenhang mit Patientenlogistik werden Ordnungs- und Aufräumarbeiten in einzelnen Räumen und Aufräumaktionen im Lager als Tätigkeit beschrieben. Insoweit ergeben sich Bedenken, ob dies dem Leistungsbild des Klägers entspricht, da solche Arbeiten auch vielfach mit rückenbelastenden Zwangshaltungen und dem Besteigen von Leitern verbunden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, weil es sich vorliegend im Hinblick auf die Anforderungen durch die Arbeitsgelegenheit und die insoweit erforderlichen Zeitanteile um eine Einzelfallgestaltung handelt.

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