Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- OLG Hamm: Alleinverschulden des Auffahrenden bei Verkehrsunfall mit Bus
- Gericht kippt Urteil der Vorinstanz – Busfahrerin erhält Recht
- Zentrale Urteilsbegründung: Fahrlässigkeit und Verletzung der Sorgfaltspflicht
- Kritik an Beweisaufnahme der Vorinstanz: Sachverständigengutachten im Fokus
- Umfangreiche Schadensersatzansprüche für Geschädigte Busfahrerin
- Bedeutung des Urteils für Betroffene von Auffahrunfällen
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wer haftet bei einem Auffahrunfall in der Regel?
- Welche Schadensersatzansprüche habe ich als Geschädigter bei einem Auffahrunfall?
- Welche Beweismittel sollte ich nach einem Auffahrunfall sichern?
- Wie sollte ich mit der gegnerischen Versicherung nach einem Auffahrunfall kommunizieren?
- Wann ist ein Anwalt nach einem Auffahrunfall sinnvoll und wer trägt die Kosten?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: OLG Hamm
- Datum: 22.08.2023
- Aktenzeichen: I-7 U 112/22
- Verfahrensart: Berufungsverfahren im Zivilprozess (Schadensersatzanspruch aus dem StVG)
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Schadensersatzrecht, Kostenrecht
- Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Fordert Ersatz eines unfallbedingten Schadens in Höhe von 13.045,89 EUR sowie die Freistellung von außergerichtlichen Kosten; hat in der Berufung ihren Anspruch gegen die Beklagten als Gesamtschuldner geltend gemacht.
- Beklagte: Als Gesamtschuldner verurteilt, den Schadensersatz einschließlich Zinsen sowie die außergerichtlichen Kosten zu zahlen; weitergehende Vorgerichtliche Kosten wurden abgewiesen.
- Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin machte einen unfallbedingten Schadensersatzanspruch gemäß § 7 Abs. 1 StVG geltend und forderte darüber hinaus die Erstattung der außergerichtlichen Kosten.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Anerkennung des unfallbedingten Schadensersatzanspruchs in Höhe von 13.045,89 EUR sowie um die Frage, in welchem Umfang die Klägerin von den vorgerichtlichen Kosten freigestellt werden kann.
- Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung der Klägerin wurde überwiegend begründet. Die Beklagten wurden als Gesamtschuldner verurteilt, 13.045,89 EUR nebst Zinsen (5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 30.06.2018) zu zahlen und die Klägerin von außergerichtlichen Kosten in Höhe von 865,00 EUR freizustellen. Weitergehende vorgerichtliche Kosten wurden abgewiesen, und die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagten als Gesamtschuldner. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- Begründung: Die Zulässigkeit der Berufung der Klägerin wurde überwiegend bestätigt, da ihr Anspruch auf Ersatz des unfallbedingten Schadens gemäß § 7 Abs. 1 StVG bestand. Eine Abweisung erfolgte hinsichtlich der weitergehenden vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
- Folgen: Die Beklagten müssen den festgesetzten Betrag zuzüglich Zinsen sowie die definierten außergerichtlichen Kosten übernehmen. Zudem tragen sie als Gesamtschuldner die Prozesskosten, und das Urteil bleibt vorläufig vollstreckbar.
Der Fall vor Gericht
OLG Hamm: Alleinverschulden des Auffahrenden bei Verkehrsunfall mit Bus

In einem aktuellen Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm, Az.: I-7 U 112/22) vom 22. August 2023 wurde die Frage der Haftung bei einem Auffahrunfall neu bewertet. Das Gericht entschied, dass der Fahrer eines PKW die volle Verantwortung für einen Unfall trägt, bei dem er auf einen abbiegenden Bus auffuhr. Damit kippte das OLG Hamm ein Urteil des Landgerichts Paderborn und stärkte die Rechte der Busfahrerin, die zuvor nur Teilschuld zugesprochen bekommen hatte.
Gericht kippt Urteil der Vorinstanz – Busfahrerin erhält Recht
Das Landgericht Paderborn hatte in erster Instanz noch eine Mitschuld der Busfahrerin gesehen. Das OLG Hamm hingegen stellte nun klar, dass das Alleinverschulden bei dem PKW-Fahrer lag. Dieser hatte, so das Gericht, nicht die erforderliche Sorgfalt im Straßenverkehr walten lassen. Die Klägerin, die Busfahrerin und Eigentümerin des beschädigten Busses, erhält nun den vollen Schadensersatz zugesprochen.
Zentrale Urteilsbegründung: Fahrlässigkeit und Verletzung der Sorgfaltspflicht
Kern der Urteilsbegründung des OLG Hamm ist die Feststellung, dass der beklagte PKW-Fahrer fahrlässig gehandelt und seine Sorgfaltspflichten verletzt hat. Das Gericht führte aus, dass ein idealer Fahrer in der Situation des Beklagten den Bus rechtzeitig hätte erkennen und seine Fahrweise entsprechend anpassen müssen.
Versäumnisse des Beklagten Fahrers führten zum Unfall
Konkret warf das Gericht dem Beklagten vor, mehrere Fehler begangen zu haben, die zum Unfall führten:
- Mangelnde Beobachtung: Der Beklagte gab an, den Bus erst kurz vor der Kollision wahrgenommen zu haben. Das Gericht stellte jedoch fest, dass der Bus für einen aufmerksamen Fahrer sowohl beim Auffahren auf die Straße als auch vor dem Abbiegen in eine Grundstückseinfahrt deutlich sichtbar gewesen wäre.
- Fehlendes rechtzeitiges Blinken: Ein idealer Fahrer hätte nach dem Auffahren auf die Vorfahrtsstraße rechtzeitig den linken Blinker gesetzt, um seine Abbiegeabsicht anzuzeigen.
- Unterlassene doppelte Rückschau: Vor dem Abbiegen in die Grundstückseinfahrt hätte der Beklagte zudem eine doppelte Rückschau nach links durchführen müssen, um sicherzustellen, dass die Busfahrerin seine Abbiegeabsicht erkannt und ausreichend Abstand gehalten hatte.
Durch diese Versäumnisse habe der Beklagte die alleinige Verantwortung für den Unfallhergang getragen. Das Gericht betonte, dass der Unfall für einen Idealfahrer vermeidbar gewesen wäre. Der Einwand des Beklagten, der Unfall sei unabwendbar gewesen (§ 17 Abs. 3 StVG), wurde vom Gericht zurückgewiesen.
Kritik an Beweisaufnahme der Vorinstanz: Sachverständigengutachten im Fokus
Ein wesentlicher Aspekt des Urteils des OLG Hamm betrifft die Beweisaufnahme der Vorinstanz. Das Gericht hatte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des erstinstanzlichen Sachverständigengutachtens. Es wurde kritisiert, dass der Sachverständige bei der Protokollierung seines Gutachtens Fehler gemacht hatte, die entscheidungserheblich waren.
So räumte der Sachverständige in der Berufungsverhandlung vor dem OLG Hamm selbst ein, dass er bei der Diktierung seines Gutachtens beispielsweise die Annäherungs- und Kollisionsgeschwindigkeit verwechselt hatte. Auch sei ihm entgangen, dass die Zeugin E. (die Busfahrerin) während der gesamten Zeit bereits abgebremst hatte und nicht bewusst nach links ausgewichen sei.
Aufgrund dieser Mängel im Sachverständigengutachten sah sich das OLG Hamm veranlasst, die Beweisaufnahme zu wiederholen. Dies führte letztendlich zu einer anderen Bewertung des Unfallhergangs und zur Aufhebung des Urteils des Landgerichts Paderborn.
Umfangreiche Schadensersatzansprüche für Geschädigte Busfahrerin
Aufgrund des festgestellten Alleinverschuldens des Beklagten sprach das OLG Hamm der Klägerin umfangreiche Schadensersatzansprüche zu. Die Beklagten, bestehend aus dem Fahrzeughalter (Beklagte zu 1), dem Fahrer (Beklagter zu 2) und der Haftpflichtversicherung (Beklagter zu 3), wurden als Gesamtschuldner verurteilt, der Klägerin insgesamt 13.045,89 EUR zu zahlen.
Dieser Betrag setzt sich zusammen aus verschiedenen Schadenspositionen, die durch den Unfall entstanden sind, wie beispielsweise:
- Reparaturkosten für den Bus
- Wertminderung des Busses
- Abschleppkosten
- Sachverständigenkosten
- Verwaltungskostenpauschale
Zusätzlich zu dem Schadensersatzbetrag wurden die Beklagten verurteilt, der Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Juni 2018 zu zahlen. Auch die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten der Klägerin in Höhe von 865,00 EUR müssen die Beklagten tragen. Lediglich ein Teil der weitergehenden vorgerichtlichen Kosten wurde abgewiesen.
Bedeutung des Urteils für Betroffene von Auffahrunfällen
Das Urteil des OLG Hamm hat eine bedeutende Signalwirkung für alle Verkehrsteilnehmer und insbesondere für Betroffene von Auffahrunfällen. Es verdeutlicht die hohen Sorgfaltspflichten, die an Fahrzeugführer im Straßenverkehr gestellt werden. Gerade beim Abbiegen und beim Einfahren in den fließenden Verkehr ist besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht geboten.
Das Urteil unterstreicht, dass ein bloßes „Übersehen“ eines anderen Fahrzeugs nicht als Entschuldigung für einen Unfall gilt. Fahrzeugführer müssen ihre Umgebung ständig im Blick haben und ihre Fahrweise so anpassen, dass sie auch unerwartete Situationen rechtzeitig erkennen und reagieren können.
Für Geschädigte von Auffahrunfällen bedeutet das Urteil eine Stärkung ihrer Rechte. Es zeigt, dass Gerichte genau prüfen, ob ein Auffahrunfall tatsächlich unabwendbar war oder ob er auf Fahrlässigkeit und Sorgfaltspflichtverletzungen des Auffahrenden zurückzuführen ist. Die kritische Auseinandersetzung des OLG Hamm mit dem Sachverständigengutachten der Vorinstanz macht zudem deutlich, dass Gerichte genau hinschauen und sich nicht blind auf Gutachten verlassen, sondern diese hinterfragen und gegebenenfalls korrigieren. Dies kann im Einzelfall entscheidend sein, um eine gerechte Entscheidung zu erreichen und den Geschädigten den ihnen zustehenden Schadensersatz zuzusprechen. Das Urteil ermutigt Betroffene, ihre Ansprüche konsequent zu verfolgen und sich nicht mit einer möglicherweise ungerechten Entscheidung der Vorinstanz abzufinden.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt, dass bei Verkehrsunfällen ein Fahrer, der eine Vorfahrtsstraße befährt und abbiegen will, besondere Sorgfaltspflichten hat: Er muss rechtzeitig blinken, die doppelte Rückschau halten und sicherstellen, dass nachfolgende Fahrzeuge seine Abbiegeabsicht erkannt haben. Die Quintessenz des Urteils liegt darin, dass bei Nichtbeachtung dieser Vorsichtsmaßnahmen die alleinige Haftung beim abbiegenden Fahrzeug liegen kann, selbst wenn der Abstand des folgenden Fahrzeugs gering war. Dieses Prinzip ist bedeutsam für die Schadensregulierung nach Verkehrsunfällen, da es die Beweislast für die Unabwendbarkeit eines Unfalls dem Verursacher auferlegt.
Benötigen Sie Hilfe?
Klare Perspektiven bei Auffahrunfällen
Ein Auffahrunfall, bei dem einem Beteiligten das alleinige Verschulden zugeschrieben wird, kann viele Fragen aufwerfen. Auch Sie stehen möglicherweise vor der Herausforderung, die genauen Umstände und Folgen eines solchen Unfalls zu klären. Insbesondere, wenn es um Fragen der Sorgfalt und der daraus resultierenden rechtlichen Ansprüche geht, ist eine fundierte Analyse unerlässlich.
Unsere Kanzlei unterstützt Sie dabei, Ihre Situation präzise zu prüfen und Ihre Rechte konsequent zu wahren. Vertrauen Sie auf eine transparente und sachliche Beratung, die Ihnen dabei hilft, Klarheit über Ihre Ansprüche im Kontext eines Auffahrunfalls zu gewinnen und mögliche Handlungsoptionen abzuwägen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wer haftet bei einem Auffahrunfall in der Regel?
Bei einem Auffahrunfall haftet in der Regel der Auffahrende. Dies basiert auf dem sogenannten Anscheinsbeweis, der zu Lasten des auffahrenden Fahrzeugs spricht. Der Anscheinsbeweis ist eine juristische Vermutung, die davon ausgeht, dass der Auffahrende den Unfall durch sein Fehlverhalten verursacht hat.
Gründe für die Haftung des Auffahrenden
Die Haftung des Auffahrenden wird meist damit begründet, dass er:
- den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat
- mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist
- unaufmerksam oder abgelenkt war
Wenn Sie als Auffahrender in einen Unfall verwickelt sind, sollten Sie sich diese Punkte vor Augen führen. Haben Sie ausreichend Abstand gehalten? Waren Sie aufmerksam? Sind Sie vorausschauend gefahren?
Möglichkeiten zur Widerlegung des Anscheinsbeweises
Der Anscheinsbeweis kann jedoch unter bestimmten Umständen widerlegt werden. Dazu muss der Auffahrende nachweisen, dass ein atypischer Geschehensablauf vorlag. Dies kann der Fall sein, wenn:
- der Vorausfahrende ohne zwingenden Grund plötzlich stark gebremst hat
- ein ruckartiges Stehenbleiben des vorderen Fahrzeugs erfolgte, etwa durch Abwürgen des Motors
- der Vorausfahrende kurz vor dem Unfall die Fahrspur gewechselt hat
Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf der Autobahn und plötzlich wechselt ein Fahrzeug direkt vor Ihnen die Spur, ohne zu blinken. In einem solchen Fall könnte der Anscheinsbeweis zu Ihren Gunsten erschüttert werden.
Besondere Situationen und Haftungsverteilung
Es gibt Fälle, in denen die Haftung zwischen dem Auffahrenden und dem Vorausfahrenden aufgeteilt wird:
- Bei Unfällen auf der Autobahn, wenn ein liegengebliebenes Fahrzeug in die Fahrbahn ragt
- Wenn der Vorausfahrende an einer unübersichtlichen Stelle angehalten hat
- Bei unzureichender Kenntlichmachung eines stehenden Fahrzeugs bei schlechter Sicht
In diesen Situationen kann auch der Vorausfahrende einen Teil der Haftung tragen. Die genaue Haftungsverteilung hängt von den spezifischen Umständen des Einzelfalls ab.
Beachten Sie: Auch wenn der Anscheinsbeweis grundsätzlich zu Lasten des Auffahrenden spricht, bedeutet dies nicht automatisch eine Alleinschuld. Gerichte berücksichtigen zunehmend die individuellen Umstände des Unfalls bei der Beurteilung der Schuldfrage.
Welche Schadensersatzansprüche habe ich als Geschädigter bei einem Auffahrunfall?
Als Geschädigter bei einem Auffahrunfall haben Sie Anspruch auf umfassenden Schadensersatz. Dieser umfasst sowohl Sachschäden als auch Personenschäden, die durch den Unfall verursacht wurden.
Sachschäden
Bei Sachschäden können Sie folgende Ansprüche geltend machen:
Reparaturkosten: Sie haben das Recht, Ihr Fahrzeug in einer Fachwerkstatt Ihrer Wahl reparieren zu lassen. Die Kosten hierfür trägt der Unfallverursacher bzw. dessen Versicherung. Alternativ können Sie auch eine fiktive Abrechnung auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens wählen, ohne die Reparatur tatsächlich durchführen zu lassen.
Wertminderung: Wenn Ihr Fahrzeug durch den Unfall an Wert verloren hat, können Sie eine Entschädigung für die merkantile Wertminderung beanspruchen. Dies gilt besonders für neuere oder hochwertige Fahrzeuge.
Nutzungsausfall oder Mietwagenkosten: Für die Zeit, in der Sie Ihr Fahrzeug nicht nutzen können, steht Ihnen entweder eine Nutzungsausfallentschädigung zu oder Sie können die Kosten für einen Mietwagen geltend machen.
Abschleppkosten und Sachverständigenkosten: Die Kosten für das Abschleppen Ihres Fahrzeugs sowie für ein unabhängiges Sachverständigengutachten sind ebenfalls erstattungsfähig.
Personenschäden
Bei Verletzungen durch den Unfall können Sie zusätzlich folgende Ansprüche geltend machen:
Schmerzensgeld: Dies dient als Ausgleich für erlittene Schmerzen und Beeinträchtigungen.
Behandlungskosten: Alle medizinisch notwendigen Kosten für Ihre Heilbehandlung sind erstattungsfähig.
Verdienstausfall: Wenn Sie aufgrund des Unfalls arbeitsunfähig waren, können Sie den entgangenen Verdienst geltend machen.
Dokumentation und Nachweis
Um Ihre Ansprüche erfolgreich durchzusetzen, ist eine sorgfältige Dokumentation wichtig:
- Fertigen Sie Fotos von der Unfallstelle und den Schäden an.
- Notieren Sie Kontaktdaten von Zeugen.
- Erstellen Sie ein Unfallprotokoll.
- Lassen Sie ärztliche Untersuchungen durchführen und dokumentieren.
Denken Sie daran: Bei einem typischen Auffahrunfall wird vermutet, dass der Auffahrende die Schuld trägt. Dies erleichtert Ihnen als Geschädigtem die Durchsetzung Ihrer Ansprüche. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einer roten Ampel und werden von hinten angefahren – in einem solchen Fall haben Sie gute Chancen, Ihre Ansprüche vollumfänglich durchzusetzen.
Welche Beweismittel sollte ich nach einem Auffahrunfall sichern?
Nach einem Auffahrunfall ist eine umfassende Beweissicherung entscheidend für die spätere Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen. Folgende Beweismittel sollten Sie unbedingt sichern:
Unfallfotos
Machen Sie detaillierte Fotos von der Unfallstelle und allen beteiligten Fahrzeugen. Achten Sie darauf, die Endposition der Fahrzeuge, Schäden an allen beteiligten Autos, Bremsspuren auf der Straße sowie die allgemeine Verkehrssituation zu dokumentieren. Fotografieren Sie auch relevante Verkehrsschilder und Straßenmarkierungen in der Umgebung.
Zeugenaussagen
Sammeln Sie die Kontaktdaten aller Unfallzeugen. Bitten Sie diese, ihre Beobachtungen kurz schriftlich festzuhalten. Neutrale Zeugenaussagen können später vor Gericht sehr wertvoll sein, um den Unfallhergang zu bestätigen.
Polizeibericht
Rufen Sie die Polizei zur Unfallaufnahme. Der offizielle Unfallbericht der Polizei ist ein wichtiges Beweisdokument, das den Unfallhergang, beteiligte Personen und Fahrzeuge sowie erste Einschätzungen zur Unfallursache festhält.
Ärztliche Atteste
Lassen Sie sich nach dem Unfall ärztlich untersuchen, auch wenn Sie zunächst keine offensichtlichen Verletzungen bemerken. Ein zeitnah erstelltes ärztliches Attest kann später wichtig sein, um unfallbedingte Verletzungen nachzuweisen.
Unfallskizze und Notizen
Erstellen Sie eine detaillierte Skizze der Unfallsituation und notieren Sie sich alle relevanten Informationen wie Datum, Uhrzeit, Wetterbedingungen und Ihre Wahrnehmung des Unfallhergangs. Diese Aufzeichnungen können Ihre Erinnerung später stützen.
Dashcam-Aufnahmen
Falls vorhanden, sichern Sie Aufnahmen von Dashcams oder anderen Videoüberwachungssystemen in der Nähe. Diese können wertvolle Beweise für den genauen Unfallablauf liefern.
Versicherungsdaten
Tauschen Sie mit dem Unfallgegner die Versicherungsinformationen aus und notieren Sie sich das Kennzeichen sowie Fahrzeugtyp und -farbe des anderen Fahrzeugs.
Wenn Sie diese Beweismittel sorgfältig und zeitnah nach dem Unfall sichern, stärken Sie Ihre Position erheblich. Bedenken Sie, dass eine lückenhafte Beweislage später dazu führen kann, dass Ihre Ansprüche gekürzt oder abgelehnt werden. Handeln Sie daher zügig und dokumentieren Sie den Unfall so umfassend wie möglich.
Wie sollte ich mit der gegnerischen Versicherung nach einem Auffahrunfall kommunizieren?
Nach einem Auffahrunfall sollten Sie bei der Kommunikation mit der gegnerischen Versicherung äußerst vorsichtig vorgehen. Beschränken Sie sich auf die Weitergabe grundlegender Informationen wie Unfallort, -zeit und beteiligte Fahrzeuge. Vermeiden Sie es, detaillierte Aussagen zum Unfallhergang zu machen oder Schuld einzugestehen.
Vorsicht bei Aussagen
Seien Sie zurückhaltend mit Äußerungen über Ihre Verletzungen oder den Unfallablauf. Vorschnelle oder unüberlegte Aussagen könnten später gegen Sie verwendet werden. Wenn Sie gefragt werden, wie es Ihnen geht, antworten Sie neutral, etwa mit „Ich lasse mich ärztlich untersuchen“.
Dokumentation der Kommunikation
Dokumentieren Sie jegliche Kommunikation mit der Versicherung sorgfältig. Notieren Sie Datum, Uhrzeit und den Namen Ihres Gesprächspartners. Bei schriftlicher Kommunikation bewahren Sie Kopien aller Korrespondenz auf. Diese Aufzeichnungen können später wertvoll sein, falls es zu Unstimmigkeiten kommt.
Umgang mit Regulierungsangeboten
Wenn Sie ein Regulierungsangebot erhalten, unterschreiben Sie nichts voreilig. Prüfen Sie das Angebot gründlich und vergleichen Sie es mit Ihren tatsächlichen Schäden und Kosten. Bedenken Sie, dass erste Angebote oft niedriger ausfallen als die tatsächliche Schadenshöhe.
Durchsetzung berechtigter Ansprüche
Um Ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen, sollten Sie alle unfallbedingten Kosten und Schäden sorgfältig dokumentieren. Sammeln Sie Belege für Reparaturen, ärztliche Behandlungen und eventuelle Verdienstausfälle. Diese Unterlagen bilden die Grundlage für Ihre Forderungen gegenüber der Versicherung.
Beachten Sie, dass bei einem Auffahrunfall in der Regel eine Schuld des auffahrenden Fahrzeugs angenommen wird. Dies stärkt Ihre Position in den Verhandlungen mit der gegnerischen Versicherung. Bleiben Sie dennoch sachlich und professionell in der Kommunikation, um eine faire Regulierung zu erreichen.
Wann ist ein Anwalt nach einem Auffahrunfall sinnvoll und wer trägt die Kosten?
Ein Anwalt ist nach einem Auffahrunfall in vielen Fällen sinnvoll, besonders wenn Sie unverschuldet in den Unfall verwickelt wurden. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts empfiehlt sich vor allem in folgenden Situationen:
Komplexe Schadenslage
Wenn bei dem Auffahrunfall Personenschäden entstanden sind oder der Sachschaden erheblich ist, kann ein Anwalt Ihnen helfen, alle Ihre Ansprüche geltend zu machen. Er kennt die rechtlichen Möglichkeiten und kann auch versteckte Schäden identifizieren, die Ihnen möglicherweise entgangen sind.
Streitige Schuldfrage
Obwohl bei einem Auffahrunfall meist der Auffahrende die Schuld trägt, kann es Fälle geben, in denen die Schuldfrage nicht eindeutig ist. Ein Anwalt kann Ihre Position stärken und die Beweislage zu Ihren Gunsten darstellen.
Probleme mit der Versicherung
Wenn die gegnerische Versicherung Ihre Ansprüche ablehnt oder kürzt, ist anwaltliche Hilfe oft unerlässlich. Versicherungen haben erfahrene Juristen auf ihrer Seite, sodass Sie ohne Anwalt leicht benachteiligt werden können.
Kosten des Anwalts
Die gute Nachricht ist: Wenn Sie unverschuldet in den Auffahrunfall verwickelt wurden, muss die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners die Kosten für Ihren Anwalt übernehmen. Dies gilt auch, wenn Sie nur eine Teilschuld tragen – dann werden die Kosten anteilig erstattet.
Wenn Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, können die Anwaltskosten auch darüber abgedeckt werden. Dies ist besonders hilfreich, wenn die Schuldfrage noch nicht geklärt ist.
Erfolgsaussichten verbessern
Ein spezialisierter Verkehrsrechtsanwalt kann Ihre Erfolgsaussichten bei der Durchsetzung von Ansprüchen deutlich verbessern. Er weiß, wie Schäden korrekt dokumentiert und berechnet werden, und kann auch bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld helfen.
Stellen Sie sich vor, Sie haben nach einem Auffahrunfall anhaltende Nackenschmerzen. Ein Anwalt kann nicht nur die unmittelbaren Behandlungskosten, sondern auch mögliche Folgeschäden und Verdienstausfälle in die Schadensberechnung einbeziehen.
Bedenken Sie: Die frühzeitige Einschaltung eines Anwalts kann Ihnen viel Stress ersparen und sicherstellen, dass Sie alle Ihnen zustehenden Ansprüche geltend machen. Gerade bei Personenschäden oder komplexen Sachverhalten kann dies entscheidend für eine faire Entschädigung sein.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Gesamtschuldner
Gesamtschuldner sind mehrere Personen, die gemeinsam für eine Schuld haften, wobei der Gläubiger die gesamte Leistung von jedem einzelnen Schuldner verlangen kann. Diese Haftungsform ist in § 421 BGB geregelt. Sobald ein Gesamtschuldner die vollständige Leistung erbringt, werden alle anderen Schuldner gegenüber dem Gläubiger frei. Der zahlende Schuldner kann anschließend im Innenverhältnis Ausgleichsansprüche gegen die anderen Gesamtschuldner geltend machen.
Beispiel: Bei einem Verkehrsunfall können sowohl der Fahrzeughalter als auch der Fahrer als Gesamtschuldner für den entstandenen Schaden haften. Der Geschädigte kann die volle Schadensersatzsumme von einem der beiden verlangen.
Berufungsverfahren
Das Berufungsverfahren ist ein Rechtsmittel gegen Urteile eines erstinstanzlichen Gerichts, mit dem eine neue Verhandlung und Entscheidung in der zweiten Instanz erreicht werden kann. Geregelt ist die Berufung in den §§ 511-541 ZPO für Zivilverfahren. Im Berufungsverfahren überprüft das höhere Gericht die Entscheidung des Untergerichts auf rechtliche und tatsächliche Fehler und kann das erstinstanzliche Urteil bestätigen, abändern oder aufheben.
Beispiel: Im vorliegenden Fall hat das OLG Hamm als Berufungsgericht die Entscheidung des Landgerichts Paderborn geändert und der Klägerin vollständigen Schadensersatz zugesprochen.
Schadensersatzanspruch
Ein Schadensersatzanspruch ist das rechtliche Recht einer geschädigten Person, vom Schädiger Ausgleich für einen erlittenen Schaden zu verlangen. Die Grundlagen finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 249 ff. BGB) sowie in speziellen Gesetzen wie dem Straßenverkehrsgesetz (§ 7 StVG). Voraussetzungen sind ein eingetretener Schaden, ein haftungsbegründender Tatbestand (wie Unfall), Kausalität zwischen Ereignis und Schaden sowie Verschulden oder gesetzlich festgelegte Gefährdungshaftung.
Beispiel: Die Klägerin forderte nach dem Verkehrsunfall mit dem Bus Ersatz für ihren Sachschaden in Höhe von 13.045,89 EUR gemäß § 7 Abs. 1 StVG.
Straßenverkehrsgesetz (StVG)
Das Straßenverkehrsgesetz ist ein zentrales Gesetz, das die rechtlichen Grundlagen für den Verkehr auf öffentlichen Straßen regelt. Es enthält Vorschriften zur Zulassung von Fahrzeugen, Fahrerlaubnisrecht und besonders wichtig zur Haftung bei Unfällen. § 7 StVG begründet die Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters, was bedeutet, dass dieser unabhängig vom Verschulden für Schäden haftet, die beim Betrieb seines Kraftfahrzeugs entstehen.
Beispiel: Im vorliegenden Fall basierte der Anspruch der Klägerin auf § 7 Abs. 1 StVG, der die verschuldensunabhängige Haftung des Fahrzeughalters für Schäden durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs festlegt.
Vorgerichtliche Kosten
Vorgerichtliche Kosten sind Aufwendungen, die einer Partei im Zusammenhang mit der außergerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche entstehen, bevor ein Gerichtsverfahren eingeleitet wird. Typischerweise umfassen diese Anwaltskosten, Sachverständigengutachten oder Mahngebühren. Sie sind als Teil des Schadens nach § 249 BGB erstattungsfähig, wenn sie zur Rechtsverfolgung notwendig und angemessen waren.
Beispiel: Die Klägerin forderte im Verfahren nicht nur den eigentlichen Unfallschaden, sondern auch die Freistellung von den Kosten, die ihr durch die Beauftragung eines Anwalts vor dem Gerichtsprozess entstanden waren.
Vorläufige Vollstreckbarkeit
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist eine Eigenschaft gerichtlicher Entscheidungen, die es dem Gläubiger ermöglicht, das Urteil sofort zu vollstrecken, obwohl es noch nicht rechtskräftig ist (§§ 708-713 ZPO). Der Schuldner kann sich dagegen durch Leistung einer Sicherheit (meist Geldbetrag) schützen. Diese Regelung soll verhindern, dass Schuldner durch Einlegung von Rechtsmitteln die Vollstreckung hinauszögern können.
Beispiel: Das OLG Hamm erklärte sein Urteil für vorläufig vollstreckbar, was bedeutet, dass die Klägerin ihren zugesprochenen Schadensersatzanspruch direkt durchsetzen kann, selbst wenn die Beklagten weitere Rechtsmittel einlegen sollten.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 StVG (Gefährdungshaftung): Regelt die verschuldensunabhängige Haftung des Fahrzeughalters für Schäden, die beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. Der Halter haftet allein aufgrund der Betriebsgefahr des Fahrzeugs, ohne dass ihm ein Verschulden nachgewiesen werden muss. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Beklagte zu 1) haftet als Halterin des unfallverursachenden Kraftfahrzeugs für die Beschädigung des Busses der Klägerin aufgrund der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs.
- § 18 Abs. 1 StVG (Fahrerhaftung): Bestimmt, dass der Fahrzeugführer neben dem Halter für Unfallschäden haftet, wenn er das Fahrzeug selbständig in Betrieb nimmt. Der Fahrzeugführer kann sich wie der Halter nur durch den Nachweis höherer Gewalt oder eines unabwendbaren Ereignisses entlasten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Beklagte zu 2) haftet als Fahrer des unfallverursachenden Kraftfahrzeugs persönlich für die entstandenen Schäden am Bus der Klägerin.
- § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 Satz 1 PflVG (Direktanspruch gegen den Versicherer): Gewährt dem Geschädigten einen unmittelbaren Anspruch gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer. Der Versicherer haftet im gleichen Umfang wie der Versicherungsnehmer und kann grundsätzlich keine Einwendungen aus dem Versicherungsverhältnis geltend machen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin kann ihren Schadensersatzanspruch direkt gegen den Beklagten zu 3) als Kfz-Haftpflichtversicherer geltend machen, ohne zunächst den Halter oder Fahrer in Anspruch nehmen zu müssen.
- § 17 Abs. 2 StVG (Schadensverteilung bei mehreren Fahrzeugen): Regelt die Verteilung der Haftung bei Unfällen, an denen mehrere Kraftfahrzeuge beteiligt sind. Die Verteilung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere danach, inwieweit der Schaden überwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ergab, dass die Beklagten für die Unfallfolgen allein haften müssen, da sie den Unfall überwiegend verursacht haben.
- § 7 Abs. 2 StVG (Haftungsausschluss): Schließt eine Haftung des Fahrzeughalters aus, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wurde. Höhere Gewalt liegt vor, wenn ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis eintritt, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar war. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Ein Haftungsausschluss nach dieser Vorschrift kam nicht in Betracht, da offenkundig keine höhere Gewalt für den Unfall ursächlich war.
Das vorliegende Urteil
OLG Hamm – Az.: I-7 U 112/22 – Urteil vom 22.08.2023
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