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Altersversorgung (betriebliche) – Hinweispflichten des Arbeitgebers


Bundesarbeitsgericht

Az: 3 AZR 339/00

Urteil vom 11.12.2001

Vorinstanzen:

I. Arbeitsgericht Köln – Az.: 3 Ca 5652/98 – Urteil vom 14.04.1999

II. Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 2 Sa 1320/99 – Urteil vom 05.04.2000


Leitsätze:

Jeder Vertragspartner hat grundsätzlich selbst für die Wahrnehmung seiner Interessen zu sorgen. Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalles und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung.


In Sachen Xhat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 11. Dezember 2001 für Recht erkannt:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom S.April 2000 -2 Sa 1320/99- wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz des ihm durch den Abschluß eines Aufhebungsvertrages entstandenen Versorgungsschadens.

Der am 5 .Juni 1937 geborene Kläger war vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Dezember 1995 bei der Beklagten als Handlungsbevollmächtigter in deren Immobilienbereich beschäftigt. Am 11. Juni 1991 schlössen die Parteien einen „Pensionsvertrag“. Er regelt die Altersversorgung des Klägers wie folgt:

„1 Pensionsanspruch

Sie erhalten eine Pension, wenn Sie aus den Diensten der Gesellschaft ausgeschieden sind

1.1 wegen Berufsunfähigkeit,

1.2 nach Vollendung des 63. Lebensjahres (Altersruhegeld),

1.3 nach Vollendung des 60. Lebensjahres, sofern Sie dies beantragen (vorgezogenes Altersruhegeld).

2 Unverfallbarer Pensionsanspruch

Scheiden Sie aus den Diensten der Gesellschaft aus, ohne daß nach Ziffer 1 ein Anspruch auf Pensionszahlung besteht, so bleibt die Pensionsanwartschaft aus diesem Vertrag erhalten, wenn Sie im Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Gesellschaft mindestens das 35. Lebensjahr vollendet haben und entweder

2.1 die Versorgungszusage mindestens 10 Jahre bestanden hat oder

2.2 Sie mindestens 12 Jahre ununterbrochen in einem hauptberuflichen Vertragsverhältnis mit Allianz-Gesellschaften gestanden haben und die Versorgungszusage mindestens drei Jahre bestanden hat.

2.3 Als Beginn der Dienstzeit gilt dabei der 01.01.1986 und als Zeitpunkt der Erteilung der Versorgungszusage der 01.05.1991.

3 Höhe des Pensionsanspruchs

3.1 Ihr Pensionsanspruch beträgt ab 01.05.1991 monatlich 1.320,00 DM. Er steigt nach jedem vollen Jahr im Dienst der Allianz-Gesellschaften, erstmals am 01.01.1992 um 27,00 DM.

Wegen der Berücksichtigung der Rentenleistungen der AVK wird auf Ziffer 10 verwiesen.

3.3 Bei Bezug eines vorgezogenen Altersruhegeldes (Ziffer 1.3) wird der nach Ziffer 3.1 berechnete Pensionsanspruch um den in der AVK-Satzung festgelegten versicherungsmathematischen Abschlag gekürzt. Sofern bei Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes die Voraussetzungen einer Schwerbehinderung mit einem Grad von mindestens 50% gegeben sind, werden Sie hinsichtlich der Abschlagsregelung aus diesem Vertrag und der AVK so gestellt wie ein nicht schwerbehinderter Mitarbeiter, der bei Beginn der Altersrente das 63. Lebensjahr vollendet hat.

3.4 Besteht ein unverfallbarer Pensionsanspruch nach Ziffer 2, so berechnet sich die ihnen im Versorgungsfall zustehende Leistung aus dem ohne das vorherige Ausscheiden ermittelten Pensionsanspruch nach dem Verhältnis der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu der Zeit vom Beginn der Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres.

10 Mitgliedschaft in der Allianz-Versorgungskasse WaG

Sie bleiben beitragspflichtiges Mitglied der AVK. Die auf dieser Mitgliedschaft beruhenden Rechte und Pflichten bestimmen sich ausschließlich nach der AVK-Satzung.

Ihre Pensionsanspruche und die Ihrer Hinterbliebenen regeln sich jedoch trotz Ihrer Mitgliedschaft zur AVK ausschließlich nach diesem Vertrag. Auf die Leistungen aus diesem Vertrag werden die in Betracht kommenden Ren-tenleistungen der AVK angerechnet.

Die Beklagte unterrichtete den Kläger jährlich über die Höhe seiner Versorgungsanwartschaften. Dabei berücksichtigte sie sowohl die Anwartschaften aus derDirektzusage als auch die Anwartschaften aus seiner Mitgliedschaft in der AVK. In der Mitteilung von April 1995 hieß es zur Altersrente:

„Wenn Sie mit Vollendung des 63. Lebensjahres Ihre Altersrente abrufen, so beträgt Ihr Anspruch am 1.7.2000 monatlich 1.964,90 DM.

(Hierin aus Ihrer Versorgungszusage 1.242,70 DM)

Eine vorgezogene Altersrente können Sie frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahres beantragen, sofern Sie Ihr Vertragsverhältnis beenden. Die dann erreichte Anwartschaft wird um versicherungsmathematische Abschläge von maximal 15,36% gekürzt.

Unverfallbarkeit Ihrer Ansprüche

Falls Ihr Vertragsverhältnis mit der Gesellschaft vorzeitig endet, bleibt Ihre Anwartschaft anteilig erhalten, sofern die Voraussetzungen der Unverfallbarkeit erfüllt sind. Näheres hierzu ersehen Sie aus der AVK-Satzung sowie den Bestimmungen Ihrer Versorgungszusage.

Bitte beachten Sie:

Diese Mitteilung ist kein verbindlicher Rentenbescheid. Im Versorgungsfall werden die Renten mit den dann aktuellen Daten neu berechnet. Allein verbindlich sind die Bestimmungen der AVK-Satzung und Ihrer Versorgungszusage.

Mit Bescheid vom 22. Mai 1995 stellte die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde beim Kläger einen Grad der Behinderung von 50% fest. Als der Kläger daraufhin den Wunsch äußerte, zum 1. Januar 1996 nach den tarifvertraglichen Regelungen in den Vorruhestand zu treten, übersandte ihm die Beklagte ein Antragsformular. Er gab es am 5. August 1995 ausgefüllt zurück. Darin erklärte er, daß er verbindlich und unwiderruflich nach Maßgabe des tariflichen Vorruhestandsabkommens ab 1. Januar 1996 von der Vorruhestandsregelung Gebrauch machen wolle. Mit Schreiben vom 13. September 1995 wies ihn die Beklagte darauf hin, daß die tarifvertraglichen Voraussetzungen einer Vorruhestandsvereinbarung nicht erfüllt seien. Sie erklärte sich jedoch bereit zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis in Anlehnung an die tariflichen Vorruhestandsregelungen zum 31. Dezember 1995 beendet werden könnte. Auf Grund dieser Überlegungen erhielt der Kläger von ihr Berechnungen über die zu zahlenden Vorruhestandsbezüge unter Einbeziehung einerAbfindung in Höhe von 24.000,00 DM. Mitte Dezember 1995 sandte ihm die Beklagteohne nähere Erläuterung einen Aufhebungsvertrag zu, den die Parteien am 19./21. Dezember 1995 unterzeichneten. Er enthält folgende Vereinbarungen:

„1. Die Vertragspartner sind sich darüber einig, daß das zum 01.01.1986 begründete Arbeitsverhältnis auf Veranlassung der Gesellschaft mit Ablauf des 31.12.1995 endenwird.

2. Herr H erhält, da er aus gesundheitlichen Gründen anerkannte Schwerbehinderteneigenschaft sowie ärztliche Bescheinigung – seiner vertraglichen Tätigkeit in derAGRAG, Regionalverwaltung Essen nicht mehr nachkommen kann, wegen Aufgabe des Arbeitsplatzes und seines sozialen Besitzstandes entsprechend §§ 9 und 10 Kündigungsschutzgesetz eine Abfindung m Höhe vonDM 24.000,00.

Die Abfindung ist mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Zahlung fällig.

3. Die Parteien sind darüber einig, daß Herr H finanziell netto so gestellt wird, als wäre er zum 01.01.1996 denVorruhestand gemäß Tarifvertrag der Versicherungswirtschaft gegangen.

5. Herrn H steht eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft des Allianz-Versorgungswerkes zu. Er erhält eine entsprechende Bestätigung gemäß § 2 des Betrieblichen Altersversorgungsgesetzes.

Für die Zeit nach dem 31. Dezember 1995 entrichtete die Beklagte keine Beiträge an die AVK. Seit 1. Juli 1997 bezieht der Kläger Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und eine betriebliche Altersversorgung von monatlich 1.229,70 DM. Er verlangt von der Beklagten weitere 735,20 DM monatlich, also insgesamt die in der Mitteilung von April 1995 genannten 1.964,90 DM.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihm wegen Verletzung ihrer Hinweis- und Aufklärungspflichten den Schaden ersetzen, der ihm bei seiner betrieblichen Altersversorgung durch den Abschluß des Aufhebungsvertrages entstanden sei. Die Hinweis- und Aufklärungspflichten ergäben sich aus § 3 Abs. 2 desVorruhestandsabkommens für die Versicherungswirtschaft, aus betrieblicher Übung sowie aus Treu und Glauben (§ 242 BGB). Bei der Beklagten sei es üblich gewesen, die Arbeitnehmer vor dem geplanten Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis über die Höhe ihrer künftigen Betriebsrente zu unterrichten. Dies sei beim Kläger nicht geschehen. Auch ohne betriebliche Übung hätte die Beklagte ihn unaufgefordert auf die versorgungsrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrages hinweisen müssen. Er habe nicht gewußt, daß sich zum einen seine AVK-Versorgung wegen der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterbliebenen Beitragsleistungen erheblich verringere und er zum anderen bei seiner Direktversorgung aus dem Pensionsvertrag wegen des vorzeitigen Ausscheidens und der vorgezogenen Inanspruchnahme des Altersruhegeldes sowohl eine zeitanteilige Kürzung als auch einen versicherungsmathematischen Abschlag hinnehmen müsse. Er sei davon ausgegangen, daß er die in der Mitteilung von April 1995 angegebene Altersrente von monatlich 1.964,90 DM erhalten werde. Die in Nr. 5 des Aufhebungsvertrages getroffene versorgungsrechtliche Vereinbarung habe ihn in dieser Erwartung bestärkt. Es sei auch zu berücksichtigen, daß der Aufhebungsvertrag auf Initiative der Beklagten zustande gekommen sei. Wäre der Kläger über die weitreichenden Versorgungseinbußen informiert worden, so hätte er den Aufhebungsvertrag nicht unterschrieben.

Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, beantragt,die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate Juli 1997 biseinschließlich Juni 1998 einen Betrag in Höhe von 8.822,40 DMnebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen und monatlich nachschüssig – beginnend mit dem 31. Juli 1998 – einenBetrag von 735,20 DM auf Lebenszeit des Klägers an diesen zuzahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, sie habe keine Hinweis- und Aufklärungspflichten verletzt. Im übrigen fehle die erforderliche Kausalität. Auch bei einem Ausscheiden nach dem Vorruhestandsabkommen für die Versicherungswirtschaft hätte der Kläger keine höhere Altersversorgung erhalten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger strebt mit seiner Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht zu.

I. Zutreffend haben die Vorinstanzen angenommen, daß etwaige Erfüllungsansprüche aus dem Pensionsvertrag nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind. Über die richtige Berechnung der Betriebsrente besteht zwischen den Parteien kein Streit. Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch ist sowohl nach dem maßgeblichen Lebenssachverhalt als auch nach der Rechtsfolge vom Erfüllungsanspruch zu unterscheiden. Für den Schadenersatzanspruch kommt es nicht auf das Erfüllungsinteresse, sondern auf das negative Interesse an. Falls die Beklagte schadenersatzpflichtig wäre, müßte sie den Kläger so stellen, wie er stünde, wenn er auf die versorungsrechtlichen Nachteile hingewiesen worden wäre.

II. Der Kläger hat keinen Schadenersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung, weil die Beklagte keine Informationspflichten verletzt hat. Hinweis- und Aufklärungspflichten der Beklagten ergaben sich weder aus dem Versorgungsabkommen der Versicherungswirtschaft noch aus dem Aufhebungsvertrag, einer betrieblichen Übung oder dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).

1. In Nr. 3 des Aufhebungsvertrages haben die Parteien vereinbart, daß der Kläger „finanziell netto so gestellt wird, als wäre er zum 01.01.1996 in den Vorruhestand gemäß Tarifvertrag der Versicherungswirtschaft gegangen“. Die Gleichstellungsabrede bezieht sich nicht auf die Auskunftspflichten. Selbst wenn § 3 Abs. 2 des Vorruhestandsabkommens für die Versicherungswirtschaft entsprechend anwendbar wäre, würde diese Vorschrift im vorliegenden Fall keine Rolle spielen. Sie bestimmt, daß der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorruhestandes auf die betriebliche Altersversorgung schriftlich darzulegen hat. Das für die Auskunftspflicht erforderliche Verlangen des Arbeitnehmers liegt jedoch nicht vor. Der Kläger hat die Beklagte vor Abschluß des Aufhebungsvertrages unstreitig zu keiner Auskunft aufgefordert.

2. Die vom Kläger behauptete betriebliche Übung, daß Arbeitnehmer vor ihrem geplanten Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine aktuelle Mitteilung über dieHöhe ihrer zukünftigen Rentenbezüge erhielten, spielt keine Rolle. Diese betriebliche Übung hätte an eine bereits bestehende unverfallbare Versorgungsanwartschaft angeknüpft. Der Kläger hatte jedoch vor Abschluß des Aufhebungsvertrages überhaupt keine unverfallbare Versorungsanwartschaft. Weder die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden alten Fassung (aF) erforderliche zehnjährige Dauer der Versorgungszusage noch die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 BetrAVG aF erforderlich zwölfjährige Dauer der Betriebszugehörigikeit waren erreicht. Die nach Nr. 2.3 des Pensionsvertrages am 1. Mai 1991 erteilte Versorgungszusage bestand im Dezember 1995 vier Jahre. Die Betriebszugehörigkeit des seit dem 1. Januar 1986 bei der Beklagten beschäftigten Kläger belief sich am 31. Dezember 1995 auf zehn Jahre.

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3. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) können sich zwar Hinweis- und Aufklärungspflichten ergeben, denn der jeder Partei zuzubilligende Eigennutz findet seine Grenze an dem schutzwürdigen Lebensbereich des Vertragspartners (BAG 13. November 1984 -3 AZR 255/84 – BAGE 47, 169, 175). Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, dürfen aber die vertraglichen Schutz- und Fürsorgepflichten nicht überspannt werden. Jeder Vertragspartner hat grundsätzlich selbst für die Wahrnehmung seiner Interessen zu sorgen. Der Arbeitgeber ist nicht ohne weiteres verpflichtet, Arbeitnehmer unaufgefordert über die Auswirkungen einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf ihre betriebliche Altersversorgung zu unterrichten. Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalles und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung (ständige Rechtsprechung, vgl. ua. BAG 10. März 1988 – 8 AZR 420/85- AP BGB §611 Fürsorgepflicht Nr. 99 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 6, zu II 2 a der Grunde; 13. Dezember 1988 -3 AZR 322/87- AP BetrAVG §1 Zusatzversorgungskassen Nr. 23, zu 1 a der Gründe jew. mwN). Derartige Nebenpflichten können vor allem dadurch entstehen, daß der Arbeitgeber einen Vertrauenstatbestand oder durch sein früheres Verhalten eine Gefahrenquelle geschaffen hat. Je großer das beim Arbeitnehmer erweckte Vertrauen ist oder je größer, atypischer und schwerer erkennbar die betriebs-rentenrechtlichen Gefahren für den Arbeitnehmer sind, desto eher treffen den Arbeitgeber Informationspflichten und desto weitreichender sind sie.

Auch das Urteil des Senats vom 17. Oktober 2000 (- 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 59) beruht auf diesen Erwägungen. Den Arbeitgeber trafen erhöhte Hinweis- und Aufklarungspflichten,weil er im betrieblichen Interesse den Abschluß eines Aufhebungsvertrages vorschlug, die Arbeitnehmerin – eine Reinemachefrau – offensichtlich mit den Besonderheiten der ihr zugesagten komplizierten Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes nicht vertraut war, sich der baldige Eintritt eines Versorgungsfalles (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach längerer Krankheit) bereits abzeichnete und durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses außergewöhnlich hohe Versorgungseinbußen drohten (Versicherungsrente statt Versorgungsrente). Die Kumulierung dieser Umstände war auch für Inhalt und Umfang der Informationspflichten des Arbeitgebers bedeutungsvoll. Der allgemeine Hinweis auf mögliche Versorgungsnachteile und die bloße Verweisung an die Zusatzversorgungskasse unter Einräumung einer Bedenkzeit reichte nicht aus. In dem damals entschiedenen Fall mußte der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin darauf hinweisen, daß sich ihre Zusatzversorgung bei Abschluß des Aufhebungsvertrages beträchtlich verringern konnte, und sie über die Ursachen dieses Risikos (Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor Eintritt eines Versorgungsfalles) in groben Umrissen unterrichten. Der vorliegende Fall ist in nahezu allen wesentlichen Punkten anders gelagert und bildet geradezu ein Gegenbeispiel. Hier führen die maßgeblichen Umstände und die darauf aufbauende Interessenabwägung zu keiner Hinweis- und Aufklärungspflicht der Beklagten.

a) In der Regel muß sich der Arbeitnehmer vor Abschluß eines Aufhebungsvertrages selbst Klarheit über die Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verschaffen (BAG 3. Juli 1990 – 3 AZR 382/89 – AP BetrAVG § 1 Nr. 24 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 7, zu II 2 a der Gründe: 17. Oktober 2000 – 3 AZR 605/99 -aaO, zu II2 a der Gründe). Informationspflichten des Arbeitgebers können insbesondere dadurch entstehen, daß der Arbeitgeber – unter Umständen auch durch das Angebot eines Aufhebungsvertrages – den Eindruck erweckt, er werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen und ihn vor unbedachten versorgungsrechtlichen Nachteilen bewahren. Die Beklagte hat jedoch keinen derartigen Vertrauenstatbestand geschaffen.

aa) Der Kläger schied auf seine eigene Initiative hin aus. Daran ändert nichts, daß der Aufhebungsvertrag auf einem Angebot der Beklagten beruht und sich die Parteien nach Nr. 1 des Aufhebungsvertrages darüber einig waren, daß „auf Veranlassung der Gesellschaft“ das Arbeitsverhältnis aufgelöst werde. Der Kläger hatte den Wunsch geäußert, nach den tarifvertraglichen Bestimmungen m Vorruhestand zu treten. Damit verfolgte er persönliche Interessen, selbst wenn der Beklagten eine derartige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gelegen kam. Als sich herausstellte, daß die tariflichen Voraussetzungen für eine Vorruhestandsvereinbarung fehlten, versuchte die Beklagte, dem Wunsch des Klägers auf einem anderen Weg zu entsprechen. Der Kläger wurde nach Nr. 3 des Aufhebungsvertrages „finanziell netto so gestellt, als wäre er zum 01.01.1996 in den Vorruhestand gemäß Tarifvertrag der Versicherungswirtschaft gegangen“. Die Initiative des Klägers führte demnach zu dem von ihm angestrebten Ziel. Den entscheidenden Anstoß zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gab er selbst. Der vertragliche Hinweis auf die Veranlassung des Arbeitgebers führte zu keinem anderen Ergebnis. Dieser Hinweis sorgte für eine steuerfreie Auszahlung der Abfindung nach § 3 Nr. 9 EStG.

bb) Wenn der Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen auf die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses hinwirkt, darf der Arbeitgeber es ihm grundsätzlich überlassen, sich über die Folgen seines Ausscheidens zu unterrichten. Hinweis- und Aufklärungspflichten kommen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zwar bei einem erkennbar gesteigerten Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers in Betracht, wobei auch dann noch die übrigen Umstände zu berücksichtigen sind. Ein außergewöhnliches Informationsbedürfnis bestand aber im vorliegenden Fall nicht.

(1) Der Aufhebungsvertrag ermöglichte dem Kläger ein vorruhestandsähnliches Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. Dementsprechend bestand zwischen der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Ruhestand ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang. Dieser Umstand allein löst jedoch noch keine gesteigerten Informationspflichten des Arbeitgebers aus. Unter anderem kommt es darauf an, welchen Kenntnisstand der Arbeitnehmer hat, wie typisch oder atypisch die drohenden Versorgungsnachteile sind und inwieweit der Arbeitgeber mit eigenen Erkundigungen des Arbeitnehmers rechnen darf. Die umfassende einzelfallbezogene Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall zu keinen gesteigerten Schutz- und Fürsorgepflichten der Beklagten.

(2) Unerheblich ist es, daß betriebsrentenrechtliche Fragen nicht zum arbeitsvertraglichen Aufgabenbereich des Klägers gehörten. Jedenfalls war seine Vorbildung und sein Kenntnisstand nicht unterdurchschnittlich. Als Handlungsbevollmächtigter im Immobilienbereich hatte er eine gehobene Position inne und war entsprechend geschäftsgewandt. Von ihm konnte erwartet werden, daß er sich seiner Wissensdefizitebewußt war und sich vor Abschluß eines Aufhebungsvertrages die ihm erforderlichen Informationen beschaffte.

(3) Die durch den Abschluß des Aufhebungsvertrages drohenden Versorgungseinbußen waren nicht ungewöhnlich. Der Kläger mußte damit rechnen, daß mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Beiträge mehr an die AVK gezahlt werden. Die Verknüpfung von Beitragsleistung und Fortbestand des Arbeitsverhältnisses leuchtete auch ohne besondere Rechtskenntnisse ein.

Ein atypischer Versorgungsschaden ergab sich auch nicht daraus, daß sowohl das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis als auch die mit der vorgezogenen Inanspruchnahme der Altersrente verbundene höhere Belastung des Arbeitgebers zu Kürzungen der Betriebsrente führen konnten. Da die zeitanteilige Kürzung wegen vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis in § 2 Abs. 1 BetrAVG gesetzlich vorgesehen ist. dürfen die daraus entstehenden Nachteile ohne weiteres als bekannt vorausgesetzt werden (BAG 13. November 1984 -3AZR 255/84- BAGE 47, 169, 177). Versicherungsmathematische Abschläge sind zwar nicht gesetzlich geregelt. Dennoch sind sie nicht atypisch, sondern kommen häufig vor Die Beklagte wies den Kläger in den jährlichen Mitteilungen sogar ausdrücklich auf die Möglichkeit versicherungsmathematischer Abschläge bei vorgezogener Inanspruchnahme der Altersrente und die zehnteilige Kürzung bei vorzeitigem Ausscheiden hin.

Aus Nr. 5 des Aufhebungsvertrages konnte der Kläger nicht herleiten, daß die Beklagte auf die im Pensionsvertrag vorgesehenen Kürzungen verzichtet habe, Die Vereinbarung, die dem Kläger trotz Nichterfüllung der gesetzlichen und vertraglichen Voraussetzungen eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft einräumt, besagt nichts über die Höhe der ihm zustehenden Betriebsrente.

b) Mit dem Angebot zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages schuf die Beklagte auch keine neue, besondere Gefahrenquelle für den Kläger.

Bereits vor diesem Angebot hatte sich der Kläger mit dem Abschluß einer Vorruhestandsvereinbarung nach Maßgabe des tariflichen Vorruhestandsabkommens einverstanden erklärt. Versorgungsrechtliche Nachteile wären ihm auch bei einem derartigen Vertrag nicht erspart geblieben. Da die tariflichen Voraussetzungen einer Vorruhestandsvereinbarung nicht vorlagen, bot die Beklagte eine gleichwertige Ersatzlösung an. Das Interesse des Klägers an einer Klärung der Versorgungseinbußen war beim Abschluß des Aufhebungsvertrages ebenso groß wie beim Abschluß einer Vorruhestandsvereinbarung. Die Beklagte durfte erwarten, daß der Kläger – ebenso wie vor Abschluß einer Vorruhestandsvereinbarung – eine etwa benötigte betriebsrentenrechtliche Auskunft verlangen werde. Die tarifvertragliche Interessenbewertung des § 3 Abs. 2 des Vorruhestandsabkommens der Versicherungswirtschaft, der eine Auskunftnur auf Verlangen vorschreibt, kann auch im vorliegenden Fall nicht ignoriert werden.

4. Da die Beklagte keine Hinweis- und Aufklärungspflichten verletzt hat, kommt es nicht darauf an, ob die unterbliebene Belehrung für die dem Kläger entstandenen versorgungsrechtlichen Nachteile ursächlich war.

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