LAG Baden-Württemberg
Az.: 2 Sa 63/01
Urteil vom 05.12.2001
Vorinstanz: Arbeitsgericht Stuttgart – Az.: 15 Ca 6262/00
In dem Rechtsstreit hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – 2. Kammer –auf die mündliche Verhandlung vom 05.12.2001 für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 19.04.2001 (Az.: 15 Ca 6262/00) wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 ZPO abgesehen, da das Urteil des Berufungsgerichts der Revision nicht unterfällt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I.
Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.
II.
In der Sache hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht entsprochen. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 24.07.2000 nicht beendet worden.
Die außerordentliche Kündigung der Beklagten (eine ordentliche Kündigung ist gemäß § 52 Abs. 1 BMT-G II i.d.F. 01.01.1998 nicht zulässig) ist nach Auffassung der erkennenden Kammer unwirksam, da ein wichtiger Grund im Sinne der §§ 626 Abs. 1 BGB, 53 BMT-G II nicht gegeben ist.
Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz klargestellt, dass sie die vorliegende außerordentliche Kündigung (allein) auf die beharrliche Weigerung der Klägerin, an den angeordneten amtsärztlichen Untersuchungen mitzuwirken, gestützt hat.
1. Der Ausgangspunkt der Rechtsauffassung der Beklagten ist richtig: weigert sich eine Arbeitnehmerin trotz ausgesprochener Abmahnung(en) beharrlich, an einer vom Arbeitgeber berechtigt angeordneten amtsärztlichen Untersuchung teilzunehmen oder mitzuwirken, so kann diese Pflichtverletzung je nach den Umständen einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (BAG Urteil vom 06.11.1997 – 2 AZR 801/96 – AP Nr. 142 zu § 626 BGB; BAG Urteil vom 23.02.1967
– 2 AZR 124/66 – AP Nr. 1 zu § 7 BAT).
Im Einzelnen: Gemäß § 10 Abs. 2 BMT-G II kann der Arbeitgeber den Arbeiter jederzeit vertrauensärztlich untersuchen lassen. Da eine derartige ärztliche Untersuchung stets die Intimsphäre des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin, die durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt wird, tangiert, ist § 10 Abs. 2
BMT-G II dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die angeordnete vertrauensärztliche Untersuchung nicht willkürlich oder missbräuchlich sein darf (vgl. auch § 7 Abs. 2 BAT). Eine angeordnete vertrauensärztliche Untersuchung muss sich immer auf den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers beziehen. Nur wenn hinreichende Zweifel an der Arbeitsfähigkeit/Dienstfähigkeit des Bediensteten bestehen, darf sie einseitig angeordnet werden (zum Vorstehenden: Scheuring/Lang/Hoffmann, Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe, § 10 BMT-G, II. 2. 1 m.w.N.). Wenn die Untersuchung des Arbeitnehmers berechtigt ist, muss dieser den untersuchenden Arzt insoweit von der ärztlichen Schweigepflicht dem Arbeitgeber gegenüber entbinden, als es das Ziel der Untersuchung erfordert (Crisolli/Tiedtke, Das Tarifrecht der Angestellten im Öffentlichen Dienst, § 7 BAT Rz. 18; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, § 7 BAT Rz. 28). Weigert sich der Arbeitnehmer an der zulässigerweise angeordneten vertrauensärztlichen Untersuchung mitzuwirken, so stellt diese Weigerung eine Verletzung einer Nebenpflicht des Arbeitsvertrages dar, die bei Beharrlichkeit nach einschlägigen Abmahnungen eine Kündigung rechtfertigen kann (s.o.).
2. Wenn man die vorstehend genannten Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt anwendet, sind nach Auffassung der Kammer keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die amtsärztlichen Untersuchungen berechtigt angeordnet worden sind. Nach dem Sachvortrag der Beklagten sind keine begründeten Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Klägerin im Zeitraum von der ersten amtsärztlichen Untersuchung am 20.01.2000 bis zum Ausspruch der Kündigung erkennbar gewesen. Die Weigerung der Klägerin, an diesen amtsärztlichen Untersuchungen teilzunehmen bzw. sachgerecht mitzuwirken (z.B. den Amtsarzt von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden), stellt deshalb keine Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages dar.
Die Beklagte hat die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchungen ab dem 20.01.2000 bis zum Ausspruch der Kündigung damit begründet, dass sie habe feststellen lassen wollen, ob das Verhalten der Klägerin bei den Vorstellungsgesprächen im Rahmen der Umsetzungsbemühungen der Beklagten und bei den Tätigkeiten als Küchen- und Kantinenhilfe krankheitsbedingte Ursachen gehabt habe.
Selbst wenn man den Sachvortrag der Beklagten zu Grunde legt, sind Zweifel an der vertragsgemäßen Einsetzbarkeit der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht erkennbar. Die von der Beklagten geschilderte psychische Erkrankung der Klägerin im Jahre 1995, die die Klägerin als Erschöpfungszustand gewertet hat, ist ein abgeschlossener Vorgang gewesen und hat im Zeitpunkt der amtsärztlichen Untersuchungen fünf Jahre zurückgelegen.
Wenn die Beklagte die Passivität und Motivationslosigkeit der Klägerin in den Vorstellungsgesprächen vor der Schließung des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie und damit des Wegfalls des seitherigen Arbeitsplatzes der Klägerin rügt, so verkennt sie, dass es arbeitsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn die Klägerin bis zum 31.12.1998 auf dem seitherigen Arbeitsplatz weiterarbeiten wollte (vgl. Arbeitsverträge vom 18.05.1981 und 02.08.1983). Im Übrigen lässt das von der Beklagten vorgetragene Verhalten der Klägerin bei den Vorstellungsgesprächen keinerlei Zweifel am Gesundheitszustand der Klägerin erkennen.
Die Beklagte hat die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung auch damit begründet, dass es während der Tätigkeit der Klägerin als Küchen- und Kantinenhilfe in den Kantinen Weimarstraße (vom 22.02.1999 bis Ende Mai 1999) und in der Kantine Rosensteinstraße (vom 31.05.1999 bis Ende 1999) zu Auseinandersetzungen mit Mitarbeiterinnen gekommen sei. Es habe ständig Streitereien zwischen der Klägerin und den anderen Mitarbeiterinnen gegeben. Die Kantinenführerin der Rosensteinstraße habe mit der Niederlegung der Arbeit gedroht, wenn die Klägerin nicht umgesetzt werde. Zudem habe die Klägerin sich einfachste Anweisungen nicht merken können und sei teilnahmslos herumgestanden. Auch dieser von der Klägerin bestrittene Sachvortrag der Beklagten lässt keine Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Klägerin zu. Im Gegensatz zu dem Sachverhalt, den das BAG in seinem Urteil vom 06.11.1997 (s.o.) zu entscheiden hatte, hat die Klägerin im Zeitraum 1997 bis 2000 keine überdurchschnittlichen Fehlzeiten gehabt (im Mittel ca. 12 Fehltage im Jahr) und hat die geschuldete Arbeitsleistung als Laborhelferin, Putzkraft, Kantinen- und Küchenhilfe erbracht.
Es mag sich bei der Klägerin um eine introvertierte und schwierige Mitarbeiterin handeln, die bezüglich der Auseinandersetzungen mit den Kolleginnen und mit der Kantinenleiterin nicht unschuldig ist. Es kann auch sein, dass die Klägerin einfach strukturiert und desinteressiert ist. Dies alles lässt jedoch keine Zweifel an der Arbeitsfähigkeit (oder gar Erwerbsfähigkeit!) der Klägerin als Arbeiterin zu, zumal die Beklagte vor und nach den Kantineneinsätzen (Laborhelferin beim Gesundheitsamt, Reinigungskraft beim Haupt- und Personalamt bzw. Reinigungskraft beim Haupt- und Personalamt) nicht ansatzweise gesundheitliche Einschränkungen der Klägerin dargetan hat. Immerhin geht es vorliegend um die Frage, ob Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Klägerin als (einfache) Arbeiterin bestehen und nicht um Tätigkeiten, wo leiseste Zweifel an der psychischen Gesundheit des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin amtsärztliche Untersuchungen geboten erscheinen lassen (z.B. Waffenträger, Fahrer von öffentlichen Verkehrsmitteln).
Die erkennende Kammer ist deshalb der Meinung, dass die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchungen, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind, sachlich nicht gerechtfertigt gewesen sind und deshalb keine beharrliche Pflichtwidrigkeit der Klägerin vorliegt.
III.
1. Da somit die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben konnte, hat sie die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
2. Ein Rechtsmittel ist gegen dieses Berufungsurteil nicht gegeben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.