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Altersdiskriminierung – Entschädigungsanspruch


Arbeitsgericht Frankfurt/Main

Az: 11 Ca 8952/06

Urteil vom 25.06.2007


In dem Rechtsstreit hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Kammer 11, auf die mündliche Verhandlung vom 03. Mai 2007 für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.050,00 EUR (in Worten: Viertausendfünfzig und 00/100 Euro) zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.050,00 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch wegen Altersdiskriminierung.

Die am 20.06.1960 geborene Klägerin nahm vom 15.03. bis 22.05.2006 bei der Beklagten an einer Schulung für Flugbegleiter teil. Die Beklagte ist die größte deutsche Fluggesellschaft. Vom 23.05. bis 22.11.2006 war die Klägerin als Flugbegleiterin auf Zeit auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 10.05.2006 befristet zu einer Bruttomonatsvergütung von € 1.050,00 tätig. Nach Ablauf der befristeteT) Tätigkeit wurde allen Flugbegleitern des Lehrgangs ein unbefristeter Arbeitsvertrag von der Beklagten in Aussicht gestellt. Die Klägerin wandte sich an die Beklagte, um eine Auskunft über ihre eigene mögliche Festanstellung zu erhalten. Die Beklagte lehnte eine unbefristete Tätigkeit der Klägerin für sie mit Schreiben vom 02.10.2006 ab (BI. 21 d.A.). Dieses Schreiben lautet in Auszügen wie folgt:

,,[.: .]

Der Grund für die Ablehnung liegt in der Systematik der Übergangsversorgung für das Kabinenpersonal. Wird ein Flugbegleiter, der älter ist als 45 Jahre dauerhaft flugdienstuntauglich, so erhält er bis zum Eintritt des gesetzlichen Rentenalters von Lufthansa eine Übergangsversorgung, die je nach Beschäftigungsdauer bis zu 60 % der letzten Vergütung zuzüglich weiterer 6,5 % anstelle des Zuschusses zur Krankenversicherung betragen kann. Für die die Höhe der Übergangsversorgung maßgeblich bestimmende Beschäftigungsdauer wird der Flugbegleiter dann so gestellt, als habe er bis zum Eintritt des 55. Lebensjahres in Vollzeit gearbeitet.

Würde demnach ein Flugbegleiter mit einem Einstellungsalter von über 41 Jahren eingestellt werden, so würde im Fall von Flugdienstuntauglichkeit nach Lebensalter 45 erhebliche Übergangsversorgungsleistungen zu erbringen haben, die nicht mehr im Verhältnis zu der sehr kurzen Beschäftigungsdauer stehen. Im Extremfall kann dies einen Betrag von deutlich über 100.000,00 € erreichen.

Unter dem Strich möchten wir dieses einseitige Risiko nicht eingehen und sind der Auffassung, dass wir damit auch nicht den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zuwiderhandeln.

Daher bitten wir Sie, es nicht als fehlende persönliche Wertschätzung zu verstehen, wenn wir bei dieser Sachlage Flugbegleiter auf Zeit nicht in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernehmen können, wenn sie das aus versorgungstechnischen Gründen bestehende Höchstalter überschreiten.

[. . .]“

Die fachliche oder persönliche Eignung der Klägerin für die Tätigkeit als Flugbegleiterin wurde nie in Frage gestellt: Mit Ausnahme der Klägerin wurden alle Teilnehmer des Lehrgangs, an dem die Klägerin teilnahm, in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen.

Gewöhnlich endet das fliegerische Arbeitsverhältnis bei der Beklagten mit Vollendung des 55. Lebensjahres, spätestens mit Vollendung des 60. Lebensjahres. Bei Erreichen der Altersgrenze nach Vollendung des 55. Lebensjahres bzw. gegebenenfalIs nach VolIendung des 60. Lebensjahres erhalten die Flugbegleiter eine Firmenrente nach dem Tarifvertrag Übergangsversorgung für Flugbegleiter (BI. 50 – 65 d.A.). Wenn festgestellt wird, dass ein in einem fliegerischen Arbeitsverhältnis tätiger Mitarbeiter nach Vollendung des 45. Lebensjahres dauerhaft flugdienstuntauglich ist, so erhält er nach dem Tarifvertrag Übergangsversorgung für Flugbegleiter bis zum Erreichen der frühestmöglichen Inanspruchnahme der Rente eine Firmenrente als Überbrückung.

Die insoweit maßgebliche Tarifnorm § 2 Nr. 4 lautet wie folgt:

4. Der Anspruch auf Firmenrente entsteht bereits vorzeitig, wenn der/die Flugbegleiter(in) nach dem vollendeten 45. Lebensjahr dauernd flugdienstuntauglich im Sinne des § 20 MTV Kabine geworden ist. Oie Zahlung der Firmenrente beginnt am Ersten des Monats nach Beendigung des fliegerischen Arbeitsverhältnisses.

Mit Schreiben vom 31.10.2006 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung wegen Altersdiskriminierung in Höhe von € 4.050,00 auf. Die Beklagte lehnte diese Zahlung mit Schreiben vom 22.11.2006 ab.

Mit Schreiben vom 12.12.2006, bei dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangen am 13.12.2006 und der Beklagten zugestellt am 20.12.2006, erhob die Klägerin Klage gerichtet auf die Zahlung einer Entschädigung wegen Altersdiskriminierung.

Die Klägerin trägt vor,

ihr stünde ein Entschädigungsanspruch in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen gemäß § 15 AGG zu. Es liege ein Verstoß gegen §§ 1, 3 Abs. 1, 7 AGG vor. Die Beklagte wolle einzig ihr vermeintliches Übergangsversorgungsrisiko ausschließen. Dies rechtfertige jedoch die vorliegende Diskriminierung nicht. Es handele sich um eine rein fiktive Überlegung ohne tatsächliche Grundlage. Ob sie flugdienstuntauglich werde, ob sie eventuelle in einem solchen Fall noch als Teil des Bordpersonals arbeiten könne und ob sie mit 55 oder 60 Lebensjahren aus dem Dienst ausscheide und damit ihr voraussichtliches Rentenbeitrittsalter, sei nicht absehbar. Da diese Faktoren aber maßgeblich für die Berechnung der Firmenrente seien, sei eine realistische Berechnung gar nicht möglich. Ein Ausnahmetatbestand im Sinne des § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG liege nicht vor. Bei einer Beschäftigungszeit von neun Jahren zwischen ihrem Eintrittsalter mit 45 Lebensjahren und dem frühestmöglichen Eintrittszeitpunkt in den Ruhestand mit 55 Jahren könne man nicht von einer unangemessenen Zeit im Sinne der Norm sprechen. Dies sei höchstens bei einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren der Fall. Eine aufwändige Einarbeitung sei ebenfalls nicht notwendig, da sie bereits eingearbeitet worden sei. Eine Analogie in dem Sinne, dass eine vorzeitige Beendigung wegen Flugdienstuntauglichkeit im Sinne des Tarifvertrages gleichzusetzen sei mit dem in § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 3 AGG verwendeten Begriff der Rente sei aufgrund der eindeutigen Verwendung des Begriffes Rente in der Norm nicht möglich. Die Beschäftigungspolitik als legitimes Ziel stünde mit dem Vorgehen der Beklagten nicht im Einklang. Die rein wirtschaftlichen Interessen der Beklagten stellten kein legitimes Ziel dar. Die Beklagte könne ihr wirtschaftliches Risiko nicht zu ihren Lasten auf sie verlagern.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie € 4.050,00 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor,

sofern die Klägerin bis zu ihrem 55. Lebensjahr in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu ihr stehe und sie alle Qualifizierungen erfülle, wäre sie in Vergütungsgruppe 6 einzustufen. Dann müsste sie der Klägerin bis zu deren 63. Lebensjahr einen monatlichen Betrag von € 625,.51 als Firmenrente zur Überbrückung zahlen, wie sich aus ihrer Berechnung ergebe (Bl. 115 d.A.).
Der auf diese Weise von ihr insgesamt zu zahlende Betrag beliefe sich auf ca. € 60.000,00. Wenn die Klägerin wegen dauernder Flugdienstuntauglichkeit ausscheide, hätte sie bis längstens zur Vollendung ihres 63. Lebensjahres einen Anspruch auf monatliche Zahlung in Höhe von € 385,00 nach ihrer Berechnung (BI. 116 d.A.). Im für sie deutlichsten Fall, dass die Klägerin nach einem Tag Beschäftigung dauerhaft flugdienstuntauglich würde, müsste sie bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres insgesamt € 83.000,00 nach ihrer Berechnung zahlen (Berechnung BI. 115 – 116 d.A.). Daher stelle sie keine Flugbegleiter unbefristet ein, die älter als 40 Jahre und 364 Tage seien. Diese Ansicht sei von § 10 Satz 3 Nr. 3 AGG gedeckt. Es liege keine betriebswirtschaftlich sinnvolle Mindestdauer einer produktiven Arbeitsleistung im Sinne der Norm vor. Zumindest sei diese Auffassung von der Generalklausel des § 10 AGG gedeckt. Esse! ein legitimes Ziel, dass ein Arbeitnehmer eine Mindestbeschäftigungsdauer in ihrem Unternehmen aufweisen kann. Dadurch werde erreicht, dass sie sich im Verhältnis zwischen der Beschäftigungsdauer und den Kosten nicht betriebswirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Forderungen auf Übergangsversorgung ausgesetzt sehe. Das Risiko, eine Rente wegen Flugdienstuntauglichkeit zahlen zu müssen, hänge von der Zusammensetzung des Flugbegleiterpersonals ab. Ab dem 45.Lebensjahr würden mehr Flugbegleiter flugdienstuntauglich, wie sich aus einer von ihr gefertigten Analyse ergebe (BI. 117 – 120 d.A.). Wenn sie keine Höchstaltersgrenze bei der unbefristeten Einstellung beachten könne, würde das gesamte System der Übergangsversorgung in Frage gestellt werden. Die Gewährleistung dieses Systems liege jedoch auch im allgemeinen Interesse aller Flugbegleiter und sei ein legitimes Ziel.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Wegen der nach § 313 Abs. 3 ZPO gebotenen Zusammenfassung der die Entscheidung der Kammer tragenden Erwägungen gilt Folgendes:

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von € 4.050,00 gemäß §§ 15 Abs. 2, 1, 3 Abs. 1, 7 AGG.

1. Eine Diskriminierung wegen des Alters im Sinne der §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1, 7 AGG liegt vor.

Die Beklagte benachteiligte die Klägerin im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG, da sie die Klägerin wegen ihres. Alters nicht einstellte. Der Grund hierfür sind die Einstellungsbedingungen der Beklagten im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG, die bei der Einstellung von Flugbegleitern eine Altersgrenze von 40 Jahren und 364 Tagen .vorsehen.

2.. Die Diskriminierung ist nicht gerechtfertigt im Sinne des § 10 AGG.

a) Ein Rechtfertigungsgrund gemäß § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG liegt nicht vor.

aa) Nach § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG kann ein Höchstalter für die Einstellung aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand festgesetzt werden. Die Klägerin war im Zeitpunkt ihrer Anfrage gerichtet auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei der Beklagten 46 Jahre alt. Der bei der Beklagten gewöhnliche, aber auch frühestmögliche Eintritt in den Ruhestand, der den Bezug einer Firmenrente auslöst, liegt bei 55 Lebensjahren. Bei einem Zeitraum von neun Jahren liegt eine angemessene Beschäftigungszeit im Sinne des § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG vor, so dass die Festsetzung einer Höchstgrenze als Notwendigkeit im Sinne der Norm nicht gegeben ist.

Die angemessene Beschäftigungszeit wurde von der Rechtsprechung bislang in erster Linie nur bei der Rückzahlung von Fort- und Ausbildungskosten behandelt. Diese Rechtsprechung kann einen möglichen Maßstab für die Beurteilung nach § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 1 AGG bieten (Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, München 2007, § 10 Rn. 32). Berücksichtigt man die Rechtsprechung zur Rückzahlung von Fort- und Ausbildungskosten so kann der insofern als angemessen anzusehende Zeitraum keinesfalls höher sein als die nach §.10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG maßgebliche Beschäftigungszeit vor Eintritt in den Ruhestand. Als maximale Bindungsdauer sieht die Rechtsprechung einen Zeitraum von fünf Jahren an (BAG Urt.v. 12.12.1979 – 5 AZR 1056/77 – AP Nr. 4 zu § 611. BGB Ausbildungsbeihilfe = EzA § 70 BAT Nr. 11). Hierbei handelt es sich um eine Höchstgrenze. Diese ist insbesondere auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass anders als im vorliegenden Fall zuvor eine umfangreiche Fortbildung von mehr als zwei Jahren seitens des Arbeitgebers finanziert wurde. In diesem Fall erscheinen fünf Jahre als angemessen. Eine Überschreitung des fünfjährigen Zeitraums benachteiligt den Arbeitnehmer jedoch unangemessen. Folglich ist unter Zugrundelegung dieses Maßstabes auch die maßgebliche Beschäftigungszeit im Sinne des § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG nicht mit mehr als fünf Jahren anzusetzen. Die vorliegend einschlägige Beschäftigungsdauer von neun Jahren ist daher angemessen und bedarf vor diesem Hintergrund keiner Festsetzung eines Höchstalters im Sinne der Norm.

bb) Die Beklagte kann ihr Risiko, eine Übergangsversorgung aufgrund Flugdienstuntauglichkeit an die Klägerin zahlen zu müssen, nicht nach § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG rechtfertigen. Diese Norm erfasst nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur den Fall der angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand. Der (eventuelle) Eintritt in eine krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeitsrente als Oberbegriff, unter welchen man die dauernde Flugdienstuntauglich.keit subsumieren könnte, wird von dem Wortlaut nicht erfasst.

b) Ein Rechtfertigungsgrund gemäß § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG analog liegt ebenfalls nicht vor.

Eine analoge Anwendung des § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG auf den (eventuellen) Eintritt in eine krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeitsrente scheitert unabhängig davon, ob eine Regelungslücke oder eine vergleichbare Interessenlage vorliegen, an der Grenze des Wortlauts der Norm. Der Gesetzgeber normierte ausdrücklich den Eintritt in den Ruhestand als maßgebliche Größe für die Beurteilung der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit.

c) Die Diskriminierung ist nicht gemäß § 10 Satz 1, Satz 2 AGG gerechtfertigt.

Die unterschiedliche Behandlung der Klägerin wegen des Alters ist nicht objektiv, angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt im Sinne des § 10 Satz 1 AGG.

Das Interesse der Beklagten ist mich ihrem Vortrag geteilt. Sie stützt sich zum einen auf ihr wirtschaftliches Interesse und zum andern auf die Notwendigkeit, dass die Funktion des Firmenrentenmodells gewährleistet wird. Beide Interessen sind keine legitimen Ziele im Sinne des § 10 Satz 1 AGG.

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aa) Beide von der Beklagten vorgetragenen Ziele sind reine individuelle Unternehrnensinteressen. Es ist bereits zweifelhaft, ob derartige Unternehmensinteressen unter den Begriff des legitimen Ziels im Sinne des § 10 Satz 1 AGG zu fassen sind.

Der Gesetzgeber wiederholt den Wortlaut von Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG, ohne den Begriffen „objektiv“, „angemessen“ und „legitim“ in dem Gesetz eigenen Definitionen zuzuordnen. Zum Teil wird vertreten, unter dem legitimen Ziel seien nur wichtige Gemeinwohlinteressen zu verstehen (Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rn. 422). Nach einer anderen Auffassung muss sich auch der einzelne Unternehmer auf z.B. eine ausgewogene Altersstruktur in seinem Betrieb berufen können (Linsenmaier, RdA 2003, Sonderbeilage Heft 5, 22, 26). Es müsse jeder legitime Zweck ausreichen, da eine mittelbare Diskriminierung eben durch jedes legitime Ziel gerechtfertigt werden könne (König, ZESAR 2005, 218, 220).

Nach der Gesetzesbegründung sind auch solche Ziele zulässig, die über die Situation des einzelnen Unternehmers oder der einzelnen Branche hinausgehen und von allgemeinem Interesse sind, wie etwa Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung (BT-Drucks. 16/1780 S. 36). Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Durch die Verwendung des Begriffs „insbesondere“ bei der Aufzählung in der Gesetzesbegründung wird jedoch deutlich, dass andere Rechtfertigungen qualitativ den genannten entsprechen müssen (Däubler/Bertzbach, AGG, 1. Aufl. 2007, § 10 Rn. 21; Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, 2007, § 10 Rn. 16 mit Verweis auf den diese Auslegung entsprechenden Wortlaut der spanischen, französischen, italienischen und niederländischen Regelung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG).
Daher stützt eine weitere Ansicht ihre Auffassung auf die Entscheidungskompetenz. Da die Gemeinwohlinteressen durch den Gesetzgeber bestimmt werden, sei eine Rechtfertigung der Altersdiskriminierung nur dann zulässig, wenn es sich um ein Ziel handelt, das der Gesetzgeber einer Norm zugrunde gelegt hat Greife der Gesetzgeber ein solches Ziel normativ auf, gebe er zu erkennen, dass es sich zumindest auch um ein Gemeinwohlinteresse handelt (Däubler/Bertzbach, a.a.O., § 10 Rn. 21 m.w.N.).

bb) Selbst wenn man davon ausgeht, dass reine Unternehmensinteressen auch Berücksichtigung finden, liegt ein legitimes Ziel im Sinne des § 10 Satz 1 AGG nicht vor.

Beide von der Beklagten vorgetragenen Ziele sind nicht legitim im Sinne des § 10 Satz 1 AGG.

(1) Das Ziel der Beklagten ist zum einen das mögliche wirtschaftliche Risiko. Sie begründet ihre Einstellungsbedingung damit, dass sie der Klägerin bei einer Flugdienstuntauglichkeit kurz nach der Einstellung im schlimmsten Fall erhebliche Zahlungen nach dem Tarifvertrag Übergangsversorgung zahlen muss. Unabhängig. davon, dass es sich um eine reines „worst-case-Szenario“ handelt, welches derzeit jeglicher Tatsachengrundlage entbehrt, ist die Befürchtung der Beklagten nur mit ihrem eventuellen wirtschaftlichen Risiko begründet. Sie befürchtet, dass ein Arbeitnehmer von ihr Leistungen bezieht, ohne zuvor seine Arbeitskraft in einem Umfang für sie eingebracht zu haben, der sich für sie „rechnet“. Das damit allein wirtschaftliche Interesse stellt kein legitimes Ziel im Sinne des § 10 Satz 1 AGG dar (Thüsing, a.a.O., Rn. 443).

Ferner spricht auch der allein hypothetische Verlauf ohne jegliche Tatsachengrundlage gegen die Annahme eines legitimen Ziels im Sinne des § 10 Satz 1 AGG. Der Gesetzgeber zeigt durch das ähnlich gelagerte Regelbeispiel in § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG, dass nur ein sicherer Verlauf wie das Erreichen des Ruhestandes ein Maßstab für eine Beurteilung sein kann. Das Erreichen des Ruhestandes ist objektiv feststellbar und tritt nur dann nicht ein, wenn der Arbeitnehmer vor Erreichen des Ruhestandes stirbt oder seinen Arbeitsplatz wechselt. Der Gesetzgeber berücksichtigt keine Vermutungen, Eventualitäten oder Risiken. Die durch diese Formulierung zum Ausdruck kommende Intention ist, dass der Arbeitgeber auf einer sicheren Grundlage beurteilen kann, ob eine angemessene Beschäftigung im Sinne des § 10 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 AGG vorliegt und das Gericht es auf sicherer Grundlage nachprüfen kann. Bloße Risiken oder Eventualitäten können eine Diskriminierung nicht rechtfertigen.

(2) Auch die Gewährleistung der Funktion der Firmenrente ist kein legitimes Ziel im Sinne des § 10 Satz 1 AGG.

Die“Beklagte erläutert, dass das System der Firmenrente in seiner Funktion in Frage gestellt würde, wenn sie eine bestimmte Altersgrenze bei der Einstellung nicht berücksichtigen darf. Da ältere Arbeitnehmer nach ihrer Analyse häufiger flugdienstuntauglich würden, werde das System der Übergangsversorgung insgesamt in Frage gestellt, da es nicht mehr finanzierbar sein könnte. Auch insofern ist die Beklage darauf zu verweisen, dass durch ein tarifliches System bedingte Risiken nicht dazu herangezogen werden können, um eine Begründung für eine NichteinsteIlung zu bieten. Ob dieses System funktioniert, hängt von vielen Faktoren ab, die nicht beeinflusst werden können. So wäre die Beklagte bei der von ihr gewählten Begründung auch daran gehindert, mehrere gleichaltrige Flugbegleiter zu demselben Zeitpunkt einzustellen. Wenn sie z.B. mehrere fünfundzwanzigjährige Flugbegleiter gleichzeitig einstellt, sieht sie sich in zwanzig Jahren der „Gefahr“ ausgesetzt, dass all diese Flugbegleiter flugdienstuntauglich werden und eine Übergangsversorgung in Anspruch nehmen. Dieses Risiko für die Finanzierbarkeit der Firmenrente trifft die Interessen der Beschäftigten an dem funktionierenden System der Übergangsversorgung nicht anders als eine Einstellung älterer Flugbegleiter. Ob Flugbegleiter flugdienstuntauglich werden bzw. zu welchem Zeitpunkt sie dies werden, kann nur hypothetisch beurteilt werden. Zwar spricht die von der Beklagten vorgelegte Analyse dafür, dass ältere Flugbegleiter mit einer höheren Wahrscheinlichkeit flugdienstuntauglich werden. Doch auch hierbei handelt es sich eben nur um eine Prognose, weIche – wie bereits ausgeführt – eine Diskriminierung nicht rechtfertigt.. Die Beklagte führt bei Einstellung von Flugbegleitern Gesundheitsuntersuchungen durch. Wenn sie nach einer positiven Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass einerseits eine Einstellung auch unter diesem Aspekt zu befürworten wäre, andererseits jedoch aufgrund des Alters und dem damit verbundenen höheren Risiko der Flugdienstuntauglichkeit zu verneinen wäre, liegt eine ungerechtfertigte Diskriminierung wegen des Alters vor. Allein das Alter des Flugbegleiters gibt aufgrund bloßer Wahrscheinlichkeiten den Ausschlag, völlig unabhängig von der konkreten gesundheitlichen Situation des Flugbegleiters.

3. Als Rechtsfolge der Diskriminierung hat die Klägerin einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG. ‚

a) Ein Nichtvermögensschaden im Sinne des § 15 Abs. 2 AGG ist gegeben, da – wie oben ausgeführt – eine ungerechtfertigte Benachteiligung wegen des Alters besteht. Ein Nichtvermögensschaden im Sinne des § 15 AGG ist. nach der Begründung des Regierungsentwurfs regelmäßig dann gegeben, wenn eine ungerechtfertigte Benachteiligung aus den in § 1 AGG genannten Gründen vorliegt (BT-Drucks. 16/1789, S. 38).

b) Die Höhe des Anspruchs mit drei Bruttomonatsvergütungen erscheint angemessen.

Der Gesetzgeber sieht nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG bei einer NichteinsteIlung, wenn die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, eine Limitierung auf drei Bruttomonatsvergütungen vor. Berücksichtigt man, dass der Entschädigungsanspruch gerade nicht den materiellen Schaden umfasst, sondern einen immateriellen Schaden kompensiert, ist eine Unterscheidung zwischen den Bewerbern, die auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wären und den Bewerbern, die in diesem Fall eingestellt worden wären, nicht nachzuvollziehen (so auch Thüsing, a.a.O., Rn. 522). Diese Unterscheidung betrifft nur den materiellen Schaden, da ein solcher in einem höheren Umfang liegt, wenn der Bewerber bei benachteiligungsfreier Auswahl wie vorliegend eingestellt worden wäre. Da beim bestplatziertesten Bewerber der immaterielle Schaden ebenso hoch ist wie bei demjenigen, der ohnehin nicht eingestellt worden wäre, ist auch bei den Bewerbern, die allein aufgrund der diskriminierenden Auswahl nicht eingestellt wurden, die Höchstgrenze des § 15 Abs. 2 S. 2 AGG zu beachten und der letzte Halbsatz des § 15 Abs.2 S. 2 AGG gedanklich zu streichen (Thüsing, a.a.O., § 522).

Die Klägerin beachtet diese Höchstgrenze. Das Gericht sieht diesen Betrag als angemessen an. Es handelt sich um eine vorsätzliche, unmittelbare Diskriminierung durch den Arbeitgeber, die eine unbefristete Ejnstellung der Klägerin unmöglich machte. Ein Ausgleich der Persönlichkeitsverletzung durch einen materiellen Schadensersatz ist nicht erfolgt. Zudem wurde bei Bemessung der Entschädigungshöhe seitens der Kammer beachtet, dass diese unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention geeignet sein muss, den Arbeitgeber generell von dieser Diskriminierung abzuhalten (dazu EuGH Urt. v. 220.4.1997 – Rs. C-180/95 – Draehmpaehl – AP Nr. 13 zu § 611a BGB = EzA § 611a BGB Nr. 12; Däubler/Bertzbach, a.a.O., § 15. Rn. 79; Schleusener/Suckow/Voigt, a.a.O., § 15 Rn. 45). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist gerade aufgrund der ebenfalls zu beachtenden wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten die Höchstgrenze des § 15 Abs. 2 AGG angemessen.

II.

Die Beklagte hat als die im Rechtsstreit unterlegene Partei gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert entspricht der bezifferten Klageforderung.

Die Berufung wird ausdrücklich gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Darüber hinaus ergibt sich die Statthaftigkeit der Berufung für die Beklagte nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß § 64 Abs. 2 lit. B ArbGG. Die Einzelheiten der Rechtsmittelbelehrung erfolgen auf der nächsten Seite.

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