OLG Koblenz
Az: 12 U 955/00
Urteil vom 25.02.2002
Vorinstanz: LG Trier – Az.: 11 O 540/99
In dem Rechtsstreit hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2002 für R e c h t erkannt:
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 11. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Trier vom 6. Juni 2000 abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d:
Der auf einer auswärtigen Arbeitsstelle eingesetzte Kläger hatte am 6. Juli 1998 in der Mittagspause beim Feiern eines Geburtstages Bier getrunken. Auf dem Nachhauseweg wollte er mit seinem Pkw auf der B .. in Höhe B………… hinter einem vor ihm fahrenden Lkw – ebenso wie ein angeblich vor ihm fahrender Pkw Audi – überholen. Der ihm auf der Überholspur mit seinem Pkw entgegenkommende Zeuge S……. wich zur Vermeidung eines Frontalzusammenstoßes nach rechts aus, geriet dadurch in den Graben und sodann nach links auf die andere Straßenseite, wo er mit Totalschaden liegen blieb. Der Kläger, der behauptet, der Pkw Audi habe den Überholvorgang zwar zuvor abgebrochen, sich aber nicht ganz nach rechts eingeordnet, sondern sei an der Fahrbahnmitte verblieben, kam bei seiner Brems- und Lenkreaktion nach rechts von der Fahrbahn ab, wodurch sein Pkw ebenfalls Totalschaden erlitt.
Zum Unfallzeitpunkt (17.45 Uhr) hatte der Kläger eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,85 Promille. Er fordert von der Beklagten, bei der sein Fahrzeug vollkaskoversichert war, Ersatz von dessen Zeitwert abzüglich Restwert und Selbstbeteiligung. Die Beklagte tritt dieser Forderung von 13.850 DM nebst Zinsen entgegen. Sie macht geltend, der Kläger habe den Verkehrsunfall grob fahrlässig herbeigeführt, da er sich zum Unfallzeitpunkt in alkoholisiertem Zustand befunden habe. Er habe in einer Verkehrssituation, die ein Überholen des Lkw nicht erlaubt habe, nämlich vor einer Kuppe an unübersichtlicher Stelle, als er die Gegenfahrbahn noch nicht voll habe
übersehen können, den Überholvorgang eingeleitet. Den Pkw Audi habe es nicht gegeben. Selbst wenn dieser aber doch vorhanden gewesen sein sollte, dann sei dessen Fahrer in Erkenntnis des Gegenverkehrs wieder nach rechts hinter den Lkw eingeschert, während der Kläger dennoch den Überholvorgang zunächst noch fortgesetzt habe. Diese Fehleinschätzung der Überholsituation sei typischerweise auf alkoholische Beeinflussung zurückzuführen.
Das Landgericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 21. Januar 2000 (Bl. 45-46 d.A.) zum Unfallhergang die Zeugen S……. (Unfallgegner), Sch… (Beifahrer des Klägers) und R… (Unfall aufnehmender Polizeibeamter) vernommen. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12. Mai 2000 (Bl. 53-57 d.A.) verwiesen.
Sodann hat das Landgericht durch Urteil vom 6. Juni 2000 die Beklagte antragsgemäß verurteilt, weil es meinte, mit hinreichender Sicherheit einen konkreten Unfallhergang nicht feststellen zu können.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie die Abänderung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage begehrt. Dem tritt der Kläger entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Dem Kläger steht keine Leistung aus der Vollkaskoversicherung zu, weil er den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, § 61 VVG.
Manche Umstände sprechen dafür, dass der Kläger seinen Überholvorgang grob verantwortungslos bereits vor der Kuppe und ohne genügende Übersicht auf die Gegenfahrbahn begonnen hat, und es den mit ihm überholenden und dann den Überholvorgang wieder abbrechenden Pkw Audi erst gar nicht gegeben hat. Das kann aber auf sich beruhen. Denn auch nach der Unfallversion des Klägers, so wie sie einzig, aber auch nicht voll von seinem Beifahrer und Arbeitskollegen, dem Zeugen Sch…, bestätigt worden ist, hat der Kläger den Unfall grob fahrlässig verursacht.
1. Zwar gilt ein Anscheinsbeweis für eine grob fahrlässige Herbeiführung des Verkehrsunfalls im Versicherungsvertragsrecht erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille. Aber auch bei einer unterhalb dieses Grenzwertes für absolute Fahruntüchtigkeit liegenden Blutalkoholkonzentration ist von alkoholbedingter relativer Fahruntüchtigkeit und grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls auszugehen, wenn ein zum Unfall führender typischerweise durch Alkohol bedingter Fahrfehler festzustellen ist (OLGR Köln 1998, 404-406; KG Berlin, NZV 1996, 200-201).
2. Der Senat ist aufgrund des teils unstreitigen und teils durch Zeugenbeweis erhärteten Sachverhalts davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass beim Kläger, der zur Unfallzeit eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,85 Promille hatte, ein objektiv wie subjektiv grob fahrlässiger Sorgfaltspflichtverstoß als Unfallursache festzustellen ist. Der Zeuge Sch… hat zwar durchgehend die Version des Klägers vom Vorhandensein eines hinter dem Lkw noch vor ihnen fahrenden Pkw Audi bestätigt, der, ebenso wie der Kläger, zum Überholen angesetzt habe, dann jedoch wieder nach rechts eingeschert sei. Der Zeuge nimmt an, dass dies deshalb geschehen sei, weil der Audi-Fahrer das entgegenkommende Fahrzeug des Zeugen S……. wahrgenommen habe. Stets hat der Zeuge Sch… aber hervorgehoben, dass der Kläger seinen Überholvorgang nach dem Rechtseinscheren des Pkw Audi zunächst noch f o r t g e s e t z t hat. Als dann auch der Kläger anfing abzubremsen, war zwar nach dem Eindruck des Zeugen Sch… „noch Platz gewesen, hinter dem Audi wieder einzuscheren“. Man sei „aber durch die heftige Lenkbewegung des Klägers ins Schleudern gekommen“. Bereits aufgrund dieser Angaben steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger allein aufgrund der Auswirkung des genossenen Alkohols in einer Situation, die ein nüchterner Fahrer ohne weiteres hätte meistern können, den Überholvorgang ungeachtet des nach rechts wieder eingescherten Pkw Audi einfach fortgesetzt und erst zeitverzögert durch ein dann zu heftiges Lenken reagiert hat und ins Schleudern gekommen ist. Dieses Verhalten stellt eine typische Folge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit dar, erst recht bei einem Fahrer, der bislang unfallfrei gefahren ist und die Strecke gut kannte. Auch in subjektiver Hinsicht muss diese Fahrweise als ein leichtfertiges Außerachtlassen der gebotenen Selbstbeschränkung eines Kraftfahrers auf das Gefährdungsminimum i.S.d. § 1 StVO eingestuft werden.
Es bedarf daher keiner Bewertung der weitergehenden Angaben des Zeugen Sch… vor dem Landgericht, man habe sich in dem Zeitpunkt, als man überholen wollte, „vor einer Kuppe bzw. auf der Kuppe“ befunden und zu den Angaben des Klägers, er habe vor dem Überholen eine weite Sicht gehabt; als er den entgegenkommenden Pkw erkannt habe, sei dieser noch etwa 200 m entfernt gewesen. Der Zeuge Sch… hat auch letzteres anders gesehen, und die Entfernung des entgegenkommenden Pkw, als er ihn erstmals gesehen habe, mit vielleicht 20-30 m angegeben, was in gewisser Weise die Angabe des Zeugen S……., des Fahrers des entgegenkommenden Fahrzeugs bestätigt, der den Wagen des Klägers sogar aus einem noch etwas kürzeren Abstand ausscherend erstmals wahrgenommen haben will.
Besondere Umstände, die hier dennoch der Annahme einer grob fahrlässigen Unfallverursachung durch den Kläger entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat in der Mittagspause des Unfalltages, also nur wenige Stunden vor Antritt der Heimfahrt, anlässlich der Geburtstagsfeier in erheblichem die bei Auswärtsmonteuren teilweise übliche mittägliche Durststillung durch Bier eindeutig überschreitenden Umfang dem Alkohol zugesprochen; dies geht allein schon aus der rd. 4 Stunden später durch Rückrechnung für den Unfallzeitpunkt ermittelten Mindestalkoholkonzentration von 0,85 Promille hervor. Dass man sich nach einem solchen unkontrollierten Alkoholgenuss nicht schon relativ kurze Zeit später wieder an das Steuer seines Fahrzeugs setzen und sich und andere einer unverantwortlichen Gefährdung aussetzen darf, ist allgemein bekannt. Einem Kraftfahrer, dem diese Einsicht mangelt, ist schon deshalb ein grobes Verschulden zuzurechnen.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO und diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, § 543 ZPO n. F. in Verbindung mit § 26 Ziff. 7 EGZPO.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens, der zugleich auch Wert der Beschwer des Klägers ist, wird auf 13.850 DM (7.081,39 €) festgesetzt.