BAG
Az: 10 AZR 600/03
Urteil vom 23.02.2005
1. Auf die Revision des Beklagten wird unter Zurückweisung der Revision des Klägers das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. September 2003 – 4 (6) Sa 685/03 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 6. März 2003 – 1 Ca 2791/02 – unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die insolvenzrechtliche Behandlung von Ansprüchen des Klägers aus einem zwischen ihm und der Schuldnerin vor Insolvenzeröffnung abgeschlossenen Altersteilzeitvertrag.
Nach dem Altersteilzeitvertrag vom 8. August 2000 hat der Kläger in der Zeit vom 1. November 2000 bis 31. August 2002 mit voller Arbeitszeit gearbeitet und war anschließend bis 30. Juni 2004 freigestellt. Die monatliche Vergütung und die Altersteilzeitleistungen waren vertragsgemäß unabhängig von der Verteilung der Arbeitszeit fortlaufend zu zahlen.
Am 1. September 2002 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und zunächst Eigenverwaltung mit dem Beklagten als Sachwalter angeordnet. Durch Beschluss vom 16. Mai 2003 wurde die Anordnung der Eigenverwaltung aufgehoben und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Mit Schreiben vom 2. September 2002 hatte die Schuldnerin dem Kläger mitgeteilt, der Altersteilzeitvertrag bleibe von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt, jedoch könnten die Ansprüche daraus nicht befriedigt werden. Eine Kündigung durch die Schuldnerin oder den Beklagten erfolgte nicht.
Der Kläger hat die Schuldnerin auf Zahlung der Vergütung und der Altersteilzeitleistungen für die Monate September 2002 bis Januar 2003 mit der Begründung in Anspruch genommen, es handele sich um Masseverbindlichkeiten. § 210 InsO stehe der Zulässigkeit der Leistungsklage nicht entgegen, weil nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Masseunzulänglichkeit angezeigt worden sei und im Übrigen auch keine Massearmut vorliege. Bei den Ansprüchen für Januar 2003 handele es sich zudem um Neumasseverbindlichkeiten, weil die Schuldnerin nicht zum erstmöglichen Termin, dem 31. Dezember 2002, gekündigt habe.
Der Kläger hat beantragt,
a) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.859,60 Euro brutto abzüglich eines auf den Nettobetrag anzurechnenden Arbeitslosengeldbetrages in Höhe von 6.020,00 Euro sowie abzüglich eines Pensionskassenbeitragarbeitnehmeranteils in Höhe von 260,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2002 zu zahlen,
b) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.459,90 Euro netto (Aufstockungsleistung) nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2002 zu zahlen,
c) die Beklagte zu verurteilen, den Beitrag für die Monate September 2002 bis Januar 2003 in Höhe von 521,20 Euro an die B Pensionskasse VVaG zu zahlen,
d) die Beklagte zu verurteilen, an die Einzugsstelle bzw. den Rentenversicherungsträger für die Monate September 2002 bis Januar 2003 den Aufstockungsbeitrag in Höhe von 1.295,80 Euro zu zahlen,
hilfsweise
festzustellen, dass dem Kläger gegen die Beklagte die Forderungen nach den Ziffern a – d des Hauptantrages als Masseansprüche zustehen.
Diese Ansprüche verfolgt er gegenüber dem Beklagten weiter.
Die Schuldnerin und jetzt der Beklagte haben zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, bei den Forderungen des Klägers handele es sich um bloße Insolvenzforderungen, weil sie als Wertguthaben bereits in der Arbeitsphase vor der Insolvenzeröffnung entstanden seien. Jedenfalls hätten die Aufstockungsbeträge Abfindungscharakter und könnten deshalb nicht als Masseverbindlichkeiten eingeordnet werden. Im Übrigen sei im Fall etwaiger Masseverbindlichkeiten eine Zahlungsklage unzulässig, weil die Anzeige der Masseunzulänglichkeit wirksam erfolgt sei.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Hilfsantrag des Klägers erkannt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Hauptantrag weiter. Der Beklagte begehrt mit seiner Revision weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet, die des Klägers dagegen unbegründet. Die Ansprüche des Klägers sind keine Masseverbindlichkeiten, sondern bloße Insolvenzforderungen (§§ 38, 108 InsO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei den Forderungen des Klägers gehe es einschließlich der Aufstockungsbeträge um Masseverbindlichkeiten, weil die Ansprüche erst für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt werden müssten. Sie entstünden trotz der Freistellung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Monat für Monat neu. Allerdings fehle für eine Leistungsklage wegen der Wirksamkeit der Masseunzulänglichkeitsanzeige und des Vollstreckungsverbots des § 210 InsO das Rechtsschutzbedürfnis. Auch bei den Ansprüchen für Januar 2003 handele es sich nicht um Neumasseverbindlichkeiten. Insoweit sei eine einschränkende Auslegung dahin geboten, dass Neumasseverbindlichkeiten nur angenommen werden könnten, wenn auf Grund des weiterhin bestehenden Dauerschuldverhältnisses auch die Gegenleistung zur Masse erbracht werde. Dies sei in der Freistellungsphase der Altersteilzeit nicht der Fall. Dazu komme, dass der Insolvenzverwalter in dieser Phase auch nicht kündigen könne.
II. Dem folgt der Senat nicht. Bei den Ansprüchen des Klägers handelt es sich nicht um Masseverbindlichkeiten, weshalb die Klage auch im Feststellungsantrag abzuweisen war.
1. Es bedarf insoweit keiner Prüfung vorab, ob die Leistungsklage, wenn Masseverbindlichkeiten anzunehmen wären, trotz § 210 InsO zulässig wäre. Dies folgt daraus, dass materiell-rechtlich die Einordnung der Ansprüche als Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten auf Grund des Hilfsantrags des Klägers in jedem Fall geprüft und rechtskräftig beantwortet werden muss. Deshalb kann offen bleiben, ob eine wirksame Masseunzulänglichkeitsanzeige vorliegt und ob die Ansprüche des Klägers für Januar 2003 Neumasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO wären. Da keine Masseverbindlichkeiten vorliegen, ist die Klage insgesamt unbegründet.
2. Ansprüche aus einem gem. § 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehenden Arbeitsverhältnis werden gem. § 108 Abs. 2 InsO Insolvenzforderungen, wenn es sich um solche „für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ handelt (vgl. dazu BAG 18. November 2003 – 9 AZR 95/03 – AP InsO § 113 Nr. 17 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 19, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Wie der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinen Urteilen vom 19. Oktober 2004 – 9 AZR 645/03 – und – 9 AZR 647/03 – (zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) entschieden hat, erfolgt die Abgrenzung dieser Forderungen danach, wann die Arbeitsleistung, die den Ansprüchen zugrunde liegt, erbracht wurde. Danach bestimmt sich nämlich auch, inwieweit die Arbeitsleistung der Masse zugute kommt. Dagegen kommt es nicht darauf an, wann der Arbeitnehmer die Zahlungen verlangen kann. Als Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen sind Vergütungsansprüche gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur dann Masseverbindlichkeiten, wenn die Gegenleistung, dh. die Arbeitsleistung, für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss.
Im Blockmodell der Altersteilzeit tritt der Arbeitnehmer während der Arbeitsphase mit seinen vollen Arbeitsleistungen im Hinblick auf die anschließende Freistellungsphase in Vorleistung. Er erarbeitet hierdurch im Umfang seiner Vorleistungen Entgeltansprüche, die nicht im Monat der Arbeitsphase erfüllt, sondern für die spätere Freistellungsphase angespart werden (vgl. auch BAG 24. Juni 2003 – 9 AZR 353/02 – AP ATG § 4 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 6, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Eine Regelung, die bei vorzeitigem Abbruch der Altersteilzeit im Blockmodell zu einer Verkürzung des Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers für tatsächlich geleistete oder geschuldete und deshalb zu bezahlende Vollzeitarbeit führt, unterläge Bedenken (so schon BAG 14. Oktober 2003 – 9 AZR 146/03 – AP ATG § 3 Nr. 9 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 11, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 16. März 2004 – 9 AZR 267/03 – AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 8). Dies zeigt, dass das während der Freistellungsphase ausgezahlte Entgelt Gegenleistung für die bereits während der Arbeitsphase geleistete, über die verringerte Arbeitszeit hinausgehende Arbeit ist. Der Anspruch darauf ist im insolvenzrechtlichen Sinne „für“ diese Zeit geschuldet.
3. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Wie der Neunte Senat in den Urteilen vom 19. Oktober 2004 (- 9 AZR 645/03 – und – 9 AZR 647/03 -) im Einzelnen begründet hat, stehen der Zuordnung der angesparten Entgeltansprüche zur Vorleistung des Arbeitnehmers in der Arbeitsphase und der daraus folgenden insolvenzrechtlichen Einordnung sozialrechtliche Regelungen nicht entgegen und auch die dagegen von Nimscholz (ZIP 2002, 1936 f.) , Hanau (ZIP 2002, 2028, 2031; anders jetzt ders. in RdA 2003, 230 f.) und Leisbrock (Altersteilzeitarbeit 2001, 355 ff.) vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen (vgl. auch Vogel/Neufeld ZIP 2004, 1938 ff.; Rolfs NZS 2004, 561, 562).
4. Zu keinem anderen Ergebnis führt schließlich der Hinweis des Klägers auf § 4 Satz 2 des Altersteilzeitvertrages. Soweit danach das Entgelt „unabhängig von der Verteilung der Arbeitszeit fortlaufend zu zahlen“ ist, wird lediglich die Leistungszeit, dh. die Fälligkeit geregelt. Dass damit eine über die Verschiebung der Fälligkeit hinausgehende Entkopplung von der Gegenleistung, dh. der Arbeitsleistung, erfolgen sollte, ist dieser Vertragsbestimmung nicht zu entnehmen. Entsprechendes gilt für Ziff. 7 der Betriebsvereinbarung zur Altersteilzeit vom 19. Juli 2000. Gegen die Annahme, mit dieser Regelung habe eine von der Arbeitsleistung völlig unabhängige Zuordnung der Entgeltansprüche iSv. § 108 Abs. 2 InsO getroffen und nicht nur die Fälligkeit bestimmt werden sollen, spricht auch der in Ziff. 16 der Betriebsvereinbarung vorgesehene Insolvenzschutz; es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Betriebspartner damit nur für Fälle der Masseunzulänglichkeit Vorsorge treffen wollten. Im Übrigen wäre eine Vereinbarung, mit der im Voraus die Anwendung von § 108 InsO ausgeschlossen oder beschränkt würde, gem. § 119 InsO unwirksam. Der Begriff der „Vereinbarung“ ist weit auszulegen (Braun/Kroth InsO 2. Aufl. § 119 Rn. 4) und der Schutz des § 119 InsO für die gesetzlichen Anordnungen in §§ 103 bis 118 InsO ist weit zu fassen (Nerlich/Römermann/Balthasar InsO Stand Oktober 2004 § 119 Rn. 6). Insbesondere ist es unzulässig, den Rang von Forderungen wegen vor Verfahrenseröffnung erbrachter Leistungen (§ 105 Satz 1, § 108 Abs. 2 InsO) zu Lasten der übrigen Gläubiger zu verbessern (Nerlich/Römermann/Balthasar aaO Rn. 8). Da es um allgemeine insolvenzrechtliche Verteilungsgrundsätze und um den Schutz der übrigen Gläubiger geht, dürfte auch in einer Betriebsvereinbarung keine Zuordnung von Entgeltansprüchen für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit zu den Masseverbindlichkeiten vorgesehen werden können, wenn diese Ansprüche ansonsten der Zeit vor Verfahrenseröffnung zuzuordnen wären.
5. Die vom Kläger erhobenen Ansprüche aus dem Altersteilzeitvertrag sind somit entgegen der Ansicht der Vorinstanzen bloße Insolvenzforderungen iSv. § 38 InsO, weil sie für vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Arbeitsleistungen geschuldet werden. Insoweit gilt nichts anderes wie für Entgeltansprüche aus allgemeinen Arbeitszeitkonten in der Insolvenz des Arbeitgebers (vgl. dazu BAG 24. September 2003 – 10 AZR 640/02 – AP InsO § 47 Nr. 1 = EzA InsO § 47 Nr. 1).
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.